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Stasi am Ende? - Die Auflösung des Geheimdienstes | Kontraste - Auf den Spuren einer Diktatur | bpb.de

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Stasi am Ende? - Die Auflösung des Geheimdienstes Sendung vom 2. Januar 1990

/ 6 Minuten zu lesen

Hier finden Sie das Sendungsmanuskript zum "Kontraste"-Beitrag vom 2. Januar 1990.

Der Staatssicherheitsdienst war das Instrument, mit dem die SED ihr Herrschaftsmonopol betonierte. Bricht nun die Regierung Modrow endgültig mit dieser schrecklichen Vergangenheit? Roland Jahn und Werner Thies haben nachgeprüft.

Passant 1

Frage: "Als das jetzt aufgelöst wurde, haben Sie denn schon neue Arbeit?"

"Ich suche, wir suchen alle."

Frage: "Schwierigkeiten?"

"Natürlich, lesen Sie doch mal die Zeitung."

Passant 2

"Bitte, was sagen Sie?"

Frage: "Ob Sie schon neue Arbeit haben?"

"Nicht seitdem alles aufgelöst ist."

Frage: "Suchen Sie weiter?"

"Ja, wo denken Sie denn hin."

Passant 3

Frage: "Entschuldigung, Sender Freies Berlin. Was sagen Sie, dass es jetzt aufgelöst wird. Was sagen Sie dazu?"

Keine Antwort.

Das ist die Stimmung bei denen, die hier noch immer ein- und ausgehen. Normannenstraße in Ostberlin. Die Zentrale der Staatssicherheit – heute das Amt für Nationale Sicherheit. Aber auch dieses Amt wird aufgelöst. Die Geheimpolizei der DDR formiert sich neu und zwar als Nachrichtendienst und als Verfassungsschutz.

Eine schwierige Aufgabe, zumal viele Mitarbeiter die alten bleiben.

Frage: "Gibt es ein schlechtes Gewissen?"

"Von unserer Seite?"

Kontraste:"Ja."

"Och, ne, warum auch? Ich glaube nicht."

Kontraste: "Schönen Dank."

"Bitte sehr."

Was hinter diesem Eisentor der Zentrale gegenwärtig vorgeht, duften wir nicht filmen. Aber nicht weit entfernt von hier, hatte die alte Stasi eine zweite große Niederlassung, zuständig für Ostberlin.

Versiegelte Türen, die nur ein Militärstaatsanwalt öffnen darf. Ein Kontrollausschuss wurde gebildet. Beteiligt daran ist auch die Opposition. Sicherheitspartnerschaft nennt sich solche Zusammenarbeit vollmundig im DDR-Jargon.

Zitat:"Ein liebes Wort am frühen Morgen erfreut das Herz den ganzen Tag."

Hinterlassenschaften – leere Schreibtische von Mitarbeitern, die die alte Stasi schon verlassen haben und daneben Aktenschränke, deren Inhalt jetzt gesichtet und sortiert werden muss. Wer hier nicht mehr arbeitet, hat draußen in der Wirtschaft einen schweren Stand, oft genug auch finanziell.

Pressesprecher "Amt für Nationale Sicherheit"

Frage: "Können Sie bestätigen, dass sie 3 Jahre das gleiche Gehalt bekommen, wie sie hier bekommen haben?"

"Das ist absoluter Unsinn. Kann ich Ihnen auf keinen Fall bestätigen. Es gibt also eine entsprechende Berufssoldatenförderungsverordnung, eine gewisse Unterstützung. Aber die wird sich auf keinen Fall auf 3 Jahre beziehen und die wird also auch nicht so sein dass er praktisch sein Gehalt weiter erhält."

Das ist falsch. Wer dieses Tor für immer verlässt, für den hat der Staat eben doch vorgesorgt. Anfang Dezember schon hat der Ministerrat der DDR eine großzügige Vereinbarung getroffen, unterschrieben und besiegelt vom Justizminister, vom Generalstaatsanwalt, vom Präsidenten des obersten Gerichts der DDR und vom Gewerkschaftsbund. Es gibt ein Überbrückungsgeld.

Zitat: "Mitarbeiter, die in der neuen Tätigkeit ihren bisherigen Durchschnittslohn nicht wieder erreichen können, erhalten gemäß § 221 Abs. 2 AGB ein höheres Überbrückungsgeld."

Das Überbrückungsgeld in Höhe der voraussichtlichen Minderung des Nettodurchschnittslohns für die Dauer von 3 Jahren gewährt. Mit anderen Worten: Drei Jahre lang gibt es dasselbe Gehalt wie bisher.

Noch vor der Wende in Leipzig. Die alte Stasi in Aktion. Wer lange genug gedient hatte, kassiert Treueprämien und die soll es weitergeben. In den Vereinbarungen heißt es:

Zitat: "Mitarbeiter ... erhalten innerhalb von 3 Jahren... eine jährliche Prämie in der prozentualen Höhe, auf die sie beim Ausscheiden aus dem Staatsapparat Anspruch hatten."

Und die Fürsorge geht noch weiter.

Die alten Stasi-Leute sind verhasst in der Bevölkerung. Da zieht es mancher vor, am liebsten gleich den Ort zu wechseln. Aber Umziehen ist teuer und deshalb gibt es einen Einrichtungszuschuss beim Wohnungswechsel:

Ledige
DM 1.000 Mark
Verheiratete
DM 2.000 Mark

Mit Kinder DM 3.000 Mark

Demonstrationen wie diese haben beim Geheimdienst der DDR die Türen geöffnet:

"Wir wollen rein, wir wollen rein.."

Bürgerkomitees wurden eingeladen zur Besichtigung. Auch die Auflösung dieses Amts wurde durchgesetzt. Ein Regierungsbeauftragter soll das jetzt organisieren.

Peter Koch Regierungsbeauftragter

Frage: "Nun ist es doch aber für die Bevölkerung nicht so einfach hinnehmbar, dass diejenigen, die die Opposition verfolgt haben, dafür auch noch Gelder und Prämien bekommen."

"Das ist sicherlich ein sehr schwieriges Problem. Aber man muss davon ausgehen, dass man diese Mitarbeiter für die falsche Sicherheitspolitik hier in unserem Lande nicht verantwortlich machen kann. Und ich glaube auch, dass wir einen Schlussstrich zu ziehen haben, der gezogen werden muss und man auch in dieser Hinsicht neu beginnen muss."

Keinen Schlussstrich ziehen, sondern aufarbeiten. Das will die Opposition – hier beim Sichten der Akten. Wer anders dachte als die Staatsdoktrin es vorschrieb, wer ausreisen wollte, oder wer auch nur beruflich in den Westen fuhr, jeder ist hier erfasst. Aber manche Akte fehlt bereits. Sie wanderte in den Reißwolf oder wurde verbrannt. Die Regierung Modrow sicherte am 4. Dezember letzten Jahres zu, jegliche Aktenvernichtung zu stoppen. Ein internes Fernschreiben, das wenige Tage später abgeschickt wurde, spricht dagegen.

249-2705-330 e 74-89 – Unter dieser Nummer vom 7. Dezember schrieb der Ministerrat der DDR ein Blitztelegramm an alle Räte der Bezirke und an die beauftragte Vorsitzenden des Ministerrates.

In diesem Fernschreiben hieß es unter anderem:

Zitat: "Die Regierung beauftragt den Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit, die unberechtigt angelegten Dokumente unverzüglich zu vernichten."

Von der Vernichtung bedroht – auch diese Akten. Im Untersuchungsgefängnis der ehemaligen Stasi, im DDR-Bezirk Gera. Für jeden Mitarbeiter jederzeit zugänglich. Wer will, kann seine Spuren hier beseitigen. Aber auch offiziell wurde versucht, Papiere aus dem Weg zu schaffen. Ein Mitglied des Bürgerkomitees erzählt, dass die Opposition dabei sogar zur Mitarbeit aufgefordert wurde.

Markus Heckert, Neues Forum

"Ich habe den Eindruck, dass das Bürgerkomitee, das sich hier gebildet hat, eine Feigenblattfunktion ausführen soll. Ganz massiv wurde von uns am Anfang verlangt und erwartet, dass wir unsere Zustimmung geben, sämtliche noch vorhandenen Akten zu vernichten, um wieder bei einer Stunde Null anfangen zu können."

Ortstermin im Stasi-Knast. Ehemalige Häftlinge und Mitglieder des Bürgerkomitees besuchen das Untersuchungsgefängnis. Tags zuvor war das Komitee schon einmal hier gewesen. Tonbänder wurden sichergestellt, Schränke notdürftig versiegelt.

Ein Mitglied vom Bürgerkomitee

"Es war gestern zugeklebt, mit Unterschriften abgesichert und jetzt ist es wieder aufgerissen. Ich möchte mal wissen vom Anstaltsleiter, welche Erklärung sie dafür haben."

"Ich kann keine Erklärung dafür geben, weil ich nicht da war. Und es ist auch nicht aufgebrochen worden. Das haben Sie doch gesehen. Man könnte das aber untersuchen lassen, vielleicht von der Kriminalpolizei, warum sich das von allein auflöst (?)."

Isoliert und streng bewacht gab es diese kleinen Buchten. 20 Minuten frische Luft am Tag.

Thomas Auerbach, ehemaliger politischer Häftling

"Und dann bist du wirklich gesprungen. Teilweise in anderen Untersuchungsanstalten sind sie noch kleiner, diese Tigerkäfige. Und dann konnte auch jederzeit der Ausgang verweigert werden. Da hast du normalerweise das Recht auf 20 Minuten pro Tag, aber das ist oft nicht durchgeführt worden."

Und du hast ja nie einen anderen Häftling gesehen. Du bist ja dann beispielsweise, zum Vernehmen, da bist du auch durchgeschlossen worden. Da kamst du in Stehzellen, da wurde draußen einer vorbeigeführt, und du hast die einzige Möglichkeit mit anderen Kontakt aufzunehmen, du weißt ja: klopfen. Das berühmte Knastalphabet. Und wenn sie dich dabei erwischt haben, dann gab es natürlich wieder Strafen."

Einen Schlussstrich ziehen, das wollen die alten Stasi-Leute auch hier in Gera. Der Gefängnisdirektor schafft es sogar, seine Mitverantwortung für die berühmten Stasi-Methoden zu leugnen.

Gefängnisdirektor

Frage: "Was war eigentlich mit den Vielen, die hier eigentlich zu Unrecht inhaftiert waren?"

"Das ist natürlich wahr. Aber ich bin hier nicht die Untersuchungsleitung. Sie müssen das trennen zwischen Untersuchungshaft und Untersuchungshaupteingang. Ich war verantwortlich für die Unterbringung und für die Sauberkeit in diesem Haus und nicht für die Vernehmung."

"Es will wieder keiner gewesen sein", sagen die ehemaligen Häftlinge. Der Versuch vorzudringen zum heutigen Leiter des Amts für Nationale Sicherheit in Gera. Der ganze Gebäudekomplex wird immer noch gesichert durch die alte Stasi-eigene Schutztruppe und nicht, wie andernorts in der DDR durch Bürgerkomitees und Polizei. Viel verändert hat sich hier in Gera nicht. Auch wenn der Amtsleiter für sich reklamiert, dass sei nur eine Frage der Zeit.

Oberstleutnant Trostorff, Leiter des Amts für Nationale Sicherheit

"Die Staatssicherheit existiert nicht mehr. Es gibt ein Amt für Nationale Sicherheit, was praktisch schrittweise aufgelöst wird. Und ich sagte schon mal, das geht nicht von heute auf morgen. Das ist gar nicht praktikabel."

Frage: "Sind Sie noch bewaffnet?"

"Ich persönlich, meinen Sie?"

Kontraste: "Ich meine Ihr Amt ja."

"Es existieren hier noch Waffen ja."

Die ehemalige Stasi ist immer noch bewaffnet. Das zu ändern, wäre längst möglich gewesen, aber der Geheimdienst der DDR hat nach wie vor direkten Zugriff zu seinen Waffenkammern.

Oberstleutnant Trostorff, Leiter des Amts für Nationale Sicherheit

"Sie sind verschlossen, aber für uns nach wie vor zugänglich."

Mit freundlicher Genehmigung des Rundfunk Berlin-Brandenburg

Fussnoten

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