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Die Erfurter Ateliergemeinschaft | Autonome Kunst in der DDR | bpb.de

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Die Erfurter Ateliergemeinschaft

Dr. Klaus Michael Klaus Michael

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In diesem Gebäude in der Neuwerkstraße 29 in Erfurt (Aufnahme von 2006) traf sich zu DDR-Zeiten die Erfurter Ateliergemeinschaft. (Wikimedia) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

Im Jahr 1963 trafen sich im Atelier des Bildhauers Waldo Dörsch in der Erfurter Neuwerkstraße 29 (Haus Weinreiter) befreundete Künstler, um eigenständig Ausstellungen zu planen. Die "Erfurter Ateliergemeinschaft“, die aus dem Treffen hervorging, realisierte von 1964 bis 1974 insgesamt 45 Ausstellungen nonkonformer und kritischer Kunst und schuf damit ein für die damalige von kulturpolitischen Repressionen bestimmte Zeit einzigartiges Modell einer selbstbestimmten Produktions- und Künstlergalerie.

Zu den Gründern der "Erfurter Ateliergemeinschaft“ zählten neben Waldo Dörsch der Grafiker, Lehrer und Kunstsammler Rudolf Franke, der Grafiker Alfred Traugott Mörstedt, der Metallgestalter Helmut Senf und der Fotograf Johannes Sönnichsen sowie der Eisenacher Kunstschmied und Professor an der Hallenser Hochschule für industrielle Formgestaltung Günther Laufer. Im darauf folgenden Jahr schloss sich der Kunstsammler und Zahnarzt Bernd Gröber dem Kreis an.

Ziel der Gemeinschaft war es, sich ebenso mit dem Werk und den künstlerischen Ansätzen wichtiger Kollegen auseinanderzusetzen wie sich über künstlerische Trends und ästhetische Fragen auszutauschen. Es sollten Künstler ausgestellt werden, die im Kulturbetrieb der DDR "nicht zum Zuge kamen“ und die mit ihrem Werk in Ost und West Akzente setzten. Mit einer Ausstellung von Waldo Dörsch nahm die Ateliergemeinschaft am 15. Dezember 1963 im ehemaligen Dachatelier von Rolf Dieß ihre Galerietätigkeit auf.

In den folgenden zehn Jahren stellten unter anderen Gerhard Altenbourg, Elisabeth Ahnert, Achim Freyer, Hermann Glöckner, Günther Huniat, Roger Loewig, Robert Rehfeldt, Peter Sylvester, Dieter Tucholke und Albert Wigand aus. Aus Thüringen kamen Günther Jahn, Horst Jährling, Philip Oeser und Werner Schubert-Deister. Werkpräsentationen internationaler Künstler von HAP Grieshaber bis Raoul Ubac und Ryszard Otreba sowie eine Exposition mit Farbgrafik von Meistern der École de Paris aus der Sammlung Rudolf Franke wurden ebenso gezeigt wie jeweils zum Jahresende die sogenannte Weihnachtsausstellung der Erfurter Protagonisten. Darüber hinaus gab die Ateliergemeinschaft Grafikmappen, sogenannte "Jahresgaben“, in einer Auflage von 30 Exemplaren heraus. Sie enthielten jeweils zehn Blätter und waren einem von der Ateliergemeinschaft vorgegebenen Thema gewidmet. Nachdem die Mappen in den ersten beiden Jahren noch ohne Titel erschienen, folgten ab 1966 Titeleditionen – "Eisheilige“, "Kontakte“, "Die Stadt“, "Gesichter“, "Chiffren“, "Schattenblätter“, "Findungen“ und als Abschluss die Mappe "Thuringia“. Alle Mappenwerke wurden damals durch Werner Schmidt für das Kupferstichkabinett Dresden erworben.

1968 sorgte eine Ausstellung des Malers, Regisseurs und Meisterschülers von Brecht am Berliner Ensemble Achim Freyer für Aufsehen. Innerhalb weniger Jahre wurde Freyer, vor allem nach seiner Ausreise aus der DDR 1971, zu einem international gefragten Bühnenbildner. Die Ausstellungen von Gerhard Altenbourg, Hermann Glöckner und Roger Loewig hatten besondere Bedeutung, weil die Ateliergemeinschaft mit ihnen ein deutliches Zeichen gegen das vorherrschende kulturpolitische Klima dieser Jahre setzte. Loewig, der wegen einer Kunstedition ein Jahr in Haft verbracht hatte, konnte hier nach seiner Entlassung 1966 zum ersten Mal wieder ausstellen und fand vor allem Freunde und finanzielle Unterstützung. Seine letzte Ausstellung 1973 fand in Abwesenheit des Künstlers statt, weil Loewig zu diesem Zeitpunkt bereits im Westen lebte. Mit Werken Gerhard Altenbourgs, 1964 wegen "Zollvergehen“ zu einem halben Jahr Haft auf Bewährung verurteilt, richtete die Ateliergemeinschaft drei Ausstellungen aus. Altenbourg war die prägende Persönlichkeit in der nichtoffiziellen Kunstszene dieser Jahre, weil er für das künstlerische Autonomieverständnis von Leben und Werk unmissverständlich Maßstäbe setzte.

Die Erfurter Ateliergemeinschaft beendete 1974 ihre Arbeit, die Ausstellungen in der Neuwerkstraße wurden jedoch unter dem Namen „Erfurter Atelierbund“ von Sieglinde Thimm, Rainer Luck und dem Lyriker Eberhard Häfner fortgesetzt – bis zu Jahr 1977 entstanden sechs Ausstellungen, unter anderem mit Strawalde (Jürgen Böttcher). Das Erfurter Modell der „Ateliergemeinschaft“ war zu seiner Zeit in Intention, Qualität und Wirkkraft singulär. Erst später entstanden in der DDR ähnliche Produzentengalerien wie 1977 dieInterner Link: "Clara Mosch“ in Karl-Marx-Stadt, 1978 die Interner Link: Obergrabenpresse in Dresden und 1980 die Interner Link: Freiluftgalerie Stötteritz in Leipzig.

Quellen / Literatur

Kunst im Gegenwind. Die Erfurter Ateliergemeinschaft 1963 bis 1974. Mühlhausen und Erfurt 1998.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Geb. 1959, promovierter Germanist, ist seit 1997 Präsidialsekretär der Sächsischen Akademie der Künste in Dresden.