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China als Akteur der Weltpolitik | China | bpb.de

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China als Akteur der Weltpolitik

Xuewu Gu

/ 15 Minuten zu lesen

Chinas Aufstieg zur Großmacht geht mit wachsendem nationalen Selbstbewusstsein einher. Geostrategisch treibt die Volksrepublik ein gelassenes Machtspiel mit den USA, flirtet diplomatisch mit Europa, umwirbt Russland als ein strategisches Hinterland, stabilisiert ihr regionales Umfeld und versucht, auch in Afrika Fuß zu fassen.

Einleitung

Die Volksrepublik China hat sich dank ihres ununterbrochenen Wirtschaftswachstums von durchschnittlichen acht bis neun Prozent seit Beginn der Reformen zu einem regelrechten Powerhaus der Weltwirtschaft entwickelt. Seit 2004 rangiert das Reich der Mitte als die drittgrößte Handelsnation nur noch hinter den Vereinigten Staaten und Deutschland, aber vor Japan, Frankreich, Italien und Großbritannien. Die unmittelbare Konsequenz dieser wirtschaftlichen Erfolge ist ein neues China, das immer selbstbewusster, souveräner und aktiver versucht, die Weltpolitik der Gegenwart mitzugestalten. Insbesondere dort, wo ihre vitalen Interessen im Spiel sind, bemüht sich die Volksrepublik, sich gut zu positionieren. Dies gilt sowohl für ihr gelassenes Machtspiel mit der Supermacht USA als auch für ihr strategisches Flirten mit den europäischen Staaten. Aber auch die Vorstöße zur Stabilisierung des regionalen Umfeldes im Asien-Pazifik-Raum, die Umwerbung von Russland und der Vormarsch nach Afrika gehören zu außen- und sicherheitspolitischen Aktivitäten der Regierung in Beijing (Peking), mit denen das chinesische Interesse gegenüber anderen weltpolitischen Akteuren durchgesetzt werden soll.

Das gemäßigte Machtspiel mit den USA

Das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten stellt für die chinesische Regierung die "Priorität innerhalb der Prioritäten" (zhongzhong zhi zhong) der chinesischen Außen- und Sicherheitspolitik dar. So ist vor allem die Sicherheitslage der Volksrepublik China durch die Militärpräsenz der Vereinigten Staaten in Ostasien geprägt. Die 100 000 Mann der US-Streitkräfte, die in erster Linie in Japan und Südkorea stationiert sind, bilden den Ausgangspunkt für jede chinesische Sicherheitskalkulation. China muss sich damit abfinden, dass sein Küstenumfeld durch eine außerregionale Seemacht kontrolliert wird, die zugleich die einzige Supermacht der Welt darstellt.

Chinas sicherheitspolitische Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten besteht auch darin, dass das Schicksal Taiwans, dessen Rückführung in den chinesischen Staat von der Regierungsklasse in Beijing als das Kardinalinteresse der chinesischen Nation des 21. Jahrhunderts identifiziert wird, in der Hand von Washington liegt. Das Risiko, dass eine Militärintervention auf Taiwan China in einen Krieg mit der Supermacht USA hineinreißen könnte, mäßigte bislang die chinesische Führung bei ihren Anstrengungen nach einer Wiedervereinigung mit der Inselrepublik.

Jedoch ist sich die Volksrepublik China auch ihrer Position gegenüber den USA bewusst. Vor allem sieht sie sich als Ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat auf gleicher Augenhöhe mit den USA. Mit seinem Vetorecht kann Beijing Washingtons politische Vorhaben in New York blockieren, auch wenn dieses bislang nur selten eingesetzt worden ist. Aber allein eine Vetodrohung reicht manchmal schon aus, um die Amerikaner in Schwierigkeiten zu bringen. Der wegen mangelnder völkerrechtlicher Legitimation kritisierte Irakkrieg und der Zwang zum Kompromiss bei der Verabschiedung der internationalen Sanktionen gegen Sudan sind nur zwei Beispiele dafür, dass Washington bei der Verfolgung seiner Zielsetzungen in bestimmten Konstellationen an Beijing nicht vorbeikommen kann. Auch die Umwerbung Chinas durch die Bush-Regierung beim Atomstreit mit Iran und Nordkorea veranschaulicht das Potenzial des chinesischen Einflusses auf die amerikanische Außenpolitik.

Neben dieser traditionellen Vetomacht hat China auch moderne Einflussmöglichkeiten gegenüber den USA entwickelt. So besteht für das Land heute die Möglichkeit, den amerikanischen Finanzmarkt zu beeinflussen, wenn auch nur in einem begrenzten Umfang. China verfügt heute mit mehr als 950 Milliarden US-Dollar über die größten Devisenreserven der Welt. 70 Prozent davon entfallen auf die amerikanische Währung bzw. amerikanische Wertpapiere. Allein in die Staatsanleihen der Vereinigten Staaten hat die chinesische Regierung 250 Milliarden US-Dollar investiert, mit der Konsequenz, dass die amerikanischen Staatsschulden praktisch von China mitfinanziert werden. Die Perspektive, durch Reduzierung bzw. Erhöhung des Anteils der amerikanischen Währung an den chinesischen Devisenreserven die Abwertung bzw. Aufwertung des US-Dollars beschleunigen und damit das amerikanische Wirtschaftsleben beeinflussen zu können, wird von den chinesischen Strategen zunehmend erkannt.

Moderne "Hebelkraft" gegenüber den USA entwickelt sich auch aus der Verflechtung der amerikanischen Volkswirtschaft mit der chinesischen. Ein jüngerer Forschungsbericht aus Oxford veranschaulicht, dass die Vereinigten Staaten mit Wachstumsrückgang und Inflationssteigerung rechnen müssten, wenn sie ihre Wirtschaftsbeziehungen zu China abbrächen. Hingegen werde das amerikanische Bruttoinlandsprodukt 2010 im Vergleich zu 2001 bei einer engen Wirtschaftskooperation mit China um 0,7 Prozent höher sein als ohne Geschäfte mit China und die Preise um 0,8 Prozent niedriger. Auch die real verfügbaren Einkommen der amerikanischen Haushalte sollen im Fall einer engen Kooperation mit China zusätzlich um rund 1 000 US-Dollar steigen.

Vor dem Hintergrund, dass die amerikanische Wirtschaftskraft fast fünffach stärker als die chinesische ausfällt, neigt Beijing kaum dazu, seine "wirtschaftliche Karte" als politische Waffe einzusetzen. Im Gegenteil - die chinesische Führung wird nicht müde, den Aufstieg des Landes als eine friedliche Entwicklung darzustellen und die Amerikaner auf die "win-win" Chancen zu verweisen. So schickte die chinesische Regierung im März 2006 eine hochrangige Delegation unter der Leitung der stellvertretenden Ministerpräsidentin Wu Yi mit dem Auftrag nach Amerika, groß angelegte Einkaufsgeschäfte in Höhe von 16,2 Milliarden US-Dollar abzuwickeln, um die dortigen Ressentiments über die andauernden Handelsdefizite mit China zu beschwichtigen.

Auch Präsident Hu Jintao vermied jeglichen Eindruck von einem herausfordernden China, als er im April 2006 die Vereinigten Staaten besuchte. Sichtlich entspannt, kündigte er auf dem Galadinner, das der Gründer von Microsoft Bill Gates zu seinen Ehren gab, einen entscheidenden Schritt zur Bekämpfung der in China stark verbreiteten Software-Piraterie an.

Strategisches Flirten mit Europa

Seit Jahren liebäugelt die chinesische Führung mit der Europäischen Union (EU) als einem "Strategischen Partner" auf dem Weg zur Realisierung einer multipolaren Weltordnung. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Strategiepapiers zur Europapolitik im Jahre 2003 intensivierte die chinesische Regierung ihre Bemühungen um die Umsetzung ihrer strategischen Vorstellungen. Das Jahr 2004 wurde zum "Europajahr" erklärt. Schon im Januar flog Staatspräsident Hu Jintao nach Paris, um mit seinem französischen Amtskollegen Jacques Chirac die bereits seit 1997 bestehende "Strategische Partnerschaft" zwischen China und Frankreich auszubauen. Im Mai reiste Ministerpräsident Wen Jiabao in Begleitung von Außenminister Li Zhaoxing und Handelsminister Bo Xilai nach Europa, um Deutschland, Belgien, Italien, Irland und Großbritannien zu besuchen. In Berlin wurde eine Deklaration mit dem Titel "Partnerschaft in globaler Verantwortung" verabschiedet. In Rom erhielt der chinesische Regierungschef vom damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi in Form einer gemeinsamen Erklärung die Zustimmung, "eine langfristige, stabile, nachhaltige und strategische Partnerschaft" zwischen China und Italien aufzubauen. Auch in London konnte Wen seinen britischen Amtskollegen Tony Blair als "Strategischen Partner" gewinnen. In dieser gemeinsamen Erklärung versprachen beide Politiker, eine "umfassende strategische Partnerschaft" zwischen China und Großbritannien zu errichten.

Mit Ausnahme einer mit französischen Marinesoldaten durchgeführten Militärübung im März 2004 beschränkte sich die von der chinesischen Seite angestrebte "Strategischen Partnerschaft" mit den Europäern noch auf das Papier. Im substanziellen Bereich, in dem die chinesische Führung konkrete und fassbare Ergebnisse sehen wollte, konnte sie ihre Ziele nicht erreichen. Trotz intensiver Bemühungen der chinesischen Führung und Diplomatie kann bislang in der EU keine Mehrheit für die Aufhebung des seit 1989 bestehenden Waffenembargos gefunden werden. Auch in der Frage der Gewährung des Status einer Marktwirtschaft, der China vor möglichen Handelseinschränkungen durch EU-Staaten schützen könnte, wurde die chinesische Führung von ihren "Strategischen Partnern" in Europa im Stich gelassen. China könne, so die europäische Begründung, erst als eine Marktwirtschaft anerkannt werden, wenn es seine rechtsstaatlichen Mängel und seine zu hohe Staatsintervention in Wirtschaftsabläufe abgebaut habe.

Offenbar aus Verärgerung über das europäische Verhalten, das aus chinesischer Sicht das so mühsam in Gang gesetzte "Strategische Spiel" verdorben hat, kündigte die chinesische Regierung im Dezember 2004 an, den Kauf von fünf A 380 Airbus-Modellen im Wert von 1,4 Milliarden US-Dollar auf Eis zu legen. Ministerpräsient Wen, der in diesem Jahr zum zweiten Mal nach Europa reiste, um an dem EU-China-Gipfel in Den Haag im Dezember 2004 teilzunehmen, konnte seine Enttäuschung über das schief gelaufene "Europajahr" nicht verbergen. Beim Treffen mit Chinesen aus Übersee nach dem Gipfel kritisierte er offen das europäische Junktim von Menschenrechtsfragen und Waffenembargo und forderte die EU auf, das "Relikt des Kalten Krieges" endlich aufzugeben.

Die Abwahl von Gerhard Schröder im September 2005 wurde von der chinesischen Führung mit Sorge beobachtet. Der Altbundeskanzler galt in China als realistisch denkender und pragmatisch handelnder Politiker. Noch lange nach der Bildung der Großen Koalition herrschte in China Ungewissheit darüber, ob und inwieweit die neue Bundeskanzlerin Angela Merkel die pragmatische Chinapolitik der Regierung Schröder fortsetzen würde. Erst der Besuch Merkels im Mai 2006 schien die chinesische Führung beruhigt zu haben. Aus ihrer Reisediplomatie gegenüber den außereuropäischen Machtzentren wurde abgeleitet, dass auch die neue Bundesregierung eine aktive Chinapolitik betreiben wolle. Beijing zeigt sich bereit, mit der Bundesrepublik unter Merkel einen "strategischen Dialog" zu führen, in der Hoffnung, das chinesisch-deutsche Verhältnis zu einer der stabilsten Beziehungen Chinas zu den europäischen Staaten auszubauen.

Umwerbung von Russland

Aus chinesischer Sicht ist Russlands Bedeutung für China einmalig: Reich an Naturressourcen und eigenwillig auf der Bühne der Weltpolitik, kann das größte Flächenland der Welt Chinas Aufstiegprozess beschleunigen oder verlangsamen, je nachdem, welche Position die politischen Eliten in Moskau zuihrem ostasiatischen Nachbar einnehmen. Aus historischen Erfahrungen mit ihrem mächtigen Nachbarn im Norden haben die Chinesen gelernt, dass das Land sich nur sicher fühlen kann, wenn das Verhältnis zu Russland auf einem konfliktarmen Niveau gehalten wird. Ruhe und Stabilität im Norden sind die absolute Voraussetzung für Sicherheit im Süden und nicht umgekehrt. Diese Einsicht führte dazu, dass sich die chinesische Regierung unmittelbar nach dem Untergang der Sowjetunion intensiv bemühte, Russland zu umwerben.

Gegenwärtig strebt die chinesische Regierung danach, die vorhandene strategische Partnerschaft zu vertiefen, die schon in der Regierungszeit von den Präsidenten Boris Jelzin und Jiang Zemin gegründet wurde. Offensichtlich um das Potenzial zur Gegenmachtbildung gegen das amerikanisch-japanische Militärbündnis in Ostasien zu veranschaulichen, intensivierten Beijing und Moskau ihre Militärkooperation. Im Dezember 2004 reiste der russische Verteidigungsminister Sergeij Iwanow nach Beijing, um mit der chinesischen Führung über neue Verträge für Waffenlieferungen an China zu verhandeln. Gleichzeitig wurde ein groß angelegtes Militärmanöver von russischen und chinesischen Streitkräften vereinbart, das tatsächlich im Sommer 2005 in China stattfand.

Wie begrenzt diese strategische Partnerschaft ist, bekam die chinesische Führung sehr bald zu spüren. Ende 2004 erteilte Präsident Wladimir Putin dem von China favorisierten Plan zum Aufbau einer Erdölpipeline von Russland direkt nach Daqing im chinesischen Nordosten eine Absage. Moskaus Entscheidung, den von Japan favorisierten Plan für eine Erdölpipeline von Sibirien nach Nachodka am russischen Pazifik zu realisieren, zeigte, dass die russische Führung nicht bereit war, das Anliegen ihres strategischen Partners in Beijing dem russischen Nationalinteresse überzuordnen. Auch wenn Moskau mit seiner Entscheidung dem chinesischen Konkurrenten Japan nicht unbedingt einen Gefallen tun wollte, offenbarte das Scheitern der chinesischen Pipelinediplomatie gegenüber Russland doch die Brüchigkeit und Schwäche der sino-russischen Partnerschaft. Beijing musste sich damit abfinden, dass Moskau nicht unbedingt auf der Seite Chinas steht, wenn fundamentale Interessen Russlands im Spiel sind.

Seither hat die chinesische Regierung ihre Erwartungen zurückgeschraubt; sie hofft auf eine Zusage für den Bau einer Abzweigung der noch nicht fertig gestellten Pipeline in den russischen Fernen Osten. Allerdings zögert der russische Präsident noch. Auch die günstige Atmosphäre des "Russlands-Jahres" in der Volksrepublik China, zu dessen Eröffnung Putin im März 2006 mit einer Delegation von mehr als 1000 hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft und Politik nach Beijing gereist war, konnte die russische Regierung nicht zu diesem von den Chinesen dringend gewünschten Schritt bewegen.

Es hat den Anschein, dass Präsident Putin den Einsatz seiner "Erdölkarte" nicht nur auf die westlichen Länder beschränken will. Solange China sich nicht massiv um eine Korrektur der bilateralen Handelsstruktur kümmert, deren Dominanz durch Rohstofflieferungen an China und durch primitiven Grenzhandel das große Russland wie ein Entwicklungsland erscheinen lässt, wird er seine "Ölkarte" als Druckmittel nicht leichtfertig aus der Hand geben.

Stabilisierung des regionalen Umfeldes

In Beijing herrscht Konsens darüber, dass China ein friedliches Umfeld im Asien-Pazifik-Raum benötigt, um sich auf den Aufbau des Landes konzentrieren zu können. Explizit wird eine Regionalpolitik mit dem Ziel verfolgt, eine komfortable und störungsfreie Umwelt für die inneren Reformen zu schaffen und diese stabil zu halten. In diesem Kontext ist insbesondere Chinas Integrationspolitik gegenüber seinen Nachbarländern in Südostasien zu sehen.

Bereits im November 2000 hatte China den ASEAN-Mitgliedsstaaten vorgeschlagen, eine gemeinsame Freihandelszone zu gründen. Im November 2002 wurde von beiden Seiten ein Rahmenabkommen unterzeichnet, das vorsah, im Jahr 2010 die China-ASEAN-Freihandelszone ins Leben zu rufen. Wenn alles nach Plan laufen sollte, wird so im Jahre 2010 die weltgrößte Freihandelszone entstehen. Gemessen an der Bevölkerungszahl wird sie die NAFTA (North American Free Trade Agreement) und die Europäische Zollunion übertreffen. Dass die Freihandelszone mit den ASEAN-Staaten für China in erster Linie ein politisches Projekt darstellt, ist ein offenes Geheimnis, auch wenn die ökonomischen Vorteile mit Blick auf die hochgradige Komplementarität der chinesischen und südostasiatischen Wirtschaften nicht zu übersehen sind. Mit diesem Integrationsprojekt will Beijing vor allem die südostasiatischen Staaten am Wirtschaftsboom Chinas beteiligen und sich damit als eine "benign power" präsentieren. Von diesem Projekt erhofft man sich, dass die Zollunion dazu beitragen könnte, die Bedrohungsperzeption der südostasiatischen Länder gegenüber dem Reich der Mitte abzubauen und das Vertrauen in China zu verstärken.

Im Gegensatz zu seiner Südostasienpolitik hat China offenbar erhebliche Schwierigkeiten, die koreanische Halbinsel zu stabilisieren. In den letzten Jahren hat Beijing enorme politische wie diplomatische Ressourcen investiert, um den Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Demokratischen Volksrepublik von Korea über den Weg diplomatischer Verhandlungen beizulegen. Es war der chinesischen Regierung aber nur mühsam gelungen, vier Verhandlungsrunden für die Delegationen aus den USA, Nordkorea, Südkorea, Russland, Japan sowie China herbeizuführen.

Die Schwäche der chinesischen Ordnungsmacht ließ sich nicht übersehen, als die Verhandlungen Ende 2004 in eine Sackgasse gerieten, die schließlich zum Austritt Nordkoreas aus den Gesprächen im Februar 2005 führte. Nur mit großen Anstrengungen konnte Beijing das nordkoreanische Regime zur Rückkehr an den Verhandlungstisch überreden. In der am 19. September 2005 veröffentlichten Gemeinsamen Erklärung verpflichtete sich Nordkorea zum Verzicht auf Atomwaffen und die USA zur Unterlassung von Militärangriffen auf Nordkorea. Es entstand der Eindruck, als ob es China gelungen wäre, die Koreakrise abzuwenden.

Allerdings zerschlug der nordkoreanische Atomtest am 9. Oktober 2006 alle Hoffnungen auf eine baldige Lösung des Konfliktes. Pjöngjang ignorierte einfach die chinesische Warnung im Vorfeld des Testes und setzte die chinesische Führung erst 20 Minuten vor dem Test darüber in Kenntnis. Empört über das grobe Verhalten seines Verbündeten, verurteilte Beijing in einer ungewöhnlich scharf formulierten Erklärung den Atomtest als "rücksichtslos" und "unakzeptabel". Auch die Entscheidung der chinesischen Regierung, der von den USA und Japan eingebrachten UN-Resolution 1718 zum Waffenembargo gegen Nordkorea zuzustimmen, zeigte, dass die Grenze der chinesischen Geduld erreicht worden ist.

Chinas Schwäche zeigt sich auch in seiner Unfähigkeit, die Amerikaner zur Akzeptanz nordkoreanischer Bedingungen zu bewegen. Die US-Regierung schien nicht bereit, den Preis im Sinne einer Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zu Nordkorea zu zahlen, um Pjöngjangs Atomprogramm zu stoppen. Es bleibt nach wie vor eine Herausforderung für Beijing, einen gemeinsamen Nenner zwischen dem chinesischen Wunsch nach einem friedlichen Wandel in Nordkorea und dem amerikanischen Ziel eines Regimewechsels herzustellen. Eine dauerhafte Stabilität auf der koreanischen Halbinsel ohne eine gegenseitige Anerkennung zwischen den beiden Kontrahenten wird es nicht geben, auch wenn Beijing nicht müde würde, sich für die Ordnung in der Region einzusetzen.

In Zentralasien konzentrierte sich die chinesische Politik darauf, die im Jahre 2001 gegründete Shanghai Cooperation Organization (SCO) "mit Leben zu erfüllen". Chinas Vorstellung, die erste von Beijing initiierte internationale Organisation zu einem handlungsfähigen, von amerikanischen Einflüssen freien, aber von Russland mitgeführten Ordnungs- und Sicherheitsorgan für die zentralasiatische Region zu entwickeln, schien Schritt für Schritt in Erfüllung zu gehen. Im Mai 2003 wurde die SCO auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten China, Russland, Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan in Moskau institutionalisiert. Ein Sekretariat mit dem Sitz in Beijing wurde errichtet. Als Führer der Organisation erklärten sich China und Russland bereit, jeweils 24 Prozent des Budgets der SCO zu übernehmen, während 21 Prozent auf Kasachstan, 15 auf Usbekistan, 10 auf Kirgistan und 6 Prozent auf Tadschikistan entfallen sollten.

In jüngster Zeit zeigt Beijing auch großes Interesse, seine Beziehungen zu Indien zu verbessern. Höhepunkt dieser Annäherung war der Chinabesuch des damaligen indischen Ministerpräsidenten Atal Bahari Vajpayee im Juni 2003. Für China waren die diplomatischen Errungenschaften offensichtlich: In der gemeinsamen Erklärung vom 23. Juni 2003, die durch die beiden Regierungschefs Wen und Vajpayee unterzeichnet wurde, erkannte Indien Tibet als Teil des Territoriums der Volksrepublik China an und verpflichtete sich, tibetische antichinesische Proteste auf indischem Boden zu unterbinden. Als Gegenleistung akzeptierte China die Verwaltungsgewalt Indiens über den Königsstaat Sikkim, der 1975 in die indische Union eingegliedert wurde. Die chinesische Anerkennung erfolgte jedoch nicht durch die gemeinsame Erklärung, sondern in Form einer Absichtserklärung zur gegenseitigen Vereinbarung, den Grenzhandel auch für Sikkim zu öffnen.

Beijing schien bereit zu sein, Chinas Beziehungen zu seinem südasiatischen Großnachbarn durch Vergangenheitsbewältigung endlich zu normalisieren. Das größte Hindernis für diese Aufgabe dürfte die historisch überlieferte Grenzstreitigkeit sein, die Indien auch ständig an die Demütigung im chinesisch-indischen Grenzkrieg von 1962 erinnert. Die gegenseitigen territorialen Ansprüche (China mit 90 000 und Indien mit 38 000 Quadaratkilometern) konnten bislang noch nicht geregelt werden. Die Verhandlungen dauern noch an, und eine definitive Beilegung des Streits scheint erst in Jahren möglich zu werden.

Während die Politik Chinas gegenüber Indien grundsätzlich durch Initiative und Optimismus geprägt ist, ist seine Japanpolitik ohne Dynamik. Wegen seiner wiederholten Besuche des Yasukuni-Schreins, in dem die Seelen der 14 A-Klasse Kriegsverbrecher ruhen, wurde der ehemalige japanische Ministerpräsident Koizumi in China als "unerwünscht" betrachtet. Beijing lehnte jegliche Begegnung mit ihm ab. Aus chinesischer Sicht wurde die "politische Basis" der chinesisch-japanischen Beziehungen durch die "unverantwortliche Handlung" des japanischen Ministerpräsidenten und damit durch die japanische Regierung massiv geschädigt.

Es mehrten sich in Beijing die Zeichen dafür, dass die chinesische Führung die Hoffnung auf Koizumi bereits aufgegeben hatte, der im September 2006 sein Amt abgab. Starke Signale wurden von Beijing nach Tokio an seinen Nachfolger gesandt, mit der Andeutung, dass die chinesische Regierung bereit sei, die Beziehungen unmittelbar zu normalisieren, wenn der neue Regierungschef Japans auf den Besuch des Yasukuni-Schreins verzichten sollte.

Vormarsch nach Afrika

Eines der interessantesten Phänomene, die mit dem Aufstieg Chinas einhergegangen sind, ist Chinas "Rückkehr" nach Afrika. Die Wiederentdeckung Afrikas fand in einer Zeit statt, in der die Einflüsse anderer Großmächte auf den Kontinent ständig zurückgingen. Diese Konstellation begünstigte die Wahrnehmung Afrikas als ein strategisches Vakuum durch die chinesische Führung. Mit der Wiederentdeckung der weltpolitischen und wirtschaftlichen Bedeutung Afrikas entwickelte sich in Beijing ein starkes Interesse, dem Kontinent mehr politische, wirtschaftliche und diplomatische Ressourcen zu widmen.

Inzwischen hat China fast alle traditionellen Handelspartner Afrikas überholt. Nur gegenüber den Vereinigten Staaten mit einem Handelsvolumen von rund 60 Milliarden US Dollar (2004) musste sich das Land mit einem Handelsvolumen von 43 Milliarden US-Dollar (noch) mit einem unter seiner Ambition stehenden Platz begnügen. Dessen ungeachtet wurde ganz Afrika bereits von chinesischen Waren erobert, auch wenn der Handel mit Afrika nur zwei Prozent des Gesamtaußenhandels Chinas ausmacht. So werden auf fast jedem afrikanischen Markt chinesische Konsumgüter zum Verkauf angeboten. Das Ausmaß der Durchsetzung der chinesischen Konsumgüter in Afrika ist so groß, dass man durchaus von einer Veränderung "der" afrikanischen Lebensart sprechen kann.

So haben etwa chinesische Plastiksandalen Eingang in jedes afrikanische Dorf gefunden und damit das alltägliche Erscheinungsbild des Kontinents auffallend verändert: Dass afrikanische Frauen und Kinder sich keine traditionellen Ledersandalen leisten können und daher barfuß gehen müssen, gehört der Vergangenheit an.

Chinas Griff nach Afrika im 21. Jahrhundert scheint das Ergebnis eines Zusammenspiels von drei Faktoren zu sein: dem spürbaren Rückgang des westlichen Einflusses auf Afrika südlich der Sahara nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes; dem Scheitern des afrikanischen Modernisierungsprojektes, das auch mit massiven Entwicklungshilfen aus den USA, Europa und Japan bis heute nicht zum Erfolg geführt werden konnte; und dem Aufstieg der Volksrepublik China zu einem der führenden Industriestaaten.

Das Reich der Mitte hat ein starkes Interesse, den afrikanischen Kontinent nach chinesischer Art und Weise zu industrialisieren und zu modernisieren. Aber der Westen scheint noch nicht dazu bereit, diese Führungsrolle den Chinesen zu überlassen. Welche Parteien sich am Ende durchsetzen können, wird wahrscheinlich von den Einstellungen der Afrikaner selber abhängen. China hat im Augenblick einen guten Ausgangspunkt, muss aber einen Weg finden, um nicht nur das Wohlwollen der Afrikaner, sondern auch die Zustimmung des Westens zu erreichen. Diesen Weg zu finden, wird aber lange dauern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Renmin Ribao (Volkszeitung - Überseeausgabe) vom 25. August 2006.

  2. Vgl. Margot Schüller/Makbule Top, Ho Goes to Washington: Comments on the Development of U. S.-China Economic Relations, in: China aktuell, 3 (2006), S. 58.

  3. Demzufolge werde auf chinesischen Computern der Lenovo-Gruppe das Betriebsystem Windows vorinstalliert sein, um illegalen Raubkopiehändlern keine Chance zu geben. Vgl. Carola Milbrodt, Hu Jintaos Besuch in den USA ohne substanzielle Ergebnisse, in: China aktuell, 3 (2006), S. 101 - 102.

  4. Einwohner des westafrikanischen Inselstaats Kap Verde bestätigen aus eigenen Erfahrungen die Veränderungen ihres Lebensstandards durch das Eindringen der chinesischen Konsumgüter: "Jetzt könnten es sich alle Eltern leisten, ihren Kindern Weihnachtsgeschenke zu kaufen." Heidi Ostbo Haugen/Jorgen Carling: Sie wagen und gewinnen. Chinesische Händler in Afrika, in: Der Überblick, Zeitschrift für ökumenische Begegnung und internationale Zusammenarbeit, (2005), 4 S. 21.

Dr. phil., geb. 1957; ordentlicher Professor für Politikwissenschaft und Inhaber des Lehrstuhls für Politik Ostasiens an der Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstraße 150, GB1/49; 44780 Bochum.
E-Mail: E-Mail Link: xuewu.gu@rub.de
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