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Zur Afrikastrategie der Europäischen Union | Entwicklungspolitik | bpb.de

Entwicklungspolitik Editorial Wie geht es weiter mit der Entwicklungspolitik? Geberpolitiken ohne verlässlichen Kompass? Entwicklungspolitischer Kohärenzanspruch an andere Politiken Kleinkredit-Systeme in Entwicklungsländern Ökonomische Konsequenzen von AIDS-Epidemie in Entwicklungsländern Zur Afrikastrategie der Europäischen Union

Zur Afrikastrategie der Europäischen Union

Peter Molt

/ 15 Minuten zu lesen

Die Entwicklungszusammenarbeit der EU mit Afrika bedarf einer Revision. Sie vollzieht sich immer noch im Rahmen der AKP-Staatengruppe. Trotz Kritik am eingeschlagenen Weg hat Europa nicht nur elementare Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen, sondern auch eine Verpflichtung zur Solidarität mit Afrika.

Einleitung

Die Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union (EU) mit Afrika vollzieht sich immer noch überwiegend in der Form einer vor fünfzig Jahren begonnenen vertraglichen Zusammenarbeit mit der aus den ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, der Karibik und im Pazifik gebildeten AKP-Staatengruppe. Sie wurde durch den Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) finanziert und als Sondervermögen nach eigenen Regeln verwaltet. Dies gilt weiterhin auch für den nach ausführlichen Evaluierungen und Beratungen für eine Laufzeit von 20 Jahren am 23. Juni 2000 in Cotonou, Hauptstadt von Benin, unterzeichneten neuen Vertrag. Er verpflichtet die AKP-Staaten zur Achtung der Menschenrechte, demokratischen Willensbildung, Wahrung des Rechts, Armutsbekämpfung und Beteiligung der Bevölkerung. Die EU sagte als Gegenleistung eine Erhöhung der Hilfe, einen flexibleren Beratungsprozess, eine Vereinfachung der Vergabeverfahren, insbesondere aber direkte Zahlungen an die Staatshaushalte zu. Über die vertraglichen Leistungen hinaus erhalten die afrikanischen Staaten auch Zuwendungen aus den durch den Haushalt der EU finanzierten weltweiten Programmen, wie die Nahrungsmittelhilfe, die humanitäre Hilfe, die Programme zur Stärkung der Menschenrechte und der Demokratie sowie die Mitfinanzierung der Entwicklungsarbeit der Nichtregierungsorganisationen.



Die im Cotonou-Vertrag erstmalig verankerte politische Konditionalität war allerdings nur teilweise wirksam, weil das Gewicht der EU-Hilfe und die Abhängigkeit von ihr nicht groß genug waren, um in schwerwiegenden Konflikten, in denen es um politische Macht oder Privilegien ging, die maßgeblichen Akteure zum Einlenken zu veranlassen. Trotz Verbesserungen in der Mittelverwendung und der Ausweitung der Budgethilfe auf 35 Prozent der Gesamtmittel erwies sich auch die Umsetzung des Vertrags im ersten Fünf-Jahres-Zyklus in Afrika schwierig. Der Vertrag entsprach auch nur noch teilweise dem neuen entwicklungspolitischen Konsens, der sich in den Millennium Development Goals der Vereinten Nationen, den Beschlüssen der G8-Treffen in Kananaskis 2002, Evian 2003, Gleneagles 2005 und Heiligendamm 2007, der UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Monterrey 2002 und der Pariser Konferenz zur Effektivität der Entwicklungshilfe 2005 ausdrückt.

Beziehungen zwischen Europa und Afrika

Auf diesem Hintergrund kündigte die EU mit ihrer Afrikastrategie 2005 einen "Quantensprung" in den Beziehungen mit Afrika an. Die Entwicklungshilfe der EU für Afrika südlich der Sahara, soweit sie von der Europäischen Kommission (EK) verwaltet wird, betrug im Jahr 2005 3,144 Millionen US-Dollar oder 9,9 Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe für diese Region. Damit steht sie unter den Gebern zwar erst an fünfter Stelle, ihr Gewicht wird allerdings vergrößert durch ihre Bündelung mit der Förderung der Menschenrechte und Demokratie, der Handelspolitik und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Wenn es darüber hinaus gelänge, die bilaterale Entwicklungshilfe der Mitgliedsländer, die weitere 48,4 Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe für Afrika südlich der Sahara aufbringen, mit der Gemeinschaftspolitik zu verbinden, würde die EU zum zentralen internationalen Akteur und Partner für die politische und wirtschaftliche Entwicklung Afrikas. Auf dieses Ziel hin erarbeitete die EK in den vergangenen Jahren wichtige Richtlinien, außer der bereits erwähnten Afrikastrategie die Europäische Sicherheitsstrategie, die Initiative für Governance und die Verhaltensregeln zur Komplementarität und Arbeitsteilung in der Entwicklungspolitik. Konzeptionelle Grundlage dafür ist die gemeinsame Erklärung des Rates, des Parlamentes und der Kommission zur Entwicklungspolitik der EU, die in bewusstem Gegensatz zum neoliberalen "Washington Consensus" "European Consensus" genannt wurde. Sie gilt als ein großer strategischer Erfolg, weil damit zum ersten Mal in der Geschichte der EU verbindlich die Werte, Prinzipien, Ziele und Mittel für die Entwicklungspolitik der Union und ihrer Mitgliedsländer formuliert wurden.

Die Afrikastrategie spezifiziert die Umsetzung des Europäischen Konsensus in der Region, die auch in Zukunft Schwerpunkt der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit der EU bleiben soll. Ihre Zielsetzungen entsprechen dem heute allgemein anerkannten Katalog der internationalen Entwicklungspolitik. Hauptziel sind die Minderung extremer Armut, eine Grundschulausbildung für alle Kinder, die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rechte von Frauen, die Verringerung der Kindersterblichkeit und Verbesserung der Gesundheit der Mütter, die Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderer übertragbarer Krankheiten, die Sicherung der Umwelt und der Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft. Voraussetzung dafür ist Friede und Sicherheit. Die EU will Maßnahmen gegen entstehende oder bestehende Konflikte in allen Phasen, der Prävention, Intervention und Rehabilitation, unterstützen. Sie will die politische Stabilität in den Partnerländern stärken durch die Förderung effizienter zentralstaatlicher Institutionen, mit denen diese die notwendigen Reformen durchführen können, und durch Strukturen, die eine breite Streuung der Entwicklungsanstrengungen und eine Teilhabe der gesamten Bevölkerung ermöglichen. Die Beachtung von Menschenrechten und Demokratie soll verbessert, Korruption und organisierte Kriminalität sollen bekämpft werden. Sie hält dafür ein rasches, umfassendes und nachhaltiges, auf die Beseitigung der Armut ausgerichtetes Wirtschaftswachstum für erforderlich, das durch makro-ökonomische Stabilität, marktorientierte Wirtschaftspolitik, Schaffung regionaler Märkte, besseren Zugang zum Weltmarkt und Stimulierung der Privatwirtschaft erreicht werden könne. Ferner sollen die Nahrungsmittelsicherheit, die Landwirtschaft und das Fischereiwesen gefördert und Infrastrukturprojekte des Verkehrs, der Wasserversorgung und der Energiegewinnung unterstützt werden. Schließlich will sie zur Erhaltung der kulturellen Vielfalt Afrikas, zur Bewältigung der zunehmenden Verstädterung, zur Kontrolle der Wanderungsbewegungen, zur Erhaltung der natürlichen Umwelt und Biodiversität und zur Wüstenbekämpfung beitragen. Dies ist ein breit gefächerter Katalog von Tätigkeitsfeldern, von denen jedes für sich genommen begründet und sinnvoll sein kann, der aber das Potential an finanziellen und personellen Ressourcen der Kommission weit übersteigt.

Zur Umsetzung der Strategie erarbeitete die Kommission deshalb einen Vorschlag, der eine bessere Verzahnung der Gemeinschaftspolitik und der bilateralen Politik der Mitgliedsländer unter ihrer Führung bewirken sollte. Länder- und Regionalstrategien sollten in Zukunft gemeinsam erarbeitet und ihre Umsetzung arbeitsteilig vereinbart werden. Nach außen, gegenüber den Empfängerländern, aber auch gegenüber den internationalen Finanzinstitutionen, den regionalen Entwicklungsbanken und den Organisationen des UN-Systems sollte die EU nur noch mit einer Stimme sprechen. Diesem Vorschlag folgte allerdings der Ministerrat nur zum Teil. Er vertrat die Auffassung, dass die Gemeinschaftshilfe weiterhin die Programme der Einzelstaaten nur ergänzen solle. Die Kommission soll sich auf die Budgethilfe und die Koordination und Finanzierung von höchstens zwei weiteren Sektoren je Land konzentrieren. Der Rat entschied auch, den 10. EEF nur maßvoll zu erhöhen. Sein Volumen für die sechs Jahre zwischen 2008 und 2013 wurde auf 22,7 Mrd. Euro festgelegt, also pro Jahr 3,9 Mrd. Wegen der beschlossenen mehrjährigen Festschreibung des allgemeinen EU-Haushaltes und der von den EU-Mitgliedsländern zugesagten Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 0,59 Prozent ihres Bruttosozialprodukts dürfte dies zu einer Abnahme der Gemeinschaftshilfe im Verhältnis zur Gesamthilfe der EU-Mitgliedsländer führen. Die EK hofft deshalb auf einen Ausgleich durch eine verstärkte Beteiligung der Mitgliedsländer an Trustfonds wie dem Infrastrukturfonds oder der African Peace Facility sowie an den Budget- und Programmhilfen.

Größere Effektivität der Hilfe

Durch die die Europäisierung der Hilfe bremsenden Entscheidungen des Ministerrats werden die Bemühungen um eine bessere Koordination der Hilfe erst recht vordringlich. Entsprechend der "Paris Declaration on Aid Effectiveness", an deren Erarbeitung die EK maßgeblich mitwirkte, soll es zu einer besseren Arbeitsteilung zwischen den europäischen und optional auch den außereuropäischen Gebern kommen. Die Hilfe für ein ganzes Land oder einzelne Sektoren soll von einem "lead"-Geber mit den anderen Gebern koordiniert oder von diesen gegebenenfalls mitfinanziert werden. Auch die bilaterale Hilfe der Mitgliedsländer soll sich deshalb an den EK-Länderstrategien orientieren. Deren Grundlage bilden in den meisten Fällen dieim Rahmen der Entschuldungsinitiative von der Weltbank eingeforderten Poverty Reduction Strategy Papers (PRSP).

Die Bemühungen der Kommission reichen aber über die Geberkoordination hinaus. Letztlich hängt die Wirkung der Hilfe von außen von der Beendigung der gewaltsamen Konflikte, von Fortschritten in der subregionalen Zusammenarbeit und von der Funktionsfähigkeit der Staaten und ihrer Bereitschaft zu einer zweckentsprechenden Reformpolitik ab. Nach den wenig ermutigenden Erfahrungen mit der Konditionalität kehrte die EU durch eine Revision des Cotonou-Vertrags zum Partnerschaftsprinzip zurück, allerdings mit der Erwartung, durch einen intensiven politischen Dialog die Partnerländer davon überzeugen zu können, sich selbst entschiedener für Frieden, good governance, für Wahrung der Menschenrechte und Demokratie sowie für eine nachdrückliche Armutsbekämpfung einzusetzen. Zur Unterstützung dieses Dialogs setzt die EU auf fünf Instrumente. Die 2004 bewilligte "Peace Facility for Africa", welche den Ausbau der afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur zum Ziel hat, soll in Verbindung mit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsstrategie und in Abstimmung mit den Vereinten Nationen die Möglichkeiten der Vorbeugung, Eindämmung und Lösung von gewaltsamen Konflikten verbessern. Die Integration Afrikas in die Weltmärkte und die Stärkung des innerafrikanischen Handels sollen über die Regionalorganisationen und durch Economic Partnership Agreements (EPA) gefördert werden. Die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Staaten soll durch erhöhte und besser koordinierte Entwicklungshilfe beschleunigt werden. Bevorzugtes Instrument dafür ist die Budgethilfe, d.h. direkte Beiträge zum Haushalt des Partnerlandes für allgemeine oder sektorielle Zwecke. Damit sollen nicht nur die Eigenverantwortung, die Effektivität und mittelfristige Planbarkeit des Regierungshandelns des Partners gestärkt, sondern auch der Dialog über die Politik und die Verantwortung für die Ziele, Mittel und Regierungsweise unterfüttert werden. Die Kommission will dafür mittelfristig etwa die Hälfte der einem Land zugeteilten Mittel aufwenden. Gleichzeitig sollen die Finanzverwaltungen der Partnerländer so qualifiziert werden,dass sie ein Höchstmaß an Transparenz und Kontrolle, vor allem gegenüber den allgegenwärtigen Gefahren der Korruption und Fehlverwendung, garantieren. Die mit der Budgethilfe verbundene politische Absicht wird durch ein Anreizprogramm zur Governance verstärkt. Als "good governance" gilt eine Regierungspolitik, welche den Einfluss, die Fähigkeiten und den Entwicklungswillen der Bevölkerung stärkt und die wirtschaftlichen Ressourcen des Empfängerlandes optimal nutzt. Zwölf Prozent der Mittel des 10. EEF sollen nur dann an die Partnerländer ausgezahlt werden, wenn diese ehrgeizige und glaubwürdige Pläne mit konkreten Maßnahmen und Reformen beschlossen haben und entsprechend umsetzen. Zur Bemessung werden dafür von der Kommission Governance-Profile mit detaillierten Bewertungen erarbeitet. Mit dieser Initiative reagiert die Kommission auf die Abschwächung der Konditionalität des Cotonou-Vertrags und trägt dem Umstand Rechnung, dass sie sich vertraglich verpflichtet hat, alle AKP-Staaten ohne Rücksicht auf ihr politisches System zu unterstützen. Unterstützt werden soll der Dialog mit den einzelnen Ländern durch eine engere Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union. Die EU hofft, dass diese vor allem über die Peer Reviews, d.h. die gegenseitige Bewertung der Reformfortschritte im Rahmen der Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (NEPAD), auf ihre Mitgliedsstaaten zugunsten einer besseren Governance einwirken wird. Die EK und die Kommission der Afrikanischen Union wollen dafür eng zusammen arbeiten, wobei die EK auch die entsprechenden Institutionen und Gremienarbeit aus dem EEF finanziert. Ziel ist, die Grundlagen der Zusammenarbeit in einem europäisch-afrikanischen Partnerschaftspakt, der auf dem für Dezember 2007 in Lissabon vorgesehenen europäisch-afrikanischen Treffen der Staatschefs verabschiedet werden soll, festzuschreiben.

Zur Realisierung der neuen Strategie

Die Umsetzung der Strategie steht am Anfang. Die Kommission erarbeitet zurzeit die Strategien für die einzelnen Länder und Regionalorganisationen. Die EPAs sind noch nicht zu Ende verhandelt. Für die Zusammenarbeit mit schwierigen Partnerländern, wie die unstabilen oder vom Zerfall bedrohten Länder bezeichnet werden, bereitet die Kommission gerade erst Richtlinien vor.

Natürlich hat die Kommission Recht, dass nur durch die Bündelung aller Kräfte, vor allem durch die Einbeziehung der Entwicklungspolitiken ihrer Mitgliedsstaaten, widerstrebende Regierungen und Akteure motiviert und in die Lage versetzt werden können, Reformen zu beginnen. Die von der EK direkt verwalteten Mittel sind hierfür zu begrenzt und verteilen sich zudem auf alle Länder Afrikas südlich der Sahara. Die erforderliche enge Koordination hängt aber davon ab, ob die Mitgliedsländer wie etwa Frankreich, das die neue Strategie maßgeblich beeinflusst hat und deshalb auch für die EU-Afrikapolitik eine Führungsrolle beansprucht, ihre nationalen Sonderinteressen hintanstellen. Höchst fraglich ist auch, ob alle Mitgliedsländer - darunter auch Deutschland - ihre Zusagen zur Erhöhung der bilateralen Mittel im vorgegebenen Zeitraum erfüllen werden.

Die von der Kommission in den Vordergrund gestellte Forderung nach Koordination verliert allerdings an Bedeutung, wenn die Zweifel, ob der von der Kommission bevorzugte Weg geeignet ist, die großen politischen und wirtschaftlichen Hindernisse auf dem Weg Afrikas zu Frieden, Demokratie und wirtschaftlichem Wachstum zu überwinden, ernst genommen werden. Nur Benin, Botswana, Ghana, Lesotho, Madagaskar, Mali und Senegal mit einer Bevölkerung von gerade 52 Millionen weisen bisher gute oder befriedigende Werte der "Governance" auf. In vier Fünftel der Staaten Afrika südlich der Sahara sind die Governance-Probleme nach wie vor ungelöst. 84 Prozent der Bevölkerung Afrikas - ohne Südafrika - lebt in Staaten mit unbefriedigender oder schlechter Governance. Fortschritte fehlen vor allem bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung, der Effizienz der Regierung und Korruptionsbekämpfung. In den bevölkerungsreichen Ländern wie Nigeria, Sudan, Äthiopien und Demokratische Republik Kongo bestehen derzeit kaum Hoffnungen auf eine durchgreifende Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Lage. Für die schwierigen Partnerländer dürfte es kaum gelingen, eine überzeugende Strategie in einer allgemein gültigen Form vorzulegen, denn die Strukturen und Bedingungen dieser Staaten sind zu unterschiedlich. Es besteht auch die Gefahr, dass dort die EK zu Kompromissen gezwungen wird, die entwicklungspolitisch wenig verträglich sind, denn das Interesse der EU an einer Stabilisierung dieser Länder aus sicherheitspolitischen Gründen hat inzwischen erhebliches Gewicht.

Auf vielfältige Kritik stößt auch der technokratische Charakter der EU-Konzeption. Die EU gibt der Budgethilfe den Vorzug, weil diese dem Grundsatz der "ownership" und der Verantwortung des Empfängerlands für die Koordination der Hilfe am besten entspreche. Tatsächlich sind in Afrika aber im Unterschied zu den andern Kontinenten dazu nur wenige Regierungen willens oder in der Lage. Deshalb bleibt es eine Fiktion, dass die Geber sich darauf beschränken können, darüber zu wachen, dass die Regierung auf einem guten Weg ist, sich aber ansonsten deren Koordination und Vorstellungen zur Arbeitsteilung unterwerfen. In vielen Fällen müssen sie in Koordinationsgremien die Initiative ergreifen, um mit der Regierung zu entsprechenden Vereinbarungen zu gelangen. Ihre Umsetzung mittels des Instruments der Budgethilfe kann jedoch nicht nur die ihr zugeschriebenen positiven Wirkungen entfalten, sondern auch zur Schwächung demokratischer Institutionen führen, vor allem der Parlamente, deren Haushaltsbewilligungsrecht umgangen wird. Sie kann die Macht der zentralen Bürokratie gegenüber den lokalen und zivilgesellschaftlichen übermäßig stärken, sie kann Programme, welche die Vorlieben und Interessen der Geber reflektieren, begünstigen. Vor allem aber kann sie die Anstrengungen der Regierungen und dominierenden Eliten lähmen, sich selbst um Reformen, Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität und Staatseinnahmen, um eine Minderung der Hilfeabhängigkeit und um Exitstrategien zu kümmern. All diese Gefahren werden zwar in den entsprechenden Verlautbarungen der Kommission angesprochen. Die Kernfrage, ob damit nicht bürokratisch in komplexe politische und gesellschaftliche Prozesse und Macht- und Interessenstrukturen mit unkalkulierbaren Konsequenzen eingegriffen wird, stellt sich aber wohl dringlicher, als dies aus den Richtlinien der EU hervorgeht.

Erhebliche Zweifel werden auch an der Wirksamkeit des Dialogs zwischen der EU und der Afrikanische Union (AU) geäußert. Ob die AU auf die innere Entwicklung der afrikanischen Staaten Einfluss nehmen kann und will, ist fraglich. Die Bereitschaft ihrer Mitgliedsstaaten zur Einigung auf konkrete Maßnahmen endet, wo deren nationale Interessen in Konflikt mit den gesamtafrikanischen Interessen geraten. Deshalb fällt es der AU schwer, auf eklatante Verstöße ihrer Statuten durch ihre Mitglieder angemessen zu reagieren. Ihr jüngstes Verhalten gegenüber Sudan und Zimbabwe zeigt dafür deutlich die Grenzen. Auch ist die Relevanz der wenigen Peer Reviews, die NEPAD bisher erarbeitet hat, bescheiden.

Der schwerwiegendste Einwand gegen die Strategie ist jedoch ihr geringer Realitätssinn bezüglich der zukünftigen Entwicklung der afrikanischen Wirtschaft und Gesellschaft. Nur wenige Experten glauben noch daran, dass es mit einer massiven Erhöhung der Entwicklungshilfe in absehbarer Zeit möglich ist, den Anschluss Afrikas an die weltwirtschaftliche Entwicklung zu erreichen. Ohne einen kräftigen Zuwachs an Beschäftigungsmöglichkeiten für eine wachsende urbane Bevölkerung kann es kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum geben. Freier Handel und freie Märkte allein genügen dazu nicht, auf eine industrielle und intensivere landwirtschaftliche Produktion für die lokalen Märkte kann nicht verzichtet werden. Die mangelnde Produktivität und der wachsende Wettbewerb mit den asiatischen Schwellenländern erschweren das Aufholen immer mehr. Ohne Aussicht auf mittelfristige Erfolge dürfte es aber schwierig sein, die dominierenden politischen Eliten zu überzeugen, Machtbeschränkungen hinzunehmen und selbst Initiativen für die dringendsten politischen Reformen zu ergreifen. Meistens sind sie zu Zugeständnissen nur insoweit bereit, wie davon der Erhalt von Subsidien der Entwicklungshilfe und ihr politisches Überleben abhängen. Der zwischen Gebern und dominierenden Eliten mit der Budgethilfe gefundene Kompromiss blockiert die wirtschaftlichen Potentiale des Kontinents und droht die Marginalisierung Afrikas und seine Ausbeutung als bloßer Rohstofflieferant zu verewigen. Die Fähigkeiten seiner wirtschaftlichen und technischen Elite werden nicht ausreichend genutzt, das Arbeitskräftepotential eines Großteils der Bevölkerung liegt ohnehin brach. Mikrokreditprogramme, die in Asien großen Erfolg haben, werden bisher in Afrika nur wenig genutzt, obwohl sie wenigstens ansatzweise zur Lösung der Probleme beitragen könnten. Gelingt es nicht, die wachsende Ungleichheit zu verhindern und der jungen Generation - die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt - eine Perspektive zu geben, werden die weitere Demokratisierung und politische Stabilität schwer gefährdet.

Die Realisierung der anspruchsvollen Afrikastrategie der EU hängt von Einflüssen und Bedingungen ab, auf die die Kommission nur geringen Einfluss hat. Das ein Jahrzehnt alte Diktum Christopher Claphams, "the problems of African governance run by far too deep to be seriously affected by external tinkering", charakterisiert immer noch treffend die Probleme einer Strategie, die zwar die "ownership" der Partner betont, ihnen jedoch ein Politikkonzept aufdrängt, das tief in die gesellschaftlichen und politischen Strukturen eingreift, ohne dass es das Erreichen der gesetzten Ziele garantieren kann. Im Mittelpunkt der Beziehungen muss daher ein offener Dialog mit dazu fähigen und willigen afrikanischen Politikern, der Zivilgesellschaft, der Verwaltung, dem Militär und der Wirtschaft stehen, um gemeinsam realisierbare Konzeptionen zu erarbeiten. Die Frage, ob dafür die Brüsseler Behörde mit ihrer Bevorzugung formaler bürokratischer Prozesse, ihrem Hang zu "social and political engineering" und ihren komplexen Entscheidungsprozessen geeignet ist oder ob nicht gerade dafür einerseits eine Arbeitsteilung unter den Mitgliedsstaaten mit eindeutig vereinbarten Normen und andererseits die Unterstützung vielfältiger Partnerschaften auf allen staatlichen und zivilen Ebenen Erfolg versprechender wären, stellt sich immer dringlicher. Trotz aller Kritik und Zweifel am eingeschlagenen Weg ist jedoch die Intention der Afrikastrategie richtig: Europa hat elementare Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen in Afrika und kann sich, wegen der gemeinsamen Geschichte, seiner Verpflichtung zur Solidarität mit Afrika nicht entziehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur europäischen Afrikapolitik vgl. Sven Grimm, Die Afrikapolitik der Europäischen Union: Europas außenpolitische Rolle in einer randständigen Region, Hamburg 2003; Gisela Müller-Brandeck-Bocquet u.a. (Hrsg.), Die Afrikapolitik der Europäischen Union. Neue Ansätze und Perspektiven, Leverkusen 2007; Peter Molt, Africa - a political challenge for Europe, in: Ulf Engel/Robert Kappel (eds.), Germany's Africa Policy revisited. Interests, images and incrementalism, Münster 2002, S. 63 - 78.

  2. Vgl. Commission of the European Communities, EU Strategy for Africa: Towards a Euro-African pact to accelerate Africa's development. Communication from the Commission to the Council, the European Parliament and the European Economic and Social Committee. Brussels, COM(2005) 489 Development {SEC(2005)1255}12.10. 2005.

  3. Die betreffenden Dokumente sind auf der Webseite der Europäische Union (http://europa.eu/in dex_de.htm) veröffentlicht.

  4. European Parliament, Council, Commission, Development Policy The European Consensus'. Joint statement by the Council and the representatives of the governments of the Member States meeting within the Council, the European Parliament and the Commission on European Union: Official Journal of the European Union C 46/1 24.2. 2006.

  5. Vgl. European Commission DG Development, Consultation on the Future of EU Development Policy. Issues Paper, Brussels, 7. 1. 2005.

  6. Vgl. Council of the European Union, Conclusions of the Council and of Representatives of the Governments of the member states meeting within the Council, Document Nr. 9558/07, 15.5. 2007.

  7. Für den 9. EEF standen 23,4 Mrd. Euro zur Verfügung, 13,5 Mrd. Euro neue Mittel und 9,9 Mrd. Euro Restmittel aus den vorhergehenden Zyklen.

  8. OECD/DAC, Paris Declaration on Aid Effectiveness, Paris, 2. 3. 2005.

  9. Nach einer mündlichen Mitteilung aus der Kommission soll in 12 der 73 AKP-Länder die Kommission mit den Mitgliedsländern ihre Strategie für den 10.EEF von 2008 bis 2013 gemeinsam geplant haben.

  10. Vgl. Council of the European Union, Agreement amending the Partnership Agreement between the AKP-Group of States and the European Union. Council Decision of 21 June 2005 European Union Official Journal L 209 , 11/08/2005 P. 0026 - 0059.

  11. Sie sieht eine direkte Entsendung von EU-Streitkräften unter einem UN-Mandat vor.

  12. Vgl. Denis M. Tull, Zeitenwende in der französischen Afrikapolitik, SWP-Aktuell 44, Berlin, Oktober 2005.

  13. Vgl. Worldbank, A decade of Measuring the Quality of the Governance. Governance Matters 2007. Worldwide Governance Indicators, 1996-2006, Washington, D.C. 2007.

  14. Vgl. Cord Jakobeit, Fünf Jahre NEPAD, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), (2006) 32 - 33, S. 21 - 24.

  15. Gerade in den wirtschaftlich einigermaßen erfolgreichen Ländern wie in Namibia oder Uganda wächst die Kluft zwischen Armen und Reichen immer mehr.

  16. Christopher Clapham, Discerning the New Africa, in: International Affairs, 74 (1998) 2.

Dr. phil., geb. 1929; Honorarprofessor für Entwicklungspolitik an der Universität Trier, FB III, 54286 Trier.
E-Mail: E-Mail Link: pmolt@t-online.de