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Ägyptens Rolle im nahöstlichen Friedensprozess

Nagi Abbas

/ 7 Minuten zu lesen

Ägypten sieht sich in einer Vermittlerrolle im nahöstlichen Friedensprozess zwischen Israel und der palästinensischen Autonomieverwaltung. Der Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten aus dem Jahre 1979 prädestiniert das Land geradezu für diese Rolle.

Einleitung

Die Stellung, die das heutige Ägypten im Friedensprozess einnimmt, erhielt ihre Grundlagen bereits zu Zeiten Gamal-Abdul Nassers. Die außenpolitischen Handlungsspielräume gewann Nasser durch zwei geschickt miteinander verbundene Strategien. Sein Eintreten für den "positiven Neutralismus" der Blockfreienbewegung und damit seine guten Beziehungen zu den kommunistischen Ländern führten zunächst zur Konfrontation mit dem Westen. Sein politischer Erfolg in der Suez-Krise machte ihn trotz der militärischen Niederlage zum unbestrittenen Führer des panarabischen Nationalismus. Nassers militärische Niederlage im Suez-Krieg verwandelte sich in einen politischen Triumph, der ihn für viele Jahre zum Idol aller arabischen Nationalisten machte.

Nach dem Tod Nassers versuchte Anwar-al-Sadat, durch eine "Politik der Öffnung" zum Weltmarkt hin innenpolitisch neue Impulse zu setzen, um dadurch außenpolitischen Einfluss zu gewinnen. Ägypten brauchte und braucht den Frieden in Nahost. Eine Voraussetzung dafür war eine aktive Friedenspolitik, mit der Ägypten das Vertrauen des Westens wiedergewinnen wollte. Möglich wurde das aber erst mit dem relativ erfolgreichen Oktoberkrieg von 1973. Die anfänglichen Rückschläge während des Krieges machten Israel bewusst, dass mit Ägypten ein Kompromiss angestrebt werden musste, und Israel konnte dadurch zu größerer Konzessionsbereitschaft bewegt werden.

Nach zwei Truppenentflechtungsabkommen, die 1975 zu einem Rückzug Israels aus dem Sinai und zur Wiedereröffnung des Suezkanals führten, ermöglichte Sadats umstrittene Reise nach Jerusalem den Beginn des bilateralen Verhandlungsprozesses. Er sprach vor der Knesset, dem israelischen Parlament. Dieser Prozess führte zu dem von den USA vermittelten Camp-David-Abkommen (September 1978) und im Frühjahr 1979 zum Friedensvertrag mit Israel. Dieser Friedensvertrag hatte strategische Bedeutung für die Außenpolitik Ägyptens und war besser als sein Ruf in der arabischen Welt und in Teilen der internationalen Staatengemeinschaft. Sadat agierte dabei zweigleisig: Natürlich vertrat er die Interessen seines Landes, aber er setzte sich gleichzeitig für Vereinbarungen mit den Palästinensern ein, um ihre Lage zu verbessern. Im Camp-David-Abkommen hatte Sadat für Palästina mehr erreicht als die PLO 1993 im israelisch-palästinensischen Abkommen von Oslo.

Sadat hatte im November 1977 vor dem Parlament in Kairo erklärt, er sei bereit, für den Frieden bis ans Ende der Welt zu gehen - sogar nach Jerusalem. Dort vertrat er folgende Forderungen vor der Knesset: Räumung der seit 1967 besetzten arabischen Territorien, Verwirklichung des Rechts des arabischen Volkes von Palästina auf Selbstbestimmung, das Recht eines jeden Landes der Region, in Frieden und gesicherten Grenzen zu leben, Gestaltung der Beziehungen aller Staaten des Nahen Ostens im Einklang mit den Grundsätzen der UN-Charta sowie die Beendigung des Kriegszustandes.

Ohne den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten gäbe es heute den Vermittler Ägypten im Nahen Osten nicht. Nur der kann ein arabischer Vermittler sein, der mit Israel ein Friedensabkommen abgeschlossen und damit seine Loyalität gegenüber beiden Verhandlungspartnern bekundet hat und dem ein gewisses Vertrauen der verhandelnden Parteien entgegengebracht wird.

Sadats separate Außenpolitik und sein Friedensvertrag mit Israel führten Ägypten vorerst in die Isolation unter den arabischen und islamischen Staaten. Diese glaubten nicht, dass ein separater Frieden mit Israel gut für die weitere Entwicklung der Region sei, sondern sahen eher die Gesamtlösung des Nahostkonfiktes und der Palästina-Frage in weite Ferne gerückt, weil dadurch das Thema einer multilateralen Konferenz in Genf nicht mehr auf der Tagesordnung stand.

Ausdrücklich luden die vertragschließenden Parteien aber "andere Akteure des arabisch-israelischen Konfliktes" ein, sich den Friedensverhandlungen anzuschließen. "Die Verhandlungslösung muss auch die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes und dessen gerechte Forderungen berücksichtigen." Sadat hatte also hier grundlegende Schritte für die Lösung des Nahostkonfliktes ausgehandelt. Seine Ermordung und die Zurückhaltung der PLO verhinderten die Umsetzung der Schritte und damit die mit Sicherheit 1979 bestandene Chance für einen israelisch-palästinensischen Durchbruch. Die Ideen von Sadat wirken gleichwohl in der heutigen Vermittlerrolle Ägyptens im Nahostkonflikt fort.

Nach der Ermordung Sadats versuchte Hosni Mubarak zunächst, die innenpolitische Lage zu entspannen. Außenpolitisch lockerte er die allzu enge Beziehung zu den USA, um wieder mehr Spielraum für die ägyptische Außenpolitik zu gewinnen. Als ein Ansatz dazu dienten ihm die Beziehungen zu Israel. Den Friedensvertrag mit Israel hat Mubarak buchstabengetreu erfüllt. Als Israel 1982 wenige Wochen nach Erfüllung der letzten Bedingungen (endgültige Räumung des Sinais) jedoch im Libanon einmarschierte, rief Mubarak seinen Botschafter aus Tel Aviv zurück und fror die Beziehung ein. Damit entstand zugleich eine noch größere Distanz zu den USA, und es wurde eine Epoche des "Kalten Friedens" mit Israel eingeleitet. Ägypten konnte die Vorbehalte der arabischen Staaten gegenüber seiner Außenpolitik abbauen. Seit 1979 war Ägypten aus der arabischen Liga ausgeschlossen. 1989 wurde es wieder aufgenommen und der Sitz der Liga ebenfalls wieder nach Kairo verlegt. Er befand sich in diesen zehn Jahren in Tunis.

Es ist Mubarak in den letzten Jahre gelungen, Ägypten den Platz als wichtigste Macht der arabischen Welt zurückzugewinnen. Ägyptens Position zwischen Friedensprozess, Westbindung und arabisch-islamischer Solidarität ließen Umsicht, Stetigkeit und Konsequenz zum ägyptischen Regierungsstil werden; es wurde damit zu einem verlässlichen Partner im nahöstlichen Friedensprozess.

Der Überfall Saddam Husseins auf Kuweit 1990 erfolgte, genau einen Tag bevor die Arabische Liga zum ersten Mal seit Sadats Friedensschluss mit Israel wieder zu einer Gipfelkonferenz nach Kairo einlud. Wollte Mubarak damit seinen gesamtarabischen Führungsanspruch unterstreichen? Viele glauben das. Aber Mubaraks aktive Beteiligung und eindeutige Stellungnahme gegen Hussein hat die zentrale Stellung Ägyptens in der Folgezeit gefestigt: Als das einzige Land, das mit Israel Frieden geschlossen hatte, konnte Ägypten eine aktive Vermittlerrolle bei der Madrider Konferenz (Oktober 1991) und im sich daran anschließenden Friedensprozess spielen.

Folgende Faktoren spielen darüber hinaus eine wichtige Rolle: Über Krisen und militärische Niederlagen hinweg ist das ägyptische politische System seit 1952 eines der stabilsten im Nahen Osten geblieben. Auch wenn Ägypten in den Augen der westeuropäischen Länder noch weit von einer demokratischen Ordnung entfernt ist, genießt die Bevölkerung mehr Freiheiten und ist der Prozess der Pluralisierung weiter gediehen als in den meisten anderen Staaten der Region. Das hat seine Folgen für die außenpolitische Stellung des Landes. Ägypten will mit seiner Rolle

- die USA dazu bewegen, mehr Druck auf Israel auszuüben, besetzte Gebiete zurückzugeben;

- die Palästinenser veranlassen, nicht den Friedensprozess durch Gewaltakte zu behindern und Israel damit Handhabe zum Abbruch der Beziehungen zu geben;

- auf Israel einwirken, dass es ohne eine Rückgabe von Land keinen Frieden geben wird.

Die am 13. September 1993 zwischen Israel und der PLO unterzeichnete "Prinzipienerklärung" zeichnete sich seit den Geheimverhandlungen 1992 in Oslo ab. Damals waren die Blockadekräfte auf beiden Seiten in der Minderheit. Sie gewinnen wieder an Macht, wenn es nicht gelingt, ein neues Modell für Vielvölkerstaaten zu entwickeln. Wie kann es gelingen, dass verschiedene Kulturen, Religionen und Nationen in einem Staat friedlich zusammenleben?

Im September 1993 sprach der israelische Außenminister Shimon Peres vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Erstmals seit Bestehen Israels blieben fast alle arabischen Staaten im Saal. Ägypten hatte nach Abschluss des Friedensvertrages 1979 hinsichtlich Verständigung und Kooperation den Anfang gemacht. Es war kein Zufall, dass gerade Ägypten - also der Staat, der am meisten im Kampf gegen Israel gelitten hat - zuerst mit Israel Frieden schloss.

Für die arabischen Staaten ist die Lösung des Nahostkonfliktes ein wichtiger Faktor auch für ihre innere Stabilität und für ihre außenpolitische Handlungsfähigkeit. An einer weiteren Destabilisierung der Region haben sie kein Interesse. Die israelisch-palästinensische Vereinbarung vom September 1993 war ein historischer Durchbruch, aber noch keine Endpunkt. Ägypten hat die Verhandlungen als Vermittler begleitet und ist selbst immer wieder Verhandlungsort. Es bringt seine Erfahrungen der Vergangenheit in die Verhandlungen ein. Diplomatisches Geschick, taktisches Verhalten und die relative innere Stabilität waren seine Stärken in den eigenen Verhandlungen der Vergangenheit. Diese Grundvoraussetzungen für den Verhandlungserfolg kann es als Vermittler weitergeben wie kein anderer Staat dieser Region. Hinzu kommt aber auch, dass es nach Israel die zweithöchste Militär- und Entwicklungshilfe der USA erhält.

Alle Bemühungen für den Friedensprozess in Nahost entsprechen den ägyptischen Intentionen. Das schließt vor allem die UN-Sicherheitsratsresolutionen 242 und 338 zur Palästinenserfrage ein. Die beiden Resolutionen beinhalten, dass Israel sich wieder auf die Grenzen von 1967 zurückziehen muss und Ostjerusalem die Hauptstadt des palästinensischen Staates wird. Alle Friedensschritte, die Ägypten von 1994 bis heute realisiert hat, vor allem die von Sharm El-Sheikh in diesem Jahr, beruhen auf der Grundlage der Entscheidungen der UNO. Ägypten glaubt, dass jede Abweichung von den beiden UN-Resolutionen nicht im Sinne der internationalen Staatengemeinschaft ist und immer wieder zu Gewalt und Unruhen führt. Aufgrund der proisraelischen Haltung der USA haben vor allem die Ägypter geglaubt, dass die Entscheidungen vom März 1999 über die Bildung eines eigenen palästinensischen Staates ein Gleichgewicht zwischen Israel und Palästina herstellen würde. Mit der Gründung dieses Staates stehen sich dann zwei gleichberechtigte Verhandlungspartner gegenüber. Das wäre eine bessere Basis für den Friedensprozess.

Gleichzeitig erhofft sich Ägypten von der Europäischen Union, dass sie die Entstehung dieser Balance unterstützt und bei der Stabilisierung des Prozesses mithelfen kann. Der Besuch von Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Region hat die Rolle Ägyptens gestärkt. Stabilisiert sich der Friedensprozess zwischen Israel und Palästina, könnte er beispielhaft auch für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Israel und Syrien werden.

Eine israelische Nichteinhaltung der Vereinbarungen von Madrid, Oslo, Camp David und Sharm El-Sheikh wär gleichbedeutend mit einem Wiederbeginn von Gewalt im Nahen Osten. Die Umsetzung der Verträge und die Gründung des palästinensischen Staates entziehen der Gewalt den Boden. Das Friedensabkommen braucht zwei gleichwertige Partner. Das versucht Ägypten immer wieder klarzumachen und zu fördern.

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M.B.A., geb. 1957; Deutschlandkorrespondent von Al-Wafd und Ros-al-Yuosef in Berlin.

Anschrift: Merkurstr. 17, 16321 Bernau.
E-Mail: nagi.abbas@t-online.de

Veröffentlichungen zum Nahostkonflikt und Ägypten sowie über die Politik Deutschlands gegenüber dem Nahen Osten.