Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Müllgovernance in Deutschland und Europa | Müll | bpb.de

Müll Editorial Deponierte Schätze. Archäologien des Mülls als Spiegel der Gesellschaft Was passiert mit unserem Müll? Nationaler Müllkreislauf und internationale Müllökonomie Müllgovernance in Deutschland und Europa Zur falschen Zeit am falschen Ort. Müll als Ressource Müll als Strukturfaktor gesellschaftlicher Ungleichheitsbeziehungen Recycelte Sprachbilder. Kleine Geschichte deutscher Abfalldiskurse bis 1990 Zero Waste. (K)ein Ding der Unmöglichkeit?

Müllgovernance in Deutschland und Europa

Wolfgang Klett Hagen Weishaupt

/ 14 Minuten zu lesen

Die EU-Richtlinien bilden den Rahmen für die nationale Gesetzgebung zur Abfallwirtschaft. Das europäische Kreislaufwirtschaftspaket 2018 öffnet ein weiteres Kapitel der Rechts-entwicklung, die in Deutschland mit dem Abfallbeseitigungsgesetz 1972 begann.

Wie in Deutschland und der Europäischen Union mit Müll verfahren wird, damit die täglich in unseren Haushalten, in der Industrie und im Gewerbe anfallenden Abfälle möglichst effizient und umweltverträglich entsorgt, insbesondere verwertet werden, ist Gegenstand zahlreicher Gesetze, Vorschriften und Verordnungen. Im Zusammenhang mit Müll lässt sich der Begriff "Governance" – verstanden als Regelung oder Steuerung – daher mit zweierlei Bedeutung ausfüllen: Im formellen Sinne geht es bei Müllgovernance in Deutschland und Europa um die Verteilung von Regelungskompetenzen auf den verschiedenen Ebenen (von der europäischen bis zur kommunalen); im materiellen Sinne kann Müllgovernance zudem als "Stoffstromsteuerung", oder besser "Stoffstromlenkung" aufgefasst werden. Beide Bedeutungen sollen in diesem Beitrag zur Geltung kommen: Im Folgenden werden wir zunächst einen Blick auf die Regelungskompetenzen in Deutschland und der Europäischen Union werfen, anschließend die Entwicklung des Abfallrechts nachzeichnen und die zur Verfügung stehenden Steuerungsinstrumente zur Stoffstromlenkung vorstellen, um schließlich auf einige aktuelle Entwicklungen der Kreislaufwirtschaft in der Europäischen Union einzugehen.

Regelungskompetenzen

Hinsichtlich der Regelungskompetenzen für die Abfallwirtschaft ist zunächst zwischen denjenigen auf Ebene der Europäischen Union und denjenigen auf bundesdeutscher Ebene zu unterscheiden. Da die Regelungen der Europäischen Union den Rahmen bilden, innerhalb dessen sich die Vorschriften zu bewegen haben, die in der Bundesrepublik Deutschland für die Abfallwirtschaft erlassen werden, beginnen wir mit der europäischen Ebene.

Europäische Union

Über die verschiedenen Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft haben die Mitgliedsstaaten an die Organe der Europäischen Union die verfassungsmäßige Ermächtigung zur Regelung der Abfallwirtschaft zum Teil übertragen. Insoweit können das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union auf den Vorschlag der Kommission nach Art. 191, 192 des Vertrags der Europäischen Union über die Arbeitsweise (AEUV) Vorschriften zum Schutz der Umwelt erlassen. Hiervon wurde und wird insbesondere durch den Erlass von Richtlinien und Verordnungen im Bereich des Abfallrechts Gebrauch gemacht.

Richtlinien entfalten unmittelbare Rechtswirkung nur gegenüber den Mitgliedsstaaten, nicht jedoch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern der einzelnen Mitgliedsstaaten. Solche Richtlinien sind von den Mitgliedsstaaten innerhalb der darin geregelten Fristen jeweils in nationales Recht umzusetzen. Hervorzuheben ist die Abfallrahmenrichtlinie vom 19. November 2008, zu deren Umsetzung in Deutschland das Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz) vom 24. Februar 2012 verabschiedet wurde.

Während Richtlinien – wie ausgeführt – der gesonderten Umsetzung in nationales Recht bedürfen, können das Europäische Parlament und der Rat auch unmittelbar in den Mitgliedsstaaten geltende Vorschriften erlassen, etwa in Form einer Verordnung, wie dies beispielhaft mit der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen geschehen ist.

Bundesrepublik Deutschland

Der Bundesrepublik steht es frei, über die Vorgaben der Europäischen Union hinaus weitere, zum Gegenstand der Abfallwirtschaft gehörende Vorschriften zu erlassen, für die keine unionsrechtlichen Vorgaben bestehen. Beispielhaft können hier die Vorschriften zur Altholzverordnung oder zur Gewerbeabfallverordnung genannt werden.

Der Gegenstand der Abfallwirtschaft gehört nach der verfassungsmäßigen Ordnung zur konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG). Dies bedeutet, dass die Bundesländer die Befugnis zur Gesetzgebung nur solange und soweit haben, wie es kein Gesetz auf Bundesebene gibt (Art. 74 Abs. 1 GG). Da der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungszuständigkeit im Bereich der Abfallwirtschaft zur Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie 2008 mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz von 2012 Gebrauch gemacht hat, können die darin geregelten Materien also nicht zusätzlich Gegenstand von Vorschriften sein, die ergänzend von den Bundesländern erlassen werden. In der Regel befassen sich die Gegenstände landesabfallrechtlicher Regelungen mit dem Vollzug der bundesrechtlich erlassenen abfallrechtlichen Vorschriften.

Wie im Einzelnen in den kreisfreien Städten und Kreisen die Bürgerinnen und Bürger in ihren privaten Haushalten die Abfälle sammeln, um sie dann für die Einsammlung bereitzustellen, und welche Pflichten dabei die privaten Haushalte im Hinblick auf gefährliche Abfälle, gemischte Siedlungsabfälle und andere Abfallfraktionen treffen, wird in den Abfallsatzungen der Gebietskörperschaften als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger geregelt. Daneben wird gesondert durch Abfallgebührensatzungen festgelegt, für welche Leistungen des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers welche Kosten in Form von Gebühren zu erstatten sind. In welchem Umfang private Haushalte verschiedene Abfallarten getrennt zu sammeln und bereitzustellen haben, ist regional sehr unterschiedlich durch Satzung geregelt. Dies gilt insbesondere für gemischte Siedlungsabfälle, für die beim Endverbraucher anfallenden Verpackungen, für grafische Papiere sowie für Garten- und Parkabfälle.

Entwicklung des Abfallrechts

Die gesetzgeberischen Voraussetzungen zu einem ersten bundesdeutschen Abfallbeseitigungsgesetz wurden 1972 mit dem 30. Änderungsgesetz zum Grundgesetz geschaffen, als in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 die Abfallwirtschaft als Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung eingefügt wurde. Bis dahin hatten Bund und Länder kontrovers über die Kompetenz zur Abfallgesetzgebung gestritten.

Mit dem Abfallbeseitigungsgesetz, das daraufhin am 7. Juni 1972 in Kraft trat, sollte die Grundlage dafür gelegt werden, für den Umgang mit Abfällen, insbesondere für deren Ablagerung zur Beseitigung, einheitliche bundesrechtliche Anforderungen zu schaffen. Wesentliches Merkmal der Regelungen war, dass die Behandlung der Abfälle als öffentliche Aufgabe des Umweltschutzes erkannt wurde. Die Länder wurden verpflichtet, im Hinblick auf eine geordnete Beseitigung überörtliche Abfallbeseitigungspläne aufzustellen. Bis dahin war es in der Bundesrepublik gängige Praxis in der Entsorgung gewesen, ausgebeutete Kiesgruben, Bombentrichter oder kleinere natürliche Vertiefungen des Bodens mit Abfall aufzufüllen. Schätzungen zufolge gab es zu dieser Zeit über 50.000 Müllkippen im westdeutschen Bundesgebiet. Diese Art der Abfallbeseitigung zu ordnen, sollte Gegenstand der Abfallgesetzgebung sein.

Im Laufe der darauffolgenden Jahre wurde die Notwendigkeit erkannt, das Abfallbeseitigungsgesetz zu einem Abfallwirtschaftsgesetz weiterzuentwickeln. Diese Erkenntnis folgte der Feststellung, dass bisher auch Abfälle, die einer Verwertung hätten zugeführt werden können, auf Deponien zur Ablagerung gelangten und damit das vorhandene Deponievolumen schneller als geplant verbrauchten. Deswegen wurde ein Gebot der Verwertung entwickelt, dem Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen vorausgehen sollten. Schon der Titel "Gesetz über Vermeidung und Entsorgung von Abfällen" für das Abfallgesetz 1986 zeigt an, dass die gesetzgeberischen Maßnahmen nicht nur auf die Ordnung der Abfallbeseitigung ausgerichtet waren. Das Abfallgesetz sah infolgedessen eigene Vorschriften zur Abfallvermeidung und -verwertung sowie eigene Ermächtigungsvorschriften für Rechtsverordnungen zur getrennten Entsorgung, Rückgabe- und Rücknahmepflichten vor. Außerdem war eine Ermächtigung zur Regelung der Überwachung von Reststoffen vorgesehen. Immer noch galt allerdings die Überlassungspflicht des Besitzers von Abfällen an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger – dies ist in der Regel die kommunale Gebietskörperschaft – als Grundsatz für die Entsorgung.

Der nächste große Meilenstein in der Entwicklung des Abfallrechts war die schrittweise Einführung umweltrechtlicher Vorschriften in den ostdeutschen Bundesländern im Zuge der Wiedervereinigung 1990. Am 29. Juni verabschiedete die Volkskammer der DDR das Umweltrahmengesetz, durch das die Vorschriften des bundesdeutschen Abfallgesetzes bereits vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik auch in Ostdeutschland in Kraft traten.

Die weitere Entwicklung des Abfallrechts war unter anderem durch dessen Anpassung an verschiedene umweltrechtliche Vorschriften geprägt. Beispiele dafür sind das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder die Regelung der Mitverbrennung von Abfällen in Kraftwerken und Zementwerken wegen des Notstands der Entsorgung in den abfallrechtlich zugelassenen Verbrennungsanlagen. Mit dem Abfallverbringungsgesetz 1994 gab es darüber hinaus eine Erweiterung der Vorschriften über die grenzüberschreitende Abfallverbringung. Zu erwähnen sind aber auch die zahlreichen Verordnungen, mit deren Hilfe die Anforderungen an die Abfallentsorgung konkretisiert wurden (Klärschlammverordnung, Altölverordnung, Verpackungsverordnung und andere mehr) sowie eine Reihe von Verwaltungsvorschriften, namentlich die erste Verwaltungsvorschrift zum Schutz des Grundwassers (1990), die technische Anleitung Abfall (1991) und die technische Anleitung Siedlungsabfall (1993).

Die Entwicklung der Vorschriften zur Abfallwirtschaft auf europäischer Ebene begann im Wesentlichen mit der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über Abfälle vom 15. Juli 1975. Mit dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz 1994, das 1996 in Kraft trat, setzte die Bundesrepublik den umfassenderen europäischen Abfallbegriff in nationales Recht um. Darüber hinaus wurde die Verantwortlichkeit für die Abfallentsorgung neu geregelt: Damit wurde die Möglichkeit eröffnet, dass private Dritte, Verbände oder Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft für die Abfallentsorgung mit befreiender Wirkung für die Abfallerzeuger (Pflichtenübertragung) verantwortlich gemacht werden können. Die europäische Abfallrahmenrichtlinie 2008 führte 2012 zu einer Novellierung und Umbenennung des Gesetzes, das seither als Kreislaufwirtschaftsgesetz das zentrale Bundesgesetz im deutschen Abfallrecht ist.

Inhalt und Bedeutung der Kreislaufwirtschaft

Der zentrale Begriff im heutigen Abfallrecht ist die "Kreislaufwirtschaft". Nach der Legaldefinition im Kreislaufwirtschaftsgesetz bedeutet Kreislaufwirtschaft die Vermeidung und die Verwertung von Abfällen. Dabei sind die Grundsätze der Abfallvermeidung und der Abfallbewirtschaftung durch die im Kreislaufwirtschaftsgesetz geregelte Abfallhierarchie näher bestimmt.

Adressaten der abfallrechtlichen Pflichten

Zunächst ist festzustellen, dass es seitens der Europäischen Union keine rechtlichen Vorgaben dafür gibt, wie die Zuständigkeiten bei der Abfallentsorgung in den Mitgliedsstaaten zu organisieren sind. Letztlich überlässt sie es den einzelnen Mitgliedsstaaten, auf welche Art und Weise diese unter Beachtung der vorhandenen Organisations- und Verwaltungsstrukturen europäische Vorgaben jeweils in nationales Recht umsetzen und den Vollzug regeln. Dem Verursacherprinzip im Umweltrecht folgend richten sich auch die abfallrechtlichen Pflichten grundsätzlich an die Erzeuger oder Besitzer von Abfällen. Sowohl die Grundpflichten der Kreislaufwirtschaft als auch der Abfallbeseitigung sehen deswegen als Adressaten die Erzeuger und Besitzer von Abfällen vor.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sind die Überlassungspflichten der Erzeuger und Besitzer von Abfällen aus Privathaushalten. Diese Abfälle sind den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern zu überlassen (die nach Landesrecht zur Entsorgung verpflichteten juristischen Personen). Erzeuger und Besitzer von Haushaltsabfällen dürfen diese also nicht in eigener Regie entsorgen. Die Überlassungspflicht besteht jedoch nicht für Abfälle, die einer Rücknahme- oder Rückgabepflicht aufgrund einer Rechtsverordnung unterliegen. Ausgenommen sind also sowohl Abfälle, die zum Beispiel als Verpackung beim Endverbraucher einem kostenlosen Sammelsystem (Duales System) zugeführt werden können, als auch Abfälle, die in Wahrnehmung der Produktverantwortung vom Hersteller freiwillig zurückgenommen werden (etwa verbrauchte Lösemittel im Werkstattbereich) oder durch gemeinnützige oder gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt werden (etwa Altkleider).

Für gefährliche Abfälle bleibt es bei dem Grundsatz der Entsorgungsverpflichtung für Abfallerzeuger und -besitzer, soweit in den einzelnen Bundesländern keine Andienungs- und Überlassungspflichten bestehen. In dem anderen Fall, dass es in einem Bundesland solche Pflichten für gefährliche Abfälle gibt, sind sie der staatlichen Organisation der Sonderabfallentsorgung anzudienen. Von dieser Organisation wird bestimmt und kontrolliert, auf welche Weise die Entsorgung der gefährlichen Abfälle zu erfolgen hat.

Grundsätze der Abfallvermeidung und Abfallbewirtschaftung

Für den Begriff "Vermeidung" sieht der Gesetzgeber eine Begriffsbestimmung vor. Demnach handelt es sich dabei um jede Maßnahme, die ergriffen wird, bevor ein Stoff, Material oder Erzeugnis als Abfall anfällt und die darauf gerichtet ist, die Abfallmenge, die schädlichen Auswirkungen des Abfalls oder den Gehalt an schädlichen Stoffen in Materialien und Erzeugnissen zu verringern.

Neben dem Grundsatz der Abfallvermeidung gelten die Grundsätze der Abfallbewirtschaftung. Diese werden durch die fünfstufige Abfallhierarchie bestimmt, mit folgender Rangfolge der Maßnahmen: 1) Vermeidung, 2) Vorbereitung zur Wiederverwendung, 3) Recycling, 4) sonstige Verwertung, insbesondere energetische Verwertung und Verfüllung, 5) Beseitigung. Nach dieser Hierarchie werden Abfälle einer Behandlungsmaßnahme im Rahmen der Abfallbewirtschaftung zugeordnet.

Als Beurteilungsmaßstab für die jeweils vorzunehmende Einstufung, welcher Abfall welcher Hierarchiestufe zugeordnet wird, dienen das Vorsorge- und Nachhaltigkeitsprinzip sowie ökologische Kriterien, insbesondere Emissionen, Ressourcenschonung, Energieeffizienz und Schadstoffakkumulation. Grundsätzlich ist eine "hochwertige" Verwertung anzustreben, wobei gesetzlich nicht definiert ist, woran sich die Hochwertigkeit bemisst. Auch hier gelten ökologische Kriterien.

Grundsätzlich besteht ein Wahlrecht des Verpflichteten nur bei gleichrangigen verschiedenen Verwertungsmaßnahmen. Vom Vorrang der stofflichen Verwertung zugunsten der sonstigen Verwertung kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn die technische Möglichkeit oder die wirtschaftliche Zumutbarkeit unter Berücksichtigung der sozialen Folgen dem Vorrang des Recyclings oder der Vorbereitung zur Wiederverwendung entgegenstehen.

Letztlich gelten auch für die Unterscheidung zwischen der Vorbereitung zur Wiederverwendung und dem Recycling die ökologischen Kriterien. Auch insoweit entfällt die Pflicht zur Vorbereitung zur Wiederverwendung nur, wenn diese technisch nicht möglich und wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Die vielfältigen Kriterien, die für die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Hierarchiestufen jeweils anzuwenden sind, machen den Vollzug der Abfallhierarchie im praktischen Alltag der Abfallbewirtschaftung schwierig. Dies gilt auch für die behördliche Überwachung der Einhaltung der Pflichten der Kreislaufwirtschaft.

Wirtschaftliche Anreizsysteme zur Umsetzung?

Angesichts der geschilderten Schwierigkeiten beim Vollzug der Grundsätze der Abfallvermeidung und Abfallbewirtschaftung würde es sich anbieten, auch wirtschaftliche Anreize für die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Denn die Kreislaufwirtschaft folgt nicht nur ökologischen, sondern auch ökonomischen Prinzipien. Bei den Entscheidungen über den Umgang mit Abfällen – welcher der vorstehend genannten Stufen der Abfallhierarchie sie zuzuordnen sind – spielen die wirtschaftlichen Interessen der in der Abfallwirtschaft handelnden Akteure eine wichtige Rolle. Das Schicksal eines Abfalls hängt dabei regelmäßig davon ab, welche Kosten mit seiner Entsorgung verbunden sind und in welchem Umfang die Möglichkeit besteht, in betriebswirtschaftlich sinnvoller Weise durch Sortieren oder sonstige Behandlung Stoffe zu gewinnen, die als Sekundärrohstoff in den Kreislauf zurückgeführt werden können.

Diese ökonomischen Erwägungen können in der Entsorgungswirklichkeit dazu führen, dass – auch bei Berücksichtigung der gesetzlich vorgegebenen Kriterien für die Abfallhierarchie im Sinne einer Kreislaufwirtschaft – eigentlich nachrangige Maßnahmen betriebswirtschaftlich günstiger sind als aufwendige Maßnahmen zur hochwertigen stofflichen Verwertung und daher in der Praxis den Vorrang erfahren. Solchen Entwicklungen könnte von staatlicher Seite durch ökonomische Anreize entgegengewirkt werden. Diesbezüglich werden in Fachkreisen unterschiedliche Szenarien diskutiert, zum Beispiel Steuerbegünstigungen für die Kosten hochwertiger Aufbereitungsverfahren, aber auch die Erhebung von Rohstoffabgaben für Primärrohstoffe, wenn diese genutzt werden, obwohl durch Recycling mineralischer Baustoffe gewonnene gleichwertige Ersatzbaustoffe Verwendung finden könnten. Ob solche Anreizsysteme in Zukunft tatsächlich eingeführt und angewendet werden, ist derzeit noch nicht absehbar.

Aktuelle Entwicklungen auf europäischer Ebene

Im April 2018 hat das Europäische Parlament ein sogenanntes Kreislaufwirtschaftspaket verabschiedet. Dabei handelt es sich um ein Rechtssetzungsvorhaben, mit dem gleich eine ganze Reihe zentraler Richtlinien des europäischen Abfallrechts geändert wurden, nämlich 1) die Abfallrahmenrichtlinie, 2) die Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle, 3) die Richtlinie über Abfalldeponien, 4) die Richtlinie über Altfahrzeuge, 5) die Richtlinie über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren sowie 6) die Richtlinie über Elektro- und Elektronikaltgeräte.

Ziele des Kreislaufwirtschaftspakets

Ein wesentliches Ziel des beschlossenen Kreislaufwirtschaftspakets liegt darin, unionsweit die Vermeidung von Abfällen zu fördern. Dazu werden mit der geänderten Abfallrahmenrichtlinie erhöhte Anforderungen an die Mitgliedsstaaten gestellt, Maßnahmen zur Abfallvermeidung unter Einbeziehung des gesamten Lebenszyklus von Produkten zu treffen. Dabei geht es zum Beispiel unter anderem darum, Design, Herstellung und Verwendung von solchen Produkten zu fördern, die ressourceneffizient, langlebig, reparierbar und wiederverwendbar sind.

Auch sollen die Mitgliedsstaaten Instrumente einführen, die darauf abzielen, die Wiederverwendung und Reparatur von Elektro- und Elektronikgeräten, Textilien und Möbeln, Verpackungs- sowie Baumaterialien und Bauprodukten zu unterstützen. Ferner sind Maßnahmen gefordert, die die Verschwendung von Lebensmitteln von der Herstellung über den Vertrieb bis zum privaten Haushalt verringern. Dadurch soll zu dem Ziel der Vereinten Nationen beigetragen werden, bis 2030 die weltweit auf Einzelhandels- und Verbraucherebene anfallenden Lebensmittelabfälle zu halbieren und die Verluste von Lebensmitteln entlang der Produktions- und Lieferkette zu reduzieren. Darüber hinaus soll beispielsweise auch die Bedeutung von kritischen Rohstoffen dadurch gestärkt werden, dass Produkte, die kritische Rohstoffe enthalten, gezielt ausfindig gemacht und, wenn diese zu Abfall werden, gesondert entsorgt werden.

Ein weiteres wesentliches Ziel des europäischen Kreislaufwirtschaftspakets ist es, unionsweit eine qualitativ hochwertige Verwertung der weiterhin anfallenden Abfälle zu erreichen. Dazu werden zum Beispiel die Anforderungen an die Sammlung von Abfällen deutlich erweitert, indem die Mitgliedsstaaten grundsätzlich die getrennte Sammlung von zumindest Papier, Metall, Kunststoffen und Glas sowie (bis 2025) von Textilien einzuführen haben. Ferner haben die Mitgliedsstaaten bis Ende 2023 dafür zu sorgen, dass Bioabfall grundsätzlich entweder an der Anfallstelle getrennt und recycelt oder getrennt gesammelt wird. Darüber hinaus sollen die Mitgliedsstaaten Maßnahmen zur Förderung des selektiven Abbruchs von Bauwerken ergreifen. So soll durch die Einrichtung von Sortiersystemen für Bau- und Abbruchabfälle, bei denen es sich europaweit um die mengenmäßig größte Abfallfraktion handelt, ebenfalls ein hochwertiges Recycling gefördert werden.

Im Interesse der Entwicklung einer europäischen Kreislaufwirtschaft mit einem hohen Maß an Ressourceneffizienz werden in der geänderten Abfallrahmenrichtlinie auch Zielwerte für das Recycling von Siedlungsabfällen vorgegeben und erstmals auch konkrete Vorgaben im Hinblick auf eine einheitliche Berechnung der Recyclingquoten eingeführt. Des Weiteren wird die Kommission bis Ende 2024 in Betracht ziehen, Zielvorgaben unter anderem für die Vorbereitung zur Wiederverwendung und das Recycling für Bau- und Abbruchabfälle, Textilabfälle, Gewerbeabfälle sowie nicht gefährliche industrielle Abfälle festzulegen. Die geänderte Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle enthält unter anderem neue Mindestquoten für das Recycling von Verpackungsabfällen. Die geänderte Richtlinie über Abfalldeponien sieht vor, dass die Menge der auf Deponien abgelagerten Siedlungsabfälle bis zum Jahr 2035 auf höchstens zehn (Gewichts-)Prozent des gesamten Siedlungsabfallaufkommens verringert wird.

Der Erfüllung der Ziele dient auch die Einführung von allgemeinen Mindestanforderungen, wenn aufgrund europarechtlicher Vorgaben die Produktverantwortung der Hersteller über den Herstellungsvorgang und das Inverkehrbringen hinaus auch auf den Rücklauf und die Aufbereitung der Produkte erweitert wird (erweiterte Herstellerverantwortung), wie dies zum Beispiel bei Elektroaltgeräten und Batterien der Fall ist.

Umsetzung in den Mitgliedsstaaten

Das Kreislaufwirtschaftspaket der Europäischen Union ist am 4. Juli 2018 in Kraft getreten. Ab diesem Zeitpunkt haben die EU-Mitgliedsstaaten grundsätzlich zwei Jahre Zeit, um die darin enthaltenen Richtlinien in nationales Recht umzusetzen, soweit nicht im Hinblick auf einzelne Regelungen abweichende Umsetzungszeitpunkte vorgesehen sind. Dabei sind sowohl der gesetzgeberische Umsetzungsaufwand als auch die Auswirkungen der neuen europäischen Vorgaben für die Praxis von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat sehr unterschiedlich zu beurteilen.

Denn während beispielsweise in einigen Ländern wie Kroatien, Griechenland oder Lettland noch der ganz überwiegende Teil des anfallenden Siedlungsabfalls auf Deponien abgelagert wird und die Umsetzung der geänderten Richtlinie für Abfalldeponien für diese Länder daher eine große Herausforderung ist, sind andere Länder wie die Niederlande, Belgien, Dänemark oder Deutschland bereits viel weiter und führen Siedlungsabfälle so gut wie gar nicht mehr Deponien zu. Deutschland hat beispielsweise auch schon die spätestens bis Ende 2023 einzuführende Pflicht zur Getrenntsammlung von Bioabfällen in nationales Recht umgesetzt. Vor diesem Hintergrund stehen in Deutschland andere Themen im Zentrum der öffentlichen Debatte, etwa die geänderten Recyclingquoten für Siedlungsabfälle (55 Prozent im Jahr 2025, 60 Prozent 2030 und 65 Prozent 2035). Da im Kreislaufwirtschaftspaket eine Änderung der Quotenberechnung sowohl für Siedlungsabfälle als auch für Verpackungsabfälle gegenüber der bisherigen Berechnungsweise vorgesehen ist, dürften die bislang hohen Recyclingquoten in Deutschland künftig deutlich niedriger ausfallen.

Ausblick

Mit den im Kreislaufwirtschaftspaket für die Abfallwirtschaft in Europa flächendeckend vorgesehenen Maßnahmen zur Behandlung von Siedlungsabfall vor dessen Ablagerung auf Deponien (Beseitigung) kann ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden, weil das Entstehen methanhaltiger Gase infolge der "Kaltverbrennung" (Oxidation) biologisch abbaubarer Abfälle im Deponiekörper weitgehend verhindert wird. Dies zeigen unter anderem die Erfahrungen, die in Deutschland seit Einführung der Vorbehandlungspflicht für Siedlungsabfall gemacht wurden.

Ebenso werden durch das Recycling (stoffliche Verwertung) die natürlichen Ressourcen geschont und zugleich der Einsatz von Energie erspart, wenn die Rohstoffe in Abfällen zurückgewonnen werden und insoweit nicht aus Primärrohstoffen energieintensiv aufbereitetet werden müssen. Darüber hinaus kann durch die thermische Behandlung von Abfällen zugleich auch in erheblichem Umfang Energie aus Abfall gewonnen und somit Energie aus fossilen Energieträgern ersetzt werden.

Dies zeigt, dass in der Abfallwirtschaft im Interesse des Umweltschutzes wichtige Beiträge geleistet werden können und es sich lohnt, die Anstrengungen für die weitere Entwicklung zu einer ökologischen Abfallwirtschaft auch in Zukunft zu verstärken.

ist Architekt, Stadtplaner, promovierter Ingenieur und Jurist sowie Honorarprofessor an der RWTH Aachen. Als Gründungspartner der Sozietät Köhler & Klett in Köln berät er unter anderem Unternehmen und Industrieverbände aus der Recycling- und Entsorgungswirtschaft zu umweltrechtlichen Fragestellungen. E-Mail Link: w.klett@koehler-klett.de

ist promovierter Jurist und Partner der Sozietät Köhler & Klett in Köln. Schwerpunkte seiner anwaltlichen Tätigkeit sind unter anderem Umweltrecht sowie Handels- und Gesellschaftsrecht an der Schnittstelle zum Umwelt-, Technik- und Umweltvertragsrecht. E-Mail Link: h.weishaupt@koehler-klett.de