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Afghanistan: Aus Fehlern lernen

Alfred Kraft

/ 15 Minuten zu lesen

Nach den Ereignissen am 11. September 2001 war es ein wichtiges Ziel der NATO, Sicherheit in Afghanistan herzustellen. Es sollte vermieden werden, dass das Land wieder Zufluchtsort für Terroristen wird. Seit mehr als zehn Jahren hat die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (International Security Assistance Force, ISAF) unter NATO-Führung an dieser Aufgabe gearbeitet und die afghanischen Sicherheitskräfte bezahlt, ausgebildet und ausgerüstet. Nach Einschätzung der NATO sind diese seit Juni 2013 stark genug, die Sicherheitsverantwortung für das ganze Land zu übernehmen. Die ISAF-Streitkräfte ziehen bis Ende 2014 ab, stehen aber mit einem kleinen Team weiterhin für die Finanzierung, Ausbildung und Beratung zur Verfügung. Sicherheit beschränkt sich aber nicht allein auf den militärischen Aspekt. In einem weiteren Sinne erfordert sie auch ein leistungsfähiges Bildungs- und Gesundheitssystem, finanzielle Stabilität, Armutsbekämpfung, Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit sowie Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und gute Regierungsführung.

Die Entwicklung in Afghanistan seit 2001 lässt sich am einfachsten chronologisch anhand der wichtigsten internationalen Konferenzen über die Zukunft des Landes nachzeichnen.

Bonn 2001.

Ende November 2001 wurde in Bonn die erste internationale Konferenz abgehalten. Teilnehmende waren vier afghanische Delegationen und Vertreter der internationalen Gemeinschaft. Der verabschiedete Fahrplan für die politische Entwicklung des Landes sah vor, für die Dauer von bis zu zwei Jahren eine Übergangsregierung zu schaffen, die vom Rat der Stammesältesten (Loja Jirga) eingesetzt werden sollte. Sie sollte eine neue Verfassung und allgemeine Wahlen vorbereiten. Zugleich wurden wichtige Prinzipien für die künftige Entwicklung genannt, darunter die nationale Aussöhnung, Achtung der Menschenrechte, Pluralismus, die territoriale Unversehrtheit, ein Justizsystem im Einklang mit islamischen Grundsätzen, Kampf gegen Terrorismus, Bekämpfung des Drogenhandels, Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte und die Auflösung bewaffneter Gruppen. Die internationale Gemeinschaft sagte zu, Afghanistan beim Aufbau eigener Sicherheitskräfte zu unterstützen und Truppen zu entsenden, bis das Land selbst die Verantwortung für Sicherheit, Recht und Ordnung tragen könne.

Die NATO wurde ferner damit beauftragt, die Übergangsregierung, die Bevölkerung sowie die Vereinten Nationen (VN) und andere Hilfsorganisationen vor Aufständischen zu schützen und die Strukturen der Taliban zu zerstören. Hinzu kamen zivile Aufgaben: Die neue Regierung sollte bei der Regierungsführung und der Einleitung der sozioökonomischen Entwicklung unterstützt werden. Dazu zählten die Assistenz bei der Wahrung der Menschenrechte und der inneren Sicherheit sowie die Unterstützung bei der Rückführung von Flüchtlingen. Für die zivilen Aufgaben wurden Wiederaufbauteams in den Provinzen (Provincial Reconstruction Teams, PRT) gegründet. Die verschiedenen PRT setzten ihre Schwerpunkte unterschiedlich, konzentrierten sich aber auf den Aufbau der Infrastruktur – die allerdings auch für militärische Zwecke angelegt war und deshalb immer wieder zur Zielscheibe von Anschlägen wurde.

Tokyo 2002 und 2003.

In Tokyo wurde der Rahmen für den Wiederaufbau des Landes skizziert. Eckpunkte waren: a) Entwaffnung und Reintegration von Milizen, b) Aufbau einer afghanischen Armee und c) Polizei, d) Reform des Justizwesens, e) Bekämpfung des Drogenhandels, f) Stärkung der staatlichen Verwaltungskapazitäten, g) Verbesserung des Bildungssystems, h) Ausbau der Infrastruktur, des Gesundheitswesens und der Energie- und Wasserversorgung sowie i) die Rehabilitierung der Landwirtschaft. Der Herstellung von öffentlicher Sicherheit wurde Priorität eingeräumt, da ansonsten die angestrebte privatsektorgetriebene Entwicklung nicht möglich gewesen wäre. Internationale und bilaterale Geber honorierten diesen Ansatz mit Unterstützungszusagen in Höhe von 1,8 Milliarden US-Dollar in 2004 und bis zu 4,5 Milliarden für den Zeitraum bis 2007.

Berlin 2004.

Afghanistan präsentierte ein Konzept für den Aufbau der Sicherheitskräfte und die weitere Entwicklung des Landes. Im Fokus standen die Vorbereitung von Wahlen, der Aufbau der öffentlichen Verwaltung, die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, Frauenförderung, die Bekämpfung des Drogenanbaus, der Aufbau der Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Menschenrechte. Die Umsetzung des Konzepts sollte sieben Jahre dauern und 27,4 Milliarden US-Dollar kosten. Das war etwa doppelt so viel, wie noch bei der Tokyo Konferenz 2002 geschätzt worden war. Die internationale Gemeinschaft versprach für die folgenden drei Jahre 8,2 Milliarden US-Dollar und stellte weitere Mittel in Aussicht.

Ein zentrales Thema war der Opiumanbau und der Einfluss des Drogenhandels auf die Sicherheitslage und die Korruption im Land. Nach dem Ende der Taliban-Regierung war die Produktion von Opium sprunghaft angestiegen und erreichte Werte, die weit über dem Vorkriegsniveau lagen. Hohe Einkommen aus Drogengeschäften wurden benutzt, um schlecht bezahlte Beamte zu korrumpieren, Waffen zu kaufen oder andere illegale Aktivitäten zu finanzieren. Am Aufbau eines Sicherheitssystems waren die Drogenbarone naturgemäß nicht interessiert. Die Geberländer wurden misstrauisch und bestanden auf einem Fortschrittsbericht über die Umsetzung der 2001 getroffenen Vereinbarungen.

London 2006.

Mit der Verabschiedung der Verfassung 2004 und den freien allgemeinen Wahlen auf nationaler Ebene und auf Ebene der Provinzen 2005 war der wichtigste Teil der Vereinbarungen aus dem Jahr 2001 umgesetzt. So konzentrierte sich diese Konferenz auf die künftige Entwicklungsstrategie des Landes. Im Vordergrund standen Sicherheit, Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, wirtschaftliche und soziale Entwicklung sowie die Bekämpfung des Drogenanbaus. Den Teilnehmenden war klar, dass Sicherheit zwar eine zentrale Voraussetzung für eine stabile Entwicklung des Landes ist, dass aber Sicherheit allein nicht ausreicht, um die nachhaltige Entwicklung des Landes zu garantieren. Es wurden Zwischenziele und Eckpunkte des Zeitrahmens für die weitere nichtmilitärische Entwicklung vereinbart. Gleichzeitig versprachen die Geberländer, den Aufbau des Landes durch technische und finanzielle Zusammenarbeit in Höhe von 10,5 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2010 zu fördern.

Die Zusammenarbeit wurde von neun Prinzipien geleitet, davon waren die wichtigsten: a) Respekt der Geber vor der afghanischen Kultur und der islamischen Mehrheitsreligion, b) keine Dominanz der Geber, sondern partnerschaftliche Zusammenarbeit, die durch die VN koordiniert wird, c) Aufbau von afghanischen Kapazitäten für die Verwaltung des Landes und Stärkung der finanziellen Eigenleistungen des Landes, d) Transparenz staatlichen Handelns, Rechenschaftspflicht und Korruptionsbekämpfung sowie e) gleiche Rechte und Pflichten für Frauen und Männer.

Paris 2008.

Hier wurde die erste vollständige afghanische Entwicklungsstrategie vorgestellt. Die Vision bis 2020 sah vor, dass Afghanistan eine stabile, islamische Demokratie werden sollte, in der nach innen und außen Frieden herrscht und die gut in die Weltgemeinschaft integriert ist; das Land sollte sich zu einer toleranten, pluralistischen Nation entwickeln, die auf Partizipation, sozialer Gerechtigkeit und gleichen Rechten für Männer und Frauen basiert; auch sollte die afghanische Gesellschaft optimistisch in die Zukunft blicken und zu Wohlstand kommen, der auf einer Marktwirtschaft beruht, die vom Privatsektor getrieben wird. Die afghanische Entwicklungsstrategie lieferte eine präzise Beschreibung der Herausforderungen aus westlicher Sicht und setzte klare Ziele, die mit Zeithorizonten verbunden waren.

Als Erfolge konnten verbucht werden, dass der Aufbau der Polizei und des Militärs gute Fortschritte machte, die allgemeine Lage positiver eingeschätzt wurde, mehr als fünf Millionen Flüchtlinge aus den Nachbarländern zurückgekehrt waren, die Zahl der Schüler von weniger als einer Million zu Zeiten des Taliban-Regimes auf fast sechs Millionen angestiegen war, die Zahl der Lehrer auf das Siebenfache erhöht wurde, die Lehrerfortbildung Fortschritte machte, der Anteil der Bevölkerung mit Zugang zu medizinischen Basisdiensten von neun auf 82 Prozent gestiegen war und die Rehabilitation von Straßen im ländlichen Raum auf einem guten Weg war. Verkehrsverbindungen zu den Nachbarstaaten waren wieder intakt. Ein neuer Flughafen in Kabul war gebaut. Internationale Unternehmen investierten in den Aufbau von mobilen Telefon- und Internetsystemen. Die neue Währung war stabil, private Banken und Mikrofinanzinstitutionen wurden gegründet, die Mehrzahl der Staatsunternehmen war stillgelegt oder privatisiert worden, private Medien nahmen ihren Betrieb auf.

Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank würdigten die afghanische Entwicklungsstrategie zugleich als Armutsbekämpfungsstrategie – eine Grundlage für den Erlass der staatlichen Schulden. Die Ziele der Entwicklungsstrategie erstreckten sich über alle Bereiche der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, da das Land nach fast 30-jährigen kriegerischen Unruhen in einem schwierigen Zustand war: Die Bevölkerung war verarmt, die Infrastruktur fast gänzlich zerstört. Die schwache Regierung verließ sich beim Aufbau des Landes überwiegend auf die Geber und die NATO-Truppen.

Bemüht um rasche Fortschritte beim Aufbau des Landes vernachlässigten die Geber den Aufbau der schwachen Verwaltungskapazitäten, weshalb auch die Entwicklungsstrategie im Wesentlichen von den Gebern konzipiert wurde. Das rächte sich jetzt. Die afghanische Regierung, in der überwiegend noch in der Sowjetunion ausgebildete Beamte saßen, war mit dem Aufbaukonzept kaum vertraut und setzte es nur zögerlich um. Die von den Gebern für den nationalen Haushalt bereitgestellten Finanzmittel flossen daher nur sehr schleppend ab: Im Gegensatz zu den geplanten Ausgaben für Gehälter, die in allen Haushaltsjahren voll abflossen, blieben die Investitionen in den meisten Haushaltsjahren um etwa die Hälfte zurück. Im ländlichen Raum waren staatliche Strukturen kaum vorhanden, was Aufständischen die Vorbereitung von Attentaten in Kabul oder den Provinzhauptstädten erleichterte.

London 2010.

Diese Konferenz sollte dazu dienen, die Selbstbestimmung (Ownership) Afghanistans zu verbessern und die Umsetzung der Entwicklungsstrategie voranzutreiben. Schon 2009 hatte die NATO ihren Schwerpunkt auf den Ausbau und die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte gelegt. Um weiteren Druck auf die Regierung auszuüben, kündigte die NATO an, die Verantwortung für die Sicherheit in allen Provinzen bis Ende 2014 ganz der afghanischen Seite übergeben zu wollen. Dabei galt 2014 als tentative Angabe, entscheidend sollte die tatsächliche Sicherheitslage in den verschiedenen Landesteilen sein. Auch sollte die Übergabe nicht im ganzen Land gleichzeitig, sondern ab 2011 schrittweise auf Provinz- oder Distriktebene erfolgen. Die weiterhin im Land stationierten NATO-Truppen sollten allerdings nicht kämpfen, sondern beobachten und nur bei Bedarf eingreifen, ausbilden und militärische Ausrüstungsgüter zur Verfügung stellen. Ferner wurde die bisherige Entwicklungsstrategie priorisiert: Die 25 Ministerien wurden in Cluster gruppiert, die unübersichtlich vielen Einzelziele wurden in nationale Prioritätsprogramme zusammengefasst. Für die Ziele wurden Indikatoren definiert, die mittelfristig (innerhalb von sechs bis zwölf Monaten) erreicht werden sollten.

Die afghanische Regierung beklagte, dass die Geberländer ihre Projekte und Programme weitgehend ohne Beteiligung der Regierung umsetzten, und bestand darauf, dass 50 Prozent der externen Unterstützung innerhalb von zwei Jahren über das nationale Budget (das heißt als Budgethilfe) laufen müsse. Von dem tatsächlich für Afghanistan bereitgestellten Betrag verwalteten die Geber 82 Prozent in eigener Verantwortung. Diese Gelder wurden überwiegend in den Provinzen ausgegeben, in denen die jeweiligen Geber militärisch aktiv waren. Auch wurde etwa ein Drittel der bis dahin zugesagten 90 Milliarden US-Dollar Hilfsgelder in den Herkunftsländern selbst ausgegeben. Die Geber stimmten der afghanischen Forderung unter der Voraussetzung zu, dass Afghanistan seine Finanzverwaltung stärkt und die Korruption energischer bekämpft.

Istanbul 2011.

Eine vom Privatsektor getragene Entwicklung setzte trotz der Bestreben nur zögerlich ein. Die Sicherheitssituation hatte sich nach wie vor nicht wesentlich verbessert. Als Achillesferse galt die offene Grenze nach Pakistan, die es Taliban, Al Qaida und anderen Aufständischen erlaubte, aus Pakistan heraus Anschläge zu verüben. Die Ausbeutung der 2010 (wieder) entdeckten Bodenschätze in vielen Teilen Afghanistans, deren Erlös auf zwei bis drei Milliarden US-Dollar geschätzt wird, ließ neue Hoffnungen entstehen. Die Ausbeutung verlangt aber eine gut ausgebaute grenzüberschreitende Infrastruktur (wie eine Eisenbahn) und verlässliche Handelsabkommen mit den Nachbarstaaten, um die hohen Investitionen in den Bergbau zu rechtfertigen. So rückte die regionale Kooperation unter dem Stichwort "Neue Seidenstraße" in den Mittelpunkt. Ziel war es, Möglichkeiten der Kooperation im Bereich der Sicherheit und der wirtschaftlichen Entwicklung zu identifizieren – die Umsetzung des Ziels wurde allerdings von wenig Elan getragen.

Bonn 2011.

Die wichtigste Botschaft dieser Konferenz war, dass die internationale Gemeinschaft Afghanistan auch über 2014 hinaus unterstützen würde. Neben anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und der verbreiteten Korruption auch unter einflussreichen Politikern ließ die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan befürchten, dass es mit dem Abzug der militärischen Truppen zu einem Bürgerkrieg kommen würde, an dessen Ende die Taliban wieder eine entscheidende Rolle spielen könnten – dann wäre auch die Fortführung der zivilen Zusammenarbeit nicht mehr möglich. Die Unterstützung wurde aber an sichtbare Fortschritte im Hinblick auf die bisherigen Vereinbarungen gebunden, die im Rahmen zwei weiterer Konferenzen (Chicago- und Tokyo-Konferenz) 2012 präzisiert wurden. Diese beiden Konferenzen behandelten die Transitionsphase (Übergabe der Sicherheitsverantwortung) und die Transformationsphase (2014 bis 2024), das heißt die Rückführung der Hilfe auf ein für die Entwicklungszusammenarbeit gängiges Maß und die schrittweise Übernahme der Finanzierung der weiteren Entwicklung aus afghanischen Finanzmitteln. So sollte Afghanistan künftig zu einem "normalen Entwicklungsland" werden.

OECD-Prinzipien für Entwicklungshilfe

  • Ownership: Entwicklungsländer formulieren ihre eigene Entwicklungsstrategie.

  • Alignment: Geberländer unterstützen die Umsetzung der Entwicklungsstrategie.

  • Harmonisation: Geberländer koordinieren und informieren sich untereinander.

  • Results: Entwicklungspartner verständigen sich auf Ergebnisse und Indikatoren.

  • Mutual accountability: Beide Seiten sind für die Ergebnisse rechenschaftspflichtig.


Als zentrale Handlungsfelder wurden skizziert: faire demokratische Wahlen ohne Verfassungsbruch, die Einhaltung der Menschenrechte und die juristische Verfolgung von Gewalt gegen Frauen, energischeres Vorgehen gegen Korruption und die jährliche Offenlegung der Vermögensverhältnisse von Amtsträgern der Exekutive, Legislative und Judikative, die Verbesserung des Finanzmanagements des Staatshaushalts und die Schaffung von mehr Transparenz, die Einstellung der Geldwäsche und Finanzierung von Terrorismus, die Erhöhung des Anteils der Staatseinnahmen am Bruttoinlandsprodukt (von 11 auf 15 Prozent bis 2016 und auf 19 Prozent bis 2017), die Klärung der rechtlichen Rolle des Staates auf der nationalen Ebene, der Provinzebene und der Ebene der Städte und Gemeinden, eine Budgetpolitik, aus der hervorgeht, welche Finanzmittel die einzelnen Ministerien den verschiedenen Provinzen auszahlen sowie ausreichende Finanzmittel für die Erzielung der Millenniums-Entwicklungsziele im Hinblick auf Gesundheit, Bildung, Genderpolitik, Umwelt und Ernährungssicherheit.

Im Gegenzug wurden die künftigen Aufgaben der Geber festgeschrieben. Es wurde anerkannt, dass die wirtschaftliche und soziale Entwicklung noch nicht allein aus afghanischen Finanzmitteln getragen werden konnte. Bis 2016 sollen insgesamt jährlich vier Milliarden US-Dollar, davon ein wachsender Teil als Budgethilfe, bereitgestellt werden; Entwicklungsprojekte sollen direkt an der afghanischen Entwicklungsstrategie (2008) ansetzen. Schließlich sollen schrittweise die OECD-Prinzipien für Entwicklungszusammenarbeit angewandt und Projekte eingestellt werden, die mit der Entwicklungsstrategie nicht kompatibel oder ineffizient sind. Darunter fiel auch die Praxis, gewonnene Aufträge der Geber durch afghanische Unternehmen an afghanische Unterauftragnehmer weiter zu verkaufen und große Teile des Auftragsvolumens einzubehalten. Ein gemeinsames Aufsichtsgremium (Joint Monitoring und Coordination Board) sollte die Einhaltung der Vereinbarungen überprüfen. Die auf Indikatoren basierenden Ergebnisvereinbarungen sollen ab 2013 alle zwei Jahre durch hohe Regierungsvertreter beider Seiten überprüft werden.

Wenn über (Miss-)Erfolge bei der Schaffung von Sicherheit und Entwicklung in Afghanistan geredet wird, darf nicht nur die Korruption, die geringe Handlungsfähigkeit und Entwicklungsorientierung der afghanischen Regierung verantwortlich gemacht werden. Einen beträchtlichen Teil der Verantwortung tragen die Geber selbst. Afghanistan war 2001 ein Land mit Problemen in allen Bereichen, die ein Staat und eine Gesellschaft haben kann. Zu der bei vielen Einzelkonferenzen entwickelten Gesamtstrategie gab es deshalb letztlich keine Alternative. Hier ist aber nicht der Raum, die Umsetzung der Strategie im Detail anhand der einzelnen Indikatoren zu überprüfen. Deshalb soll nur kurz auf die Gesamtstrategie eingegangen werden. Möglicherweise ist es selbst dafür zu früh – erst gegen Ende der Transformationsphase 2024 wird sich zeigen, ob die Gesamtstrategie trägt.

Gute Gesamtstrategie, aber mangelhaft umgesetzt.

Die in Phasen entwickelte Strategie der Transformation von einem Krisenstaat zu einem Entwicklungsland erscheint überzeugend. In Phase I standen im Mittelpunkt die Bereitstellung externer Sicherheit durch die NATO, der Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte sowie großzügige Finanzhilfen für rasche und wirksame Beschäftigung und Einkommen. Sobald Sicherheit hergestellt ist, beginnt Phase II mit der Verabschiedung einer Entwicklungsstrategie, die langfristig auf demokratische Verhältnisse, Rechtsstaatlichkeit und eine marktwirtschaftliche Struktur abzielt. Auch in dieser Phase werden hohe Finanzhilfen gebraucht. Phase III beginnt, sobald das Land in einen sich selbst tragenden Entwicklungsprozess übergeht. Dann können sich auch Geberländer schrittweise zurückziehen. Kernproblem ist aber, dass Afghanistan Phase I nie dauerhaft verlassen hat und großen Teilen der Bevölkerung die Ziele der Phase II nicht attraktiv oder realistisch erschienen.

Beim Bemühen um Sicherheit und Aussöhnung keine unrealistischen Vorbedingungen stellen.

Sicherheit ist teuer. 52 Prozent der externen Mittel zwischen 2002 und 2010 wurden für die Verbesserung der Sicherheit verwendet. Nachdem klar wurde, dass die Strukturen der Taliban nicht ohne Weiteres zerschlagen werden konnten, hätte man früher politische Kompromisse suchen müssen. Weitere Konfliktparteien, wie in diesem Fall Pakistan, hätten einbezogen werden müssen. Schließlich war von Beginn an klar, dass die Taliban auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze leben und Al Qaida eine wichtige Basis in Pakistan hatte.

Bessere Koordination des militärischen Vorgehens vor Ort.

Wurden die ISAF-Truppen anfangs mehrheitlich noch als Befreier von der ungeliebten Taliban-Regierung gesehen, wirkten sie mehr und mehr wie eine Besatzungsmacht. Als wegen der Gefahren am Boden immer häufiger Flugzeuge und Drohnen eingesetzt wurden, nahm die Zahl ziviler Opfer massiv zu. Die Angst vor ISAF-Truppen wurde größer als vor den Taliban. Hinzu kommt, dass inzwischen weite Teile der Bevölkerung davon ausgehen, dass nach dem Abzug der ISAF-Truppen die Taliban wieder eine wichtige Rolle spielen könnten. Die Unterstützung "der falschen Seite" würde man dann teuer bezahlen müssen, weshalb im Zweifel die Zivilbevölkerung eher mit den Taliban kooperiert als mit ISAF.

Das Militär nicht für zivile Aufgaben einsetzen.

Zivile Hilfsorganisationen können nicht in unsicheren Gebieten arbeiten, weshalb die ISAF auch zivile Aufgaben übernahm. Diese liegen aber außerhalb der Kernkompetenz des Militärs. Folgekosten der Investitionen in die Infrastruktur wurden gänzlich vernachlässigt. Häufig entsprachen diese Investitionen auch nicht dem Bedarf der Zivilbevölkerung, sondern dienten lediglich militärischen Interessen. So wurde ein großer Teil der Infrastrukturinvestitionen der PRT zu Fehlinvestitionen. Nach der Verabschiedung der afghanischen Entwicklungsstrategie (2008) hätte sich das Militär weitgehend aus dem zivilen Wiederaufbau zurückziehen müssen, auch wenn dadurch der Wiederaufbau verlangsamt worden wäre. Kooperation und Koordination zwischen dem Militär und den Entwicklungshilfeinstitutionen ist nicht möglich, weil Handlungs- und Organisationslogiken zu verschieden sind. Jede Institution sollte sich innerhalb ihrer Kernkompetenz engagieren. Wenn die Sicherheitslage zivile Hilfe nicht zulässt, sollte man warten, bis entsprechende Voraussetzungen gegeben sind.

Entwicklungsstrategie an den Bedürfnissen und den Verwaltungskapazitäten vor Ort ausrichten statt an Wunschvorstellungen der Geber.

Die afghanische Entwicklungsstrategie war im Kern eine westliche Strategie und wurde von der Mehrheit der Bevölkerung nicht angenommen. Demokratie, Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und eine leistungsfähige Verwaltung erfordern politische, soziale und gesellschaftliche Voraussetzungen, deren Aufbau eine Generationenaufgabe ist. Insofern war das Modell, das in Afghanistan eingeführt wurde, zu ambitiös und knüpfte zu wenig an vorhandenen traditionellen Strukturen an. In der Bevölkerung gab es keinen Konsens über die Prioritäten beim Wiederaufbau. Für einen solchen hätte es regelmäßige und intensive Dialoge zwischen der Bevölkerung, den politischen Entscheidungsträgern und schließlich den Gebern geben müssen.

Mehr Geld ersetzt nicht realistische Ziele.

Unrealistische Ergebnisindikatoren führen dazu, dass Projektmanager schnelle Erfolge suchen und den langwierigen Aufbau lokaler Kapazitäten vernachlässigen. Sie bauen eigene teure Kapazitäten außerhalb der Regierung auf, um ihre Projekte alleine durchzuführen. Dies ist aber nicht nachhaltig. Ohne die Fähigkeit, Projekte selbst zu identifizieren und umzusetzen, kann kein Ownership vor Ort entstehen. Um die Kapazitäten der staatlichen Stellen nachhaltig zu stärken, hätte es einer geordneten Reorganisation der staatlichen Kerninstitutionen und Anreize bedurft, unerfahrene Fach- und Führungskräfte aus dem Staatsdienst zu entfernen. Die Fachkräfteausbildung hätte systematischer erfolgen müssen. Sowohl im Parlament als auch in der Regierung gibt es bis heute viele hochrangige Personen, die als unqualifiziert oder korrupt gelten. Die Gefahren von Korruption und Ineffizienz wurden zulange ignoriert.

Die Entwicklungsstrategie hatte zu viele Ziele, die nicht alle gleichzeitig mit Aussicht auf Erfolg angegangen werden konnten. Dadurch wurden falsche Hoffnungen geweckt. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt vom Privatsektor (Landwirtschaft und Handwerk), der Arbeitsplätze und Einkommen schafft. Direkt oder indirekt leistet dieser Sektor auch den Löwenanteil zu den Staatseinnahmen. Die Rehabilitierung bestehender privater Produktionskapazitäten in der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen hätten daher höherer Priorität bedurft. Damit wäre es für die Taliban auch schwieriger geworden, Unterstützung und Mitwirkung in der Gruppe der Ärmsten zu gewinnen.

Weder die afghanische Regierung noch das Militär oder die Entwicklungshilfeinstitutionen haben die Bedeutung eines kontinuierlichen, realistischen und gemeinsamen Monitorings der Gesamtstrategie erkannt und entsprechend unterstützt. Stattdessen haben die Geber ihr eigenes kleinteiliges Projektmonitoring betrieben, ohne die afghanische Regierung über die Erreichung ihrer Ergebnisse anhand geeigneter Zielindikatoren zu informieren. Auf Beamten- und Expertenebene hätte man – bis das statistische System funktioniert – ein gemeinsames Monitoring auf Makro-, Sektor- und Provinzebene betreiben müssen. Diese Kontroll- und Austauschmechanismen sind fundamental, sollen Fehlentwicklungen frühzeitig identifiziert und politisch bearbeitet werden.

Dr. rer. pol., geb. 1948; bis 2012 Berater und Projektmanager im Auftrag der Bundesregierung in Deutschland, China, Syrien, den palästinensischen Gebieten und in Afghanistan; Mühltalstraße 107, 69121 Heidelberg. E-Mail Link: hankraft@aol.com