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Widerstand gegen den Nationalsozialismus | Der Zweite Weltkrieg | bpb.de

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Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Dr. Thomas Vogel

/ 12 Minuten zu lesen

Das Bild vom Widerstand Deutscher gegen Hitler und sein Regime während des Krieges ist vielfältig. Einige tausend Menschen boten dem Regime mutig die Stirn. In der deutschen Bevölkerung bildeten sie freilich eine verschwindende Minderheit.

Helmuth James Graf von Moltke (1907-1945), führender Kopf des "Kreisauer Kreises", vor dem "Volksgerichtshof" im Januar 1945. (© Bundesarchiv)

Nach Hitlers Machtübernahme 1933 gelang es den Nationalsozialisten mit brutalen Methoden sehr bald, die politischen Gegner in Deutschland "auszuschalten". Andersdenkende wurden auf verschiedene Weise mundtot gemacht. Gleichzeitig bescherten Erfolge in der Wirtschafts- und Außenpolitik dem NS-Regime breiten Rückhalt in der deutschen Bevölkerung. Auch die konservativen Eliten sahen im Nationalsozialismus eher einen Bundesgenossen im Kampf gegen Sozialismus und Kommunismus. Die Gewalttätigkeit des Regimes, die staatliche Verfolgung der deutschen Juden der anderen Minderheiten sowie und die Drangsalierung der christlichen Kirchen erregten deshalb selten offenen Widerspruch.

Anfänge einer Militäropposition

General Ludwig Beck (1880-1944) (© Bundesarchiv)

Auch aus der Wehrmacht kam wenig Kritik am Nationalsozialismus. Das Militär profitierte enorm von Hitlers Aufrüstungspolitik und trug dessen aggressive Außenpolitik jahrelang bereitwillig mit. Diese Eintracht wurde Anfang 1938 gestört, als Hitler den Reichskriegsminister sowie den Oberbefehlshaber des Heeres unter fragwürdigen Umständen entließ, nachdem sie vorsichtig Einwände gegen seine Außenpolitik erhoben hatten. Aber erst der gefährliche Kriegskurs, den Hitler fast gleichzeitig mit der Annexion Österreichs und gegenüber der Tschechoslowakei einschlug, führte zu ernsthaftem Widerspruch, wenigstens in Teilen der Militärführung. Vergebens versuchte der Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck, Hitler zum Einlenken und die Generalität zum gemeinsamen Protest zu bewegen.

Oberst Hans Oster (1887-1945) (© Bundesarchiv)

Als Beck deshalb im August 1938 zurücktrat, hinterließ er in Berlin einen kleinen Kreis gleichgesinnter Offiziere aus dem Generalstab des Heeres und dem militärischen Nachrichtendienst, der "Abwehr". Diese Keimzelle einer Militäropposition knüpfte bald Verbindung zu Regimekritikern in anderen Teilen des Staatsapparates, vor allem im Auswärtigen Amt. Als sich im September 1938 die Sudetenkrise verschärfte, entstand hieraus eine erste Verschwörung zum Sturz des NS-Regimes. Ihr Motor war Oberstleutnant Hans Oster aus der "Abwehr". Er hatte die Unterstützung von Becks Nachfolger, Franz Halder, sowie des Befehlshabers im Berliner Wehrkreis, Erwin von Witzleben. Zum Staatsstreich kam es dennoch nicht; den Verschwörern fehlte ein Auslöser, als Hitler seine Ziele in der Sudetenkrise ohne Krieg erreichte.
Nach Hitlers neuem außenpolitischem Triumph gaben die Verschwörer ihre Pläne vorerst auf. Ein Regime zu stürzen, das mehr Rückhalt denn je in der Bevölkerung besaß, erschien aussichtslos. Diese Einschätzung lähmte die Militäropposition bis weit in den Krieg hinein. Die anfangs erfolgreiche deutsche Kriegführung ließ Gefolgschaft für einen Staatsstreich gerade in der Wehrmacht nicht erwarten. Eine neue Initiative, die im Herbst 1939 eine Ausweitung des Krieges verhindern wollte, scheiterte daher bereits im Ansatz. Oster ging deshalb so weit, die deutschen Angriffsabsichten im Westen an das Ausland zu verraten.

QuellentextEntwurf für eine Regierungserklärung der Regierung Beck/Goerdeler aus dem Sommer 1944

"Nachdem uns die Geschäfte der Reichsregierung übertragen sind, ist es unsere Pflicht, die Grundsätze bekanntzugeben, nach denen wir die Regierung führen werden, und die Ziele mitzuteilen, die wir erstreben.

1. Erste Aufgabe ist die Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts. Die Regierung selbst muß darauf bedacht sein, jede Willkür zu vermeiden, sie muß sich daher einer geordneten Kontrolle durch das Volk unterstellen. Während des Krieges kann diese Kontrolle nur vorläufig geordnet werden. Einstweilen werden lautere, sachkundige Männer aus allen Ständen berufen werden; ihnen werden wir Rede und Antwort stehen, ihren Rat wollen wir einholen. Vor allem aber werden wir sie beauftragen, auf allen Gebieten genau die Erbschaft festzustellen, die wir übernommen haben. Jeder Deutsche wird mit uns mehr oder minder bewußt empfinden, wie schwer sie ist. Wir lehnen es ab, die Verantwortung Hitlers mit der von ihm eingeführten Beschimpfung des Gegners einzuleiten. Wir erachten es vielmehr für geboten, mit Anstand und Gewissenhaftigkeit die Tatsachen festzustellen, aus denen sich die Verantwortung ergeben wird. Soweit es der Krieg gestattet, wird der Bericht, den jene Männer verfassen werden, sofort bekanntgegeben werden; soweit das einstweilen möglich ist, wird die restlose Bekanntgabe erfolgen, sobald die Lage es gestattet. Wir waren einst stolz auf die Rechtlichkeit und Redlichkeit unseres Volkes, auf die Sicherheit und Güte der deutschen Rechtspflege. Umso größer muß unser aller Schmerz sein, sie fast vernichtet zu sehen.

Keine menschliche Gemeinschaft kann ohne Recht bestehen; keiner, auch derjenige, der glaubt, es verachten zu können, kann es entbehren. Für jeden kommt die Stunde, da er nach dem Recht ruft. Gott hat uns in seiner Ordnung des Weltalls, in seiner Schöpfung der Menschen und in seinen Geboten die Notwendigkeiten des Rechts, seiner gerechten und unparteiischen Anwendung gesetzt. Er hat uns Einsicht und Kraft verliehen, die irdischen Einrichtungen zu seiner Sicherung zu schaffen. Es ist ein Verbrechen, dieser Ordnung nicht zu folgen. Dazu ist es notwendig, Unabhängigkeit, Unversetzbarkeit und Unabsetzbarkeit der Richter wiederherzustellen. Wir wissen wohl, daß viele von ihnen nur unter dem Druck des äußersten Terrors gehandelt haben, aber es wird mit unbeugsamer Strenge nachgeprüft werden, ob darüber hinaus Richter das Verbrechen begangen haben, gegen Gesetz und Gewissen Recht zu sprechen. Sie werden entfernt werden; um das Vertrauen des Volkes in die Rechtspflege wiederherzustellen, werden Laien bei der Urteilsfindung in allen Strafsachen mitwirken. Das gilt auch für die vorläufig eingesetzten Standgerichte.

Das Recht wird gereinigt werden. Es ist nicht Sache des Richters, neues Recht zu schaffen; er hat das Gesetz anzuwenden und dies auf das peinlichste zu tun. Es ist nicht Sache des Richters, einer Weltanschauung Rechnung zu tragen, die selbst nicht weiß, was sie will und ihr Programm durch ihre Führer auf das schwerste verunstaltet sieht. Es ist unerträglich, daß Menschen verurteilt werden, die nicht wissen konnten, daß ihr Tun strafbar war. Soweit etwa der Staat etwa durch Gesetz Handlungen seiner Organe nachträglich für straffrei erklärt hat, die in Wahrheit strafwürdig sind, werden diese Befreiungsbestimmungen als mit der Natur des Rechts unvereinbar aufgehoben und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Das Recht wird jedem gegenüber, der es verletzt hat, durchgesetzt. Alle Rechtsbrecher werden der verdienten Strafe zugeführt. Die Sicherheit der Person und des Eigentums werden wieder gegen Willkür geschützt sein. Nur der Richter darf nach dem Gesetz in diese persönlichen Rechte des einzelnen, die für den Bestand des Staates und für das Glück der Menschen unerläßlich sind, eingreifen.

Die Konzentrationslager werden aufgelöst, die Unschuldigen entlassen, Schuldige dem ordentlichen gerichtlichen Verfahren zugeführt werden.
Aber ebenso erwarten wir, daß niemand Lynchjustiz vollzieht. Wenn wir die Majestät des Rechts wiederherstellen wollen, müssen wir alle Energie gegen persönliche Vergeltung aufwenden, die aus der Leidenschaft über verletztes Recht, die aus der Verwundung der Seele menschlich nur zu begreiflich wäre. Wer irgendetwas auf dem Herzen hat, erstatte Anzeige, an welcher öffentlichen Stelle er will. Seine Anzeige wird an die richtige Stelle weitergeleitet werden. Aber die Anzeige muß wahr sein. Wahrheitswidrige Anzeigen werden bestraft, anonyme Anzeigen wandern in den Papierkorb.

2. Wir wollen die Moral wiederherstellen, und zwar auf allen Gebieten des privaten wie öffentlichen Lebens.
Die Korruption ist in unserem früher so reinen Volk von hohen und höchsten Würdenträgern in einem bisher in der Welt nicht dagewesenen Umfang großgezogen. Während draußen unsere Soldaten kämpfen, bluten und fallen, ihre Glieder verlieren, führen Männer wie Göring und andere Größen ein Luxusleben, rauben Edelsteine, Gemälde und sonstige Wertstücke, füllen ihre Keller und Böden mit Vorräten, fordern das Volk zum Durchhalten auf und drücken sich und ihren Anhang feige vor dem Opfer dort draußen. Alle Übeltäter werden mit der ganzen Strenge des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen, unredlich erworbenes Gut wird eingezogen und den Geschädigten wiedergegeben werden. Die Uk-Stellungen aus politischen Gründen sind aufgehoben. Jeder wehrfähige Mann kann an der Front beweisen, was er ist und wie es mit seinem Willen zum Durchhalten steht. Das Mauldurchhalten wollen wir nicht mehr dulden.

Zur Sicherung des Rechts und des Anstandes gehört die anständige Behandlung aller Menschen. Die Judenverfolgung, die sich in den unmenschlichsten und unbarmherzigsten, tief beschämenden und gar nicht wiedergutzumachenden Formen vollzogen hat, ist sofort eingestellt. Wer geglaubt hat, sich am jüdischen Vermögen bereichern zu können, wird erfahren, daß es eine Schande für jeden Deutschen ist, nach einem unredlichen Besitz zu streben. Mit solchen Marodeuren und Hyänen unter den von Gott geschaffenen Geschöpfen will das deutsche Volk in Wahrheit auch gar nichts zu tun haben.

Wir empfinden es als eine tiefe Entehrung des deutschen Namens, daß in den besetzten Gebieten hinter dem Rücken der kämpfenden Truppe und ihren Schutz mißbrauchend, Verbrechen aller Art begangen worden sind. Die Ehre unserer Gefallenen ist damit besudelt.

Wer die Kriegszeit dort draußen benutzt hat, um sich die Taschen zu füllen oder sonst irgendwie einen Millimeter von der Linie der Ehre abgewichen ist, wird zur Rechenschaft gezogen werden. Die Strafe wird besonders hart sein für diejenigen, die von dieser Stunde ab noch bei irgendeinem Vergehen gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts und gegen die Gesetze der Menschlichkeit angetroffen werden. Die ersten Regeln der Menschlichkeit lernt der einzelne in der Familie. Sie als die Urzelle völkischer Gemeinschaft wieder zu gesunden, ist eine der vornehmsten Aufgaben des Staates. Dazu braucht er die Hilfe der Eltern, die Kraft der Religion, die Mitarbeit aller Kirchen. Nur auf einer ernsten, verantwortungsbewußten Vorstellung von der Lebensgemeinschaft der Ehe kann sich ein sauberes und gesundes Familienleben aufbauen. Der Doppelmoral muß der Kampf angesagt werden, wenn nicht unsere Kinder verkommen sollen; denn wie können Eltern Sauberkeit von den Kindern verlangen, die nicht selbst sich in Zucht halten und den Kindern das beste Beispiel geben. Das Leben unseres Volkes wird nur gesunden, wenn die Familien wieder gesund werden.

Wir wollen keine Spaltung unseres Volkes. Wir wissen, daß viele aus Idealismus, in Verbitterung über das Diktat von Versailles und seine Auswirkungen über manche nationale Unwürde in die Reihe der Partei eingetreten sind, andere unter einem äußersten Zwang wirtschaftlicher und sonstiger Druckmittel. Das Volk darf sich nicht hiernach scheiden. Wir hoffen, daß wir uns alle darüber einig sind, daß die einzige Scheidung, die zu vollziehen ist, die zwischen Verbrechen und Gewissenlosigkeit auf der einen, zwischen Anstand und Sauberkeit auf der anderen Seite ist. Auf dieser Grundlage wollen wir die innere Aussöhnung des Volkes mit allen unseren Kräften betreiben. Denn nur wenn wir einig bleiben, allerdings auf der Grundlage von Recht und Anstand, können wir den Schicksalskampf, vor den Gott unser Volk zwingt, bestehen.

3. Der Lüge sagen wir Kampf an, die Sonne der Wahrheit soll ihre dicken Nebel auflösen. Unser Volk ist in der schamlosesten Weise über seine wirtschaftlichen, finanziellen und politischen sowie über die militärischen Ereignisse belogen worden. Die wahren Tatsachen werden festgestellt und bekanntgegeben werden, so daß sie jeder einzelne nachprüfen kann. Es ist ein grober Irrtum, anzunehmen, daß es einer Regierung gestattet sei, das Volk durch Lüge für ihre Ziele zu gewinnen. Gott kennt in seiner Ordnung keine doppelte Moral. Auch die Lügen der Regierungen haben kurze Beine und sind immer aus Feigheit oder Machtsucht geboren. Erfolg in der Behauptung der nationalen Stellung, Glück des Volkes und Seelenfrieden des einzelnen können nur auf Wahrhaftigkeit aufgebaut werden. Wir werden daher das übrige dazu tun, um ihr in jeder Unterrichtung des Volkes zu dienen. Wahrheiten sind häufig hart; aber das Volk, das sie überhaupt nicht mehr verträgt, ist ohnehin verloren. Der einzelne kann die rechte Kraft nur aufbringen, wenn er die Lage so sieht, wie sie ist. Der Bergsteiger, der die Höhe des zu erklimmenden Gipfels unterschätzt, der Schwimmer, der die zurückzulegende Strecke nicht richtig bemißt, wird seine Kraft vorzeitig verbraucht sehen. Alles, war mit künstlicher Propaganda zu tun hat, ist daher aufgelöst; das gilt von dem Reichspropagandaministerium ebenso wie von den zur Schauspielerei, ja zur Gewissenlosigkeit mißbrauchten Propagandaformationen der Wehrmacht. Das Leben und Sterben unserer Soldaten bedarf keiner Propaganda; es ist in das Herz jeder deutschen Frau und Mutter, ja jedes Deutschen in der Heimat tief eingeprägt.

4. Die zerbrochene Freiheit des Geistes, des Gewissens, des Glaubens und der Meinung wird wiederhergestellt.
Die Kirchen erhalten wieder das Recht, frei für ihr Bekenntnis zu wirken. Sie werden in Zukunft vom Staate getrennt leben, weil sie nur in Selbständigkeit und unter Fernhaltung von aller aktiven politischen Betätigung ihrer Aufgabe gerecht werden können. Das Wirken des Staates wird von christlicher Gesinnung in Wort und Tat erfüllt sein; denn dem Christentum verdanken wir den Aufstieg der weißen Völker, verdanken wir die Fähigkeit, die schlechten Triebe in uns zu bekämpfen. Auf diese Bekämpfung kann keine völkische und staatliche Gemeinschaft verzichten. Aber echtes Christentum verlangt auch Duldsamkeit gegenüber den Andersgläubigen, ja gegenüber jedem Freidenker. Der Staat wird der Kirche wieder Gelegenheit geben, zudem sich im Sinne wahren Christentums lebendig zu betätigen, in Sonderheit auf den Gebieten der Wohlfahrtspflege und der Erziehung.
Die Presse soll wieder frei sein. Im Krieg muß sie sich den Beschränkungen unterwerfen, die in jedem Kriege für ein Land unerläßlich sind. Jeder, der eine Zeitung liest, soll erfahren, wer hinter dieser Zeitung steht. Der Presse wird es nicht wieder gestattet sein, bewußt oder fahrlässig die Unwahrheit zu sagen. Die Schriftleiter werden durch eine straffe Ehrengerichtsbarkeit dafür sorgen, daß die Gesetze des Anstandes gegen jeden und die Pflicht gegenüber dem Wohle des Vaterlandes auch in der Presse beachtet werden.

5. Es ist vor allem die deutsche Jugend, die nach der Wahrhaftigkeit ruft. Wenn es eines Beweises für die göttliche Natur des Menschen bedürfte, hier haben wir ihn. Selbst die Kinder wenden sich in natürlicher Erkenntnis dessen, was wahr und gelogen ist, beschämt und empört von der ihnen zugemuteten Unwahrhaftigkeit der Gesinnung und Rede ab. Es war wohl das größte Verbrechen, diesen Wahrhaftigkeitssinn und mit ihm den Idealismus unserer Jugend zu mißachten und zu mißbrauchen. Wir wollen ihn daher schützen und stärken – der Jugend und ihrer Erziehung gilt eine unserer Hauptsorgen. Diese Erziehung soll in erster Linie den Eltern überantwortet werden. In allen Schulen müssen die elementaren Grundkenntnisse einfach, lauter und sicher in das Kind eingepflanzt werden. Die Bildung muß wieder eine möglichst allgemeine, Herz und Verstand erfassende sein. Die vorzeitige Spezialisierung der Bildung, die an so vielem schuld ist, wird beseitigt werden. Sie ist unverantwortlich, da niemand voraussehen kann, wohin sich die besten Fähigkeiten des heranwachsenden Kindes entwickeln werden.
Die Erziehung muß wieder bewußt auf die christlich-religiöse Grundlage gestellt werden, ohne daß die christlichen Gesetze der äußersten Duldsamkeit gegenüber Andersgläubigen verletzt werden sollen. Auf dieser Grundlage muß das Erziehungsund Bildungswesen wieder ruhig und stetig geleitet und von dauernden Änderungen und Unruhen bewahrt bleiben.

6. Die Verwaltung muß neu geordnet werden. Es wird nicht umgestoßen werden, was sich bewährt hat. Aber es ist notwendig, sofort klare Verantwortung und die Freiheit zu selbständigen Entschlüssen wiederherzustellen. Unsere einst so stolze Verwaltung ist zu einem Haufen von sinnlos ausführenden Maschinen und Maschinchen geworden. Keiner wagt mehr, einen selbständigen und richtigen Entschluß zu fassen. Das Gegenteil werden wir von den Beamten verlangen. Mit wenig Schreibwerk sollen sie in größter Einfachheit das Rechte tun.

Der Beamte muß wieder in seiner ganzen Amtsund Lebensführung ein Beispiel werden; denn ihm hat das Volk öffentliche Hoheitsgewalt anvertraut. Diese darf nur ausüben, wer lauter ist, Sachkunde sich erworben, seinen Charakter gestählt und Leistungsfähigkeit bewiesen hat. Mit dem Parteibuchbeamten wird Schluß gemacht. Der Beamte soll wieder allein dem Gesetz und seinem Gewissen folgen. Er muß sich der Auszeichnung bewußt und würdig zeigen, daß die Volksgemeinschaft ihm ein sicheres Leben gewährt, während andere um das Allernotwendigste ringen müssen. Er soll, gesichert in seinem Ansehen und in seinen Rechten, aufgehen in dem idealen Streben, seiner besonderen Stellung durch besondere Pflichterfüllung gerecht zu werden.
Um den Beamten wieder dies einwandfreie Wirken zu ermöglichen und dem Volk eine Ausübung der öffentlichen Hoheitsgewalt durch Unwürdige zu ersparen, sind alle seit dem 1.1.1933 vollzogenen Ernennungen und Beförderungen für vorläufig erklärt. Jeder einzelne Beamte wird daraufhin durchgeprüft werden, ob er gegen Gesetz, gegen Disziplinarrecht oder gegen den von jedem Beamten geforderten Anstand verstoßen hat. Wird dies festgestellt, so werden die entsprechenden Folgerungen durch Bestrafung, Entlassung, Versetzung usw. vollzogen. Dabei werden Ehrengerichte der Beamten mitwirken. Vorläufige Beamte, deren Leistungen den Anforderungen ihres Amtes nicht entsprechen, werden in Stellungen, denen sie gewachsen sind, versetzt oder, wenn dies nicht möglich ist, entlassen werden. In die öffentlichen Büros gehört der Luxus nicht, sondern das Behagen gehört in die Wohnung des einzelnen. Die Behördenchefs sind angewiesen, sofort die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.

7. Ordnung der Verwaltung, gerechte Verteilung und Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben sind nur möglich auf Grund einer Verfassung. Eine endgültige Verfassung kann erst nach Beendigung des Krieges mit Zustimmung des Volkes festgesetzt werden. Denn die Frontsoldaten haben einen Anspruch darauf, hierbei mit besonderem Gewicht mitzuwirken. So müssen wir uns alle vorläufig mit einer einstweiligen Verfassung begnügen, die gleichzeitig verkündet wird. An sie sind auch wir gebunden.
Preußen geht im Reich auf. Die preußischen Provinzen werden ebenso wie die übrigen deutschen Länder, teilweise zusammengefaßt, Reichsgaue. Der Selbstverwaltung dieser Reichsgaue, der Kreise und Gemeinden wird an öffentlichen Aufgaben übertragen, was irgendwie mit Reichseinheit und zielbewußter Führung des Reichs vereinbar ist. Echte Selbstverwaltung wird, sobald irgendwelche Wahlen möglich sind, wieder in Verbundenheit mit dem Volk hergestellt. Einstweilen wird durch vorläufige Anordnung dafür gesorgt, daß sie in ihre Verwaltungsund Beratungskörper lautere Männer beruft und selbstverantwortlich arbeiten kann.
In allen Reichsgauen wird die Aufsicht namens des Reichs durch Reichsstatthalter ausgeübt werden, deren Ernennung unmittelbar bevorsteht. Sie werden sich gegenüber den Organen der Selbstverwaltung so weit wie möglich zurückhalten, aber ebenso tatkräftig für die Reichseinheit sorgen.

8. Die Wirtschaft kann im Kriege nur in der bisherigen Verfassung der Zwangswirtschaft und der überwachten Kreise fortgeführt werden. Solange ein Mangel an lebenswichtigen Gütern besteht, ist, wie jeder einsehen wird, eine freiere Wirtschaft nicht möglich, es sei denn, daß man über die Lebensinteressen der Minderbemittelten kaltherzig zur Tagesordnung übergehen wollte. Wir wissen sehr wohl, wie widerlich diese Wirtschaft ist, daß sie nicht, wie so häufig behauptet, den wahren Interessen des letzten Verbrauchers dient. Einstweilen können wir sie nur vereinfachen und von Unklarheiten, dem Durcheinander von Zuständigkeiten und dem Mangel an Verantwortungsbewußtsein befreien. Wir werden auch alle Maßnahmen aufheben, die zu tief in die Freiheiten des einzelnen eingegriffen haben und die ohne Überlegung und zwingende Notwendigkeit die wirtschaftlichen Existenzen in Handel, Handwerk, Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft vernichtet haben.

Ist dies während des Krieges, wie übrigens in allen anderen kriegführenden Staaten unvermeidbar, so verfolgen wir doch ebenso klar das Ziel der Wiederherstellung voller wirtschaftlicher Freiheit und den Weg zu den Gütern der Welt. Dieser darf nicht durch staatliche Eingriffe gestört werden, die Schöpfungsfreude und Schöpfungsmöglichkeit ersticken, sondern die wirtschaftliche Freiheit soll nur gebändigt werden durch das Recht, durch die Sicherung der Lauterkeit des Wettbewerbs und durch anständige Gesinnung. Autarkie ist angesichts der Rohstoffarmut unseres Vaterlandes und der Tatsache, daß wir uns aus unserem Boden allein nicht ernähren können, feiger Verzicht auf die Möglichkeit, an den Gütern und Leistungen der ganzen Welt durch Leistungstausch teilzunehmen.

Es ist das Ziel der gerechten Wirtschaftsordnung, daß jedem der seiner Leistung entsprechende Anteil an den Wirtschaftsgütern zuteil wird. Es handelt sich nicht nur darum, die freie Initiative des Kapitalbesitzes herzustellen und ihn zum Leistungskampf im Wettbewerb zu zwingen. Nein, auch der deutsche Arbeiter muß und wird Gelegenheit erhalten, an der Verantwortung schöpferisch teilzunehmen. Nur können auch wir ihn nicht von der Wirkung der in der Wirtschaft herrschenden natürlichen Gesetze entbinden. Das Eigentum ist Grundlage jeden wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritts; oder es sinkt der Mensch allmählich zum Tier herab. Es wird daher geschützt, nicht nur in der Hand des großen, sondern auch in der Hand des kleinsten Eigentümers, der nur Hausrat sein eigen nennt. Der Mißbrauch des Eigentums wird ebenso bekämpft werden wie die entbehrliche und die Unselbständigkeit der Menschen nur vermehrende Zusammenballung des Kapitals.

Die Ordnung des Wirtschaftens wird auf Selbstverwaltung aufgebaut werden. Das bisher geübte System der Gängelung von oben her wird aufgehoben. Es gilt, die Selbständigkeit des Entschlusses und damit die Verantwortung wieder zu wohltätiger Wirkung zu bringen; es gilt, das Vertrauen aller, auch der Arbeiter, in die Gerechtigkeit der wirtschaftlichen Ordnung in weitestem Umfange wiederherzustellen. Auch hier müssen Ehrengerichte den Anstand sichern.

9. Daraus ergibt sich der Inhalt der auf Ausgleich gerichteten Staatspolitik, Sozialpolitik. Sie soll unverschuldete Schwäche schützen und die Möglichkeit geben, sich solidarisch gegen die Widrigkeiten dieses Lebens zu sichern. Sie soll ferner da eintreten, wo das Interesse, Ersparnisse (Kapital) zu erhalten, in Widerspruch gerät mit dem Interesse, die Arbeitskraft der jetzt Lebenden zu sichern. Solche Interessengegensätze können in Zeiten großer politischer und wirtschaftlicher Spannung auftreten. Es wäre sehr leichtfertig, sie so zu lösen, daß dabei einfach das Kapital, d.h. die Ersparnisse, vernichtet werden. Das würde dem kleinen Sparer ebensowenig gefallen, wie es den Interessen des Volksganzen dient, wenn etwa plötzlich alle Bauernhöfe und alle Industriebetriebe ohne Maschinen wären. Auf der anderen Seite haben diese Kapitalgüter alle keinen Wert, wenn sie nicht der Erhaltung der jetzt lebenden Menschen mehr nutzbar gemacht werden können. Also gilt es, mit Verantwortungsbewußtsein und Gewissenhaftigkeit einen gerechten Ausgleich zu finden, bei dem jeder einzelne sich von vornherein bewußt sein kann, daß von ihm wie von jedem anderen Opfer gebracht werden müssen.
Soweit zu solchen Ausgleichen Kraft und Verantwortung der einzelnen Berufs und Wirtschaftszweige nicht ausreichen, müssen alle wirtschaftenden Bürger eintreten, und äußerstenfalls muß ein gerechter Ausgleich auf den Schultern des ganzen Volkes durch den Staat gesichert werden. Soweit soziale Einrichtungen den Arbeiter betreffen, erhalten sie das Recht voller Selbstverwaltung.

Aber wir alle müssen wissen, daß der Staat keine unerschöpflichen Mittel hat. Auch er lebt nur von dem, was seine Bürger leisten und an ihn abgeben. Mehr, als er aus dieser Leistungskraft seiner Bürger zur Verfügung hat, kann auch er nicht an einzelne Bürger vergeben. Wir lehnen daher mit aller Klarheit und Entschiedenheit ab, Versprechungen auf wirtschaftliches Wohlleben zu geben. Jeder von uns weiß, daß derjenige, der seine Ersparnisse verwirtschaftet hat, besonders viel leisten muß, wenn er seinen gewohnten Lebensstand wiedergewinnen will. So ist es in der Familie, so in jedem Verein, und so auch im Staat. Alle anderen Vorstellungen sind sinnlos. Billige Verheißungen, der Staat könne alles, sind gewissenlose Demagogie. Der Staat seid Ihr mit Euren Kräften. Wir und die Organe des Staates sind nur Eure Treuhänder. Jeder muß seine Kräfte regen. Es liegt auf der Hand, daß nach den ungeheuren Vernichtungen dieses Krieges unser aller Arbeitsleistung besonders groß sein muß, um Ersatz für Kleidung, für zerstörte Wohnungen und Arbeitsstätten sowie für vernichteten Hausrat zu schaffen. Und endlich wollen wir doch unseren Kindern wieder ein besseres Leben ermöglichen. Aber wir sind überzeugt, daß wir alle dazu fähig sind, wenn wir nur wieder in Recht, Anstand und Freiheit schaffen können.

10. Grundvoraussetzung gesunder Wirtschaft ist die Ordnung der öffentlichen Haushalte. Die Ausgaben müssen sich im Rahmen der echten Einnahmen halten, die Staat, Gaue, Kreise und Gemeinden von ihren Bürgern beziehen können. Es erfordert Anstrengung, Charakter, Verzicht und Kampf, um diese Ordnung wiederzuerrichten; aber sie ist die wichtigste und unerläßliche Grundlage gesicherter Währung und allen wirtschaftlichen Lebens. Von ihr hängt der Wert aller Ersparnisse ab. Ohne sie ist auch der Außenhandel nicht möglich, auf den wir seit mehr als hundert Jahren angewiesen sind.

Die Steuern werden erhebliche sein; aber umso unbeugsamer werden wir für ihre sparsame Verwendung Sorge tragen. Es ist wichtiger, daß dem Bürger das zum Leben Notwendige gelassen wird, als daß die Verwaltungen sich mit prächtigen Einrichtungen versehen und Aufgaben in Angriff nehmen, die zu der einfachen Lebenshaltung der einzelnen in Widerspruch stehen. Solche Einsicht verlangen wir auch von der Wirtschaft, die sich wieder bewußt werden muß, daß Aufwendigkeit in der Verwaltung nur dem Behagen oder dem Geltungsbedürfnis einzelner dient, aber von allen in höheren Preisen oder von den Arbeitern in niedrigeren Löhnen getragen werden muß. Der Fortfall des ungeheuren Aufwandes der Partei ist schon ein Anfang der Heilung.

Die Grundlage geordneter Staatshaushalte ist seit 1933 durch unablässige und gewissenlose Vergeudung der Mittel durch Schuldenvermehrung verlassen. Es war bequem, dem Volke vorzugaukeln, daß es gelungen sei, den allgemeinen Wohlstand durch Verschwendung zu heben. In Wahrheit war dies Mittel erbärmlich, denn es bestand in hemmungslosem Schuldenmachen. Wir werden daher gerade im Kriege, in dem jeder Staat gezwungen ist, ungeheure Ausgaben zu machen, die äußerste Einfachheit und Sparsamkeit in allen öffentlichen Diensten herstellen. An einen echten Ausgleich kann überall erst nach Abschluß dieses Krieges gegangen werden.
Wir sehen in den wachsenden Schuldenlasten aller kriegführenden und neutralen Staaten eine ungeheuer große Gefahr. Sie bedrohen die Währungen. Jeder Staat wird sich nach diesem Kriege vor eine ganz außerordentlich schwierige Aufgabe gestellt sehen. Wir hoffen, für die Schuldentilgung Lösungen finden zu können, wenn es gelingt, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Völker wiederherzustellen.

11. Aber noch ist Krieg. In ihm gebührt unser aller Arbeit, Opfer und Liebe den Männern, die das Vaterland verteidigen. Ihnen haben wir alles an seelischen und materiellen Werten zuzuführen, was wir irgend schaffen können. Mit ihnen stehen wir in Reih und Glied, aber nunmehr alle wissen, daß nur die zur Verteidigung des Vaterlandes und zum Wohle des Volkes notwendigen, nicht aber die der Eroberungssucht und dem Prestigebedürfnis eines Wahnsinnigen dienenden Opfer verlangt, und daß wir diesen Krieg fernhin mit reinen Händen, in Anstand, mit der Ehrenhaftigkeit, die jeden braven Soldaten auszeichnet, führen werden. Den bisherigen Opfern dieses Krieges gehört unsere volle Fürsorge. Verzärtelungen erwarten sie nicht, aber Liebe und Möglichkeit, aus ihrem Leben noch etwas Nützliches zu machen.

In der Sorge für die Front müssen wir das Notwendige mit der größten Klarheit und Einfachheit vereinigen, mit dem Hin und Her bombastischer unausführbarer Befehle, die heute von der Wirtschaft nicht herstellbare Mengen von Panzerwagen, morgen von Flugzeugen und übermorgen von anderen Waffen und Geräten verlangt, ist Schluß gemacht. Es wird nur das Nötige und Zweckmäßige gefordert werden. Im Gegensatz zu der bisherigen despotischen Tyrannei erwarten wir von jedem zur Ausführung Berufenen, daß er von sich aus auf Irrtümer und Unstimmigkeiten rechtzeitig hinweist.

12. Wir haben vor diesem Kriege gewarnt, der so viel Leid über die ganze Menschheit gebracht hat, und können daher in Freimut sprechen.
Wir waren und sind der Ansicht, daß es andere Möglichkeiten gab, unsere Lebensinteressen sicherzustellen. Verlangt die nationale Würde von uns zur Zeit den Verzicht auf bittere Anklage, so werden wir doch dafür sorgen, daß auch hier die Verantwortlichkeiten vollkommen klargestellt und die Verantwortlichen, soweit es Deutsche sind, zur Rechenschaft gezogen werden. So notwendig dies ist, wichtiger ist, daß wir dem Frieden zustreben. Wir wissen, daß wir nicht allein Herren über Krieg und Frieden sind; wir sind auf die anderen angewiesen. Wir wissen dies zwar, aber es wäre unwürdig, nun deswegen wehleidig zu sein. Wir müssen durchstehen und dürfen uns nicht wundern, wenn es aus dem Walde so herausschallt, wie hineingerufen wurde. Aber wir wollen nun endlich die Stimme des wahren Deutschland erheben. Der Reichskanzler wird über den Rundfunk unsere Gedanken über den Frieden bekanntgeben.

Wir sind tief davon durchdrungen, daß die Welt vor einer der ernstesten Entscheidungen steht, vor die die Völker und ihre Führer je bewußt sich gestellt sahen. Gott selbst gibt uns die Frage auf, ob wir der von ihm gesetzten Ordnung der Gerechtigkeit entsprechen und seine Gebote, Freiheit und Menschenwürde zu achten sowie einander zu helfen, [be]folgen wollen oder nicht. Wir wissen, daß diese Ordnung und diese Gebote furchtbar verletzt sind, seitdem die Völker die Bahn gesegneten Friedens im Jahre 1914 verlassen haben. Nun stehen wir vor der Frage, ob wir die bitteren Erfahrungen, die wir machen mußten, benutzten und uns der Aussöhnung, dem gerechten Ausgleich der Interessen und der Heilung der furchtbaren Schäden durch Zusammenarbeit zuwenden wollen.

In dieser Stunde müssen wir Euch zurufen, daß es unsere vornehmste Aufgabe ist, tapfer und geduldig den vielfach entehrten deutschen Namen wieder reinzuwaschen. Wir Deutschen allein können und müssen sie erfüllen. Davon, daß wir dies unerbittlich ernsthaft und aufrichtig tun, hängt unsere Zukunft in erster Linie ab, gleichgültig, wie sie sich materiell gestaltet. Denn Gott ist nicht dazu da, bei jeder billigen Gelegenheit als Vorsehung angerufen zu werden, sondern er fordert auch und wacht darüber, daß seine Ordnung und seine Gebote nicht verletzt werden. Es war eine furchtbare Verirrung, deren Wurzeln auf das unselige Diktat von Versailles zurückgehen und die in der Zwischenzeit manche von Deutschen nicht zu verantwortende Nahrung erhalten hat, anzunehmen, daß unsere Zukunft auf dem Unglück anderer Völker, auf der Unterdrückung und der Verachtung der Menschenwürde aufgebaut werden könne. Wir haben dagegen gekämpft und beklagen, daß wir erst heute öffentlich dieser Verirrung zu Leibe gehen können. Wir alle wollen dem Ehrgefühl anderer Völker nicht zu nahe treten. Was wir für uns verlangen, müssen und wollen wir allen anderen zubilligen. Wir glauben, daß es im Interesse aller Völker liegt, daß der Friede ein dauerhafter wird. Das kann er nur, wenn er gerecht ist und der Zusammenarbeit der Arme, der Köpfe und der Herzen einen breiten Weg ebnet.

Vertrauen läßt sich nicht erzwingen und erreden. Aber was auch immer die Zukunft bringen möge: wir hassen die feige Beschimpfung des Gegners und sind davon überzeugt, daß alle Staatsführer nicht nur das Beste ihrer Völker, sondern ein fruchtbares Ende dieses Ringens wollen und mit uns bereit sind, alsbald die unmenschlichen und schließlich auf alle Völker zurückwirkenden Härten des leichtsinnig entfesselten totalen Krieges zu mildern. (Hier folgt eine aus der Lage sich ergebende Einschaltung.) In diesem Bewußtsein und im Vertrauen auf die innere Kraft unseres Volkes werden wir unbeirrt die Schritte tun, die wir ohne Schädigung unseres Volkes dem Frieden entgegen machen können. Wir wissen, daß das deutsche Volk es will.

Gehen wir wieder den Weg des Rechts, des Anstands und der gegenseitigen Achtung! In solchem Geist wollen wir alle unsere Pflicht erfüllen. Folgen wir ernsthaft und in allem den in unser Gewissen geschriebenen Geboten Gottes, auch dann, wenn sie uns hart ankommen, tun wir alles, um verwundete Seelen zu heilen und Leid zu mindern. Dann allein können wir die Grundlage für eine gesicherte Zukunft auch unseres Volkes in einer wieder von Vertrauen, von gesunder Arbeit und friedlichen Gefühlen erfüllten Völkerfamilie schaffen. Dies mit aller Kraft und mit heiligem Ernst zu tun, sind wir unseren Gefallenen schuldig, deren Vaterlandsliebe und Opfermut freventlich mißbraucht worden sind. Wie vielen von ihnen, die dies erkannt hatten, wurde die Pflichterfüllung zu bitterster Gewissensnot! Wieviel schönes menschliches Glück ist überall in der Welt zerstört!

So gebe uns Gott Einsicht und Kraft, dieser furchtbaren Opfer Sinn zum Segen von Generationen zu gestalten!"

Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin, 2008. Entwurf einer Regierungserklärung von Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler. Das Original ist verschollen; die vorliegende Fassung ist nach den Unterlagen der Sonderkommission zur Untersuchung des Attentats vom 20. Juli 1944 rekonstruiert worden. Redaktion: Petra Behrens, Prof. Dr. Johannes Tuchel.

Der Weg zum Attentat und Staatsstreich des 20. Juli 1944

Mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 erhielt die Militäropposition neuen Auftrieb. Ihre Motivation bezog sie wesentlich aus der Erkenntnis vom verbrecherischen Charakter des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges in Osteuropa. Zudem wuchs die Einsicht, dass Deutschland den Krieg verlieren werde und mit Hitler zum Untergang verurteilt sei. Die immer noch kleine Militäropposition erhielt Zulauf. An der Ostfront bildete sich eine Widerstandsgruppe um Oberst Henning von Tresckow, eine weitere im besetzten Paris um den

Walküre-Befehl der Verschwörer des 20. Juli 1944. (© Bundesarchiv)

dortigen Militärbefehlshaber, Carl-Heinrich von Stülpnagel. Das Zentrum der Verschwörung blieb Berlin. Hier entwarf ab 1942 ein Kreis um General Friedrich Olbricht in geheimer Zusammenarbeit mit Tresckow neue Staatsstreichpläne unter dem Interner Link: Decknamen "Walküre".

Auf der neuen Grundlage wurden ab Frühjahr 1943 mehrmals Attentate auf Hitler vorbereitet. Sein Tod sollte die Voraussetzung für einen Staatsstreich, eine anschließende politische Neuordnung in Deutschland und die schnelle Beendigung des Krieges schaffen. Alle Attentatspläne scheiterten auf unglückliche Weise, wurden aber auch nicht entdeckt.

Neue Dynamik kam in die Verschwörung, als Oberstleutnant Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Oktober 1943 nach Berlin versetzt wurde. Seine Persönlichkeit und Funktion

Claus Graf Schenk von Stauffenberg und sein späterer Mitverschwörer Major Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, Aufnahme von 1942. (© Bundesarchiv)

machten ihn besonders geeignet dafür, die Umsturzplanungen zu vollenden. Stauffenbergs Bombenattentat am 20. Juli 1944 im "Führerhauptquartier" in Ostpreußen überlebte Hitler leicht verletzt. Der Staatsstreich fand daher nicht die nötige Unterstützung in der Wehrmacht und brach noch am selben Tag zusammen. Stauffenberg und seine engsten Mitverschwörer fielen einem sofortigen Willkürakt zum Opfer. Nur die wenigsten der anderen Beteiligten konnten sich der Gestapo (Geheime Staatspolizei) durch Flucht oder Selbstmord entziehen. Die meisten, etwa 200 Personen, wurden

durch den "Volksgerichtshof" zum Tod verurteilt und hingerichtet; unbeteiligte Familienangehörige verschwanden bis Kriegsende in "Sippenhaft".

Das NS-Regime wurde durch das Attentat nicht nachhaltig erschüttert. Es ging fortan nur noch brutaler gegen den Feind im Inneren vor. Hitlers Wille zur "totalen" Kriegsführung hielt unvermindert an und kostete mehr Menschenleben denn je. Erst nach dem Krieg konnte sich die große symbolische Wirkung des "20. Juli" entfalten: Die Gründerväter der Bundesrepublik Deutschland beriefen sich auf sein geistig-moralisches Vermächtnis und machten ihn dadurch zu einem Gründungsmythos des westdeutschen Staates. In der deutschen Bevölkerung fand der "20. Juli" dagegen erst sehr spät überwiegende Anerkennung.

Interner Link: Aus dem Ermittlungsbericht der Gestapo über die "Technik der Stauffenberg-Gespräche"

Technik der Stauffenberg-Gespräche

(© Bundesarchiv) (© Bundesarchiv) (© Bundesarchiv) (© Bundesarchiv) (© Bundesarchiv) (© Bundesarchiv) (© Bundesarchiv) (© Bundesarchiv)

Widerstand gegen den Nationalsozialismus - Orte des Umsturzversuches am 20. Juli 1944 (Grafik öffnet als PDF) (© bpb)

Zivile Widerstandskreise innerhalb und außerhalb der Verschwörung

Attentat und Staatsstreich des 20. Juli 1944 wurden von Offizieren durchgeführt. Ihre Tat beruhte jedoch auf einem Netzwerk militärischer und ziviler Widerstandsgruppen. Ohnehin fällt, gerade mit Blick auf die an der Verschwörung beteiligten Reserveoffiziere, in einer Kriegsgesellschaft die Abgrenzung zwischen Zivil und Militär schwer. Insofern war der "20. Juli 1944" das Werk einer zivil-militärischen Verschwörung.

Quellentext"Der Ablauf des 20. Juli 1944"

"Wir müssen handeln, weil – und das wiegt am schwersten – in Eurem Rücken Verbrechen begangen wurden, die den Ehrenschild des deutschen Volkes beflecken und seinen in der Welt erworbenen guten Ruf besudeln!"

Donnerstag, 20. Juli 1944

7:00 Uhr, Berlin

Stauffenberg fliegt mit seinem Ordonnanzoffizier Oberleutnant der Reserve Werner von Haeften, nach Rastenburg/Ostpreußen, wo sie gegen 10:15 Uhr landen und ins "Führerhauptquartier Wolfschanze"

Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg (links) bei einer Begegnung mit Hitler im Hauptquartier "Wolfsschanze" am 15. Juli 1944; rechts im Bild Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel. (© dpa)

fahren.

12:30 Uhr, "Wolfschanze"

Beginn der Lagebesprechung in einer Baracke. Unter Zeitdruck – die Besprechung wurde kurzfristig vorverlegt – kann Stauffenberg nur einen von zwei Zündern an den Sprengladungen aktivieren.

Gegen 12:30 Uhr, Berlin

Mehrere Verschwörer finden sich in der Umsturzzentrale, dem Bendlerblock, ein.

12:37 Uhr, "Wolfschanze"

Stauffenberg stellt die Aktentasche mit dem Sprengstoff in der Nähe Hitlers ab. Unter dem Vorwand, ein wichtiges Telefonat führen zu müssen, verlässt er den Raum.

Gegen 12:42 Uhr, "Wolfschanze"

Die Bombe explodiert.

Vier Personen werden tödlich verletzt, die anderen der 24 Besprechungsteilnehmer erleiden fast alle leichte bis schwere Verletzungen. Stauffenberg beobachtet die Explosion aus 200 m Entfernung und ist sich sicher, dass Hitler tot ist.

12:44 Uhr, "Wolfschanze"

Die Wache lässt Stauffenberg und Haeften den bereits abgeriegelten Sperrkreis passieren. Kurz darauf kommen sie auch durch die zweite Wache. Unterwegs zum Flugplatz wirft Haeften den übrig gebliebenen Sprengstoff aus dem Wagen.

Gegen 13:00 Uhr, "Wolfschanze"

General Fellgiebel verhängt eine Nachrichtensperre über das "Führerhauptquartier". Über eine separate Leitung der SS können jedoch weiterhin Nachrichten ausgegeben werden.

13:15 Uhr, Rastenburg

Stauffenberg und Haeften fliegen zurück nach Berlin.

Gegen 13:15 Uhr, Berlin

General Olbricht erhält Nachricht vom fehlge­schlagenen Attentat. Er will weitere Informationen abwarten, bevor er die Umsturzbefehle ausgibt.

Gegen 14:00 Uhr, Berlin

Oberst i.G. Mertz von Quirnheim alarmiert ohne die eigentlich nötige Zustimmung von Generaloberst Fromm, dem Befehlshaber des Ersatzheeres, die ersten "Walküre"-Truppen bei Berlin.

Gegen 14:00 Uhr, "Wolfschanze"

Himmler fordert Personal zur Aufklärung des Attentats an. Der Verdacht richtet sich gegen Stauffenberg. Weisung Himmlers, Stauffenberg bei Landung in Berlin festzunehmen.

Zwischen 14:45 und 15:15 Uhr, Berlin

Stauffenberg und Haeften landen in Rangsdorf, melden der Umsturzzentrale den Tod Hitlers und fahren zum Bendlerblock.

15:50 bis 16:00 Uhr, Berlin

Olbricht löst mit mehrstündiger Verspätung die Alarmmaßnahmen gemäß dem "Walküre"-Plan aus. Fromm erfährt telefonisch, dass Hitler nur leicht verletzt wurde.

Gegen 16:00 Uhr, "Wolfschanze"

Wenige Stunden nach dem Attentat am 20. Juli 1944: Hitler zeigt seinem Staatsgast Benito Mussolini (links) die von Stauffenbergs Bombe verwüstete Lagebaracke. (© dpa)

Der "Duce", Benito Mussolino, trifft ein und besucht Hitler. Funkmeldungen über das gescheiterte Attentat und Gegenbefehle werden ausgegeben.

Kurz nach 16:10 Uhr, Berlin

Das Wachbataillon "Großdeutschland" unter Major Otto Ernst Remer erhält "Walküre"-Befehle. Zur Einweisung fährt Remer zum eingeweihten Stadtkommandanten Generalleutnant von Hase.

16:20 Uhr, Berlin

Ludwig Beck trifft im Bendlerblock ein. Fromm befiehlt, alle "Walküre"-Maßnahmen zu stoppen.

Zwischen 16:30 und 17:00 Uhr, Berlin

Stauffenberg und Haeften treffen im Bendlerblock ein. Stauffenberg berichtet Fromm vom Tod Hitlers. Olbricht informiert Fromm, dass er bereits "Walküre" ausgelöst habe. Fromm verweigert seine Unterstützung und wird verhaftet.

Zwischen 16:30 und 17:00 Uhr, Paris

Stauffenberg telefoniert mit dem eingeweihten Oberstleutnant der Reserve von Hofacker. Die "Walküre"-Aktionen laufen in Paris an.

Gegen 16:45 Uhr, Berlin

Major Remer erhält Befehl, das Regierungsviertel abzuriegeln.

Bis 17:30 Uhr, Berlin

Das Funkhaus in der Masurenallee wird von Soldaten besetzt. Der regimetreue Sendebetrieb wird jedoch unbemerkt weitergeführt.

Von 17:35 bis 21:03 Uhr, Berlin

Das Fernschreiben "Der Führer Adolf Hitler ist tot" wird nach Abänderung der ersten Zeile in "Innere Unruhen" mit höchster Dringlichkeitsstufe an die Wehrkreise gesandt.

17:42 Uhr

Erste Rundfunkmeldung über den gescheiterten Attentatsversuch. Wiederholungen um 18:28, 18:38, 18:42, 19:01, 19:15, 20 und 22 Uhr.

Gegen 18:00 Uhr, Wien

Die "Walküre"-Maßnahmen laufen in Wien an. SS- und Parteifunktionäre werden für 20 Uhr zu einer Besprechung ins Wehrkommando gebeten und festgesetzt.

Gegen 18:00 Uhr, Berlin

In der Nachrichtenzentrale kommen Leutnant Röhrig erste Bedenken. Er versendet die ihm gegebenen "Walküre"-Fernschreiben teilweise mit mehreren Stunden Verspätung.

18:30 Uhr, Berlin

Die Abriegelung des Regierungsviertels durch das Wachbataillon ist abgeschlossen.

Gegen 19:00 Uhr, Berlin

Major Remer trifft bei Goebbels ein. Er wird Hitler direkt unterstellt und erhält von ihm den Befehl, den Umsturzversuch mit allen Mitteln niederzuschlagen.

Gegen 19:00 Uhr, Paris

Stülpnagel erhält einen Anruf von Beck und sichert ihm seine Unterstützung zu. Anschließend telefoniert Beck mit Kluge, der jedoch ausweichend reagiert.

19:00 Uhr, Prag

Die ersten "Walküre"-Maßnahmen laufen in Prag an.

19:30 Uhr, Berlin

Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben trifft im Bendlerblock ein.

Gegen 20:00 Uhr, Paris

Kluge erhält Nachricht vom Überleben Hitlers und lehnt eine Beteiligung an der Verschwörung ab.

20:15 Uhr, Berlin

Witzleben verlässt die Umsturzzentrale wieder.

20:20 Uhr, "Wolfschanze"

Keitel befiehlt allen Wehrkreisbefehlshabern per Fernschreiben, nur noch Anordnungen des neuen Befehlshabers des Ersatzheeres Himmler zu befolgen.

20:45 bis 23:00 Uhr, Berlin

Das Fernschreiben für die zweite Stufe des "Walküre"-Plans wird versandt.

Gegen 21:00 Uhr, Berlin

Teile des Wachbataillons besetzen den Bendlerblock.

Gegen 21:15 Uhr

Rundfunkdurchsage, dass Hitler bald zum deutschen Volk sprechen werde.

Nach 22 Uhr, Wien

Alle "Walküre"-Befehle werden in Wien wieder aufgehoben.

Gegen 22:30 Uhr, Berlin

Unter der Parole "Für oder gegen den Führer" gehen Offiziere im Bendlerblock zum "bewaffneten Gegenstoß" über. Fromm wird befreit. Er lässt die Verschwörer verhaften und zum Tode verurteilen.

22:40 Uhr, Prag

Alle "Walküre"-Befehle werden in Prag wieder aufgehoben.

Gegen 23:00 Uhr, Paris

Die Festnahme der etwa 1.200 Angehörigen der SS- und SD-Führung in Paris ist abgeschlossen. Kluge stellt sich gegen die Verschwörer und enthebt Stülpnagel seines Kommandos.

Zwischen 23:15 und 23:45 Uhr, Berlin

Beck erhält Gelegenheit zum Suizid, der jedoch scheitert. Er wird daraufhin erschossen.

Gegen Mitternacht, "Wolfschanze"

Fellgiebel wird verhaftet.

Freitag, 21. Juli 1944

00:10 bis 00:21 Uhr, Berlin

Fromm schickt ein Fernschreiben an alle Wehrkreiskommandos und teilt mit, dass der Putschversuch blutig niedergeschlagen wurde.

00:15 bis 00:30 Uhr, Berlin

Im Hof des Bendlerblocks werden Olbricht, Haeften, Stauffenberg und Mertz durch ein Sonderkommando exekutiert.

Kurz vor 1:00 Uhr, Berlin

Hitler spricht im Rundfunk über das gescheiterte Attentat.

Gegen 1:00 Uhr, Paris

Die Gefangenen der Verschwörer werden wieder freigelassen.

Quelle: Linda von Keyserlingk und Thomas Müller, Attentat auf Hitler. Stauffenberg und mehr. In: Linda von Keyserlingk, Gorch Piecken und Matthias Rogg (Hrsg.), Ausstellungskatalog des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr, Dresden 2014.

Fußnoten

  1. Auszug aus dem Entwurf des für den 20. Juli 1944 vorbereiteten Aufrufs an die Soldaten von Erwin von Witzleben als Oberbefehlshaber der Wehrmacht . Der komplette Text ist auf den Externer Link: Seiten der Gedenkstätte Deutscher Widerstand abrufbar.

  2. Die Darstellung stützt sich auf die Arbeiten von Heinrich Walle, Der 20. Juli 1944. Eine Chronik der Ereignisse von Attentat und Umsturzversuch, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), Aufstand des Gewissens. Der militärische Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933–1945, 5. Aufl., Hamburg 2000, S. 575–598; ebenso wurde herangezogen: 20. Juli 1944, bearb. von Hans Royce, neubearb. und erg. von Erich Zimmermann und Hans-Adolf Jacobsen, hrsg. von der Bundeszentrale für Heimatdienst, 4. Aufl., Bonn 1961, Beilage: Synchronoptische Tafel; Vgl. auch: Peter Hoffmann, Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, 4. neu überarb. u. erg. Ausg., München 1985, S. 486–622. Klaus Achmann und Hartmut Bühl, 20. Juli 1944. Lebensbilder aus dem militärischen Widerstand, Hamburg u.a., 2. Aufl., 1996, S. 55–59.

Allein die Überlegungen und Vorbereitungen für die politische Neuordnung nach Hitler bedurften der Mitwirkung ziviler Fachleute. Vor allem zwei Gruppierungen nahmen sich dieser Aufgabe an: zum einen der liberal-konservative "Kreisauer Kreis" um Helmuth James Graf von Moltke, der sich 1940 formierte, zum anderen national-konservative Honoratiorenzirkel, die sich schon vor dem Krieg um Carl Goerdeler gebildet hatten. Auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter wie Julius Leber, Wilhelm Leuschner und Jakob Kaiser beteiligten sich. Die politische Vielfalt fand in unterschiedlichen Ideen und Entwürfen ihren Ausdruck;

Carl Friederich Goerdeler (1884-1945), hier während des Prozesses vor dem "Volksgerichtshof" im August 1944. (© Bundesarchiv)

dabei konkurrierten moderne demokratische mit eher autoritären Vorstellungen von Politik und Gesellschaft. In ihrem Willen zum Sturz des NS-Regimes einten alle zwei Hauptziele: die schnelle Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Rechtsstaates.

Von den zivilen Verschwörern des "20. Juli" überlebten ebenfalls nur wenige die anschließende Verfolgungswelle. Nicht anders erging es den allermeisten Angehörigen von Widerstandsgruppen außerhalb der zivil-militärischen Verschwörung. Zahlenmäßig relativ stark und aktiv war der kommunistische Widerstand. Mitglieder der 1933 verbotenen KPD hatten eine relativ weit verzweigte Untergrundorganisation in Deutschland schaffen können, die vor allem im Arbeitermilieu wurzelte. Ihre Gruppen kämpften mit Propaganda und Sabotageaktionen gegen das NS-Regime. Die bekanntesten von Ihnen bildeten sich um Bernhard Bästlein in Hamburg, um Wilhelm Knöchel im Ruhrgebiet sowie um Robert Uhrig und Anton Saefkow in Berlin; fast alle wurden vor und während des Krieges von der Gestapo nach und nach zerschlagen, ihre Mitglieder in großer Zahl hingerichtet. Im Unterschied zu KPD und Sozialisten waren die Sozialdemokraten strukturell weniger gut auf Illegalität und konspirative Arbeit vorbereitet, in die sie von den NS-Machthabern 1933 gedrängt wurden. Einige führende Sozialdemokraten flüchteten ins Ausland und bauten dort eine neue Parteiorganisation auf, ohne jedoch nennenswerten Einfluss auf die Verhältnisse in Deutschland zu gewinnen. Andere blieben im Land und verschwanden – wie Kurt Schumacher – die längste Zeit im KZ oder schlossen sich – wie Leber oder Leuschner – nach zeitweiliger Inhaftierung der Verschwörung des 20. Juli an und bezahlten dafür mit ihrem Leben.

Keine GnadeAblehnung von Gnadensgesuchen von Anhängern der "Roten Kappelle"

"D E R F Ü H R E R

Führerhauptquartier, den 21.7.1943

An den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht.

Betr.: Gnadensachen von 17 vom Reichsgericht im Strafsachenkomplex „Rote Kapelle“ zum Tode und zum dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte Verurteilten:

Angestellter Karl B ö h m e, Urteil vom 20.1.1943, wegen Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Feindbegünstigung und wegen Beihilfe zur Spionage;
Fräser Stanislaus W e s o l e k, Urteil vom 10.2.1943, wegen Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und zur Spionage;
Rentner Emil H ü b n e r , Urteil vom 10.2.1943, wegen Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und zur Spionage;
Schriftsteller Adam K u c k h o f f, Urteil vom 3.2.1943, wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und wegen Feindbegünstigung;
Ehefrau Frieda W e s o l e k, Urteil vom 10.2.1943, wegen Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und zur Spionage;
Studentin Ursula G ö t z e, Urteil vom 18.1.1943, wegen Vorbereitung zum Hochverrat und wegen Feindbegünstigung;
Telefonistin Marie T e r w i e l , Urteil vom 26.1.1943, wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und wegen Feindbegünstigung;
Tänzerin Oda S c h o t t m ü l l e r, Urteil vom 20.1.1943, wegen Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und zur Feindbegünstigung;
Ehefrau Rose S c h l ö s i n g e r, Urteil vom 20.1.1943, wegen Spionage;
Ehefrau Hilda C o p p i, Urteil vom 20.1.1943, wegen Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Feindbegünstigung, Spionage und Rundfunkverbrechen;
Stenotypistin Kläre S c h a b b e l, Urteil vom 30.1.1943, wegen Feindbegünstigung;
Abteilungsleiterin Else I m m e, Urteil vom 30.1.1943, wegen Feindbegünstigung;
Wissenschaftliche Assistentin Eva B u c h, Urteil vom 3.2.1943, wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und Feindbegünstigung;
Geschäftsinhaberin Anna K r a u s s, Urteil vom 12.2.1943, wegen Zersetzung der Wehrkraft;
Ehefrau Ingeborg K u m e r o w, Urteil vom 27.1.1943, wegen Beihilfe zur Spionage;
Keramikerin Cato B o n t j e s van B e e k, Urteil vom 18.1.1943, wegen Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats und zur Feindbegünstigung;
Schülerin Liane B e r k o w i t z, Urteil vom 18.1.1943, wegen Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats und zur Feindbegünstigung.

Ich lehne einen Gnadenerweis ab.

A. Hitler
Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht
Keitel"

Ablehnung von Gnadensgesuchen vom 21.07.1943 (© Militärhistorisches Museum Prag)

Unterzeichnet wurde das Dokument neben Hitler, auch vom Wilhelm Keitel, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. (© Militärhistorisches Museum Prag)

Ideologisch schwerer einzuordnen ist ein Berliner Widerstandskreis, die heute unter dem Namen "Rote Kapelle" bekannt ist. Sie umfasste Menschen verschiedenster sozialer Herkunft und politischer Prägung, die sich bereits während der 1930er Jahre fanden, weil sie das NS-Regime ablehnten. Ihr privater politischer Meinungsaustausch führte sie bald zu vielfältigen Widerstandsaktivitäten, von der Hilfe für politisch Verfolge über Flugblattaktionen bis hin zur Kontaktierung ausländischer Zwangsarbeiter. Erst Anfang der 1940er Jahre schlossen sich die etwa 150 Personen zählenden Kreise enger um ihre führenden Köpfe zusammen: den Oberleutnant im Reichsluftfahrtministerium Harro Schulze-Boysen und den Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium Arvid Harnack. Zum Verhängnis wurde der Gruppe schließlich ihr Kontakt mit dem sowjetischen Nachrichtendienst, dem sie kriegswichtige Informationen übermittelte. Die Gestapo fahndete deshalb nach ihr unter dem Sammel-Decknamen "Rote Kapelle" für alle sowjetischen Spionagegruppen in Westeuropa. Von der deutschen Spionageabwehr aufgeklärt, konnte die Gestapo 1942/43 die meisten Mitglieder des Kreises um Harnack und Schulze-Boysen verhaften; etwa die Hälfte von ihnen wurde hingerichtet.

Studenten der Universität München bildeten 1942 eine Interner Link: Widerstandsgruppe, die sich selbst "Weiße Rose" nannte. Den Anstoß gaben Medizinstudenten, die den Schrecken des Krieges und deutsche Verbrechen an der Ostfront erlebt hatten. Die Gruppe um Hans und Sophie Scholl, der sich auch Professor

Kurt Huber anschloss, wendete sich mit Flugblättern hauptsächlich an gebildete Schichten. Eine solche Aktion führte 1943 zur Verhaftung der Hauptbeteiligten. Sie und andere wurden hingerichtet oder ermordet; etwa 60 Beteiligte überlebten den Krieg.

Daneben organisierte sich Widerstand zuweilen spontan. So demonstrierten Anfang 1943 mehrere hundert Menschen vor einem Sammellager in der Berliner Rosenstraße tagelang – und erfolgreich – gegen die Verhaftung und Deportation ihrer jüdischen Ehepartner und Angehörigen. In den letzten Kriegstagen sagten sich bayerische Patrioten um den Reserveoffizier Rupprecht Gerngroß vom NS-Regime los. Der Aufstand der "Freiheitsaktion Bayern" wurde nach Anfangserfolgen blutig niedergeschlagen.

"Keine Träne, aufrecht"Am 19. April 1943 endet der zweite Prozess gegen die Weiße Rose. Als einziger der 14 Angeklagten wird Falk Harnack freigesprochen - Auszüge aus seinen Erinnerungen und dem Urteil

Im November 1942 treffen Hans Scholl und Alexander Schmorell von der Weißen Rose in dem kleinen Hotel Sächsischer Hof in Chemnitz auf den damals 29-jährigen Falk Harnack. Ziel der Zusammenkunft ist es, den studentischen Widerstand über München hinaus auf andere deutsche Städten auszuweiten. Dabei soll der junge Schauspieler und Regisseur helfen. Sein älterer Bruder Arvid sowie zehn weitere Widerstandskämpfer der Roten Kapelle werden kurz darauf im Dezember 1942 in Plötzensee hingerichtet. Trotzdem reist Falk Harnack am 8. Februar 1943 nach München und sucht Schmorell und die Geschwister Scholl auf; sie besprechen Pläne für eine Zeit nach Hitler.
Hans Scholl und Falk Harnack verabreden sich erneut: Am 25. Februar wollen sie sich um 18 Uhr an der Gedächtniskirche in Berlin treffen. Harnack ist pünktlich; er wartet vergeblich. Hans Scholl ist bereits hingerichtet. Wenige Tage später wird auch Falk Harnack verhaftet und mit 13 anderen Mitgliedern der Weißen Rose angeklagt. Als Einziger wird er freigesprochen. Noch im Winter desselben Jahres desertiert Harnack in Griechenland aus der Wehrmacht. 1947 schreibt er seine Erinnerungen auf. Wir geben Passagen über die Haftzeit in Ausschnitten wieder. Nach dem Krieg war Harnack zunächst künstlerischer Leiter bei der Ostberliner Defa, wechselte aber 1952 nach West-Berlin und arbeitet beim ZDF. Er starb 1991 in Berlin.

"Sonnabend, den 6. März 1943, mittags gegen 14Uhr, wurde ich zum Kompaniechef gerufen. Erst als zwei Wachtmeister der Kompanie mit entsicherter Pistole den Raum betreten hatten, erklärte er: "Auf Befehl des Oberkommandos des Heeres sind Sie vorläufig festgenommen. Weshalb, das werden Sie besser wissen als ich. Bei Fluchtversuch wird sofort scharf geschossen. Sie haben keinem Menschen eine Mitteilung hiervon zu machen." Am selben Abend wurde ich unter Bewachung zum D-Zug nach München gebracht und am nächsten Morgen in die Gestapo-Leitstelle, Brienner Straße (Wittelsbacher Palais), eingeliefert. [...] Während der ganzen Gestapohaft kam keiner von uns ins Freie, Tag und Nacht mussten wir in der Zelle verbringen, die von scharfem, hellem elektrischen Licht beleuchtet war. [...] Einmal sah ich Alexander Schmorell. Er kam mir, als ich zu einer Vernehmung abgeholt wurde, entgegen (Zellenbau). Noch heute sehe ich seine große schöne Gestalt, hochrot im Gesicht, mit glühenden Augen. Wir grüßten uns stumm. [...]

Nach Wochen – als die Vernehmungen beendet waren – wurden wir auf die einzelnen Untersuchungsgefängnisse Münchens verteilt. So kamen Schmorell, Prof. Huber und viele andere in das Gefängnis am Neudeck. Willi Graf und ich kamen, natürlich streng getrennt, in das Untersuchungsgefängnis Cornelius. Damit war der Fall von der Gestapo der Justiz überstellt; die Maschinerie des Volksgerichtshofes lief an. Qualvolle Tage und Nächte folgten, qualvoll wegen der Ungewissheit, wann der Prozess verhandelt und wie er ausgehen würde. [...] Da die Sache vor den Volksgerichtshof kam, wo kein Strafgesetzbuch Gültigkeit hatte, sondern nur die Willkür entschied, bereitete sich jeder von uns auf die Todesstrafe vor. Langsam überwand man die Furcht vor dem Tode. Nur ein Gefühl quälte jeden von uns: nicht genug gegen das verbrecherische System getan zu haben. Man hatte das Gefühl, man gibt sein Leben zu billig her. [...] Am 16. April 1943 traf die Anklageschrift ein, die auf Hochverrat, Landesverrat, Zersetzung der Wehrmacht, Aufbau illegaler Organisationen etc. lautete.

Am 19. April 1943, morgens um 5 Uhr, wurde ich geweckt, rasiert und kam in die sog. Empfangszelle. Wenige Minuten später kam Willi Graf hinein. Wir beide wurden in den Gefängnishof geführt. Dort stand ein grüner Gefängniswagen. Die Tür öffnete sich, und wir erblickten Prof. Huber, Alexander Schmorell und die anderen Angeklagten, darunter die Geschwister Hirzel, Grimminger, Bollinger usw. Wir stiegen ein, und die Fahrt zum Justizpalast, quer durch München, begann. [...]

Im Hof des Justizpalastes empfing uns ein Polizeikordon. Die Hände wurden uns gefesselt, und wir kamen herauf in die große Wartezelle, zum ersten Male alle gemeinsam. Nur ein paar Wortbrocken konnten wir wechseln, da wir streng beaufsichtigt wurden. Schmorell war schweigsam, er hoffte auf nichts mehr. [...]

Dann öffnete sich das Tor, und wir wurden gefesselt über den langen Korridor in den Schwurgerichtssaal geführt. Links und rechts standen Menschen, Kopf an Kopf. Viele Studenten der Münchener Universität, Arbeiter, Soldaten. Wir gingen an ihnen vorbei. Kein böses Wort traf uns – nur Blicke voll tiefer Sympathie und voller Mitleid. Als erster betrat Schmorell den Saal, ihm folgte Prof. Huber, und dann kamen wir anderen. – An der Tür sah ich meine Mutter stehen. Ich konnte ihr, obwohl gefesselt, die Hände drücken und ihr, der man soeben ihren ältesten Sohn und ihre Schwiegertochter auf so grausame Weise ermordet hatte, sagen: "Ich denke an Euch alle." [...]

In hämisch-pathetischer Weise verlas Freisler die einzelnen Anklagepunkte. Als die Flugblätter verlesen wurden, wuchs die feindliche Erregung im Saal und nahm bedrohliche Formen an. Sofort nach der Verlesung sprang der Wahlverteidiger von Prof. Huber auf, nahm stramme Haltung an, grüßte mit "Heil Hitler" und erklärte mit großem Pathos: "Herr Präsident! Hoher Gerichtshof! Da ich erst jetzt Kenntnis von dem Inhalt der Flugblätter erhalten habe, sehe ich mich als deutscher Mensch und Rechtswahrer des Deutschen Reiches außer Stande, ein solch ungeheuerliches Verbrechen zu verteidigen. Ich bitte den hohen Gerichtshof, mich von meiner Verteidigung zu entbinden und die angeführten Gründe zu würdigen." [] Prof. Huber, neben dem ich saß, war auf das Tiefste erschüttert. Aber noch eine Enttäuschung traf Prof. Huber. Er hatte als Entlastungszeugen den Münchener Historiker, seinen Kollegen Geh.Rat Alexander von Müller, benannt. Von Müller ließ sich entschuldigen, er sei dienstlich von München abwesend.

Als erster wurde Alexander Schmorell vor die Schranken gerufen. Mit bestialischer Rhetorik überschüttete Freisler den jungen Studenten und machte ihm eine Vorhaltung nach der anderen; eine Beschimpfung jagte die andere – brüllend, tobend, so daß Schmorell überhaupt nicht zu Worte kam. Jedes Mal, wenn er nur ansetzte, seine Handlungen zu erklären, zu verteidigen, schnitt ihm Freisler kreischend das Wort ab. Als Freisler sich ausgetobt hatte, stellte er die Frage: "Was haben Sie denn an der Front getan?" Schmorell antwortete: "Ich habe mich um die Verwundeten gekümmert, wie es meine Pflicht als angehender Arzt ist." Darauf Freisler: "Ja, und wenn die Russen kamen, haben Sie nicht auf die Russen geschossen?" – "Genau so wenig, wie ich auf Deutsche schieße, schieße ich auf Russen!" […]

Prof. Huber, der als nächster vorgerufen wurde, wurde in hämischer Weise mitgeteilt, die Universität habe ihm seinen Professorenrang und seinen Doktortitel aberkannt, weil er ein Verführer der deutschen Jugend sei. Als Prof. Huber antwortete, seine Kollegs seien immer überfüllt gewesen und er habe es als Hochschullehrer und Philosoph als seine Pflicht angesehen, den jungen Menschen bei ihren inneren Kämpfen beizustehen, erklärte Freisler zynisch lächelnd: "Sie halten sich wohl für einen neuen Fichte?" Prof. Huber, der seit seiner Geburt an einem leichten Sprachfehler litt, hielt sich mit aller Kraft aufrecht und versuchte, stimmlich gegen dieses Meer von Unflat anzukämpfen. Er bebte am ganzen Körper, jedoch nicht aus Furcht oder Angst, sondern vor tiefster Erregung und Empörung über diese unwürdigen Zustände.

Als Dritter folgte Willi Graf – ruhig und gelassen. Der Ton Freislers mäßigte sich etwas. Freisler sagte: "Sie haben ja der Gestapo schöne Lügengeschichten aufgebunden, und um ein Haar wären Sie herausgekommen. Aber ...", und jetzt nahezu mit einem verbindlichen Lächeln, als ober er ein Spiel gewonnen hätte, "... wir sind doch schlauer als Sie!" […]

Erschütternd war die Verhandlung gegen das Geschwisterpaar Hirzel. Sie waren noch die reinsten Kinder, sechzehnjährig und kamen aus einem Pfarrhaus. Besonders der junge Hirzel fiel prompt in jede Fallgrube, die ihm Freisler bereitete, umso bewundernswerter war aber der Mut, mit dem er illegale Arbeit geleitet hatte.

Als ich vor die Schranken gerufen und meine Daten verlesen wurden und Freisler mit Hohn auf die vor kurzem erfolgte Hinrichtung meines Bruders und meiner Schwägerin hinwies, ging eine Welle der Erregung durch den Saal. Ich musste an mich halten, um nicht auszubrechen, um die klare Verhandlungslinie nicht zu verlassen. Unter anderem wurde mir vorgehalten, ich hätte defätistische Äußerungen getan, dass der Krieg für Deutschland verloren sei. Ich entgegnete Freisler, meine Äußerung sei gewesen: "Ich befürchte, dass Deutschland den Krieg verliert, und halte es deshalb für notwendig, sich mit den daraus ergebenden Problemen rechtzeitig auseinanderzusetzen. Die nationalsozialistische Propaganda erklärt: Nach dem Zusammenbruch kommt das Chaos. Diese Propagandarichtung halte ich für überaus gefährlich, denn" – und jetzt mit erhobener Stimme – "Deutschland darf nicht untergehen." Durch diesen Salto stand ich plötzlich auf der nationalen Plattform. Freisler, der deutlich merkte, dass ihm der Degen aus der Hand geschlagen war, stoppte einen Moment seinen Redefluss und wusste nicht genau, wo er wieder einsetzen sollte, insbesondere, da ich gerade in diesem Moment ein Führungszeugnis eines mir bekannten Generals vorlegen konnte, was verlesen wurde. Mit dieser nervenaufreibenden Taktik gelang es mir allmählich, Freisler auf eine Verhandlungsbasis zu bringen, auf der ich meine Argumente ausführen konnte. Auf die Frage von Freisler, warum ich die Sache nicht angezeigt hätte, argumentierte ich mit meiner Kriegserkrankung – Nerven – und mit den schweren Verlusten, die unsere Familie betroffen habe, und sagte: "Das kann vielleicht eine kalte Maschine, aber kein Mensch. Was Sie erwarten, ist –", da fiel mir Freisler ins Wort und vervollständigte "übermenschlich". "Nein", antwortete ich, "fast zuviel für einen Menschen." […]

Gegen 10.30 Uhr abends wurden wir wieder gefesselt in den großen Schwurgerichtssaal mit seiner lächerlich geblümten Tapete geführt. Die Urteilsverkündung begann. Freisler erhob sich, hinter ihm das Bild mit der widerlichen Fratze Hitlers. Mit genießerisch rhetorischer Breite formulierte er die Urteilsbegründung, die nicht schriftlich vorlag. Alexander Schmorell, Prof. Huber und Willi Graf wurden mit dem Tode bestraft, Grimminger mit 10 Jahren Zuchthaus. Er war also gerettet. Und nun folgten die anderen Angeklagten mit längeren oder kürzeren Freiheitsstrafen. Zum Schluss kam ich an die Reihe, und obwohl der Oberreichsanwalt 5 Jahre beantragt hatte, wurde ich mangels Beweisen freigesprochen.

Die Freunde, die ihr Todesurteil vernommen hatten, waren still und gefasst, keine Träne, aufrecht. Freisler verließ mit seinen sogenannten Richtern mit der Befriedigung den Saal, der Öffentlichkeit wieder ein "glänzendes" Schauspiel gegeben zu haben. Mir wurde mitgeteilt, dass ich am nächsten Tage der Gestapo ausgeliefert würde. […]"

"Keine Träne, aufrecht" aus: ZEIT Geschichte Nr. 04/2009 (Lizenzgeber: Gedenkstätte Deutscher Widerstand)

QuellentextPredigt des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, am Sonntag, dem 3. August 1941, in der St. Lambertikirche zu Münster

"Ich muss leider mitteilen, dass die Gestapo [Geheime Staatspolizei] auch in dieser Woche ihren Vernichtungskampf gegen die katholischen Orden fortgesetzt hat. Am Mittwoch, dem 30. Juli, hat die Gestapo das Provinzialhaus der Schwestern Unserer Lieben Frau in Mülhausen, Kreis Kempen, das früher zum Bistum Münster gehörte, besetzt und für aufgehoben erklärt. Die Schwestern, von denen viele aus unserem Bistum stammen, wurden zum größten Teil ausgewiesen und mussten noch am gleichen Tage den Kreis verlassen. Nach glaubwürdigen Nachrichten ist am Donnerstag, dem 31. Juli, das Kloster der Missionare von Hiltrup in Hamm ebenfalls von der Gestapo besetzt und beschlagnahmt worden. Die dort weilenden Patres sind ausgewiesen.

Ich habe bereits am 13. Juli hier in der Lambertikirche nach der Vertreibung der Jesuiten

Clemens August Graf von Galen in einer undatierten Aufnahme. Von Galen, der ab 1933 Bischof von Münster war, wurde für sein mutiges Auftreten gegen den Nationalsozialismus bekannt. Nach dem Krieg wurde der "Löwe von Münster" zum Kardinal ernannt. (© picture-alliance)

und Missionsklarissen aus Münster öffentlich festgestellt: Keiner der Bewohner der Klöster ist eines Vergehens oder Verbrechens beschuldigt, vor Gericht angeklagt oder gar verurteilt. Wie ich höre, werden jetzt in Münster Gerüchte verbreitet, dass diese Ordensleute, insbesondere die Jesuiten, doch wegen gesetzwidriger Verfehlungen, ja sogar wegen Landesverrat angeklagt oder sogar überführt seien. Ich erkläre: Das ist eine gemeine Verleumdung deutscher Volksgenossen, unserer Brüder und Schwestern, die wir uns nicht gefallen lassen. Gegen einen Burschen, der vor Zeugen es wagte, derartiges zu behaupten, habe ich bereits Strafanzeige bei dem Herrn Oberstaatsanwalt erstattet. Ich spreche die Erwartung aus, dass der Mann schleunigst zur Verantwortung gezogen wird, und dass unsere Gerichte noch den Mut haben, Verleumder, die es wagen, unbescholtenen deutschen Volksgenossen, nachdem ihnen schon ihr Eigentum genommen wurde, auch noch die Ehre zu rauben, zur Verantwortung zu ziehen und zu bestrafen. Ich fordere alle meine Zuhörer, ja alle anständigen Mitbürger auf, von heute ab, falls in ihrer Gegenwart solche Anschuldigungen gegen die aus Münster ausgewiesenen Ordensleute ausgesprochen werden, sofort den Namen und die Wohnung des Anklägers und der etwa anwesenden Zeugen festzustellen. Ich hoffe, es gibt hier in Münster noch Männer, die den Mut haben, zur gerichtlichen Klarstellung solcher die Volksgemeinschaft vergiftender Beschuldigungen durch offenes Eintreten mit ihrer Person, ihrem Namen, nötigenfalls mit ihrem Eide mitzuwirken. Diese bitte ich, falls vor ihnen solche Beschuldigungen gegen unsere Ordensleute ausgesprochen werden, alsbald bei ihrem Pfarrer oder auch beim Bischöflichen Generalvikariat das zu melden und zu Protokoll zu geben. Ich bin es der Ehre unserer Ordensleute, der Ehre unserer katholischen Kirche und auch der Ehre unseres deutschen Volkes und unserer Stadt Münster schuldig, dass ich durch Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft für die gerichtliche Klarstellung des Tatbestandes und für die Bestrafung gemeiner Verleumder unserer Ordensleute Sorge trage.

(Nach der Verlesung des Tagesevangeliums vom 9. Sonntag nach Pfingsten: " . . . als Jesus Jerusalem nahe kam und die Stadt sah, weinte er über sie . . . " Luk 19,41-47).

Meine lieben Diözesanen! Eine erschütternde Begebenheit ist es, die das heutige Sonntagsevangelium berichtet. Jesus weint! Der Sohn Gottes weint! Wer weint, der leidet Schmerzen, Schmerzen am Leibe oder am Herzen. Jesus litt damals nicht dem Leibe nach und doch weinte er. Wie groß muss der Seelenschmerz, das Herzensweh dieses tapfersten der Männer gewesen sein, dass er weinte! Warum weinte er? Er weinte über Jerusalem, über die heilige, ihm so teuere Gottesstadt, die Hauptstadt seines Volkes. Er weinte über ihre Bewohner, seine Volksgenossen, weil sie nicht erkennen wollten, was allein die von seiner Allwissenheit vorausgesehenen, von seiner göttlichen Gerechtigkeit vorausbestimmten Strafgerichte abwenden könnte: "Wenn du es doch erkenntest, was dir zum Frieden dient!" Warum erkennen es die Bewohner von Jerusalem nicht? Nicht lange vorher hat Jesus es ausgesprochen: "Jerusalem, Jerusalem, wie oft wollte ich deine Kinder versammeln, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt. Aber du hast nicht gewollt!" (Luk 13,34).

Du hast nicht gewollt. Ich, dein König, dein Gott, ich wollte! Aber du hast nicht gewollt. Wie geborgen, wie behütet, wie beschützt ist das Küchlein unter den Flügeln der Henne; sie wärmt es, sie nährt es, sie verteidigt es. So wollte ich dich beschützen, behüten, gegen jedes Ungemach verteidigen. Ich wollte! Du hast nicht gewollt!

Darum weint Jesus, darum weint dieser starke Mann, darum weint Gott. Ober die Torheit, über das Unrecht, über das Verbrechen des N i c h t w o l l e n s . Und über das daraus entstehende Unheil, das seine Allwissenheit kommen sieht, das seine Gerechtigkeit verhängen muß, wenn der Mensch den Geboten Gottes, allen Mahnungen seines Gewissens, allen liebevollen Einladungen des göttlichen Freundes, des besten Vaters, sein Nichtwollen entgegensetzt: "Wenn du es doch erkenntest, noch heute, an diesem Tage, was dir zum Frieden dient! Aber du hast nicht gewollt!" Es ist etwas Furchtbares, etwas unerhört Ungerechtes und Verderbenbringendes, wenn der Mensch seinen Willen gegen Gottes Willen stellt! Ich wollte! Du hast nicht gewollt! Darum weint Jesus über Jerusalem.

Andächtige Christen! In dem am 6. Juli dieses Jahres in allen katholischen Kirchen Deutschlands verlesenen gemeinsamen Hirtenbrief der deutschen Bischöfe vom 26. Juni 1941 heißt es unter anderem: "Gewiss gibt es nach der katholischen Sittenlehre positive Gebote, die nicht mehr verpflichten, wenn ihre Erfüllung mit allzu großen Schwierigkeiten verbunden wäre. Es gibt aber auch heilige Gewissensverpflichtungen, von denen niemand uns befreien kann, die wir erfüllen müssen, koste es, was es wolle, koste es uns selbst das Leben: Nie, unter keinen Umständen darf der Mensch außerhalb des Krieges und der gerechten Notwehr einen Unschuldigen töten." Ich hatte schon am 6. Juli Veranlassung, diesen Worten des gemeinsamen Hirtenbriefes folgende Erläuterung hinzuzufügen:

"Seit einigen Monaten hören wir Berichte, dass aus Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke auf Anordnung von Berlin Pfleglinge, die schon länger krank sind und vielleicht unheilbar erscheinen, zwangsweise abgeführt werden. Regelmäßig erhalten dann die Angehörigen nach kurzer Zeit die Mitteilung, der Kranke sei verstorben, die Leiche sei verbrannt, die Asche könne abgeliefert werden. Allgemein herrscht der an Sicherheit grenzende Verdacht, dass diese zahlreichen unerwarteten Todesfälle von Geisteskranken nicht von selbst eintreten, sondern absichtlich herbeigeführt werden, dass man dabei jener Lehre folgt, die behauptet, man dürfe sogenanntes lebensunwertes Leben’ vernichten, also unschuldige Menschen töten, wenn man meint, ihr Leben sei für Volk und Staat nichts mehr wert. Eine furchtbare Lehre, die die Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will, die die gewaltsame Tötung der nicht mehr arbeitsfähigen Invaliden, Krüppel, unheilbar Kranken, Altersschwachen grundsätzlich freigibt!"

Wie ich zuverlässig erfahren habe, werden jetzt auch in den Heil- und Pflegeanstalten der Provinz Westfalen Listen aufgestellt von solchen Pfleglingen, die als sogenannte unproduktive’ Volksgenossen abtransportiert und in kurzer Zeit ums Leben gebracht werden sollen. Aus der Anstalt Marienthal bei Münster ist im Laufe dieser Woche der erste Transport abgegangen!

Deutsche Männer und Frauen! Noch hat Gesetzeskraft der § 211 des Reichsstrafgesetzbuches, der bestimmt: "Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen M o r d e s mit dem Tode bestraft." Wohl um diejenigen, die jene armen Menschen, Angehörige unserer Familien, vorsätzlich töten, vor dieser gesetzlichen Bestrafung zu bewahren, werden die zur Tötung bestimmten Kranken aus der Heimat abtransportiert in eine entfernte Anstalt. Als Todesursache wird dann irgendeine Krankheit angegeben. Da die Leiche sofort verbrannt wird, können die Angehörigen und auch die Kriminalpolizei es hinterher nicht mehr feststellen, ob die Krankheit wirklich vorgelegen hat und welche Todesursache vorlag.

Es ist mir aber versichert worden, dass man im Reichsministerium des Innern und auf der Dienststelle des Reichsärzteführers Dr. Conti gar kein Hehl daraus mache, dass tatsächlich schon eine große Zahl von Geisteskranken in Deutschland vorsätzlich getötet worden ist und in Zukunft getötet werden soll.

Das Reichsstrafgesetzbuch bestimmt in § 139: "Wer von dem Vorhaben ... eines Verbrechens wider das Leben ... glaubhafte Kenntnis erhält und es unterlässt, der Behörde oder dem Bedrohten hiervon zur rechten Zeit Anzeige zu machen, wird ... bestraft."

Als ich von dem Vorhaben erfuhr, Kranke aus Marienthal abzutransportieren, um sie zu töten, habe ich am 28. Juli bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Münster und bei dem Herrn Polizeipräsidenten in Münster Anzeige erstattet durch eingeschriebenen Brief mit folgendem Wortlaut:

"Nach mir zugegangenen Nachrichten soll im Laufe dieser Woche (man spricht vom 31. Juli) eine große Anzahl Pfleglinge der Provinzialheilanstalt Marienthal bei Münster als sogenannte ‘unproduktive Volksgenossen’ nach der Heilanstalt Eichberg überführt werden, um dann alsbald, wie es nach solchen Transporten aus anderen Heilanstalten nach allgemeiner Überzeugung geschehen ist, vorsätzlich getötet zu werden. Da ein derartiges Vorgehen nicht nur dem göttlichen und natürlichen Sittengesetz widerstreitet, sondern auch als Mord nach § 211 des Reichsstrafgesetzbuches mit dem Tode zu bestrafen ist, erstatte ich gemäß § 139 des Reichsstrafgesetzbuches pflichtgemäß Anzeige und bitte, die bedrohten Volksgenossen unverzüglich durch Vorgehen gegen die den Abtransport und die Ermordung beabsichtigenden Stellen zu schützen und mir von dem Veranlassten Nachricht zu geben." Nachricht über ein Einschreiten der Staatsanwaltschaft oder der Polizei ist mir nicht zugegangen.

Ich hatte bereits am 26. Juli bei der Provinzialverwaltung der Provinz Westfalen, der die Anstalten unterstehen, der die Kranken zur P f l e g e u n d H e i l u n g anvertraut sind, schriftlich ernstesten Einspruch erhoben. Es hat nichts genützt! Der erste Transport der schuldlos zum Tode Verurteilten ist von Marienthal abgegangen! Und aus der Heil- und Pflegeanstalt Warstein sind, wie ich höre, bereits 800 Kranke abtransportiert worden.

So müssen wir damit rechnen, dass die armen, wehrlosen Kranken über kurz oder lang umgebracht werden. Warum? Nicht weil sie ein todeswürdiges Verbrechen begangen haben, nicht etwa, weil sie ihren Wärter oder Pfleger angegriffen haben, so dass diesem nichts anderes übrigblieb, als dass er zur Erhaltung des eigenen Lebens in gerechter Notwehr dem Angreifer mit Gewalt entgegentrat, Das sind Fälle, in denen neben der Tötung des bewaffneten Landesfeindes im gerechten Kriege Gewaltanwendung bis zur Tötung erlaubt und nicht selten geboten ist.

Nein, nicht aus solchen Gründen müssen jene unglücklichen Kranken sterben, sondern darum, weil sie nach dem Urteil irgendeines Amtes, nach dem Gutachten irgendeiner Kommission ‘l e b e n s u n w e r t’ geworden sind, weil sie nach diesem Gutachten zu den ‚unproduktiven’ Volksgenossen gehören. Man urteilt: Sie können nicht mehr Güter produzieren, sie sind wie eine alte Maschine, die nicht mehr läuft, sie sind wie ein altes Pferd, das unheilbar lahm geworden ist, sie sind wie eine Kuh, die nicht mehr Milch gibt. Was tut man mit solch alter Maschine? Sie wird verschrottet. Was tut man mit einem lahmen Pferd, mit solch einem unproduktiven Stück Vieh?

Nein, ich will den Vergleich nicht bis zu Ende führen -, so furchtbar seine Berechtigung ist und seine Leuchtkraft!

Es handelt sich hier ja nicht um Maschinen, es handelt sich nicht um Pferd oder Kuh, deren einzige Bestimmung ist, dem Menschen zu dienen, für den Menschen Güter zu produzieren! Man mag sie zerschlagen, man mag sie schlachten, sobald sie diese Bestimmung nicht mehr erfüllen. Nein, hier handelt es sich um Menschen, unsere Mitmenschen, unsere Brüder und Schwestern! Arme Menschen, kranke Menschen, unproduktive Menschen meinetwegen. Aber haben sie damit das Recht auf das Leben verwirkt? Hast du, habe ich nur solange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind, solange wir von anderen als produktiv anerkannt werden?

Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man den ‘unproduktiven’ Mitmenschen töten darf, dann wehe uns allen, wenn wir alt und altersschwach werden! Wenn man die unproduktiven Mitmenschen töten darf, dann wehe den Invaliden, die im Produktionsprozess ihre Kraft, ihre gesunden Knochen eingesetzt, geopfert und eingebüßt haben! Wenn man die unproduktiven Mitmenschen gewaltsam beseitigen darf, dann wehe unseren braven Soldaten, die als schwer Kriegsverletzte, als Krüppel, als Invaliden in die Heimat zurückkehren!

Wenn einmal zugegeben wird, dass Menschen das Recht haben, ‘unproduktive’ Mitmenschen zu töten - und wenn es jetzt zunächst auch nur arme, wehrlose Geisteskranke trifft -, dann ist grundsätzlich der Mord an allen unproduktiven Menschen, also an den unheilbar Kranken, den arbeitsunfähigen Krüppeln, den Invaliden der Arbeit und des Krieges, dann ist der Mord an uns allen, wenn wir alt und altersschwach und damit unproduktiv werden, freigegeben. Dann braucht nur irgendein Geheimerlass anzuordnen, dass das bei den Geisteskranken erprobte Verfahren auf andere ‘Unproduktive’ auszudehnen ist, dass es auch bei den unheilbar Lungenkranken, bei den Altersschwachen, bei den Arbeitsinvaliden, bei den schwerkriegsverletzten Soldaten anzuwenden ist. Dann ist keiner von uns seines Lebens mehr sicher. Irgendeine Kommission kann ihn auf die Liste der ‘Unproduktiven’ setzen, die nach ihrem Urteil ‘lebensunwert’ geworden sind. Und keine Polizei wird ihn schützen und k e i n Gericht seine Ermordung ahnden und den Mörder der verdienten Strafe übergeben! Wer kann dann noch Vertrauen haben zu einem Arzt? Vielleicht meldet er den Kranken als ‘unproduktiv’ und erhält die Anweisung, ihn zu töten. Es ist nicht auszudenken, welche Verwilderung der Sitten, welch allgemeines gegenseitiges Misstrauen bis in die Familien hineingetragen wird, wenn diese furchtbare Lehre geduldet, angenommen und befolgt wird. Wehe den Menschen, wehe unserem deutschen Volk, wenn das heilige Gottesgebot: "Du sollst nicht töten!", das der Herr unter Donner und Blitz auf Sinai verkündet hat, das Gott unser Schöpfer, von Anfang an in das Gewissen der Menschen geschrieben hat, nicht nur übertreten wird, sondern wenn diese Übertretung sogar geduldet und ungestraft ausgeübt wird!

Ich will euch ein Beispiel sagen von dem, was jetzt geschieht. In Marienthal war ein Mann von etwa 55 Jahren, ein Bauer aus einer Landgemeinde des Münsterlandes - ich könnte euch den Namen nennen -, der seit einigen Jahren unter Geistesstörungen leidet und den man daher der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Marienthal zur Pflege anvertraut hat. Er war nicht richtig geisteskrank, er konnte Besuche empfangen und freute sich immer, so oft, seine Angehörigen kamen. Noch vor 14 Tagen hatte er Besuch von seiner Frau und von einem seiner Söhne, der als Soldat an der Front steht und Heimaturlaub hatte. Der Sohn hängt sehr an seinem kranken Vater. So war der Abschied schwer. Wer weiß, ob der Soldat wiederkommt, den Vater wiedersieht, denn er kann ja im Kampf für die Volksgenossen fallen. Der Sohn, der Soldat, wird den Vater wohl sicher auf Erden nicht wiedersehen, denn er ist seitdem auf die Liste der Unproduktiven gesetzt. Ein Verwandter, der den Vater in dieser Woche in Marienthal besuchen wollte, wurde abgewiesen mit der Auskunft, der Kranke sei auf Anordnung des Ministerrats für Landesverteidigung von hier abtransportiert. Wohin, könne nicht gesagt werden. Den Angehörigen werde in einigen Tagen Nachricht gegeben werden.

Wie wird diese Nachricht lauten? Wieder so, wie in anderen Fällen? Dass der Mann gestorben sei, dass die Leiche verbrannt sei, dass die Asche gegen Entrichtung einer Gebühr abgeliefert werden könne? Dann wird der Soldat, der im Felde steht und sein Leben für die deutschen Volksgenossen einsetzt, den Vater hier auf Erden nicht wiedersehen, weil deutsche Volksgenossen in der Heimat ihn ums Leben gebracht haben!

Die von mir ausgesprochenen Tatsachen stehen fest. Ich kann die Namen des kranken Mannes, seiner Frau, seines Sohnes, der Soldat ist, nennen und den Ort, wo sie wohnen. "Du sollst nicht töten!" Gott hat dieses Gebot in das Gewissen der Menschen geschrieben, längst ehe ein Strafgesetzbuch den Mord mit Strafe bedrohte, längst ehe Staatsanwaltschaft und Gericht den Mord verfolgten und ahndeten. Kain, der seinen Bruder Abel erschlug, war ein Mörder, lange bevor es Staaten und Gerichte gab. Und er bekannte, gedrängt von der Anklage seines Gewissens: "Größer ist meine Missetat, als dass ich Verzeihung finden könnte! . . . jeder, der mich findet, wird mich, den Mörder töten (Gen 4,13).

"Du sollst nicht töten!" Dieses Gebot Gottes, des einzigen Herrn, der das Recht hat, über Leben und Tod zu bestimmen, war von Anfang an in die Herzen der Menschen geschrieben, längst bevor Gott den Kindern Israels am Berge Sinai sein Sittengesetz mit jenen lapidaren, in Stein gehauenen kurzen Sätzen verkündet hat, die uns in der Heiligen Schrift aufgezeichnet sind, die wir als Kinder aus dem Katechismus auswendig gelernt haben.

"Ich bin der Herr, dein Gott!" So hebt dieses unabänderliche Gesetz an. "Du sollst keine fremden Götter neben mir haben!" Der einzige, überweltliche, allmächtige, allwissende, unendlich heilige und gerechte Gott hat diese Gebote gegeben, unser Schöpfer und einstiger Richter! Aus Liebe zu uns hat er diese Gebote unserem Herzen eingeschrieben und sie uns verkündet; denn sie entsprechen dem Bedürfnis unserer von Gott geschaffenen Natur; sie sind die unabdingbaren Normen eines vernunftmäßigen, eines gottgefälligen, eines heilbringenden und heiligen Menschenlebens und Gemeinschaftslebens.

Gott, unser Vater, will mit diesen Geboten uns, seine Kinder, sammeln, wie die Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt. Wenn wir Menschen diesen Befehlen, diesen Einladungen, diesem Rufe Gottes folgen, dann sind wir behütet, beschützt, vor Unheil bewahrt, gegen das drohende Verderben verteidigt wie die Küchlein unter den Flügeln der Henne.

"Jerusalem, Jerusalem, wie oft wollte ich deine Kinder sammeln, wie die Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt. Aber du hast nicht gewollt!" Soll das aufs Neue wahr werden in unserem deutschen Vaterland, in unserer westfälischen Heimat, in unserer Stadt Münster? Wie steht es in Deutschland, wie steht es hier bei uns mit dem Gehorsam gegen die göttlichen Gebote?

Das achte Gebot: "Du sollst kein falsches Zeugnis geben, du sollst nicht lügen!" Wie oft wird es frech, auch öffentlich, verletzt!

Das siebente Gebot: "Du sollst nicht fremdes Gut dir aneignen!" Wessen Eigentum ist noch sicher nach der willkürlichen und rücksichtslosen Enteignung des Eigentums unserer Brüder und Schwestern, die katholischen Orden angehören? Wessen Eigentum ist geschützt, wenn dieses widerrechtlich beschlagnahmte Eigentum nicht zurückerstattet wird?

Das sechste Gebot: "Du sollst nicht ehebrechen! Denkt an die Anweisungen und Zusicherungen, die der berüchtigte Offene Brief des inzwischen verschwundenen Rudolf Heß, der in allen Zeitungen veröffentlicht wurde, über den freien Geschlechtsverkehr und die uneheliche Mutterschaft gegeben hat. Und was kann man sonst noch über diesen Punkt auch hier in Münster an Schamlosigkeit und Gemeinheit lesen und beobachten und erfahren! An welche Schamlosigkeit in der Kleidung hat die Jugend sich gewöhnen müssen. Vorbereitung späteren Ehebruchs! Denn es wird die Schamhaftigkeit zerstört, die Schutzmauer der Keuschheit.

Jetzt wird auch das fünfte Gebot: "Du sollst nicht töten!" beiseite gesetzt und unter den Augen der zum Schutz der Rechtsordnung und des Lebens verpflichteten Stellen übertreten, da man es sich herausnimmt, unschuldige, wenn auch kranke Mitmenschen, vorsätzlich zu töten, nur weil sie ‘unproduktiv’ sind, keine Güter mehr produzieren können.

Wie steht es mit der Befolgung des vierten Gebotes, das Ehrfurcht und Gehorsam gegen die Eltern und Vorgesetzten fordert? Die Stellung der Autorität der Eltern ist schon weithin untergraben und wird mit all den Anforderungen, die gegen den Willen der Eltern der Jugend auferlegt werden, immer mehr erschüttert. Glaubt man, dass aufrichtige Ehrfurcht und gewissenhafter Gehorsam gegen die staatliche Obrigkeit erhalten bleiben, wenn man fortfährt, die Gebote der höchsten Obrigkeit, die Gebote Gottes, zu übertreten, wenn man sogar den Glauben an den einzig wahren, überweltlichen Gott, den Herrn des Himmels und der Erde, bekämpft, ja auszurotten versucht?

Die Befolgung der drei ersten Gebote ist ja schon lange in der Öffentlichkeit in Deutschland und auch in Münster weithin eingestellt. Von wie vielen wird der Sonntag nebst den Feiertagen entweiht und dem Dienste Gottes entzogen! Wie wird der Name Gottes missbraucht, verunehrt und gelästert!

Und das erste Gebot: "Du sollst keine fremden Götter neben mir haben!" Statt des einzig wahren, ewigen Gottes macht man sich nach Gefallen eigene Götzen, um sie anzubeten: die Natur oder den Staat oder das Volk oder die Rasse. Und wie viele gibt es, deren Gott in Wirklichkeit nach dem Wort des hl. Paulus der Bauch ist’ (Phil 3, 19), das eigene Wohlbefinden, dem sie alles, selbst Ehre und Gewissen opfern, der Sinnengenuss, der Geldrausch, der Machtrausch! Dann mag man es auch versuchen, sich selbst göttliche Befugnisse anzumaßen, sich zum Herrn zu machen über Leben und Tod der Mitmenschen.

Als Jesus nach Jerusalem kam und die Stadt sah, weinte er über sie und sprach: "Wenn du es doch erkenntest, noch heute, an diesem Tage, was dir zum Frieden dient! Nun aber ist es vor deinen Augen verborgen. Siehe, es werden Tage über dich kommen, wo deine Feinde dich zu Boden schmettern werden, dich und deine Kinder, und in dir keinen Stein auf dem anderen lassen werden, weil du die Tage deiner Heimsuchung nicht erkannt hast."

Mit seinen leiblichen Augen schaute Jesus damals nur die Mauern und Türme der Stadt Jerusalem, aber göttliche Allwissenheit sah tiefer, erkannte, wie es innerlich mit der Stadt stand und mit ihren Bewohnern: Jerusalem, wie oft wollte ich deine Kinder sammeln, wie die Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, aber du hast es nicht gewollt!" Das ist der große Schmerz, der Jesu Herz bedrückt, der seinen Augen Tränen entlockt. I c h wollte dein Bestes. Aber d u willst nicht!

Jesus sieht das Sündhafte, das Furchtbare, das Verbrecherische, das Verderbenbringende dieses N i c h t w o l l e n s ! Der kleine Mensch, das hinfällige Geschöpf, stellt seinen geschaffenen Willen gegen Gottes Willen! Jerusalem und seine Bewohner, sein auserwähltes und bevorzugtes Volk, stellt seinen Willen gegen Gottes Willen! Trotzt töricht und verbrecherisch dem Willen Gottes! Darum weint Jesus über die abscheuliche Sünde und über die unausbleibliche Bestrafung. Gott lässt seiner nicht spotten!

Christen von Münster! Hat der Sohn Gottes in seiner Allwissenheit damals nur Jerusalem und sein Volk gesehen? Hat er nur über Jerusalem geweint? Ist das Volk Israel das einzige Volk, das Gott mit Vatersorge und Mutterliebe umgeben, beschützt, an sich gezogen hat? Und das nicht gewollt hat? Das Gottes Wahrheit abgelehnt, Gottes Gesetz von sich geworfen und so sich ins Verderben gestürzt hat? Hat Jesus, der allwissende Gott, damals auch unser deutsches Volk geschaut, auch unser Westfalenland, unser Münsterland, den Niederrhein? Und hat er auch über uns geweint? Über Münster geweint? Seit tausend Jahren hat er unsere Vorfahren und uns mit seiner Wahrheit belehrt, mit seinem Gesetz geleitet, mit seiner Gnade genährt, uns gesammelt, wie die Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt. Hat der allwissende Sohn Gottes damals gesehen, dass er in unserer Zeit auch über uns das Urteil sprechen muss: "Du hast nicht gewollt! Seht, euer Haus wird euch verwüstet werden!" Wie furchtbar wäre das! Meine Christen! Ich hoffe, es ist noch Zeit, aber es ist die höchste Zeit! Dass wir erkennen, noch heute, an diesem Tage, was uns zum Frieden dient, was allein uns retten, vor dem göttlichen Strafgericht bewahren kann: dass wir rückhaltlos und ohne Abstrich die von Gott geoffenbarte Wahrheit annehmen und durch unser Leben bekennen. Dass wir die göttlichen Gebote zur Richtschnur unseres Lebens machen und ernst machen mit dem Wort: lieber sterben als sündigen! Dass wir in Gebet und aufrichtiger Buße Gottes Verzeihung und Erbarmen herabflehen auf uns, auf unsere Stadt, auf unser Land, auf unser liebes deutsches Volk! Wer aber fortfahren will, Gottes Strafgericht herauszufordern, wer unsern Glauben lästert, wer Gottes Gebote verachtet, wer gemeinsame Sache macht mit jenen, die unsere Jugend dem Christentum entfremden, die unsere Ordensleute berauben und vertreiben, mit jenen, die unschuldige Menschen, unsere Brüder und Schwestern, dem Tode überliefern, mit dem wollen wir jeden vertrauten Umgang meiden, dessen Einfluss wollen wir uns und die Unsrigen entziehen, damit wir nicht angesteckt werden von seinem gottwidrigen Denken und Handeln, damit wir nicht mitschuldig werden und somit anheimfallen dem Strafgericht, das der gerechte Gott verhängen muss und verhängen wird über alle, die gleich der undankbaren Stadt Jerusalem nicht wollen, was Gott will. O Gott, lass uns doch alle heute, an diesem Tage, bevor es zu spät ist, erkennen, was uns zum Frieden dient! O heiligstes Herz Jesu, bist zu Tränen betrübt über die Verblendung und über die Missetaten der Menschen, hilf uns mit deiner Gnade, dass wir stets das erstreben, was dir gefällt, und auf das verzichten, was dir missfällt, damit wir in deiner Liebe bleiben und Ruhe finden für unsere Seelen! Amen."

Abschrift Thomas Vogel (Fundort: http://kirchensite.de/downloads/Aktuelles/Predigt_Galen_Deutsch.pdf

Dietrich Bonhoeffer während der Haft (1943-1945) im Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel. (© dpa)

Weitgehend regimetreu zeigten sich die beiden großen christlichen Kirchen. Nur vereinzelt protestierten hohe Amtsträger wie der evangelische Bischof Theophil Wurm oder der katholische Bischof Clemens August Graf von Galen öffentlich gegen NS-Unrecht. Um sich von den nationalsozialistischen "Deutschen Christen" abzugrenzen, solidarisierten sich evangelische Christen in der "Bekennenden Kirche" gegen Judenverfolgung, Euthanasie und Krieg. Einige Geistliche wie Pfarrer Dietrich Bonhoeffer und Pater Alfred Delp schlossen sich sogar dem zivil-militärischen Widerstand an; beide wurden kurz vor Kriegsende ermordet. Die "Zeugen Jehovas" wiederum verweigerten sich aus religiösen Gründen vielfach dem totalitären Staat und dabei speziell der Einziehung zum Kriegsdienst; Hunderte von ihnen wurden deshalb wegen "Wehrkraftzersetzung" mit dem Tode oder übermäßig hart bestraft.

Widerstand von Einzelpersonen und Sonderformen

Unabhängig von den mehr oder weniger organisierten Widerstandskreisen handelten nicht wenige Einzelpersonen ganz auf sich gestellt absichtsvoll gegen das NS-Regime oder bekämpften es sogar. Unter ihnen sticht der schwäbische Handwerker Georg Elser hervor. Seinem Bombenattentat am 8. November 1939 in München entging Hitler nur durch Zufall. Unmittelbar danach verhaftet, wurde Elser bei Kriegsende auf Befehl Himmlers ermordet.
Im Alltag des "Dritten Reichs" kam es immer wieder

zu Formen unangepassten Verhaltens, die das NS-Regime unnachsichtig bekämpfte. Vor allem Jugendliche aus dem Arbeitermilieu deutscher Industriegebiete rebellierten gegen den Zwang zur Anpassung, der für sie von nationalsozialistischen Jugendorganisationen wie der „Hitlerjugend“ ausging. Bekannt wurden etwa die so genannten "Edelweißpiraten" im Ruhrgebiet. Selten handelte es sich hierbei um Widerstand im Sinn politisch bewussten, aktiven Handelns. Eine solche Haltung zeigten dagegen oft jene Personen, die couragiert Verfolgten und Opfern des Regimes halfen, etwa jüdische Bürger bei sich versteckten.

Gerade an Orten größter NS-Verbrechen wie im besetzten Osteuropa bewiesen manche Deutsche besondere Humanität, meist unter Lebensgefahr.

Weithin bekannt ist der Fall des Fabrikanten Oskar Schindler, der in Polen über 1.000 jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordung bewahrte. Auch in der Wehrmacht gab es einige solche Persönlichkeiten. So retteten Hauptmann Wilm Hosenfeld in Warschau und Feldwebel Anton Schmid in Wilna planvoll zahlreiche Menschenleben. Letzterer wurde entdeckt und 1942 hingerichtet; Ersterer kam dagegen 1952 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft elend ums Leben. Widerstand leisteten nicht zuletzt Personen, die sich durch Verweigerung, Selbstverstümmlung oder Fahnenflucht einem verbrecherischen Krieg entzogen und damit einem Unrechtsregime widersetzen wollten. Dieses Motiv wird man wenigstens einem Teil der weit über 100.000 Deserteure der Wehrmacht unterstellen können. Die deutsche Militärjustiz verhängte in solchen Fällen Tausende von Todesurteilen und andere harte Strafen. Je näher das Kriegende rückte, desto brutaler ging das Regime mit Widerstand um.

Standgerichte vollstreckten zahlreiche Todesurteile an Zivilisten und Soldaten, die vor dem nahen Feind kapitulieren wollten. Schließlich wurden Deutsche auch außerhalb des deutschen

Machtbereichs gegen das NS-Regime tätig. Das betrifft zum einen die vielen, teils prominenten Exilanten im freien westlichen Ausland, die im Dienst der alliierten Propaganda oder der alliierten Armeen standen. So etwa wandte sich der Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann während des Kriegs aus seinem amerikanischen Exil über Rundfunk regelmäßig an die deutsche Bevölkerung, um sie über den wahren Charakter des NS-Regimes aufzuklären. Sein Sohn Klaus trat Ende 1941 sogar in die US-Armee ein. Ein anderes Beispiel ist Willy Brandt, der spätere westdeutsche Bundeskanzler und Friedens-Nobelpreisträger. Als Mitglied einer von den NS-Machthabern verbotenen sozialistischen Partei emigrierte er 1933 zuerst nach Norwegen, von dort 1940 nach Schweden. Im Exil engagierte er sich weiter gegen das NS-Regime; unter falscher Identität kehrte er zweitweise sogar nach Deutschland zurück und war hier im politischen Untergrund für seine Partei aktiv.

Die sowjetische Seite baute ab 1941 zunächst auf die vor Hitler nach Moskau geflüchteten Führungsmitglieder der KPD, soweit sie den Terror der 1930er Jahre unter Stalin überlebt hatten. Schon bald zeigte sich, dass die alten kommunistischen Klassenkampfparolen in der deutschen Bevölkerung keinen breiten Widerstand gegen das NS-Regime entfachen konnten. Eine neue Chance sah man gekommen, als ab 1943 vermehrt deutsche Soldaten in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerieten. Auf Betreiben Stalins schlossen sich im Juli 1943 führende kommunistische Emigranten, darunter Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck, mit deutschen Kriegsgefangenen, unter ihnen hohe Offiziere der in Stalingrad vernichteten 6. Armee, im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (NKFD) zusammen. Obwohl die Propaganda des NKFD stärker deutschnationale Töne anschlug, erreichte auch sie nicht die erhoffte Wirkung, weder unter den deutschen Soldaten an der Front noch in Deutschland selbst.

Insgesamt fand der Widerstand Deutscher "von außen" während des Krieges in der deutschen Bevölkerung kaum Resonanz. Größere politische Bedeutung erlangte das deutsche Exil erst nach dem Kriegsende durch die Mitwirkung von Rückkehrern beim politischen Neuaufbau Deutschlands bzw. beider deutscher Staaten. Die allermeisten Rückkehrer aus dem westlichen Exil – überwiegend Personen konservativer, liberaler oder sozialdemokratischer Prägung – engagierten sich in den drei westlichen Besatzungszonen und später für den Aufbau eines demokratischen Westdeutschland. Dagegen setzte sich im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands eine Gruppe von KPD-Funktionären aus dem Moskauer Exil durch. Unter der Leitung von Ulbricht errichteten sie im Auftrag Stalins eine kommunistische Diktatur nach sowjetischem Vorbild, die spätere DDR.

Die Gesamtschau ergibt ein äußerst vielfältiges Bild vom Widerstand Deutscher gegen Hitler und sein Regime während des Krieges. Es zeigt, dass einige tausend Menschen nicht nur anständig geblieben waren, sondern auch mutig dem Regime aktiv die Stirn boten. Freilich bildeten sie eine verschwindende Minderheit in der deutschen Bevölkerung. Sofern nicht ohnehin Parteinahme oder mindestens Sympathie für den Nationalsozialismus vorherrschten, bestimmten politische Resignation und Anpassung das Verhältnis der Deutschen zum nationalsozialistischen Regime.

Weiterführende Literatur:

  • Detlef Bald (Hrsg.), "Wider die Kriegsmaschinerie". Kriegserfahrungen und Motive des Widerstandes der "Weißen Rose", Essen 2005.

  • Dorothea Beck, Julius Leber. Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand, Berlin 1983.

  • Günter Brakelmann, Helmuth James von Moltke 1907–1945. Eine Biographie, München 2007.

  • Wilfried Breyvogel (Hrsg.), Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus, Bonn 1991.

  • Hans Coppi jr., Jürgen Danyel, Johannes Tuchel (Hrsg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen Hitler, Berlin 1992.

  • Joachim Fest, Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli, Berlin 1994.

  • Detlef Garbe, Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im "Dritten Reich", München 1993.

  • Wolf Gruner, Widerstand in der Rosenstraße. Die Fabrik-Aktion und die Verfolgung der "Mischehen" 1943, Frankfurt am Main 2005.

  • Peter Hoffmann, Widerstand – Staatsstreich – Attentat, Stuttgart 1969 (31979).

  • Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder, Stuttgart 1992.

  • Inge Jens (Hrsg.), Hans und Sophie Scholl: Briefe und Aufzeichnungen, Frankfurt am Main 1984.

  • Joachim Kuropka (Hrsg.), Bischof Clemens August Graf von Galen. Menschenrechte – Widerstand – Euthanasie – Neubeginn, Münster 1998.

  • Hartmut Mehringer, Widerstand und Emigration. Das NS-Regime und seine Gegner, München 1997.

  • Hans Schafranek, Johannes Tuchel (Hrsg.), Krieg im Äther. Widerstand und Spionage im Zweiten Weltkrieg, Wien 2004.

  • Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg.), Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur 1933–1945, Berlin 2004.

  • Peter Steinbach, Johannes Tuchel, Georg Elser, Berlin 2008.

  • Christiane Tietz, Dietrich Bonhoeffer. Theologe im Widerstand, München 2013.

  • Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Das Nationalkomitee 'Freies Deutschland' und der Bund Deutscher Offiziere, Frankfurt 1996.

  • Thomas Vogel (Hrsg.), Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945, Hamburg u.a. 2000.

  • Wolfram Wette (Hrsg.), Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht, Frankfurt a. M. 2002.

Weitere Inhalte

Oberstleutnant Dr. Thomas Vogel, geboren 1959, ist Projektbereichsleiter am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), vormals Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA), in Potsdam. Sein Interesse gilt schon länger der Militäropposition im ‚Dritten Reich‘ und dem Widerstand von Soldaten gegen den Nationalsozialismus. Seit einigen Jahren befasst er sich intensiver mit verschiedenen Aspekten der Kriegführung im Zeitalter der Weltkriege, jüngst vor allem mit der Koalitionskriegführung. Er hat u. a. veröffentlicht: "Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime, 5. Aufl., Hamburg u.a. 2000 (Hrsg. und Autor); Wilm Hosenfeld: "Ich versuche jeden zu retten." Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern, München 2004 (Hrsg. und Autor); Tobruk 1941: Rommel’s Failure and Hitler’s Success on the Strategic Sidelines of the ‚Third Reich‘, in: Tobruk in the Second World War. Struggle and Remembrance, hrsg. v. G. Jasiński und J. Zuziak, Warschau 2012, S. 143-160; "Ein Obstmesser zum Holzhacken." Die Schlacht um Stalingrad und das Scheitern der deutschen Verbündeten an Don und Wolga 1942/43, in: Stalingrad. Eine Ausstellung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr, hrsg. v. G. Piecken, M. Rogg, J. Wehner, Dresden 2012, S. 128-141; A War Coalition Fails in Coalition Warfare: The Axis Powers and Operation Herkules in the Spring of 1942, in: Coalition Warfare: An Anthology of Scholarly Presentations at the Conference on Coalition Warfare at the Royal Danish Defence College, 2011, hrsg. v. N. B. Poulsen, K. H. Galster, S. Nørby, Newcastle upon Tyne 2013, S. 160-176; Der Erste Weltkrieg 1914-1918. Der deutsche Aufmarsch in ein kriegerisches Jahrhundert, München 2014 (Co-Hrsg. und Autor).