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Einstellungen junger Menschen zur Demokratie Politikverdrossenheit oder politische Kritik?

Wolfgang Gaiser Martina Gille Johann de Rijke

/ 12 Minuten zu lesen

Obwohl junge Menschen mehrheitlich die Demokratie als politisches Ordnungssystem unterstützen und zufrieden sind mit den Abläufen des politischen Systems, kann bei einem Viertel eine hohe Unzufriedenheit und eine erkennbare Politikdistanz festgestellt werden.

Das Verhältnis der Jugend zur repräsentativen Demokratie steht angesichts widersprüchlicher Signale wie Wahlabstinenz einerseits und neuen politischen Artikulationsformen wie Flashmobs und Online-Petitionen andererseits im öffentlichen Interesse: Wird die Jugend wieder politischer oder nimmt die Distanz zum parlamentarischen System zu? Wie steht die Jugend grundsätzlich zur Demokratie? Letzterer Frage ist dieser Beitrag gewidmet.

Politikwissenschaftliche Analysen stellen oft das Verhältnis gerade der Jugend zur Politik in den Mittelpunkt, weil deren politische Orientierungen als zukünftige Träger der Demokratie wesentliche Determinanten für Stabilität und Funktionsfähigkeit sein können. Einen ersten empirischen Überblick vermittelt hier der Datenreport 2016: Wie sind die Einstellungen der nachwachsenden Generation bezüglich zentraler Einstellungen zur Demokratie, und gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen den Menschen der "neuen" und der "alten" Bundesländer? Laut Datenreport halten jüngere Altersgruppen (18 bis 34 Jahre) etwas weniger stark als die älteren die Demokratie für die beste Staatsform. Dabei gibt es einen mäßigen West-Ost-Unterschied bei den Jüngeren (West: 79 Prozent, Ost: 74 Prozent), der viel schwächer ausgeprägt ist als bei den 35- bis 59-Jährigen (West: 87 Prozent, Ost: 65 Prozent). Bei den über 59-Jährigen liegt der Unterschied sogar bei 89 Prozent (West) zu 68 Prozent (Ost).

Ein etwas anderes Bild zeigt sich bei der Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie. Diese Einstellung bezieht sich weniger auf die Verfassungsnorm als vielmehr auf die wahrgenommene Wirklichkeit der Demokratie in Deutschland. In die Beurteilung dieser Verfassungsrealität können verschiedene Aspekte eingehen: das Funktionieren institutioneller Mechanismen (etwa der Austausch von Regierung und Opposition, die Gewährleistung der Gleichheit vor dem Gesetz), die Handlungen der Regierenden (etwa die Berücksichtigung von Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen, Amtsmissbrauch) und die Ergebnisse dieses Handelns (zum Beispiel wirtschaftliche und sozialpolitische Leistungen). Hier sind die Altersgruppenunterschiede geringer als die Ost-West-Unterschiede: 72 Prozent der Jüngeren und 78 Prozent der Älteren im Westen geben an, zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie zu sein. Dies geben im Osten lediglich 45 Prozent der Jüngeren und 49 Prozent der Älteren an.

Im Folgenden soll ein genauerer Blick auf die Einstellungen junger Menschen zur Politik und Demokratie geworfen werden. Empirische Basis ist eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zum Thema "Jung – politisch – aktiv", in deren Rahmen zwischen Mai und Juli 2015 2075 junge Menschen an einer Online-Befragung teilgenommen haben.

Einstellungen zur Demokratie

Politische Orientierungen sind wichtig für das Funktionieren eines politischen Systems. Die Orientierungen beziehen sich auf unterschiedliche politische Objekte (politische Gemeinschaft, Ordnung, Institutionen und Herrschaftsträger). Sie unterscheiden sich zu grundlegenden Werten der Demokratie, zur Demokratie als politisches Basisordnungsmodell der Gesellschaft, zum Funktionieren der Demokratie in der Praxis sowie zum Vertrauen in politische Institutionen und zu den Akteurinnen und Akteuren des politischen Systems. Empirisch ergibt sich dabei vom Allgemeinen hin zu konkreten Objekten des politischen Raums ein Bild, in dem die Zustimmungen der Bürger zumeist abnehmen: Die Demokratie als Herrschaftsmodell findet die breiteste Akzeptanz, geringer ist die Zufriedenheit mit der Praxis. Institutionen, die nicht unmittelbar mit dem politischen Prozess verbunden sind (etwa Gerichte und Polizei), genießen ein hohes Vertrauen; weniger Vertrauen haben die Bürger in die Institutionen der repräsentativen Demokratie (etwa Parlamente, Regierungen und Parteien). Am wenigsten Zustimmung erhalten schließlich Politikerinnen und Politiker als Akteure des politischen Systems.

Tabelle 1: Zustimmung zur Demokratie und Vertrauen in die Politik in Prozent (© bpb)

Auch bei jungen Menschen nimmt die Zustimmung vom Allgemeinen hin zu konkreten Objekten ab (Tabelle 1). Die Zustimmung zur Idee der Demokratie ist eindeutig dominant, ablehnende Bewertungen sind selten. Mit dem Funktionieren der Demokratie in der Praxis der Bundesrepublik sind weniger Menschen zufrieden, wenngleich immer noch die Mehrheit der Befragten. Das geringste Vertrauen wird den parteienstaatlichen Institutionen entgegengebracht – insbesondere Parteien. Wie Erwachsene vertrauen auch die jüngeren Menschen am wenigsten den Politikern, auch wenn der Abstand zu den parteienstaatlichen Institutionen nicht wesentlich ist. Hingegen ist das Vertrauen in die Institutionen des Rechtsstaats deutlich höher. Hierzu gehören insbesondere Gerichte und Polizei. Das Vertrauen in die EU ist vergleichsweise geringer.

Die Hierarchie der Bewertungen von politischen Objekten konnte bereits im Jugendsurvey 2003 des Deutschen Jugendinstituts (DJI) herausgestellt werden, sogar die Größenordnungen der Werte sind ähnlich. Allerdings hatte sich in den früheren Studien (etwa 1992, 1997 und 2003) noch eine stärkere Differenz zwischen West- und Ostdeutschland – vor allem bei der Zufriedenheit mit der Demokratie, teilweise sogar bei der Zustimmung zur Idee der Demokratie – gezeigt. Dies wurde im Kontext der Wiedervereinigung und der ökonomisch und politisch schwierigen Angleichungsprozesse interpretiert. Solche Unterschiede bei zentralen politischen Einstellungen scheinen nach den Daten der FES-Jugendstudie 2015 nicht mehr vorhanden zu sein.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass bei jungen Menschen die Bewertung des Ideals der Demokratie fast gänzlich positiv ausfällt. Kritische Einstellungen gegenüber Institutionen und politischen Akteuren sind vorhanden, können aber nicht als grundlegende Politik-Ablehnung interpretiert werden. Eine Krise der Demokratie, in deren Hintergrund Präferenzen für autoritäre oder radikal-undemokratische Regierungssysteme lauern, ist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland nicht zu erkennen.

Kritische Demokraten – eine Typologie

Die Politikwissenschaftlerin Pippa Norris wies auf den Tatbestand hin, dass eine Unzufriedenheit mit der Performanz demokratischer Institutionen durchaus mit einer gleichzeitigen Befürwortung des Demokratieprinzips einhergehen kann. Eine solche Haltung müsse folglich nicht als generelle Ablehnung von Demokratie und als eine Präferenz für autoritäre Strukturen zu verstehen sein. Bürger mit dieser Haltung bezeichnet sie als "critical citizens". Diese Spannung lässt sich als zusätzlich bedeutsames Element politischer Einstellungen bestimmen. Der Politikwissenschaftler Hans-Dieter Klingemann interpretiert insbesondere die Kombination von Unzufriedenheit mit der Leistung oder der Form des politischen Systems und der Zustimmung zu demokratischen Werten als mögliche Antriebskraft für Reformen politischer Verhältnisse.

Je nach Orientierung gegenüber dem Ideal der Demokratie (weniger dafür beziehungsweise dagegen) und nach der Bewertung der Realität der Demokratie im eigenen Land (weniger zufrieden beziehungsweise unzufrieden) lassen sich aus der Kombination drei relevante Typen bestimmen: die "zufriedenen Demokraten" (in beiden Dimensionen positive Einstellung), die "Distanzierten" (in beiden Dimensionen negative oder zumindest skeptische Einstellung) und die "kritischen Demokraten".

Möchte man dem Konzept der "kritischen Demokraten" eine konstruktive Rolle zuschreiben, gilt es weiter zu differenzieren. Die Akzeptanz des Ideals der Demokratie, verbunden mit einer Unzufriedenheit mit den realen demokratischen Prozessen kann nämlich aus unterschiedlichen Motivlagen heraus erfolgen: eine, die mit einer eher kritischen Wachsamkeit gegenüber den wahrgenommenen Unzulänglichkeiten der erfahrenen Demokratie einhergeht, und eine mit eher passiven, resignativ-unzufriedenen Haltungen gegenüber der Politik "da oben". Die Politikwissenschaftlerin Brigitte Geißel hat die Typologie daher weiter verfeinert: Sie unterscheidet zwischen einer Realitätsbewertung (Zufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit) und einer normativen Verhaltensdisposition (Kritikbereitschaft beziehungsweise Nichtkritikbereitschaft). Letztere umfasst eine normative Vorstellung im Hinblick auf kritisch-verbales oder auch aktives Handeln in Situationen, in denen Ungerechtigkeit oder Angriffe auf die Demokratie wahrgenommen werden. Während die unzufriedenen Demokraten ohne Kritikbereitschaft bei Merkmalen wie politisches Verständnis oder Partizipationsbereitschaft unterdurchschnittliche Werte hatten, waren die kritikbereiten unzufriedenen Demokraten stärker politisch kognitiv involviert und partizipationsbereit und haben deshalb Potenzial für demokratisches Engagement.

Die Aufteilung in Kritisch-Aktivitätsorientierte und Passiv-Unzufriedene bietet sich für unsere Analysen ebenfalls an. Im Folgenden werden als "kritische Demokraten" diejenigen bezeichnet, die die Idee der Demokratie befürworten, mit der Realität unzufrieden sind, jedoch stark politisch interessiert sind und/oder ein ausgeprägtes Politikverständnis aufweisen. Von diesem Typus wird konstruktive Kritik und politische Motivation erwartet, weshalb ihm ein besonderes Interesse entgegengebracht wird. Bürger, die der Idee der Demokratie zustimmen und dabei gleichzeitig die genannten kognitiven Merkmale nicht erfüllen, werden als "unzufriedene Demokraten" bezeichnet.

Ergebnisse

Insgesamt besteht fast die Hälfte der Befragten aus zufriedenen Demokraten (Tabelle 2). Distanziert, also sowohl skeptisch gegenüber der realen Demokratie als auch gegenüber dem Ideal der Demokratie, zeigen sich hingegen nur wenige. Die Kombination von Befürwortung des Ideals und Skepsis gegenüber der gelebten Demokratie in Deutschland wird von etwa der Hälfte der Befragten angegeben. Wobei von diesen knapp die Hälfte unzufriedene und die andere Hälfte kritische Demokratiebefürworter sind. Zufriedene Demokraten sind im Westen stärker vertreten, unzufriedene hingegen im Osten, während es keinen Unterschied bei den kritischen Demokraten gibt.

Tabelle 2: Aufteilung nach Altersgruppen, Geschlecht, Bildungsgrad und West–Ost (Zeilenprozent) (© bpb)


Besonders interessant sind die Fragen, welchen Einfluss Faktoren wie das Lebensalter, die Geschlechtszugehörigkeit und der Bildungsgrad auf die Zugehörigkeit zu den vier Typen haben, und ob es Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland gibt. Betrachtet man zunächst das Lebensalter, so zeigt sich, dass mit wachsendem Lebensalter die Demokratiezufriedenheit abnimmt. Mit wachsender Lebenserfahrung, die zwar mit einem steigenden Politikinteresse, aber auch mit einer gewissen Desillusionierung über Politik und mit einer wachsenden allgemeinen Kritikbereitschaft einhergeht, nimmt die Zufriedenheit junger Menschen mit der Politik und damit auch ihre Zugehörigkeit zu den zufriedenen Demokraten ab. Andererseits wirken sich das – mit dem Lebensalter – steigende Politikinteresse und die wachsende Unzufriedenheit mit der Demokratie dahingehend aus, dass unzufriedene und kritische Demokraten in den älteren Altersgruppen stärker vertreten sind. Für die kleine Gruppe der Distanzierten zeigen sich kaum altersspezifische Effekte.

Die dargestellten Zusammenhänge zwischen den Typen und dem Lebensalter gelten in West- und Ostdeutschland gleichermaßen – allerdings in Ostdeutschland jeweils auf einem niedrigeren (Anteil der Zufriedenen) beziehungsweise höheren Niveau (Anteil der Unzufriedenen).

Die Verteilung in die verschiedenen Typen variiert zum Teil deutlich nach Geschlechtszugehörigkeit. Die befragten Mädchen und jungen Frauen gehören fast doppelt so häufig dem Typ unzufriedene Demokraten an wie die Jungen und jungen Männer. Bei den kritischen Demokraten zeigt sich der gegenteilige Effekt: Die jungen Männer liegen deutlich über dem Durchschnittswert. Bei den zufriedenen Demokraten zeigt sich bei den jungen Frauen ein etwas über dem Durchschnitt (47 Prozent) liegender Wert. Betrachtet man jedoch diesen Zusammenhang für West- und Ostdeutschland getrennt, so bestätigt sich nur für Westdeutschland der beschriebene Zusammenhang, in Ostdeutschland zeigt sich dagegen ein schwacher gegenteiliger Effekt: die jungen Männer haben hier einen Anteilswert von 41 Prozent, die jungen Frauen von 38 Prozent. Bei den Distanzierten sind die jungen Männer insgesamt stärker vertreten.

Der Bildungsgrad ist ebenfalls ein wichtiger Faktor, der die Bewertung von Demokratie und die politische Interessiertheit beziehungsweise Kritikbereitschaft beeinflusst. Die zufriedenen Demokraten sind in der höheren Bildungsgruppe stärker vertreten als in der niedrigeren. Junge Menschen mit höherem Bildungsgrad fühlen sich durch die Politik vermutlich besser vertreten als die mit niedrigem Bildungsgrad. Dementsprechend finden wir auch bei den Distanzierten häufiger junge Menschen mit maximal mittlerer Reife. Die unzufriedenen und kritischen Demokraten unterscheiden sich hinsichtlich ihres Bildungsgrades nicht. Überdurchschnittlich viele in der Gruppe der Schülerinnen und Schüler, die bezogen auf den angestrebten Schulabschluss heterogen ist, aber insgesamt ein relativ niedriges Durchschnittsalter hat, sind zufriedene Demokraten (60 Prozent). Die Schülerinnen und Schüler sind auch weniger in den Typen unzufriedene und kritische Demokraten vertreten.

Lassen sich die vier Typen auch hinsichtlich weiterer sozialer oder politischer Einstellungen voneinander abgrenzen? Anhand der Daten der FES-Jugendstudie 2015 könnte man eine Vielzahl von Fragen zur weiteren Differenzierung verwenden. Im Folgenden sollen nur einige betrachtet werden, bei denen ausreichende Differenzierungen vermutet werden (Tabelle 3).

Tabelle 3: Aufteilung nach sozialen und politischen Einstellungen in Prozent (© bpb)


"Politikverdrossenheit" bezieht sich auf Aussagen wie Politik ist "nichts weiter als wählen gehen", "für Jugendliche uninteressant", "ein Haufen leerer Versprechen". Zustimmungen zu solchen Aussagen werden am ehesten von den Distanzierten gemacht, aber auch von den unzufriedenen Demokraten, die sich durch geringeres Politikinteresse auszeichnen. Am wenigsten Zustimmung erfahren sie von den zufriedenen Demokraten, nicht etwa den kritischen. Ein nicht unwesentlicher Hang zu undifferenzierten und negativen Meinungen über Politik ist also auch bei den kritischen Demokraten zu finden, wenngleich deutlich seltener als bei den unzufriedenen Demokraten.

Als zentrales Merkmal für die positive Bewertung des demokratischen Prozesses, allerdings ohne Bezug zur Demokratie als Prinzip, kann das Vertrauen in parteienstaatliche Institutionen gelten. Das höchste Vertrauen wird diesen Institutionen von den zufriedenen Demokraten entgegengebracht. Geringeres Vertrauen findet man bei den drei anderen Typen. Hier müsste allerdings die spezifische Ursache und Ausprägung des geringeren Vertrauens genauer erfasst werden, etwa ob die Institutionen generell als "korrupt" wahrgenommen und abgelehnt werden.

Schließlich soll das Konzept der sozialen Orientierungsunsicherheit (Anomie) und seine unterschiedliche Ausprägung bei den vier Typen betrachtet werden. Mit Anomie ist eine Gefühlslage gemeint, die Verunsicherung und Desorientierung gegenüber eigenen Handlungsmöglichkeiten und der Planbarkeit zukünftiger Lebensetappen und eine pessimistische Haltung in Situationen des gesellschaftlichen Umbruchs zum Ausdruck bringt. Eine solche Unsicherheit ist am häufigsten bei den Distanzierten und bei den unzufriedenen Demokraten anzutreffen, am seltensten bei den zufriedenen Demokraten. Die kritischen Demokraten unterscheiden sich allerdings hier kaum von den unzufriedenen. Größere politische Involvierung und Interessiertheit führen scheinbar nicht zu einer optimistischeren Einschätzung politischer Handlungsperspektiven in krisenhaften Zeiten. Aber auch hier ist wohl eher eine genauere Erfassung der Motivationslage der verschiedenen Typen erforderlich, um diese plastischer zeichnen zu können.

Schluss

Junge Menschen sind in der überwiegenden Mehrheit auf das demokratische Gesellschaftsmodell verpflichtet. Allerdings zeigen sich deutliche Differenzen bei den 14- bis 29-Jährigen, wenn man ihr Politikinteresse, ihre Kritikbereitschaft und ihre Bewertungen zur Performanz des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland einbezieht. Fast die Hälfte der jungen Leute lässt sich zwar als zufriedene Demokraten charakterisieren, doch ein Viertel gehört den kritischen Demokraten an, und ein weiteres Viertel besteht aus unzufriedenen Demokraten und Distanzierten. Während die kritischen Demokraten durchaus einen positiven Bezug zur Politik haben, sich für politische Belange interessieren, kritikbereit sind und sich ihr Politikverdruss und ihre soziale Verunsicherung noch in Grenzen halten, stellen die unzufriedenen Demokraten und Distanzierten aufgrund der geringen Unterstützung, die sie demokratischen Strukturen entgegenbringen, ihrem ausgeprägten Politikverdruss, ihrer hohen sozialen Verunsicherung und ihrer geringen politischen Mobilisierbarkeit eine Herausforderung für demokratische Gesellschaften dar. So zeigt sich, dass die kleine Gruppe der Distanzierten, die überproportional aus männlichen Befragten mit niedrigerem Bildungsstand besteht, auf ihre eher prekären Lebensumstände mit sozialer Verunsicherung und einer Distanz zum demokratischen System reagiert. Gerade jene eher politikfernen jungen Menschen gilt es durch geeignete politische Bildungsmaßnahmen in schulischen und außerschulischen Kontexten an demokratische Verfahrensweisen heranzuführen. Dabei muss jedoch auch beachtet werden, dass Politikferne bei jungen Menschen häufig mit eingeschränkten Lebens- und Zukunftsperspektiven einhergeht, wenn sie etwa in ihren Bildungswegen nicht erfolgreich waren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe Dieter Fuchs/Edeltraud Roller, Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat, in: Bundeszentrale für politische Bildung/Statistisches Bundesamt Deutschland/Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (Hrsg.), Datenreport 2016, Bonn 2016, S. 407–415.

  2. Die Studie ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem Deutschen Jugendinstitut e.V. (München) und dem infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH (Bonn): Wolfgang Gaiser/Stefanie Hanke/Kerstin Ott (Hrsg.), Jung-Politisch-Aktiv?! Politische Einstellungen und politisches Engagement junger Menschen – Ergebnisse der FES-Jugendstudie 2015, Bonn 2016.

  3. Vgl. Oscar W. Gabriel, Politische Unterstützung, in: Dieter Fuchs/Edeltraut Roller (Hrsg.), Lexikon Politik. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2007, S. 477–483.

  4. Auch wenn man spezifischer nach Grundprinzipien der Demokratie fragt, erhält man hohe Zustimmungswerte, etwa zur Meinungsfreiheit, zur Demonstrationsfreiheit und auch, wenngleich etwas geringer, bezüglich des Rechts auf politische Opposition.

  5. Vgl. Wolfgang Gaiser et al., Jugend und Demokratie, in: Tobias Mörschel/Christian Krell (Hrsg.), Demokratie in Deutschland. Zustand – Herausforderungen – Perspektiven, Wiesbaden 2012, S. 319–339. Auch in Bevölkerungsumfragen mit einem Befragungsschwerpunkt zu politischen Einstellungen werden diese Ergebnisse für Jugendliche und junge Erwachsene bestätigt, wobei die Frageformulierungen dabei nicht identisch waren.

  6. Dass deutliche Differenzen dennoch auch bei Jugendlichen zwischen Ost und West feststellbar sind – bezüglich etwa der Arbeitslosigkeit, dem Wahlverhalten und fremdenfeindlicher Tendenzen –, ist allerdings nicht zu bestreiten, und diese stellen jeweils besondere politische Herausforderungen dar. Hinweise bei Alexander Thumfart, Dort ist der Verrat, und hier ist das Volk, in: Süddeutsche Zeitung, 18.7.2016, S. 9.

  7. Vgl. Pippa Norris, Democratic Deficit. Critical Citizens Revisited, New York 2011; Hans-Dieter Klingemann, Unterstützung für die Demokratie: Eine globale Analyse für die 1990er Jahre, in: Hans-Joachim Lauth et al. (Hrsg.), Demokratiemessung, Opladen 2000, S. 266–297.

  8. Die Kombination von positiv im Bezug auf die Realität und negativ im Bezug auf die Idee der Demokratie ist logisch nur schwer zu interpretieren und spielt empirisch so gut wie keine Rolle.

  9. Vgl. Brigitte Geißel, Politische Kritik – Gefahr oder Chance? Normative Grundlagen politischer Orientierungen, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Discussion Paper SP IV 2006-401.

  10. In den Jahren nach 1990 waren die Differenzen teilweise wesentlich ausgeprägter, wie insgesamt auch bei politischen Einstellungen junger Menschen, was durch den Prozess der Vereinigung und deren Ausgestaltungen vielfältig festgestellt werden konnte. Zu empirischen Daten im Bezug auf die "kritischen Demokraten" siehe Johann de Rijke et al., Wandel der Einstellungen junger Menschen zur Demokratie in West- und Ostdeutschland – Ideal, Zufriedenheit, Kritik, in: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 3/2006, S. 335–352.

  11. In der Auswertung wurden die Befragten mit Hauptschulabschluss und mittlerer Reife zusammengefasst.

  12. Vgl. etwa Winfried Krüger, Vertrauen in Institutionen, in: Ursula Hoffmann-Lange (Hrsg.), Jugend und Demokratie in Deutschland, Opladen 1995, S. 245–274.

  13. Vgl. Wolfgang Gaiser/Martina Gille/Johann de Rijke, Jugend in der Finanz- und Wirtschaftskrise, in: APuZ 12/2011, S. 39–48; Dagmar Krebs, Soziale Desorientierung und Devianzbereitschaft, in: Hoffmann-Lange (Anm. 12), S. 337–357.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Wolfgang Gaiser, Martina Gille, Johann de Rijke für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Sozialforscher. E-Mail Link: gaiser@dji.de

ist wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut (DJI) und Leiterin des Kompetenzteams Jugend im Rahmen des Projekts AID:A. E-Mail Link: gille@dji.de

ist Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Jugend und Partizipation. E-Mail Link: jderijke@gmx.de