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Der Geist von King Cotton | Black America | bpb.de

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Der Geist von King Cotton Afroamerikaner und das Vermächtnis der Sklaverei im Reich der Baumwolle - Essay

Ousmane Power-Greene

/ 15 Minuten zu lesen

Bei vielen US-Amerikanern ist beim Begriff "King Cotton" nur der romantische Mythos von magnolienumrankten Herrenhäusern geblieben. Die Sklaverei bleibt außen vor.

Im August 2017 wies William Bell, damaliger demokratischer Bürgermeister der Stadt Birmingham, Alabama, die Verwaltung des Linn Parks an, ein Denkmal zu Ehren der konföderierten Soldaten zu verhüllen, die im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) gekämpft hatten. Bells Entscheidung war der erste Schritt in einem Prozess zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den schwarzen und weißen Bürgern von Birmingham, von denen die einen von Sklavinnen und Sklaven abstammten und die anderen von Sklavenhaltern. Stadtrat Jonathan Austin hatte den Bürgermeister sogar zum Abbau des Denkmals gedrängt, weil es seiner Meinung nach "eine Kränkung für unsere Bürger" ist. Auf den ersten Blick scheint die Frage, ob man das Denkmal entfernen oder verhängen sollte, eine Routineangelegenheit der Stadtverwaltung von Birmingham zu sein, doch tatsächlich entwickelte sich daraus eine viel komplexere und politisch aufgeladene Debatte.

Monate vor Bells Entscheidung hatte Kay Ivey, republikanische Gouverneurin von Alabama, auf den anschwellenden Protest gegen Denkmäler und Gedenkstätten für die Konföderierten reagiert und ein neues Gesetz unterzeichnet, das genau das verhindern sollte, was der Bürgermeister von Birmingham und sein Stadtrat anstrebten. Der Alabama Memorial Preservation Act (Gesetz zur Erhaltung der Denkmäler in Alabama) verbot die Entfernung von Statuen, Denkmälern und Gedenkstätten durch kommunale und städtische Behörden mit der Begründung, die Statuen für die Konföderierten seien ein wichtiger Teil der Geschichte Alabamas.

Damit schien sich die Stimmung im Streit über die Entfernung der Statuen und Denkmäler zugunsten derer zu neigen, die glaubten, die Demontage würde den Menschen die Gelegenheit nehmen, die Vergangenheit zu ehren – auch die Teile der Vergangenheit, die nach heutigen Standards einen Affront darstellen können. So argumentierte der Republikaner Gerald Allen, Mitglied des Senats von Alabama: "Anders als die Kritiker des Gesetzes behaupten, soll mithilfe des Memorial Preservation Act die gesamte Geschichte Alabamas bewahrt werden – die guten wie die negativen Aspekte –, damit unsere Kinder und Enkel aus der Vergangenheit lernen und eine bessere Zukunft schaffen können." Der demokratische Senator Hank Sanders aus Selma war anderer Ansicht und erklärte, diejenigen, die das Gesetz formuliert und unterzeichnet hätten, wollten damit nur "Denkmäler schützen, die für einen Großteil der Bürger Alabamas ein Symbol der Unterdrückung darstellen".

Vergangenheit im öffentlichen Raum

Der Unmut über die fortgesetzte Verwendung historischer Symbole hat in den vergangenen Jahren überall in den USA zugenommen. Er richtet sich unter anderem gegen die Flagge der Konföderierten oder Gebäude und Einrichtungen, die wie das Calhoun College (bis 2017) nach bekannten Befürwortern der Sklaverei benannt sind. Damit entspann sich eine landesweite Debatte über die Frage, wie die Vergangenheit im öffentlichen Raum dargestellt werden soll und was Statuen, Denkmäler und Gedenkstätten heutzutage überhaupt noch bedeuten. Es gibt die Haltung, die Relikte des 19. Jahrhunderts seien ein wichtiger Teil der US-amerikanischen Geschichte, selbst wenn sie Ansichten repräsentieren, die man heute als kränkend empfindet. Andere sind der Meinung, dass die Denkmäler Personen und politische Einrichtungen feiern, die grundlegend rassistisch und verabscheuungswürdig sind.

Die Debatte in den USA spiegelt eine weltweite Debatte um Reparationen und Traditionen wider, die mitunter als rassistisch empfunden werden. Auf der ganzen Welt, von Ghana bis Jamaica, von Japan bis Kenia, stehen Staaten vor ähnlichen Herausforderungen, wenn sie ihre Bürgerinnen und Bürger über die Rolle ihres Landes im Zusammenhang mit Sklaverei, Völkermord und Kolonialismus aufklären wollen. In den Niederlanden wurde gegen den Zwarte Piet (Schwarzer Peter) protestiert, den schwarzbemalten Nikolaushelfer, weil seine Darstellung eine rassistische Karikatur sei. Auch historische Persönlichkeiten sorgen immer wieder für Kontroversen, etwa wenn Denkmäler für Personen infrage gestellt werden, denen man eine rassistische Vergangenheit nachsagt. So forderten Lehrkräfte der Universität von Ghana im September 2016 in einer Petition die Entfernung einer Gandhi-Statue mit der Begründung, dass er eine rassistische Haltung gegenüber eingeborenen Afrikanerinnen und Afrikanern vertreten und als junger Mann den Begriff "Kaffir" verwendet hat, eine abwertende Bezeichnung für Schwarze ähnlich dem Begriff "Nigger". Daher sei es unangemessen, mit einer Statue seinen Einsatz für die Menschenrechte zu ehren. Ähnliche Proteste gegen Gandhi-Statuen gab es auch an US-amerikanischen Universitäten. All das zeigt, dass der Konflikt um Denkmäler zur Ehrung historischer Persönlichkeiten weitverbreitet ist.

Für afroamerikanische Intellektuelle sowie Aktivistinnen und Aktivisten ist diese Infragestellung von Denkmälern nichts Neues. So äußerte sich der Philosoph und Bürgerrechtler W.E.B. Du Bois bereits 1931 über die wachsende Zahl der Statuen und Denkmäler für die Konföderierten: "Das Furchtbarste am Krieg, davon bin ich überzeugt, sind seine Denkmäler – diese schrecklichen Dinger, zu deren Aufstellung wir uns im Gedenken an die Opfer verpflichtet fühlen. Vor allem im Süden kennt der menschliche Einfallsreichtum bei den Denkmälern der Konföderierten keine Grenzen. Natürlich könnte man ganz schlicht und wahrheitsgemäß eine Inschrift wie die folgende verwenden: ‚Dem Andenken an jene geweiht, die für die Aufrechterhaltung menschlicher Sklaverei kämpften.‘ Aber so etwas liest man nach einiger Zeit höchst ungern. Andererseits wirkt es etwas übertrieben, wenn auf einem Denkmal für die Konföderierten in South Carolina steht: ‚Gestorben im Kampf für die Freiheit!‘"

Du Bois’ Kommentar verweist auf die Schwierigkeit, eine Gemeinschaft oder eine Nation mithilfe von Denkmälern und Gedenkstätten über die Vergangenheit aufzuklären, vor allem, wenn es sich um Denkmäler handelt, bei denen die Glorifizierung wichtiger ist als die Aufklärung. Meist sollen Denkmäler die Toten ehren, anstatt die Lebenden über die furchtbaren Taten zu informieren, die von Menschen verübt wurden, deren Handeln nicht lobenswerter oder verachtenswerter war als das der Menschen, die das Monument betrachten.

Während über den Platz der Denkmäler für die Konföderierten im öffentlichen Raum gestritten wird und über die Verwendung von Steuergeldern für Monumente, die manche für unzumutbar halten, rückt die entscheidende Frage in den Hintergrund: Wie sollten die USA – und jedes andere Land – mit Verbrechen umgehen, die vom Staat verübt wurden? Auch andere Aspekte bleiben ungeklärt, etwa die Frage, ob die Entfernung der Konföderierten-Denkmäler in irgendeiner Weise dazu beiträgt, sich der Vergangenheit zu stellen. Veranlassen Denkmäler die Bürger dazu, vor allem die Angehörigen ethnischer Minderheiten, über vergangenes Unrecht und die auf Gewalt gründende Geschichte nachzudenken, sodass möglicherweise ein Prozess der Heilung in Gang gesetzt werden kann?

Die öffentliche Auseinandersetzung mit Denkmälern und Gedenkstätten deutet auf ein neues Bewusstsein für einen problematischen Aspekt der Vergangenheit der USA hin. In dieser Debatte wird jedoch weitgehend ignoriert, dass das Vermächtnis der Sklaverei nicht nur in physischen Denkmälern und Monumenten weiterleben kann, sondern auch in Begriffen, Songs und Produkten. Bekanntes Beispiel hierfür ist der Begriff "King Cotton" ("König Baumwolle"), für dessen negative Assoziationen bislang bei vielen US-Amerikanern das Bewusstsein fehlt. Für Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner steht King Cotton für die Gewalt, Ausbeutung und Demütigung der Sklaverei im US-amerikanischen Süden des 19. Jahrhunderts.

Cotton Kingdom

Sklavenhalter, die das als "Cotton Kingdom" bezeichnete Baumwollimperium aufgebaut hatten, waren die treibende Kraft bei der Sezessionskrise 1860. Sie sind auch die politischen und militärischen Anführer, an die man am häufigsten mit Denkmälern und Statuen erinnert, die nun überall in den Südstaaten der USA für Diskussionen sorgen. Natürlich gab es unter den Hunderttausenden, die im Bürgerkrieg ihr Leben ließen, auch viele, die nicht zu den Sklavenhaltern zählten, doch der Beweggrund für den Krieg war nun einmal die Sklaverei und die Befürchtung, dass die Wahl Abraham Lincolns eine Bedrohung für das Cotton Kingdom darstellte, dem alle angehörten, auch die, die keine Sklaven hielten. Karikaturisten, Liedkomponisten und Theaterautoren verwendeten in den 1850er Jahren gerne den Begriff "King Cotton", und schon bald wurde er zum Synonym für die Sklavenhalter mit ihren riesigen Baumwollplantagen, die die Konföderation anführten.

Als der US-Senator und Baumwollplantagenbesitzer James Henry Hammond (1807–1864) in seiner berühmten Rede vor dem US-Senat 1858 verkündete: "Keine Macht auf Erden wagt es, ihr den Krieg zu erklären. Die Baumwolle ist König", brachte er damit die Haltung seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger in den Südstaaten zum Ausdruck, die sich zwei Jahre später von den Vereinigten Staaten lossagen und in den Krieg ziehen sollten, um am System der Sklaverei festzuhalten und so die Herrschaft von King Cotton zu bewahren. Hammond und andere Plantagenbesitzer dominierten wie Monarchen sämtliche Aspekte der Gesellschaft, auch wenn in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten andere, demokratische Grundsätze verkündet worden waren.

Diese Geschichte ist zwar allgemein bekannt, doch das Vermächtnis von King Cotton in der US-amerikanischen und britischen Kultur wird kaum untersucht. Populäre Songs wie "Sweet Home Alabama" von Lynyrd Skynyrd aus den 1970er Jahren oder Bücher wie Robert Penn Warrens Klassiker "Das Spiel der Macht" (1946) romantisieren den alten Süden, auch wenn sie gelegentlich einräumen, dass die Sklaverei ein "problematisches" Vermächtnis darstellt. Der Begriff "King Cotton" wird als Titel für Romane, Theaterstücke und Filme verwendet, die sich weniger mit der Brutalität der Sklaverei befassen und mehr mit der Faszination der Baumwolle und dem Reichtum der Plantagenbesitzer und Textilfabrikanten. Sogar in der Werbung wird "King Cotton" für Baumwollprodukte verwendet, als eine Art Referenz zur bedeutenden, wenn nicht sogar entscheidenden Rolle der Baumwolle in der US-amerikanischen Wirtschaft einst und heute. Doch im Gegensatz zu Uncle Sam, der als Personifikation der USA fungiert, muss das Vermächtnis von King Cotton noch eingehend untersucht und vielleicht verurteilt werden.

Der Begriff "King Cotton" als Personifikation des US-amerikanischen Südens wurde erstmals von David Christy in seinem Buch "Cotton is King" verwendet, das Mitte der 1850er Jahre erschien. Obwohl Christy die Bezeichnung satirisch gebrauchte, verkörperte sie die Antithese zur US-amerikanischen Demokratie. Darüber hinaus beruhte die Herrschaft von King Cotton auf Gewalt in Form von Vergewaltigungen, Auspeitschungen, Brandzeichen und dem Verkauf von Menschen zur Steigerung des individuellen und nationalen Wohlstands. Während sich einige wenige Weiße im Glanze von King Cotton sonnten, litten Schwarze unter seiner Peitsche.

Die Bedeutung der Baumwolle für die US-amerikanische Wirtschaft wurde in jüngster Zeit von Vertretern der "New History of Capitalism" betont: Historiker wie Walter Johnson und Edward Baptist sehen Baumwolle und die Sklaverei als wesentliche Faktoren für den Aufstieg des Kapitalismus in den USA. Sven Beckerts Werk "Empire of Cotton" bietet eine globale Perspektive auf die Rolle der Baumwolle für die Industrialisierung, mit einem Schwerpunkt auf die Entwicklung in Großbritannien. Bei diesen Untersuchungen stehen die Sklaverei und der Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter im Mittelpunkt, wodurch die Rolle der Baumwolle differenzierter betrachtet wird als in den statistischen Analysen der vorherigen Generation von Historikern.

King Cotton in der Kultur

Angesichts dieser Wende in der Geschichtsschreibung überrascht es nicht, dass sich auch Theaterautoren sowie Künstlerinnen und Künstler von der Verbindung zwischen Sklaverei und Textilindustrie inspirieren lassen. Ein Beispiel dafür ist das Stück "King Cotton" von Jimmy McGovern, das vom Theater The Lowry und der Liverpool Culture Company in Auftrag gegeben und 2007 zur Erinnerung an die Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels im Jahr 1807 uraufgeführt wurde.

McGoverns Theaterstück beschäftigt sich mit der Situation afroamerikanischer Sklaven, die im Namen von King Cotton ausgebeutet wurden, und dem damit verknüpften Leben der weißen Textilarbeiter im englischen Lancashire. Als ein Sklave namens Sokoto seinen Herrn tötet und auf einem Schiff in die Nordstaaten flieht, trifft er auf Tom, einen weißen Arbeiter in einer Textilfabrik, der sich den Konföderierten angeschlossen hat, weil der Amerikanische Bürgerkrieg verheerende Auswirkungen auf die englischen Textilstädte hat, die auf die Baumwolle angewiesen sind. McGoverns Stück geht über die populäre romantische Darstellung der Südstaaten mit ihren Baumwollplantagen hinaus, wie man sie in Filmen wie "Vom Winde verweht" (1936) findet, und bringt ebenso die globale Dynamik der Baumwolle zum Ausdruck wie die Abhängigkeit der versklavten Afrikaner und der britischen Arbeiter, die King Cotton am jeweiligen Ende der Produktionskette dienten.

Auch wenn das Stück versucht, eine komplexere Geschichte von der globalen Bedeutung der Sklaverei zu erzählen, konzentriert es sich überwiegend auf die Darstellung der Vergangenheit und weniger auf das Vermächtnis von King Cotton als Symbol, das Afroamerikaner noch heute heimsucht. Die Herrschaft der Baumwolle brachte Not und Entbehrung für Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks, doch das Stück bietet keinen Ansatzpunkt, dieses Vermächtnis heute zu überdenken. Stattdessen bleibt die kulturelle Erinnerung an Sklaverei und Baumwolle auf die Vergangenheit beschränkt und nimmt kaum Bezug auf die Gegenwart, allenfalls gedenkt man dem schweren Los der weißen Arbeiterklasse, der im Laufe des Stücks bewusst wird, wie viel Schweiß und Blut in die Produktion der Baumwolle geflossen ist, die in England weiterverarbeitet wurde. So wird kaum etwas vom bleibenden Erbe King Cottons vermittelt, und nach der Vorstellung gehen die Besucherinnen und Besucher des Theaters womöglich in eine Bar und trinken ein Glas King Cotton Best Bitter der Manchester Brewing Company, ohne zu ahnen, welchen Widerwillen ein Bier mit einem solchen Namen bei Afroamerikanern auslösen kann.

Auch Werbeagenturen und Hotelbesitzer verwenden den Begriff und benennen Produkte und Lokale nach King Cotton ohne Gespür für dessen negative Assoziation mit der Sklaverei. In Memphis wurde das Hotel de Voy in den 1940er Jahren in King Cotton umbenannt. Es blieb ein Mittelpunkt des innerstädtischen Lebens, bis die überwiegend weiße Kundschaft nach der Ermordung von Martin Luther King Jr. 1968 und den anschließenden Spannungen in den 1970er Jahren ausblieb. 1984 wurde das Hotel abgerissen. Ebenfalls in Memphis stellt das Unternehmen Monogram Foods Hot Dogs unter dem Namen King Cotton her. Die Firma verwendet nicht nur den Namen, sondern rief ihre Kunden sogar vor kurzem dazu auf, King-Cotton-Erinnerungsstücke zum Kundendienstcenter in Memphis zu bringen, wo sie ausgestellt werden sollen, "um die reiche Geschichte der Marke zu feiern".

Mangelndes Bewusstsein

Offensichtlich ist in der Vorstellung der US-Amerikaner und Briten bei King Cotton nur der romantische Mythos von magnolienumrankten Herrenhäusern geblieben, die hässliche Kleinigkeit namens Sklaverei bleibt außen vor. Ist den Menschen diese Verbindung nicht bewusst oder ziehen sie den Mythos vor, um sich nicht der Tatsache zu stellen, dass King Cotton einen unangenehmen Beiklang hat?

Betrachten wir die Interpretation der Jazzsängerin René Marie von "Strange Fruit" (2001), einem Song gegen die Lynchjustiz, der 1939 durch Billie Holiday berühmt wurde. Marie beginnt den Song mit einer A-cappella-Version von "Dixie", der Hymne der Konföderierten. Ihre künstlerische Entscheidung vermittelt einen Einblick, wie Afroamerikaner ihr Verhältnis zur Geschichte von King Cotton sehen. Selbst wenn schwarze Amerikaner eine Art Verbundenheit zum Süden als Region empfinden, vor allem aufgrund von Familienbanden und Erinnerungen an eine lebendige schwarze Gemeinschaft, fühlen sie sich doch gleichzeitig verfolgt von der gewalttätigen Vergangenheit, die sie mit dem assoziieren, was US-Präsident Donald Trump als "good old days" bezeichnet. Im Song "Dixie" heißt es:

Oh, I wish I was in the land of cotton,
Old times there are not forgotten.
Look away, look away, look away Dixie Land!

(…)
I wish I was in Dixie, Hooray! Hooray!
In Dixie’s Land I’ll take my stand,
To live and die in Dixie.
Away, away, away down south in Dixie!

Ich wünschte, ich wäre im Baumwoll-Land,
Die alten Zeiten sind dort nicht vergessen,
Schau in die Ferne, weit weg, nach Dixie Land!

(…)
Ich wünschte, ich wäre in Dixie, Hurra! hurra!
In Dixie’s Land, da will ich bleiben,
Leben und sterben in Dixie.
Weit weg, weit weg im Süden, in Dixie!

In René Maries Interpretation folgen hiernach die Strophen von "Strange Fruit":

Southern trees bear a strange fruit,
blood on the leaves and blood at the root,
black body swinging in the Southern breeze,
strange fruit hanging from the poplar trees.

Die Bäume im Süden tragen seltsame Früchte,
Blut auf den Blättern und Blut an der Wurzel,
schwarze Körper baumeln in der südlichen Brise,
seltsame Früchte hängen von den Pappeln.

Die Jazzsängerin singt auf eine Weise, die man nur als zögernd, verunsichert und aufgewühlt beschreiben kann. Es ist nicht der Text per se, sondern die Art, wie sie singt, die vom verstörenden Vermächtnis der Sklaverei und Gewalt im Cotton Kingdom kündet. Warum verknüpft sie den Song "Dixie", der als Nationalhymne der Konföderierten gilt, mit "Strange Fruit", einem Lied gegen die Lynchjustiz? Marie will damit zeigen, dass rassistische Gewalt in Form von Lynchmorden untrennbar mit der Art von Gewalt verbunden ist, die Afroamerikaner unter der Herrschaft von King Cotton erdulden mussten.

In der US-amerikanischen Öffentlichkeit fehlt hierfür bislang das Bewusstsein – nicht so bei Corey Menafee, einem Angestellten der Yale University, der sich im Speisesaal des Wohnheims auf einen Tisch stellte und ein Buntglasfenster einschlug, das lächelnde schwarze Sklaven mit Baumwollballen auf dem Kopf zeigte. Für Afroamerikaner ist Baumwolle ein Symbol für die Versklavung ihrer Vorfahren unter dem brutalen Tyrannen King Cotton. Diese Assoziation ist sehr stark, deutlich stärker als bei Zucker, obwohl für den Zuckerrohranbau ebenfalls unzählige Afrikaner versklavt wurden, um den europäischen Markt mit dem begehrten Süßungsmittel zu beliefern. Auch Reis wird in der Vorstellung der Amerikaner nur selten mit Versklavung in Zusammenhang gebracht. Nehmen wir etwa die Marke Uncle Ben’s, deren Reisschachteln ein würdevoller älterer Schwarzer mit freundlichem Grinsen ziert. Dieses Bild weckt bei weitem keine so negativen Assoziationen wie Baumwolle, obwohl auch Reis eine von Gewalt geprägte Vergangenheit hat und die Besitzer der Reisfelder in South Carolina damit reich wurden, dass sie Reis an die Plantagen in der Karibik verkauften, wo versklavte Afrikaner jeden Quadratmeter Land beackerten, um Zucker, Kaffee oder Indigo anzubauen. Baumwolle hat sich als das Anbauprodukt herauskristallisiert, das man am stärksten mit dem brutalen Sklavenregime der Südstaaten assoziiert, weshalb sich auch die schwarzen Amerikaner daran stören und darin ein Symbol für eine belastete Vergangenheit sehen.

Schluss

Es ist unvorstellbar, dass Corey Menafee "Dixie"-pfeifend in der Küche des Calhoun College Geschirr spült. Vermutlich ist seine Ablehnung vergleichbar mit dem Gefühl, das manche Afroamerikaner überkommt, wenn sie in eine Bar gehen und aus der Jukebox laut "Sweet Home Alabama" von Lynyrd Skynyrd plärrt oder wenn auf der Straße ein Auto an ihnen vorbeifährt, dessen Hupe die ersten Töne von "Dixie" ertönen lässt.

Die Demütigung, die Corey Menafee täglich empfand, als er an einem Bild vorbei musste, das den Baumwollanbau und die Sklaverei illustrierte, erinnert an die Erfahrungen der Menschen in New Orleans, Louisiana, und Charlottesville, Virginia, die an einer Statue der Konföderierten vorbeikommen oder eine Südstaatenflagge sehen, die an einem Pickup flattert. Diese Symbole machen King Cotton unsterblich und sind konkrete Beispiele dafür, wie die Vergangenheit Afroamerikaner noch heute immer wieder heimsucht.

Wann wird die Erinnerung an das Elend, das King Cotton über seine Untertanen gebracht hat, nicht mehr schmerzen? Und wann werden US-Amerikaner nicht mehr länger zulassen, dass der Mythos vom alten Süden sie von der Arbeit ablenkt, die sie leisten müssen, um das Land von dem schädlichen Übel zu befreien, das von den Flaggen und Statuen der Konföderierten verkörpert wird?

Aktuelle Arbeiten von Historikern heben hervor, dass der Baumwollanbau in den USA und die Baumwollindustrie nur deshalb florieren konnten, weil sie auf einem System basierten, das furchtbare Gewalttaten gegen Afroamerikaner beging. Diese Historiker erinnern uns daran, dass die in den USA angebaute Baumwolle stets im Zusammenhang mit der unmenschlichen Behandlung derer gesehen werden muss, die für die Produktion am wichtigsten waren. Baumwolle darf nie einfach nur als ökonomische Einheit betrachtet werden, die man wiegen, messen und auf britischen Märkten verkaufen kann. Und King Cotton als gewaltsamer Tyrann darf in der kulturellen Erinnerung nicht verloren gehen, in Anbetracht der Ansammlung von romantischen Filmen und Songs, die ihn ohne negative Assoziation feiern.

Übersetzung aus dem Englischen: Heike Schlatterer, Pforzheim.

ist Professor am historischen Institut der Clark University in Worcester, Massachusetts. Zu seinem Forschungsschwerpunkt gehören afroamerikanische Geschichte und afroamerikanische politische Bewegungen. E-Mail Link: opowergreene@clarku.edu