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Indien, China und die drei K | Internationale Sicherheit | bpb.de

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Indien, China und die drei K

Herbert Wulf

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China und Indien, die zwei bevölkerungsreichsten Länder der Erde, beide mit einer dynamischen, jüngst aber etwas stotternden Wirtschaft ausgestattet, werden in den nächsten Jahrzehnten vermutlich nicht nur die asiatische, sondern die globale Politik entscheidend mitgestalten. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern, über Jahrzehnte eher schwankend und widersprüchlich, sind geprägt durch die drei K: Konflikte, Konkurrenz und Kooperation. Wenn sich das Verhältnis zwischen beiden Ländern kooperativ gestaltet, könnte dies positive Folgen für die Weltpolitik haben, gleichzeitig aber die Vormachtstellung der USA und des "alten Europa" weiter infrage stellen. Die guten indisch-chinesischen Beziehungen des hindi-chini bhai bhai ("Inder und Chinesen sind Brüder") der frühen Jahre unter Jawaharlal Nehru und Mao Tse-tung sind jedoch längst vorbei. Ein Abkommen von 1954, das in Indien als Pansheel in die Geschichte einging, regelte die friedliche Koexistenz und territoriale Integrität zwischen beiden Ländern. Doch die Periode der gemeinsamen anti-imperialistischen Ideologie der 1950er Jahre wich der Feindschaft nach dem für Indien traumatischen Grenzkrieg von 1962, und es dauerte bis Mitte der 1970er Jahre, um vorsichtige diplomatische Schritte zur Annäherung zu unternehmen und die Beziehungen etwas zu normalisieren.

Mindestens drei Konflikte mit China irritieren indische Außen- und Sicherheitspolitiker seit Langem. Trotz der Verhandlungen in zahlreichen bilateralen Arbeitsgruppen bleibt der Grenzkonflikt im Nordosten Indiens bis heute ungelöst, weil keine der beiden Seiten den eigenen Anspruch auf die umstrittenen Territorien aufgibt. Damit zusammenhängend bestehen bislang unüberbrückbare Differenzen zur Rolle Chinas in Tibet und die Anwesenheit von mehr als einer Million tibetischer Flüchtlinge und vor allem des Dalai Lamas in Indien. Schließlich beunruhigt Chinas Politik in einigen indischen Nachbarländern Indiens Außen- und Sicherheitspolitiker: die Unterstützung Chinas für Pakistan, unter anderem der pakistanischen Streitkräfte, aber auch die chinesischen Ambitionen in Nepal, Myanmar und Sri Lanka. Mit Argwohn wird seitens der chinesischen Regierung das Rapprochement Indiens und der USA betrachtet. Der Abschluss des indisch-amerikanischen Nuklearabkommens im Jahr 2005, Teil einer Strategie der damaligen US-Regierung zur Eindämmung des chinesischen Einflusses in Asien, ist aus chinesischer Perspektive ebenso besorgniserregend wie die indischen Atomwaffenambitionen.

Neuerdings werden die diplomatischen, wirtschaftlichen und maritimen Ambitionen Chinas im indischen Ozean von Strategen in Indien als Bedrohung wahrgenommen. China baut die Häfen in Gwadar (Pakistan), Hambantota (im Norden Sri Lankas), Chittagong (Bangladesh) sowie Hafen- und Kommunikationsanlagen in Myanmar aus. Kategorisch dementiert die chinesische Regierung, dass sie auch militärische Ziele verfolgt. Indiens Marine baut seinerseits die Basis auf den Andaman und Nicobar Inseln aus und verfolgt eine Strategie gutnachbarschaftlicher Beziehungen mit den Anrainern der Straße von Malakka, einer wichtigen Wasserstraße für die Öllieferungen Chinas. General Deepak Kapoor, ehemaliger Stabschef der indischen Streitkräfte, spricht von einer chinesischen "Perlenkette" rund um den indischen Ozean. Alarmistisch warnen indische Strategen in klassischer geopolitischer Terminologie vor einem deutlichen Fußabdruck in Indiens Interessensphäre und gar vor einer Einkreisung, der nur mit dem Ausbau einer hochseefähigen Marine begegnet werden könne. Die Konsequenz ist klar: ein maritimes Wettrüsten der beiden größten asiatischen Länder, das allerdings auf indischer Seite wegen jüngst erfolgter wirtschaftlicher Einbrüche etwas gebremst wurde. Der Vergleich des militärischen Kräfteverhältnisses weist deutlich die chinesische Vormachtstellung aus. Beide Länder haben die Militärausgaben in den vergangenen 15 Jahren rasant gesteigert, doch die chinesischen sind mit 166 Milliarden US-Dollar mehr als drei Mal so hoch wie die indischen.

Die chinesisch-indischen Beziehungen sind heute von widersprüchlichen Faktoren geprägt. Neben den Konflikten und der wirtschaftlichen und sich anbahnenden militärischen Konkurrenz pflegen die beiden großen Nachbarn auch die Kooperation. Der bilaterale Handel floriert. China hat inzwischen die USA als Indiens wichtigsten Handelspartner abgelöst. Beide Regierungen kooperieren im Rahmen der G20 und sind bemüht, durch Initiativen wie BRICS, durch Kooperation bei Klimaverhandlungen oder der Bewältigung der globalen Finanzkrise dem westlich dominierten globalen Governance-System Alternativen entgegenzusetzen. Die beiden aufstrebenden Mächte könnten die globale Kräftebalance nachhaltig verändern. In diesem von Konflikten, Kooperation und Konkurrenz geprägten Verhältnis ist China ökonomisch dynamischer und militärisch stärker. Indiens soft power hingegen – die funktionierende Demokratie, der politische Pluralismus, die freie Presse, die Kultur und religiöse Vielfalt – zählt jedoch als Aktivposten langfristig ebenso stark.

Prof. Dr. phil.; ehemaliger Leiter des Bonn International Center for Conversion. E-Mail Link: wulf@gcr21.uni-due.de