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Schlaglicht 1521: Luther und Karl V. in Worms | Reformation: Luthers Thesen und die Folgen | bpb.de

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Schlaglicht 1521: Luther und Karl V. in Worms

Axel Gotthard

/ 6 Minuten zu lesen

Flugschriften, der Zuspruch der Studenten, die nach Wittenberg strömen, und die anfängliche Begeisterung der Humanisten für Luthers Sache: sie machen seine Anliegen zum Politikum. Die Kurie ist der Ansicht, dass das Reich einschreiten müsse, und wird auch selbst aktiv. Sie eröffnet in Rom ein Verfahren, im Januar 1521 wird Luther durch eine päpstliche Bulle exkommuniziert. Im März 1521 wird er zum Reichstag nach Worms geladen.

Seine Ablasskritik hat Martin Luther zu einem bekannten Mann gemacht; im Zentrum dessen, was heutige Gläubige für "typisch lutherisch" halten, steht sie indes nicht. Aber dass da in Wittenberg Grundlagen für eine neue Theologie gelegt werden, spricht sich erst in den Folgejahren herum; einige der wichtigsten Schriften Luthers, darunter die heute wohl bekannteste "von der Freiheit eines Christenmenschen", erscheinen 1520.

Kaiser Karl V. mit seiner Ulmer Dogge. Gemälde von Jakob Seisenegger, 1532. (© picture-alliance/akg)

Luther und seine Mitstreiter multiplizierten ihre Ansichten nicht nur in gelehrten, zumeist lateinischen Traktaten, sondern auch in massenhaft verlegten "Flugschriften". Damit begann sich der Buchdruck geistesgeschichtlich und politisch auszuwirken. Der technologische Durchbruch war schon in den 1450-er Jahren erfolgt, als Johannes Gutenberg, der in seiner Zeit überhaupt nicht prominente "Erfinder des Buchdrucks", ein neues Textverarbeitungssystem entwickelt hatte, dessen Produktionsgeschwindigkeit der Handschrift weit überlegen war; seit Generationen standen in vielen großen Städten des Reiches Druckpressen. Aber die neue Technik war sich lang selbst genug gewesen. Man stellte mit ihrer Hilfe, gewiss rascher, Bücher her, die man eben bis dahin mühsam handschriftlich verfertigt hatte, Prachtbibeln beispielsweise, und bediente weiterhin ziemlich kleine Zielgruppen: Es war eine "Spitzentechnologie mit beschränktem Bedarf" (Johannes Burkhardt). Sie war überhaupt nicht massenwirksam. Das wird erst ein echtes Medienereignis ändern: die deutsche Reformation, mit ihrem medial zum Helden stilisierten Erfolgsautor Martin Luther. In ihrer Zeit entpuppte sich die Innovation des Johannes Gutenberg nicht als epochal, aber die Fernwirkungen waren beachtlich.

Um die Blickrichtung zu ändern: Der Erfolg der Reformation wäre ohne den Buchdruck schwerlich denkbar – zu den vielen Voraussetzungen für die beispiellose Resonanz Luthers (wie der überbordenden Frömmigkeit der Zeit; oder dem Führungsvakuum im Reich, weil der Kaiser, Karl V., der Herr eines "Weltreichs, in dem die Sonne nie unterging", selten dort weilte) gehört auch das: Die Sache eines Wyclif, eines Hus war eben nicht durch bewegliche Lettern multipliziert worden. Die Zahl deutschsprachiger Druckwerke vermehrfachte sich binnen weniger Jahre, und fast alle nahmen sie zu Luther Stellung, Contra oder vor allem Pro. Mehrere Millionen Bücher und Broschüren brachten Luthers Lehren unter das Volk. Das gedruckte Buch wurde darüber vom Luxus- zum Massenartikel. Die Forschung nennt solche populären Formate, wie gesagt, "Flugschriften": Heftchen oder Büchlein, oft nur eine Handvoll Seiten, einfach gedruckt, spottbillig, trotzdem gewinnbringend. Man will populär sein, die Massen erreichen, bei den feiner gestrickten Exemplaren würden wir heute von journalistischer Schreibe sprechen, die gröber gestrickten waren einfach nur Pamphlete. Sie befriedigten den Massenbedarf an einfachen Informationen über die Reformation, suchten rasch auf gerade aktuelle Streitfragen, den momentanen Bedarf des Publikums zu reagieren, erschienen meist anonym. Der Stil ist nicht zimperlich.

Der erfolgreichste Verfasser reformatorischer Flugschriften war Luther selbst; und übrigens war auch Luther keinesfalls zimperlich. Der Papst war ihm mildestenfalls der "Antichrist" (eine negative, das nahe Weltende bezeugende Figur der Johannes-Apokalypse), aber auch, beispielsweise, "des Teufels Sau". Um nur noch zu zitieren, was Luther zum Humanistenfürsten Erasmus von Rotterdam und zum eidgenössischen Reformator Zwingli zu sagen wusste: "Ich hab ser vil nuss aufgebissen, die lochert warden ... Zinglius, Erasmus sind eitel locherte nuß, die eim ins maul scheissen." Es ließen sich Hunderte vergleichbare (sich gern der Fäkalsprache bedienende) Grobianismen anführen, in Luthers Flugschriften und anderen seiner Verlautbarungen. Der Breitenwirkung hat es nicht geschadet.

Flugschrift "Wider das Bapstum zu Rom vom Teuffel gestifft", Luthers radikale Kampfschrift gegen den Papst, mit Holzschnitten v. L. Cranach d.Ä. (© picture-alliance/akg)

Also, um 1520 beginnt schon die Flugschriftenflut anzuschwellen. Ferner machen der Zuspruch der Studenten, die nach Wittenberg strömen, und die anfängliche Begeisterung der Humanisten für Luthers Sache seine Anliegen zum Politikum. Die Kurie ist der Ansicht, dass das Reich einschreiten müsse, und wird auch selbst aktiv. Sie eröffnet in Rom ein Verfahren, im Januar 1521 wird Luther durch eine päpstliche Bulle exkommuniziert. Es gab mittelalterliche Präzedenzfälle, wonach dem Kirchenbann die Reichsacht auf dem Fuße zu folgen habe. Was bedeutete das: geächtet zu sein? Wer der Acht verfiel, schied damit aus der Rechtsgemeinschaft des Reiches aus, er war nicht mehr geschäftsfähig, jeder konnte sich an ihm und seinem (seitherigen) Besitz straflos vergreifen. Es war eine so gravierende Strafe, dass die Wahlkapitulation, die Karl V. unterzeichnen musste, um Kaiser werden zu können, eine eigene Bestimmung zum Achtverfahren enthielt: Niemand dürfe "unverhort", also ohne rechtliches Gehör, geächtet werden. Luther ist also anzuhören.

Deshalb wird er 1521 zum Reichstag geladen, nach Worms – hierfür sind nicht so sehr (wie immer wieder behauptet wird) diffuse Ängste vor der "Volksstimmung" maßgeblich. Die Anhörung Luthers ist reichsrechtlich geboten. Sie findet am Rande des Reichstags statt, in der Unterkunft des Kaisers. Dort also treffen, im April 1521, Luther und Karl V. zum ersten und einzigen Mal persönlich aufeinander. Es wird, modern gesagt, ein kommunikatives Desaster.

Eigentlich lediglich gefragt, ob er bei dem bleibe, was er in seinen (vor ihm aufgestapelten) Büchern behaupte, oder ob er etwas davon widerrufen wolle, hält Luther eine lange Rede. Am Schluss seines Vortrags spricht er jene Worte, die auch Worms zum "Erinnerungsort" aller Lutheraner bis heute machen werden. Um es in modernem Deutsch zu sagen: "Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse", also Bibelstellen (Schriftprinzip!), "oder offenkundige rationale Gründe widerlegt werde – denn allein dem Papst oder den Konzilien glaube ich nicht, da feststeht, dass sie häufig geirrt und sich auch selbst widersprochen haben –, so bin ich durch die von mir angeführten Schriftworte gebunden. Und solang mein Gewissen durch die Worte Gottes gefangen ist, kann und will ich nicht widerrufen, weil gegen das Gewissen zu handeln beschwerlich, 'unheilsam' [also fürs Seelenheil bedrohlich] und gefährlich ist. Gott helfe mir! Amen." Mit der doppelten Berufung auf das "Gewissen" des gläubigen Individuums nimmt diese Schlusspassage von Luthers Vortrag geradezu prototypisch den spezifisch lutherischen Diskurs der Reformationszeit und des Konfessionellen Zeitalters vorweg. "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" (um auch das modern zu sagen und in der Version, die in die Memoria aller Lutheraner eingegangen ist) – diese noch berühmtere Fortsetzung ist nicht authentisch. Die Lektoren einer Druckerei schmückten den ihnen zugespielten Mitschrieb der Rede am Schluss wie folgt aus: "Ich kann nicht anders, hier stehe ich, Gott helfe mir, Amen". Luther hat von dieser Ergänzung sehr wahrscheinlich nichts gewusst. "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" – damit verhält es sich wie mit dem Thesenanschlag: frühe Legendenbildung. Aber der Satz ist gut erfunden, fasst Luthers Ausführungen trefflich zusammen.

Für Karl war die Sache mit Luthers Verweigerung entschieden. Die Antwort, die er am 19. April verlesen ließ, beschwört die Tradition der kirchenfrommen Dynastie und die kaiserlichen Amtspflichten, auch von "Ehre" und "Schande" ist die Rede. Karl interpretiert sein Kaisertum – hier und ein Leben lang – noch ganz mittelalterlich, er ist der oberste Schirmherr des christlichen Abendlandes, gegen Ketzerei vorzugehen, gehört für ihn zu seinen vornehmsten Amtspflichten. Daneben immer wieder: das Erbe, die Vorfahren. "Aus diesem Grund bin ich fest entschlossen, alles aufrechtzuerhalten, was ... meine genannten Vorgänger verordnet haben sowohl auf dem Konstanzer Konzil" (eine maliziöse Anspielung!) "als auf anderen: denn es ist sicher, dass ein einzelner Bruder irrt, wenn er gegen die Meinung der ganzen Christenheit steht, da sonst die ganze Christenheit tausend Jahre und mehr geirrt haben müsste." Wahrheit als Rechenexempel: Welche Ansicht hat eine altehrwürdige Tradition und wie viele Anhänger? Regungen eines individuellen "Gewissens" sind da nicht vorgesehen.

Das Wormser Edikt spricht tatsächlich die Reichsacht über Luther aus, ordnet die Verbrennung seiner Bücher an. Damit hängt nun, und zwar bis zum Religionsfrieden, bis 1555, ein Damoklesschwert über der neuen Bewegung. Zwei Generationen evangelischer Christen können sich nie wirklich beruhigt zurücklehnen, müssen sich vor repressiven Maßnahmen des Reiches ängstigen.

Trotzdem breiten sich die neuen theologischen Anschauungen, die neuen Frömmigkeitsformen rasch im Reich aus. Zunächst schreiten die großen Städte voran, dort lebt das alphabetisierte Bürgertum. Die ersten Magistrate erklären die neuen Lehren in aller Form, per Stadtratsbeschluss, für innerhalb der Stadtmauern verbindlich. Die frühesten lutherischen Landeskirchen sind eigentlich Stadtkirchen. Doch ziehen dann auch erste Flächenterritorien nach: Fürsten und Grafen, die sich Luther zuwenden und dann sukzessive ihre Länder der neuen Lehre zuführen. Die Reformation wird in Mitteleuropa von Anfang an territorienweise eingeführt. In kleinparzellierten Teilen des Reiches war also fortan auch die Konfessionslandkarte kleinteilig.

Prof. Dr. Axel Gotthard ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zu seinen Schwerpunkten in Forschung und Lehre gehören Historische Friedens- und Konfliktforschung, vormoderne Verräumlichungspraktiken, die Bedeutung der Konfession und von Säkularisierungsprozessen für die europäische Geschichte und die politische, Kultur- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches. Er ist Verfasser zahlreicher Publikationen, u.a. "Das Alte Reich 1495-1806, Darmstadt 2003", "Der Augsburger Religionsfrieden, Münster 2004", "Der liebe vnd werthe Fried. Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2014"; zuletzt erschien (September 2016) "Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung."