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Die Rente mit 70 | Rente | bpb.de

Rente Quiz

Die Rente mit 70

Wolfgang Gründiger

/ 4 Minuten zu lesen

Wer heute auf die Welt kommt, hat gute Chancen 100 Jahre alt zu werden. Wenn unsere Rentensysteme künftig nicht in sich zusammenbrechen sollen, müssen wir in Zukunft länger arbeiten. Die Rente mit 70 ist keine Utopie, sagt Wolfgang Gründinger.

Wolfgang Gründinger wirft einen Blick in die Zukunft: Im Jahr 2060 werden wir mit 70 Jahren seiner Meinung nach noch nicht gemütlich auf einer Parkbank sitzen sondern arbeiten gehen. (CC, Warming the bones von Pedro Ribeiro Simões Externer Link: http://bit.ly/2qeKO3L>Warming the bones) Lizenz: cc by/2.0/de

Wenn ich selbst einmal alt bin, wird Deutschland ein Land der Methusalems sein. Externer Link: Laut Max-Planck-Institut für demografische Forschung hat ein Baby, das heute in Deutschland auf die Welt kommt, eine fünfzigprozentige Chance, hundert Jahre alt zu werden. Für unsere Kinder wird ein Land von Hundertjährigen zur Normalität.


Das ist eine gute Nachricht. Doch die steigende Lebenserwartung stellt auch die sozialen Sicherungssysteme vor Herausforderungen. Wenn immer mehr Menschen immer länger Rente beziehen, und die Jungen immer weniger werden, sind Probleme für die Rentenkasse vorprogrammiert. Kamen im Jahr 1960 noch zwanzig Ältere über 65 auf hundert Jüngere, sind es heute bereits 30 Ältere. Gleichzeitig hat sich die Rentenbezugszeit seither nahezu verdoppelt. Doch der demografische Wandel schlägt erst jetzt mit voller Wucht zu: Bis zum Jahr 2030 wird sich dieser Altenquotient in etwa verdoppeln. Dann müssen hundert Jüngere bereits für 50 bis 60 Ältere über 65 sorgen. Externer Link: Das Zahlentableau ist eindeutig: Die Erwerbsbevölkerung wird bis zum Jahr 2050 um 16 Prozent schrumpfen, wenn man eine Zuwanderung von jährlich netto 200.000 Menschen unterstellt. Ohne Zuwanderung würde die Erwerbsbevölkerung sogar um 36 Prozent schrumpfen.

Fortschritte in der Produktivität, so viel steht fest, können die Demografie nicht ausgleichen. Die Produktivitätsentwicklung in Deutschland verläuft seit zwei Jahrzehnten flach wie der Bodensee: Externer Link: nur um rund 1% pro Jahr. Das ist bei weitem nicht genug, um die wegfallende Arbeitskraft durch die Alterung der Bevölkerung zu kompensieren.

Der Kern schmilzt weg

Weil sich die Wirtschaftsleistung immer aus dem geleisteten Arbeitsvolumen in Verbindung mit der Arbeitsproduktivität speist, muss bei abnehmendem Arbeitsvolumen und lahmendem Produktivitätsfortschritt die Wirtschaftsleistung abflauen. Externer Link: Modellrechnungen ergeben, dass die Kernschmelze der Erwerbsbevölkerung das Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 1,3 Prozent pro Jahr um etwa 0,5 Prozentpunkte gebremst wird. Im Jahr 2030 entgeht uns dadurch eine Wirtschaftsleistung von rund 410 bis 550 Milliarden Euro. Auch wenn das Bruttoinlandsprodukt für sich allein genommen sicherlich nicht als Wohlstandsindikator taugt, bleibt die Erkenntnis unbeschadet, dass wir aufgrund der demografischen Schmelze des Kerns der Erwerbsbevölkerung mit einer Erschöpfung unseres Wohlstands rechnen müssen.

Die Folge dieser demografischen Bremse: Das Wachstum stagniert, während in einer alternden Gesellschaft der Umverteilungsbedarf zu Renten, Pflege und Gesundheit zwingend steigen wird. Harte Verteilungskonflikte kündigen sich an.

Natürlich haben die Rentner jahrzehntelang gearbeitet und wollen nun auch die verdienten Früchte ihrer Arbeit genießen. Aber was sie bekommen, müssen andere bezahlen. Und dafür braucht man eine funktionierende, dynamische Ökonomie – doch die wird gelähmt, wenn die arbeitende Bevölkerung weg bricht.

Heute ist man später alt

Was tun? Entweder, man kürzt die Renten; oder man erhöht die Beiträge. Beides ist aber nicht wünschenswert. Die Altersarmut würde sich noch deutlicher verschärfen. Der charmantere Weg ist die Erhöhung des Renteneintrittsalters: Dann würden mehr Arbeitnehmer Beiträge in die Rentenkassen zahlen und zugleich weniger Menschen Rente beziehen. Das würde die Kosten balancieren helfen.

Franz Müntefering hat damals die zwar unpopuläre, aber demografiepolitisch völlig richtige schrittweise Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre durchgesetzt. Die Rente mit 67 tritt erst im Jahr 2031 vollständig in Kraft. Bis dahin werden wir in Deutschland eine riesige Nachfrage nach Arbeitskräften erleben, weil die Babyboomer-Generation in den Ruhestand geht und Arbeitskräfte dringend gebraucht werden. Das wird sich auch in höheren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsquoten für Ältere niederschlagen. Schon in den letzten Jahren stieg die Beschäftigung Älterer rasant an, und der Trend geht weiter nach oben.

Wer länger lebt, kann länger arbeiten

Doch auch im Jahr 2031 ist der demografische Wandel noch lange nicht vorbei. Deswegen plädiere ich für eine Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung: Steigt die Lebenserwartung um beispielsweise zwei Monate an, würde davon ein Monat für den Ruhestand und ein Monat für die Erwerbsarbeit reserviert. Das würde irgendwann, vermutlich um das Jahr 2060, auf eine Rente mit 70 hinauslaufen.

Ein Einwand ist häufig, dass Akademiker sicherlich bis 70 arbeiten könnten, aber was ist mit körperlich schweren Berufen wie Dachdeckern oder Fliesenlegern? Schon heute gehen Bauarbeiter nicht mit 65 Jahren, sondern mit durchschnittlich 58 Jahren in Rente, weil sie körperlich nicht mehr können. Schon heute muss man für sie also Lösungen schaffen – und zwar durch eine bessere Erwerbsminderungsrente und Jobwechsel lange vor der Rente. Für die große Mehrheit aber wird die Erhöhung des Rentenalters zu schaffen sein.

Das Rentenalter lag übrigens schon unter Adenauer bei 65 Jahren, obwohl sich die Lebenserwartung seither deutlich erhöht hat – und damals haben mehr Menschen schwer körperlich gearbeitet. Wenn heute jedes zweite Kind hundert Jahre alt werden kann, dann verhieße eine Rente mit 70 immer noch einen Ruhestand von 30 Jahren – das ist sicherlich genügend Zeit für einen entspannten Lebensabend.

Fussnoten

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Wolfgang Gründinger ist Demokratieforscher, Autor, Aktivist und Analyst. Er promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin zur Rolle der Interessengruppen in der deutschen Energiepolitik.