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Erkundungen in Ostdeutschland - Essay | Rechtsextremismus | bpb.de

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Erkundungen in Ostdeutschland - Essay

Annette Ramelsberger

/ 15 Minuten zu lesen

Nicht mehr dumpfe Stiefelträger bestimmen das Bild des Rechtsextremismus. Es ist mehr eine kulturelle Unterwanderung als eine politische Auseinandersetzung, die vor allem in vielen ländlichen Gebieten Ostdeutschlands stattfindet.

Einleitung

Erst erhebt sich nur einer. Ein junger Mann mit Ring im Ohr. Ganz lässig steht er auf, schnappt sich das Mikrofon und sagt dem SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering ins Gesicht, dass er ihn für den Vertreter eines Unterdrückerstaates hält. "Wo gibt es denn hier Meinungsfreiheit?", fragt der junge Mann ins Mikro, "wo wir noch nicht einmal am Holocaust-Denkmal in Berlin vorbeimarschieren dürfen?" Der Mann zieht sein Hemd aus. Darunter hat er ein T-Shirt, auf dem steht: "Schöner leben mit Nazi-Läden". Neben ihm ziehen andere ihre Hemden aus. Auf ihren T-Shirts steht: "Ehre den mutigen Söhnen Europas".


Die Rechtsextremisten stehen nicht in der hintersten Reihe, sie rufen nicht aus der Ferne, sie haben sich mitten in der Aula des Oberstufenzentrums I in Cottbus aufgebaut, und sie tun nichts, aber auch gar nichts, um sich zu verstecken. Sie wollen provozieren. Franz Müntefering ist nach Cottbus gekommen, um über Toleranz und Integration zu reden, er unterstützt das Oberstufenzentrum, das eine israelische Partnerschule hat. Und nun steht hier eine ganze Reihe von jungen Männern und sagt zu Müntefering: "Unsere Meinung ist nicht radikal, sondern nur der Zeit angepasst."

Müntefering bleibt ganz ruhig. Er betrachtet die Phalanx der Kameraden im schwarzen T-Shirt mit Interesse, aber nicht mit Entsetzen. Er regt sich nicht auf, er wendet sich auch nicht ab mit diesem Ausdruck hilflosen Ekels, den man so oft beobachtet, wenn Politiker erstmals hautnah auf Extremisten stoßen. Er versucht es mit dem Einzigen, was solche Auftritte entzaubert: mit sachlichen, unaufgeregten Argumenten. Müntefering sagt den Extremisten in der Cottbuser Aula: "Die Demonstration am Holocaust-Denkmal war als Provokation gedacht. Sie wollten sich lächerlich machen darüber. Und wir dürfen gegen Intoleranz nicht tolerant sein." Deshalb habe der Bundestag das Versammlungsrecht verschärft, und zwar völlig zu Recht. Ein zweiter "Kamerad" steht auf, holt sich das Mikrofon und fragt: "Und wie erklären Sie sich, dass sich viele Bürger uns anschließen?" - "Das ist ja unser Problem", antwortet Müntefering, und wird jetzt fast ein wenig ironisch. "Wenn Sie es ganz allein wären, würden wir uns nicht darüber unterhalten. Aber seien Sie sicher: Sie werden keine Chance in Deutschland haben."

Es sind Szenen wie diese, in denen Politikern, aber auch Lehrern und Schülern, Lehrherren und Kollegen, etwas abverlangt wird, was viele Jahre lang manchmal ein wenig lächerlich wirkte, zumindest aber ziemlich pathetisch: das Bekenntnis zu diesem demokratischen Staat. Und das auch noch wohl begründet. Im Schlagabtausch gegen Extremisten, die in Wochenendseminaren geschult werden und oft braunes Gedankengut verbreiten, das auf den ersten Blick sehr eingängig erscheint. Es ist eine Herausforderung. Eine, die nicht nur in der Aula wartet.

Es war ein ganz normaler Samstagabend, und Juliane Stamm freute sich auf eine Heavy-Metal-Party in ihrer Lieblingsdisko "Phono" in Zittau. Sie stand an der Bar, der Typ neben ihr war witzig, sie unterhielten sich - über die Musik, die Bierpreise, was jeder denn so mache. Sie habe gerade ihr Abitur bestanden, sagte Juliane. Dann kam der Satz. Und Juliane überlegte, ob sie jetzt wirklich reagieren sollte. An diesem netten Abend, in dieser netten Disko. Der Typ hatte gesagt: "Ich bin national engagiert."

Juliane Stamm, 19, hätte einen angenehmen Abend haben können, wenn sie den Satz einfach überhört hätte. Sie überhörte ihn aber nicht. "Moment mal", sagte sie, "was hast du gesagt?" Da drehte der freundliche Typ an der Bar auf: Arbeitsplätze nur für Deutsche, Grenze dicht zu Polen, nur deutsche Produkte in deutschen Haushalten. Juliane war an den Vorstand des nationalen Jugendklubs von Zittau geraten. "Aber ihr fahrt doch auch nach Polen und tankt billig", hielt sie ihm vor. "Das sind die alten deutschen Ostgebiete", erklärte ihr der junge Mann. Die könne "der Deutsche" doch wohl nutzen. Fast eine Stunde lang lieferte sich Juliane ein Wortgefecht mit dem Rechtsextremisten. Der hatte Detailwissen, da konnte sie einfach nicht mithalten. "Ich bin irgendwann ausgestiegen", sagt sie. Noch immer nagt das in ihr.

Ihr Kontrahent hatte geschichtliches Pseudowissen parat, das er als Waffe einsetzte im Kampf gegen die Demokratie. Die Rechtsextremisten benutzen jetzt Schulungsmaterial, das Unterlagen der Bundeszentrale für politische Bildung optisch ähnelt - nur, dass es über "Grundlagen des nationalen Welt- und Menschenbildes" informiert, erklärt, wo "die nordische Rasse" herstamme, und das christliche Werte verächtlich macht. Das Heft sei "eine politische Waffe in den Händen jedes nationalen Aktivisten und besonders gut auch für die Arbeit in Gruppen und Kameradschaften geeignet", preist der Verlag "Volk in Bewegung" sein Werk an. Der Chef der rechtsextremistischen NPD Udo Voigt hat längst ein Schulungszentrum hinter der Parteizentrale in Berlin-Köpenick eingerichtet - mit Schlafmöglichkeiten für angereiste Kameraden. Dort werden die jungen Kader gedrillt. In Dresden wollen sie sich sogar eine "Dresdner Schule" zurechtbasteln - eine rechtsextremistische Denkfabrik, angelehnt an die legendäre linke Frankfurter Schule.

Auf solcherart geschulte Kader stoßen Lehrerinnen und Lehrer immer öfter. Nicht mehr dumpfe Stiefelträger bestimmen das Bild, es treten alerte, kluge Herren auf, denen man den Rechtsextremismus nicht sofort ansieht. Es ist mehr eine kulturelle Unterwanderung als eine politische Auseinandersetzung, die vor allem in vielen ländlichen Gebieten der ostdeutschen Bundesländer stattfindet. Seit vier Jahren beobachtet der Cottbuser Schulleiter Fritz-Rudolf Holaschke das Phänomen. "Die Rechten sind äußerlich nicht mehr zu erkennen. Wir hatten hier einen jungen Mann, der nie aufgefallen ist, auch nicht bei Diskussionen im Unterricht." Dann kam der Hinweis, der Junge sei aktives Mitglied einer radikalen Kameradschaft. Der Lehrer sprach ihn darauf an. "Na und?" kam als Antwort zurück. "Habe ich Ihnen je ein Problem bereitet?" Dem Kameraden war nicht beizukommen. Er verhielt sich unangreifbar, er war geschult. "Hohe Schule", sagt der Schulleiter bitter. Der junge Mann hat mittlerweile sein Abitur geschafft. "Der wird seinen Weg machen", sagt Holaschke.

Weil die NPD keine Chance auf einen Einzug in den Bundestag hat, versucht sie, das Klima in Städten und Gemeinden zu bestimmen. Vielleicht ist es die Sache mit den Heizkörpern, die manches erklärt. Zwei Heizkörper in einem Jugendclub in einem kleinen Dorf bei Königstein in der Sächsischen Schweiz. Pfaffendorf heißt der Ort, und außer dem Steinkreuz am Dorfbach, unter dem ein Eremit begraben liegt, gibt es nicht sehr viel Erwähnenswertes. Außer den zwei Heizkörpern natürlich. Die standen auf einer Liste, die der NPD-Stadtrat Uwe Leichsenring im Sommer 2004 dem örtlichen Bürgermeister vorlegte. Mit dringlichen Fragen: Ob der Bürgermeister denn wisse, dass die zwei Heizkörper im Jugendclub kaputt sind? Und was er wohl dagegen zu tun gedenke? Bürgermeister Frieder Haase (parteilos) wunderte sich erst über das reiche Detailwissen des NPD-Mannes. Dann wunderte er sich nicht mehr: Ein 18-Jähriger rief an und entschuldigte sich etwas verlegen, dass er es wohl war, der die Heizkörper zum Politikum gemacht habe. Er habe seinem Fahrlehrer Leichsenring während der Fahrstunde halt ein bisschen erzählt, was alles so los sei.

Uwe Leichsenring, Mitglied im Bundesvorstand der NPD, Abgeordneter im sächsischen Landtag und Direktkandidat der NPD bei der Bundestagswahl, ist der örtliche Fahrlehrer in Königstein. Durch seine Hände geht die Landjugend, wenn sie den Führerschein machen will. Und sie hat dabei nicht das Gefühl, bei einem Extremisten einzusteigen. "Der Uwe" ist doch ganz normal, heißt es. "Der geht zu Festen so wie jeder andere", berichtet auch Bürgermeister Haase. "Der geht auch zum einzigen Vietnamesen hier einkaufen." Obwohl seine Partei dafür ist, Ausländer sofort nach Hause zu schicken und auf den Wahlplakaten fordert: "Grenze dicht!"

Leichsenring ist der Prototyp des neuen NPD-Funktionärs, der die rechtsextremistische Partei gesellschaftsfähig zu machen versucht. Er ist 38, trägt gerne Anzug und weißes Hemd, das Handy stets am Ohr. Verbindlich, bürgerlich. Es ist derselbe Mann, der sagt: "Es geht darum, Strukturen aufzubauen, um bereit zu sein, wenn es mal zum Aufstand Ost kommt."

"Wölfe im Schafspelz" nennt der Verfassungsschutz Funktionäre wie Leichsenring. Einige dieser lächelnden Wölfe streifen durch Sachsen, und sie treffen auf junge Leute, für die die NPD keine extremistische Partei mehr ist. Adrette Jugendliche, die auf dem Marktplatz der hübschen, herausgeputzten Touristenstädte stehen und sich als "ganz normal" bezeichnen oder als "relativ neutral". Aber die die Lonsdale-Kultklamotten tragen - Kult wegen des "nsda" in der Mitte des Namens. Und die sagen, sie seien "nicht rechts, sondern nur national", und damit längst den Sprachgebrauch der Neonazis übernommen haben. Man trifft freundliche Jugendliche, die gar nicht kurz geschoren sind und auch keine Springerstiefel tragen. Sie sagen: "Mir ist egal, ob einer rechts ist, Hauptsache, man kann gut reden." Das Bekenntnis zur Demokratie, das ist hier keine entscheidende Kategorie.

Es stehen seltsame Kreuze an den Straßen Vorpommerns. Die Querbalken weisen schräg nach unten, und nach oben laufen sie spitz wie Pfeile zu. Die Kreuze erinnern an Verstorbene, die hier mit ihren Autos an den Straßenbäumen zerschellten - sehr spezielle Verstorbene: Rechtsradikale, die alles Christliche ablehnten und nun auch im Tod nicht mit einem christlichen Symbol belästigt werden sollen. An den Bäumen Vorpommerns stehen immer öfter solche hölzernen Runen. Und im Telefonbuch des Städtchens Anklam wirbt der Dachdecker Mirko Gudath mit einer Lebensrune für seine Dienste - für jeden Neonazi sofort als Zeichen der eigenen Szene erkennbar. Gudath ist einer der Anführer der rechtsradikalen Kameradschaft Anklam, im örtlichen Anzeigenblättchen darf der "Jungunternehmer" für seine Heimatverbundenheit werben und erzählen, dass er "geschichtlich sehr interessiert" sei - durchaus, an der Heroisierung des Nationalsozialismus nämlich.

Was sich in Anklam zeigt, ist Teil einer Strategie, die "kulturelle Subversion" heißt und nur eines bedeutet: Rechtsextremisten wollen Einfluss auf die Gesellschaft, auf die Kultur gewinnen - auf dem leisen Weg durch die Institutionen. Das Internetforum "Störtebeker-Netz" ruft die Rechtsextremisten sogar dazu auf, sich als Schöffen zur Verfügung zu stellen. Damit könne jeder Bürger "sein individuelles Rechtsempfinden zumindest teilweise in einen Gerichtsbeschluss einfließen lassen". Im Klartext heißt das: Neonazis, unterwandert die Gerichte! Und wenn wieder ein Skinhead vor Gericht steht, dann könnt ihr auf Bewährung und Milde hinwirken. Mittlerweile befürchten Eltern in Vorpommern, dass Neonazis demnächst in den Schulen mitbestimmen. Viele der rechtsextremen Kader haben Kinder, die demnächst in die Schule kommen, und sie werden in die Elternvertretungen streben. Mittlerweile veranstalten "Kameradschaften" in Vorpommern Kinderfeste und Volleyballturniere, dazu gibt es Bratwurst. "Es wird um gepflegtes Äußeres gebeten (kein Skinhead-Look)", steht auf den Einladungen. "Verbotene Symbole und Parolen sind unerwünscht."

Wie verteidigt man die Demokratie, da draußen in den Schulen, in den Jugendklubs, an den Stammtischen? Wo doch die Rechtsextremisten schon so normal geworden sind? Wo doch alle ständig nur über "die" Politiker schimpfen? Wie erklärt man die Chancen der Globalisierung, wenn die Deutsche Bank Höchstgewinne einfährt und danach ankündigt, 6 000 Arbeitsplätze abzubauen? Was hat man für Argumente, wenn die NPD fordert, dass Konzerne, die Millionen an Steuergeldern erhalten haben, erst die Subventionen zurückzahlen müssen, wenn sie ins Ausland gehen? Das hört sich doch sehr gut an. Selten, sehr selten liefert die NPD selbst ein gutes Gegenargument. Zum Beispiel, als im Sommer entdeckt wurde, dass sie ihr Parteiorgan, die "Deutsche Stimme", nicht bei Druckereien in Deutschland, sondern in Tschechien herstellen lässt - um Kosten zu sparen. Da fiel der Vorwurf der Lohndrückerei plötzlich auf sie selbst zurück.

Meistens ist die Auseinandersetzung viel schwerer. Und oft werden ungeübte Kommunalpolitiker Opfer ihrer Naivität. Wie zum Beispiel bei einer Diskussionsveranstaltung im sächsischen Pirna. Auf dem Podium saßen der Landrat, ein Politikprofessor, der Bürgermeister und der Superintendent der evangelischen Kirche. Und dann tauchte der NPD-Landtagsabgeordnete Uwe Leichsenring auf, eskortiert von 60 strammen Kameraden. Der Superintendent versuchte es mit Höflichkeit und bat den NPD-Abgeordneten, er solle doch bitte seine politischen Absichten erläutern. Leichsenring sagte, das sei doch alles etwas komplex, der Herr Superintendent könne sich gern einen Termin bei ihm im Landtag geben lassen. Punktsieg. Der Landrat versuchte es mit Fraternisierung: Die Herren sollten sich beruhigen, er sei doch auch Mitte rechts. Man könne doch miteinander reden. Punktsieg. Als Leichsenring abzog, hinterließ er ein hilfloses, ein geschlagenes Podium.

Es geht auch anders. Dafür aber muss die Lageanalyse stimmen. Ohne Lageanalyse keine vernünftige Reaktion, sagt Markus Ulbig. Ulbig ist Oberbürgermeister von Pirna, 40, katholisch, verheiratet, vier Kinder, in der CDU. Und weil Ulbig die Lage analysiert hat, weiß er, was es bedeutet, wenn der junge NPD-Stadtrat Marko Liebscher einen Stand auf dem von der Stadt organisierten "Markt der Kulturen" haben will. "Das ist ein Angriff", sagt Ulbig. Und auf diesen Angriff reagiert er - kühl und durchdacht. Deshalb erhielt Liebscher ein zweiseitiges Schreiben, gespickt mit Zitaten aus seinem eigenen Wahlkampf. Der "Markt der Kulturen", schrieb Bürgermeister Ulbig, wolle sich für Völkerverständigung und die Integration ausländischer Bürger einsetzen. Die NPD aber spreche in ihrer Wahlwerbung von "inländerfeindlicher Integrationspolitik" und davon, dass die "Masseneinwanderung das Heimat- und Selbstbestimmungsrecht" der Deutschen verletze. Deswegen könne die Anmeldung eines Standes zu diesem Markt ausgerechnet durch ein NPD-Mitglied nur als Provokation verstanden werden. Provokation - da würden andere Stadtväter zusammenzucken. Ulbig aber sagt: "Wir können nicht im stillen Kämmerlein agieren. Wir müssen die Auseinandersetzung öffentlich machen." Ulbig hat Recht behalten mit seiner Lageeinschätzung: Als das Fest der Kulturen im Juli 2005 stattfand, stürmten NPD-Sympathisanten die Bühne und reckten Plakate hoch. Es ging darum zu zeigen, wer der Stärkere ist.

Dietmar Schneider ist der Jugendamtsleiter von Pirna. Er tut etwas Seltsames: Er verunsichert junge Leute. "Ihr schreit ständig nach Ordnung, aber selber schwänzt ihr die Schule", sagt Schneider den Jungs, mit denen er sich in Reinhardtsdorf-Schöna getroffen hat, dort, wo die NPD bei der Landtagswahl 2004 in Sachsen 23,1 Prozent erhielt. "Ihr sagt: Nur deutsche Produkte, aber ihr fahrt einen Fiat. Ihr erzählt mir von arischer Rasse, blond, groß, schlank. Ich sage: Blond wie Hitler, groß wie Goebbels, schlank wie Göring." - "Überlegt euch genau", sagt Schneider, und nimmt die Jungs ins Visier, "ob der Adolf euch vor oder hinter den Zaun gestellt hätte."

Konspirative Verunsicherung nennen Wissenschaftler das - die Rechtsextremisten mit ihren eigenen Argumenten schlagen. Manchmal funktioniert so etwas sogar im Landtag - dem von Brandenburg zum Beispiel. Dort berieten die Abgeordneten im Frühjahr 2005 über den Ärztemangel auf dem Land. Händeringend suchen die Gemeinden nach ausländischen Ärzten. Aber die zögen bald wieder weg, erklärten die zuständigen Beamten. "Gibt es denn gar keine Möglichkeit, um ausländische Ärzte in der Region zu halten?", fragte ausgerechnet die Abgeordnete der Deutschen Volksunion (DVU), Birgit Fechner. Die SPD meinte darauf trocken: Die DVU-Frau solle mal in ihrer Klientel darauf hinwirken, dass die Ausländerfeindlichkeit abnehme, vielleicht blieben dann die Ärzte. Punktsieg - einmal andersrum.

Betritt man die Parteizentrale der NPD in der Seelenbinder Straße 42 in Berlin-Köpenick, muss man zunächst durch die Niederungen der Partei. Die Jalousien sind halb heruntergelassen, im Windfang mustert einen durch die Glasscheibe ein Mann, der auf seinem schwarzen T-Shirt den Spruch trägt: "Odin statt Jesus". An die Garderobe hat einer der Kameraden seinen Schal gehängt, weiß-rot-schwarz, mit der großen Zahl 88 darauf. Die Acht ist der achte Buchstabe des Alphabets, die 88 bedeutet in der Zeichensprache der Neonazis HH, Heil Hitler. Um die Ecke biegt ein baumlanger Jüngling mit bis über die Ohren hoch rasiertem Haar. Im ersten Stock der Parteizentrale liegt die Beletage, ein helles Sekretariat, Räume voller sortierter Akten, dann das Zimmer des Parteivorsitzenden - Laptop auf dem Schreibtisch, Fahnenständer im Rücken, Bilder von Menschenmassen bei NPD-Treffen in der Passauer Nibelungenhalle an der Wand.

Doch das ist eigentlich alles schon Vergangenheit - die Zukunft der Partei liegt quer über dem Hinterhof. Hier weht an einem fünf Meter hohen Fahnenmast die schwarz-weiß-rote Parteifahne. "Immer, jeden Tag", sagt Udo Voigt, der Parteichef. Dann führt der Hauptmann a. D. in den frisch ausgebauten Trakt, zeigt die neuen Duschen, die Zimmer mit den Stockbetten für Kameraden, die hier billig übernachten können, wenn sie aus der ganzen Republik zur "nationalen Fortbildung" zusammenkommen. "Wie argumentiere ich am Stand in der Fußgängerzone? Was passiert, wenn die NPD regiert? Warum ist die Bundesrepublik ein Vasallenstaat?" Voigt spult die Lehrgangsthemen für den rechtsradikalen Nachwuchs herunter, ohne nachdenken zu müssen. Er hat jahrelang selbst die Jungkader unterrichtet, oft in verrauchten Gaststätten. Doch die Zeit der Hinterzimmer ist vorbei. Die NPD hat Geld seit ihren Wahlerfolgen im Saarland (4,0 Prozent) und in Sachsen (9,2 Prozent); allein die Fraktion im Sächsischen Landtag erhält fast 120 000 Euro aus Steuergeldern - jeden Monat. Nun sei die Zeit angebrochen, mit der "Hobby-Politik" aufzuhören, sagt Voigt. "Politprofis" müssten nun ran, die mit kühlem Kopf agierten. "Operationsbasen" werde man einrichten. Bundesweit.

Die kleinste und radikalste der rechtsextremistischen Parteien in Deutschland ist innerhalb weniger Jahre die politisch gefährlichste geworden. Sie hat eine Sogwirkung am rechten Rand des Parteienspektrums entfaltet. "Sie ist das Gravitationszentrum der rechten Szene", sagt Hamburgs Verfassungsschutz-Vize Manfred Murck. In letzter Zeit ist eine ganze Reihe von Rechten zur NPD übergelaufen: der Chef der Schill-Partei in Schleswig-Holstein, der Vorstand der Hamburger "Republikaner" samt vielen Mitgliedern. Schon vor der Sachsen-Wahl war die sächsische "Republikaner"-Chefin Kerstin Lorenz zur NPD übergetreten - jene Frau Lorenz, durch deren plötzlichen Tod im Bundestagswahlkampf ein ganzer Wahlkreis in Dresden erst zwei Wochen später wählen durfte. Der frühere REP-Chef Franz Schönhuber, lange der NPD-Konkurrenz von der DVU verbunden, hatte sofort den Posten von Lorenz eingenommen und sich als Direktkandidat aufstellen lassen.

Udo Voigt ist der Mann, der die Partei auf Vordermann gebracht hat. Der die strategischen Bündnisse geschmiedet hat, mit der DVU, mit den freien Kameradschaften. Mit 16 ist Voigt in die NPD eingetreten. Für die Partei brachte er ein Opfer, das ihm sehr wehgetan haben muss: die Karriere bei der Bundeswehr. Er diente in Freising bei der Flugabwehreinheit, sollte die Raketen des Warschauer Pakts abschießen, bevor sie im Westen einschlugen. Als der Militärische Abschirmdienst ihn 1984 vor die Alternative stellte: NPD oder Bundeswehr, da entschied er sich für die Partei. Er stellt jetzt alles, was er bei der Bundeswehr gelernt hat, in den Dienst der Partei. "Ich fühle mich noch als Soldat", sagt Voigt. Selten war der Begriff Parteisoldat so zutreffend.

Voigt hat die NPD geöffnet: für freie Kameradschaften, für ehemalige Schläger, für verurteilte Verbrecher. 1998, im Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern, zog er von einem Skinheadtreffen zum anderen. Im Schlepptau hatte er einen zu 13 Jahren Haft verurteilten Rechtsterroristen: Manfred Roeder, der einen Brandanschlag auf Vietnamesen angezettelt hatte, bei dem zwei junge Männer verbrannten. Voigt hat keine Berührungsängste.

Und er stellt Leute nach vorn, die anders wirken: Peter Marx, den NPD-Chef aus dem Saarland, der nun die Fraktion im Sächsischen Landtag promotet, oder diese jungen, eifrigen Herren, die auf "ekelhafte Weise intelligent sind", wie das der sächsische SPD-Fraktionsvorsitzende Cornelius Weiss formulierte. Nun bekommen die NPD-Abgeordneten sogar Rhetorikkurse. Politur für die Partei. Die sollen verhindern, dass die Wähler bemerken, welche Anzahl an Straftätern Voigt um sich geschart hat. Sein "Ordnungsdienstleiter" Manfred Börm wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er 1978 ein Waffendepot der Bundeswehr überfallen hat. Für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein hatte die NPD Heino Förster aufgestellt, der 1993 wegen versuchten Mordes an Asylbewerbern zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Muss Voigt nicht fürchten, seine NPD werde nur als Verbrecherbande wahrgenommen? "Das müssen Sie der Partei überlassen", sagt er, und seine grau-blauen Augen werden kalt. In seiner Logik gibt es keine rechten Straftäter: Entweder seien sie fälschlich verurteilt oder politisch verfolgt.

"Wir fragen nicht, was einer früher gemacht hat, sondern was er jetzt bereit ist, für Deutschland zu tun", ist die stereotype Antwort des Parteichefs auf Fragen nach Straftätern in den eigenen Reihen. Die NPD spricht von einer "Resozialisierung" radikaler Kräfte. So recht scheint sie an ihren Erfolg dabei nicht zu glauben: Bei Parteitagen der NPD müssen sich Journalisten - ganz anders als bei anderen Parteitagen - von den Delegierten fern halten, Fragen sind nicht erlaubt, wer es trotzdem versucht, wird vom "Ordnungsdienst" hinauskomplimentiert.

Jedes Mal, wenn ein NPD-Mitglied zu sprechen bereit ist, ist auch schon Manfred Börm da. Der Mann ist "Bundesordnungsleiter" der NPD. Er dirigiert die Leibwächter, die auf den Parteitagen der NPD jeden Schritt beobachten. Der Mann ist 55, durchtrainiert. Weißes Hemd, schwarze Hose, am Gürtel ein Handy, im Ohr ein Funkknopf. Helle Augen hat Börm und hagere Züge. Er hat die Eigenschaft, die Temperatur im Raum innerhalb von Sekunden zu senken.

Börm lässt seine Bewacher die Privatadressen der Journalisten aufschreiben, die über den Parteitag berichten. Angeblich eine Anweisung der Polizei, um Störer herauszufiltern. Doch die Polizei weiß nichts von so einer Anweisung. Börm hat eben gern die Kontrolle, und Angst ist etwas, das er offenbar gerne verbreitet. Am Abend steht Börm vor dem Eingang zum NPD-Parteitag. Er hat jetzt alle Journalisten hinaus befördert, sie sind für ihn Vertreter des Feindes. Er sieht sie an mit einer Mischung aus Abscheu und Kälte. Seit Blick schweift von ihnen weg ins Abendrot. "Wir werden es ja erleben", sagt er, den Tag, an dem die NPD und Leute wie er in Deutschland das Sagen haben werden. Dann würden alle, die jetzt Verantwortung tragen, gehen müssen. Wohin, das lässt er offen.

Auf ihrer "Schulhof-CD", die die NPD zur Bundestagswahl vor Schulen verteilte, machte sie deutlich, wie sie sich den Umgang mit demokratischer Öffentlichkeit vorstellt. Die Band "Noie Werte" singt darauf: "Ich kenne deinen Namen, ich kenne dein Gesicht, Du bist die Faust nicht wert, die deine Nase bricht."

Dipl.-Journalistin, geb. 1960; politische Berichterstatterin für die "Berliner Zeitung", "Der Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" (SZ). Parlamentsredaktion der SZ, Französische Straße 47, 10117 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: annette.ramelsberger@sueddeutsche.de