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Die Auswirkungen des Frauenwahlrechts in der Weimarer Republik

Dr. Barbara von Hindenburg

/ 6 Minuten zu lesen

Wer waren die Frauen, die in den Reichstag gewählt wurden? Für welche Themen setzten sie sich ein? Wurden sie als gleichberechtigte Politikerinnen in ihren Parteien anerkannt?

Die weiblichen Abgeordneten der Mehrheitssozialisten (MSDP) in der Weimarer Nationalversammlung am 1. Juni 1919. Unter ihnen Marie Juchacz (unten, 3.v.r.), Mitglied des Parteivorstandes und Leiterin des Frauenbüros der Partei. Die unabhängige sozialdemokratische und die sozialdemokratische Fraktion hatten bei Weitem den höchsten Frauenanteil, gefolgt von der linksliberalen. (© AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung)

Vor dem Wahltag am 19. Januar 1919 – an dem Frauen erstmals in Deutschland auf Reichsebene wählen und gewählt werden durften – veröffentlichte die Illustrierte Zeitung eine genaue Anleitung mit nummerierten Bildern, wie ein Wahlvorgang in einzelnen Schritten vor sich gehen sollte. Auf den Bildern sind Großmutter und Enkelin zu sehen, die gemeinsam zur Wahl gehen. Die Botschaft war: Alle Frauengenerationen vereint die Erfahrung des ersten Wahlgangs. Der Zeitungsbericht zielte allerdings auch darauf ab, Frauen explizit zur Wahl aufzufordern, denn es war nicht sicher, ob Frauen ihr neues Recht auch wahrnehmen würden. Die Frauenverbände hatten sich vor der Wahl zusammengetan, um in einem gemeinsamen Ausschuss den kurzen Zeitraum bis zur Wahl gemeinsam zu nutzen, Frauen politisch zu schulen und möglichst viele Wählerinnen zu mobilisieren.

Die Parteien, das Wahlrecht und die Frauen

Die Parteien, unabhängig davon, ob sie das Frauenwahlrecht befürwortet hatten oder nicht, wandten sich erstmals explizit in Wahlaufrufen und auf Plakaten bereits Ende 1918 an die Wählerinnen – war deren Wahlverhalten doch eine unbekannte Größe. Offensichtlich gingen alle Parteien davon aus, dass Frauen politisch anders agieren würden als Männer. Auch im weiteren Verlauf der Weimarer Republik gab es Wahlwerbung, die sich besonders an die Frauen richtete.

Die Wahlbeteiligung am 19. Januar 1919 war besonders hoch – die Wählenden mussten teils stundenlang vor den Wahllokalen warten: 82,3 Prozent der wahlberechtigten Frauen und 82,4 Prozent der Männer hatten abgestimmt. Soweit dies über die schmale Datenbasis mit getrennt geführten Wahllisten bekannt ist, tendierten Frauen eher zu gemäßigten Parteien, vor allem zu christlich gebundenen wie dem katholischen Zentrum und der protestantisch konservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Frauen richteten ihr Stimmverhalten wohl nicht danach aus, ob Parteien für Fraueninteressen eintraten, wie es z. B. die SPD als einzige Partei getan hatte, die seit 1891 für das Frauenwahlrecht eintrat. Im Verlauf der Republik sank die Wahlbeteiligung insbesondere der Frauen leicht, um dann zum Ende wieder anzusteigen.

In die Nationalversammlung wurden schließlich knapp 10 Prozent Parlamentarierinnen gewählt: 37 Frauen wurden zu Beginn gewählt (8,7 Prozent), vier Frauen rückten nach (9,7 Prozent) – mit Abstand der höchste Frauenanteil bis dahin weltweit, der im Bundestag erst 1983 wieder erreicht wurde. Die unabhängige sozialdemokratische und die sozialdemokratische Fraktion hatten bei Weitem den höchsten Frauenanteil, gefolgt von der linksliberalen. Im Laufe der Weimarer Republik sank dieser Anteil im Reichstag. Dies hing mit hinteren Listenplatzierungen von Frauen bei Wahlen zusammen – vor allem nachdem die Parteien erkannt hatten, dass sie nicht mit einem Wahlerfolg belohnt wurden, wenn sie eine Frau auf einem vorderen Listenplatz gesetzt hatten. Da Männer in den Parteien in den bestimmenden Gremien saßen, war es für Frauen trotz zahlreicher Proteste schwer, vordere Listenplätze durchzusetzen. Auch fehlte ihnen der Einfluss finanzstarker Lobby- und Berufsverbände. Zudem sank der Frauenanteil mit Stimmengewinnen der NSDAP, da diese grundsätzlich keine Kandidatinnen aufstellte – also faktisch für ihre Partei das passive Frauenwahlrecht abschaffte.

Wer wurde gewählt?

Welche Frauen standen aber auf den Wahllisten und wer wurde gewählt? Vor 1918 hatten sich Frauen weniger in Parteien engagiert – was allerdings nicht für die SPD galt. Das geringe Engagement war eine Folge des Verbots der politischen Betätigung von Frauen, das bis 1908 in Preußen und Bayern galt. Auch die zögerliche Öffnung der Parteien für Frauen danach war ein Grund. Parlamentarierinnen der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) waren zwar zuvor in der Fortschrittlichen Volkspartei aktiv gewesen, Schwerpunkte ihres politischen Handelns waren aber die bürgerlichen Frauenverbände und der Bund Deutscher Frauenverbände – wie im Fall Gertrud Bäumer. Zentrumsparlamentarierinnen kamen mehrheitlich aus der katholischen Frauenbewegung, wie die Vorsitzende des Katholischen Deutschen Frauenbundes, Hedwig Dransfeld, oder Interner Link: Helene Weber. Die Herkunft der weiblichen deutschnationalen Abgeordneten war heterogener, es gab Befürworterinnen wie Gegnerinnen des Frauenwahlrechts, gewerkschaftlich engagierte und solche, die in evangelischen, konservativen oder nationalistischen Frauenverbänden aktiv waren. Clara Mende hatte sich in der Frauenorganisation der Nationalliberalen Partei engagiert und zog für die Deutsche Volkspartei (DVP) in die Nationalversammlung ein.

SPD- und USPD-Parlamentarierinnen waren von Beginn an enger mit ihrer Partei verbunden. Vor 1908 waren sie, wie z. B. Elfriede Ryneck und Elisabeth Röhl, in Deckorganisationen – 'Frauenbildungsvereinen' – tätig, die danach in die SPD übergingen. Hier setzten sie sich besonders für Kinder, Jugendliche und Arbeiterinnen ein. Ein Teil der Kommunistinnen im Reichstag, wie Martha Arendsee und Interner Link: Clara Zetkin, kamen auch aus dieser Tradition, während die deutlich Jüngeren ihren Weg über die kommunistische Partei gingen.

Viele Parlamentarierinnen wurden in den 1870er und 1880er Jahren geboren. Diese Frauengeneration hatte besonders die neuen Bildungs- und Berufswege für Frauen genutzt und sich zugleich selbst dafür eingesetzt. Sie hatten sich in ihren Verbänden, Gewerkschaften und Parteien für die Erweiterung ihrer Rechte stark gemacht und in den Kommunen und Regionen für bessere soziale Bedingungen gekämpft. In den Gemeinden hatten sie bereits praktisch Politik ausgeübt, Teilhabe eingefordert und waren zum Beispiel in städtische Gremien berufen worden. Auf diesen Gebieten brachten sie eine hohe Kompetenz mit ins Parlament.

Alltag der parlamentarischen Arbeit

Was änderte sich aber, nachdem Frauen nun im Reichstag saßen? Äußerlich versuchten sie, wenig auffällig zu sein: Es gab eine Vereinbarung, dass Frauen keine Hüte tragen sollten – wie sonst in der Öffentlichkeit üblich – und sie wählten bei der Kleidung dezente Schwarz-Weiß-Grau-Kombinationen. Auch die ledigen Parlamentarierinnen – darunter sehr viele Lehrerinnen – wurden mit Frau angesprochen, nicht mit Fräulein, wie es üblich gewesen wäre.

Marie Juchacz (SPD) stellte am 19.2.1919 in der ersten Rede einer Parlamentarierin überhaupt klar, "dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. […] das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist." Sie sprach besondere 'Frauenaufgaben' der Parlamentarierinnen in der Sozialpolitik an. Vielen Parlamentarierinnen war es ein Anliegen, sich nun im Parlament gesetzgebend für jene Themen einzusetzen, die sie bereits zuvor über ihre Frauenverbände oder Parteien hatten durchsetzen wollen. Dies waren im Wesentlichen die soziale Gesetzgebung sowie die staatsbürgerliche und andere Gleichstellung von Frauen – wobei sich Parlamentarierinnen durchaus auch mit anderen Themen befassten. Verfassungsartikel, bei denen Parlamentarierinnen besonders mitwirkten, waren z. B. die 'grundsätzliche' Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 109, II WRV) und die Aufhebung der Entlassung von Beamtinnen bei Heirat (Art. 128 WRV) – dies wurde in der Folge mehrfach unterlaufen. Weitere Initiativen im Reichstag betrafen die Zulassung von Frauen zu juristischen Berufen, ein Heimarbeiterinnengesetz, die Erweiterung des Mutterschutzes, das Hausangestelltenrecht, Fragen des Ehe- und Familienrechts, den Umgang mit Prostitution, den Abtreibungsparagraphen, die Regelung der Jugendwohlfahrt, die Mädchenbildung und Erwerbsarbeit von Frauen.

In der Nationalversammlung hielten weibliche Abgeordnete 28 Prozent ihrer Reden zu sozialpolitischen Themen; nur 4 Prozent der Männer sprachen darüber. Prozentual hielten Frauen im Plenum weniger Reden als Männer. Die Arbeit in den Ausschüssen lag ihnen mehr und im Verhältnis zu ihrem Anteil in den Fraktionen hatten sie dort prozentual mehr Sitze. Auch hier tendierten weibliche Abgeordnete zu sozialpolitischen und Bildungsthemen bzw. dies waren Themen, die ihnen zugetraut und zugeteilt wurden. Selbstverständlich ließen sich nicht alle Gesetzesvorhaben und andere Initiativen durchsetzen. Besonders bei solchen Themen, bei denen das Selbstbestimmungsrecht der Frauen und der Schutz der Familie unvereinbar schienen, gab es deutliche Kontroversen zwischen den Parlamentarierinnen verschiedener Fraktionen, besonders der SPD und dem Zentrum sowie der DNVP. Immer wieder sahen sie sich auch vor den Konflikt gestellt, ob sie für ihre Partei oder ihr Geschlecht stimmen sollten. Einige Parlamentarierinnen wählten den weniger konfliktträchtigen Weg der Enthaltung, um von ihren Parteien erneut aufgestellt zu werden. Bei wenigen Initiativen gab es dennoch eine 'weibliche Fraktion', die sich über Parteigrenzen hinweg dafür einsetzte, Verbesserungen zu erzielen.

Fazit

Politikerinnen erlebten widersprüchliche Anforderungen: Galten sie als fachlich kompetent, wurde lobend erwähnt, sie stünden 'ihren Mann'. Setzten sie sich für 'Frauen'themen ein, galten sie als weiblich und unpolitisch. Männliche Abgeordnete blieben einigen reinen 'Frauen'debatten fern, weil sie soziale Belange – von Frauen verhandelt – für unpolitisch hielten, mit der Folge, dass das Parlament nicht abstimmungsfähig war. Was in welchem Zusammenhang und von wem als politisch definiert wurde, war also von zentraler Bedeutung. Im Parlament ist es wichtig, nicht nur eigene Themen zu platzieren, sondern auch andere Gruppen dafür zu interessieren, zu mobilisieren und zu gewinnen. Wenn die Personen und die Themen als politisch angesehen werden, ist die politische Arbeit erfolgreicher. Aktivistinnen, darunter auch spätere Parlamentarierinnen, hatten bereits im Kaiserreich ihre politischen Räume deutlich erweitert. Ein weiterer großer Schritt war der Einzug ins Parlament, und damit in eine bisher rein männlich geprägte politische Sphäre. Diese aber nun um neue Diskurse und Definitionen von Politik zu erweitern, ist nach der Verleihung des Frauenwahlrechts eine bis heute andauernde Herausforderung.

Weitere Inhalte

Studium der Geschichte, Politik- und Literaturwissenschaften, historische Promotion. Seit 2018 freie Historikerin und Publizistin mit den Forschungsschwerpunkten 19. und 20. Jahrhundert, neue Politikgeschichte, Biografieforschung sowie Frauen- und Geschlechtergeschichte.