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Ein Fluss und seine Stadt

Sebastian Garthoff

/ 12 Minuten zu lesen

Budapest schwankte immer zwischen den Extremen. Großstadt, Repräsentation und Moderne standen Melancholie, Zukunftsangst und Todessehnsucht gegenüber. Und mittendrin war und ist die Donau.

Die Kettenbrücke und Pest von Buda aus betrachtet. (Marc Ryckaert; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc by/3.0/de

Hauptstadt der Selbstmörder

Wir schreiben das Jahr 1877. Der Dichter János Arany veröffentlicht sein Gedicht "Brückenweihe". In der Hauptrolle: die Margarethenbrücke. Ein Jahr zuvor wurde sie als zweite Verbindung über die Donau in Budapest fertig gestellt.

Den Budapester Selbstmördern war damit eine weitere Möglichkeit gegeben, frühzeitig auf die andere Seite zu wechseln. Sechs Personen nutzten sie gleich in jenem Jahr. Und der Dichter Arany hatte Stoff für sein Werk. In den 20 Strophen dieser "Stadtballade" lässt er einen Querschnitt der ungarischen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts über das Geländer springen. Den glücklosen Kartenspieler trifft es dabei ebenso wie die unglücklich Verliebten, die Betrogenen, die Armen, die beruflich und sozial Gescheiterten, die Kranken und die schlicht und einfach Lebensmüden.

Im Jahr von Aranys "Brückenweihe" entschieden sich in Bundapest insgesamt über hundert Menschen, eine solche Abkürzung aus dem Leben zu nehmen. 30 davon sprangen ins Wasser, was nur 14 von ihnen überlebten. Damit war der Sprung in Wasser die häufigste Art des Suizids, gefolgt von Aufhängen und Kopfschuss.

Schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stieg die Selbstmordrate in Ungarn kontinuierlich an. Budapest ließ in dieser Hinsicht nicht nur Wien, die andere Metropole der Donau-Monarchie hinter sich, sondern auch weitere europäische Hauptstädte. Den Statistiken zufolge schieden vor allem Arbeiter, Lehrlinge, Dienstpersonal oder Tagelöhner freiwillig aus dem Leben, die untere Gesellschaftsschicht also, die den Großteil der Budapester Bevölkerung ausmachte.

Doch während diese an den Rändern der Stadt – etwa in der später abgerissenen Mária-Valéria-Siedlung – in zum Teil elenden Zuständen hausten, blühte die Stadt selbst zur Metropole auf, repräsentierte, wo es nur ging, und nahm die Moderne im Eiltempo in Angriff.

Metropole an der Donau

Budapest war an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert schon längst eine europäische Stadt geworden. Kein Wiener hätte in dieser Zeit mehr die Ansicht des Fürsten Metternich geteilt, Budapest gehöre zum Orient. Wer um etwa 1820 in die ungarische Hauptstadt fuhr, begab sich auf eine Expedition. Zum Ende des Jahrhunderts fuhr man hin, um Geschäfte zu erledigen.

Nicht nur mit seinen erstklassigen Restaurants und Hotels, mit seiner elektrischen Straßenbahn und der U-Bahn (der ersten auf dem europäischen Kontinent) war Budapest kosmopolitisch geworden, weite Teile der Bevölkerung sprachen Deutsch, viele auch Französisch.

Noch vor dem Entstehen des heutigen Budapests hatte die Gegend unterschiedliche Völker angezogen. Und mittendrin war immer die Donau. Die Römer errichteten hier an ihren Ufern Aquincum, die Hauptstadt der Provinz Pannonien. Unter römischer Herrschaft prosperierte die Stadt. Mit Statthalterpalast, mehreren Amphitheatern und Bädern bot sie alles, was eine Stadt damals an Macht und Demonstration und eben auch Unterhaltung zu bieten hatte.

Als Grenzstadt am Grenzfluss war auch ihre strategische Bedeutung immens. Allein, mit jeder Grenzverschiebung kann ein vormals wichtiger Posten in die Bedeutungslosigkeit versinken. Und so hatte auch die Blütezeit Aquincums ein Verfallsdatum.

Am Ende des 4. Jahrhunderts kam es im Zuge der Völkerwanderung vermehrt zu Einfällen germanischer und hunnischer Stämme. Nach dem Untergang des Römischen Reiches und dem Ende der Völkerwanderung siedelte hier zunächst eine slawische Bevölkerung, die aber ab 896 von Ungarn, uralischen Völkern, die in die pannonische Tiefebene einwanderten, verdrängt wurden.

Noch im Mittelalter konnten weder Buda noch Pest als richtige Städte bezeichnet werden. Das politische Geschehen spielte sich in Esztergom ab. Während des Mongolensturms 1241 wurden beide Teile des heutigen Bundapests zerstört. Zur ungarischen Hauptstadt wurde Buda erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts.

Doch selbst nach dem Ende der Türkenherrschaft im späten 17. Jahrhundert blieben Buda mit 13.000 und Pest mit 4.000 Einwohnern Provinznester, die von der breiten und unregulierten Donau getrennt waren, nur zeitweilig durch eine wacklige Pontonbrücke verbunden.

Die alten Völker, die einst an der Donau wohnten, sind verschwunden, versunken in der Zeit. Manche Spuren blieben, viele wurden in die Vergessenheit gespült. Es kamen immer wieder neue hinzu. Ihr immer wieder neues Erwachen verdankt die Stadt in erster Linie der Donau.

Die Kettenbrücke ist Budapests berühmteste Brücke über die Donau (Wilfredor; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de

Aufbruch in die Moderne

Im Zentrum wichtiger Verkehrswege gewann Pest immer mehr an Bedeutung. Am Ende des 18. Jahrhunderts war Budapest der größte Hafen entlang der fast 3.000 Kilometer langen Donau. Der beste und billigste Weg in die ungarische Hauptstadt zu kommen, war per Boot.

Dauerhaft verbunden wurden Buda und Pest schließlich mit der Kettenbrücke. Bei ihrer Fertigstellung 1849 war sie die erste steinerne Brücke an der Donau unterhalb von Regensburg. Namensgeber Széchenyi, so heißt es, wurde zu ihrem Bau angeregt, nachdem er eine Woche lang warten musste, um zum Begräbnis seines Vaters ans andere Ufer zu kommen.

Politisch verbunden wurden die einzelnen Teile der Stadt jedoch erst Jahrzehnte später. 1873 wurden die zuvor selbständigen Städte Buda, Óbuda und Pest zusammengelegt. Der Name Budapest selbst tauchte zuvor nicht auf, üblich im Sprachgebrauch war Pest-Buda.

Die vorherige Eigenständigkeit der Städte ergab sich nicht nur durch ihre Trennung durch die Donau. Während Buda größtenteils deutschsprachig, katholisch und loyal zum habsburgischen Königshaus war, brach in Pest 1848 die antihabsburgische Revolution aus – angeführt von dem Protestanten Lajos Kossuth.

Drei Jahrzehnte später, in der Zeit der Vereinigung der drei Stadtteile, erfuhr die Stadt eine rasante Entwicklung. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts, vor allem seit dem "Ausgleich" 1867, der die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn auf die Bühne der Weltgeschichte einführte, und bis zum Ersten Weltkrieg entwickelte sich Budapest sehr plötzlich zur Metropole, heftiger noch als andere Hauptstädte, die auf eine größere Vergangenheit zurückblicken konnten. In dieser Zeit versiebenfachte sich die Einwohnerzahl der Stadt auf fast 750.000. Budapest stieg von der Bevölkerungszahl her in die Top Ten der europäischen Städte auf, es war nun größer als Rom, Madrid oder Hamburg. Es wurde zur größten Stadt zwischen Wien und St. Petersburg.

Die Bevölkerungsexplosion betraf vornehmlich Pest. Jünger und weit weniger idyllisch als Buda war es doch der dynamische Motor, der Budapest berühmt machte und in dem um die Jahrhundertwende 83 Prozent der Einwohner lebten.

Die Margarethenbrücke verbindet Buda und Pest mit der Margaretheninsel. (VinceB; Externer Link: Wikimedia Commons) Lizenz: cc by-sa/3.0/de

Neue Brücken

Das veränderte auch das Stadtbild. Das bis dahin provinzielle Zentrum passte nicht mehr zu der modernen Metropole und den neuen Brücken. Deshalb legte man die Uferpromenade an, außerdem entstanden – neben neuen Donaubrücken – die Ringstraßen, der Andrássy Boulevard (heute zusammen mit der unter ihm verlaufenden ältesten U-Bahn-Strecke des Kontinents ebenfalls Teil des Unesco-Weltkulturerbes), die Oper, das Parlament, die Fischerbastei, die Hotels an der Donau, nicht zu vergessen die unzähligen Kaffeehäuser.

Zumindest einem Kaffeehaus erwies die Donau einen guten Dienst: Das "Café New York" wurde 1894 im prunkvollen Gebäude der New York Life Insurance Company gegründet. Es zog die Redaktion der Zeitung Nyugat und viele weitere Intellektueller an. Einer Anekdote zufolge warf der Schriftsteller Ferenc Molnár zur Eröffnung die Schlüssel des Cafés in die Donau, damit es seinen Gästen Tag und Nacht offen stehe.

"Pest hat die Maske der Bescheidenheit abgelegt", beschrieb der ungarische Schriftsteller Gyula Krúdy diese Zeit. Jedes Jahr behänge sich die Stadt mit mehr Juwelen, das Sparsame sei dem Spekulieren gewichen, das Anspruchslose dem Lauten.

Krúdys Beschreibungen des Budapests der Jahrhundertwende überborden von Farbe, Tönen und Gerüchen. Die Stadt setzte er mit den Jungfrauen gleich, die ihre niedergeschlagenen Augen öffnen und sich ihres ganzen Frauseins erfreuen. Manchmal ging es mit ihm aber die Begeisterung durch, etwa wenn er meinte, "die Frauen riechen wie Orangen in Japan".

Zwischen all den jauchzenden Tönen stimmte der Schriftsteller jedoch auch ernste Töne an, wenn er das andere Gesicht der Metropole zeichnet, die Paläste und Türme, die alten Leute und Häuser, die alten Straßen und alten Gebräuche in der Stadt. Dennoch: Wer würde sich nicht wünschen, an diesem prachtvollen Ort zu leben, an dem – glauben wir Krúdy – "sich jeder in einer Menschenmasse für einen Gentleman hält, selbst wenn er am Tag zuvor erst aus dem Gefängnis entlassen wurde"?

Und wenn er er seinen Blick weiter durch die Stadt streifen ließ, sah er auch "die blau-weißen Türme und die endlos emporsteigenden Dächer, die weißen Schiffe, die sich auf dem Fluss vermehren, und die regenbogengefärbten Donau-Brücken".

Blick auf Pest. Insgesamt überspannen neun Brücken in Budapest die Donau. (© Externer Link: Lizenz Freie Kunst; -ani-; Externer Link: Wikimedia Commons)

Die Donau und die Poeten

Der Fluss ist damals wie heute gleichzeitig Hauptverkehrsstraße der ungarischen Hauptstadt und Trennlinie ihrer beiden Teile. An der Nordgrenze der Stadt ist die Donau noch fast einen Kilometer breit. Unterhalb der Margareteninsel verschlankt sie sich. Im Zentrum der Stadt, am Fuße des Gellértberges, ist sie am schmalsten, nur insgesamt 230 Meter breit. Dass der Fluss genau durch ihre Mitte fließt, kann keine andere Großstadt entlang der Donau bieten. Man kann beispielsweise in Wien sein, ohne die Donau überhaupt zu bemerken.

So schön sie anzusehen ist, ein Fluss der Lebensfreude ist sie nicht. Dafür reicht schon ein kurzer Blick in die Lyrik. Attila József, einer der bedeutendsten Dichter des Landes, saß seinerzeit einfach nur am Ufer und beobachtete, wie Melonenschalen wegschwammen. Eine dröge Beschäftigung. 1937 warf er sich vor einen Zug. An der Donau sitzt er noch heute, als nachdenkliche Skulptur neben dem Parlament. Jeden Zweifel zerstreut Endre Ady, einer der Erneuerer der ungarischen Dichtkunst. "Ein fröhliches Volk hat sie hier nie gesehen", schreibt er in A Duna vállomása (Das Bekenntnis der Donau). Auch nach seinem Tod 1919 sollte sich daran nicht viel ändern.

Besonders schlecht hatte es die Donau mit der Stadt lange zuvor gemeint: An das historische Donauhochwasser vom 15. März 1838 erinnern noch heute weit von ihrem Ufer entfernt Wasserstandsmarken und an der Franziskanerkirche am Ferenciek tere ein dramatisches Fresko .

Auch weitere Poeten konnten nur Nachdenkliches aus dem Fluss ziehen. Dem Dichter László Ölvedi perlten die Tränen abends am Donaustrand. Allerdings nicht lange. Er starb 1931 mit nur 28 Jahren. Nicht so jung, dafür arm und vergessen, starb 1953 Ernő Szép – und wandte damit der Donau endgültig den Rücken zu. Schon zu Lebzeiten fand er in seinem gleichnamigen Gedicht, dass man die Brücken allesamt schließen sollte, um die Armen und Angstlosen vor sich selbst zu schützen.

Schon mit der ersten und noch heute bedeutendsten Budapester Brücke wird eine traurige Geschichte in Verbindung gebracht. Der Bau der Széchenyi Lánchíd, so der offizielle Name, geht auf den ungarischen Reformer István Széchenyi (1791-1860) zurück.

Mit dem Entwurf der Kettenbrücke wurde der renommierte englische Ingenieur William Tierny Clark beauftragt. Die Bauleitung erhielt sein Namensvetter Adam Clark. Mit dem Bau der Kettenbrücke haben sie sich allesamt unsterblich gemacht. Und sehr langlebig ist auch die Legende, wie die Kettenbrücke ihr erstes Todesopfer forderte.

Je nach Erzählung ist es der Architekt selbst oder der Bildhauer, der die imposanten Löwen an den Brückenköpfen modellierte. Man solle einen Makel an der Brücke finden, hieß es nach ihrer Fertigstellung. Als nun darauf hingewiesen wurde, dass die Löwen gar keine Zungen hätten, gab es keinen anderen Ausweg mehr, als sich der Schmach durch Suizid zu entziehen. Eine Legende freilich, aber eine immer wieder gern erzählte. Zumal die Löwen in Wirklichkeit Zungen haben.

Auch Graf Széchenyi konnte sich nicht lange über "seine" Brücke freuen. Denn er betrat sie nie. Nach einem Zusammenbruch im September 1848 verbrachte er den Rest seines Lebens in einer Nervenheilanstalt in Wien.

Die Kettenbrücke als Symbol

Die Kettenbrücke symbolisiert wie kaum ein anderes Bauwerk des 19. Jahrhunderts Budapests Aufstieg von der Provinzstadt zur Metropole. Erbaut wurde sie zwischen 1842 und 1849. Die Spannweite zwischen ihren beiden Pfeilern beträgt 202 Meter. Die ursprüngliche Konstruktion wog mehr als 2.000 Tonnen. Sie war noch nicht vollkommen fertiggestellt, als die Österreicher zur Zeit des Freiheitskampfes auf dem Rückzug nach Buda versuchten, sie in die Luft zu sprengen.

Der unfachmännisch angebrachte Sprengstoff konnte der Brücke jedoch wenig anhaben, umso mehr aber dem Oberst, der den Sprengungsbefehl gegeben hatte. Er wurde in Stücke gerissen. Sehr fachmännisch wiederum brachten die Deutschen 1945 den Sprengstoff an. Sie zündeten ihn und versenkten das Mittelstück der Brücke in der Donau.

Aus Anlass der Feierlichkeiten zum 1.000. Jahrestages der Landnahme wurde 1896 die Freiheitsbrücke, die dritte Brücke über die Donau neben der Kettenbrücke und der Margarethenbrücke, errichtet. Ihr ursprünglicher Namensgeber, der österreichische Kaiser Franz Joseph, schlug damals selbst einen Nagel ein. Aber natürlich nicht eigenhändig. Von einem Zelt auf der Pester Seite betätigte er lediglich einen Knopf, der daraufhin einen 45 Tonnen schweren Hammer in Bewegung setzte.

Die Freiheitsbrücke symbolisiert die Freude an Schmuck und Zierde, wie sie an kaum einem anderen Bauwerk des Fin-de-siecle zu finden ist. Auf jedem Brückenpfeiler steht ein Turul, der mythische Vogel der Ungarn, auf einer Goldkugel, die Flügel zum Abflug gespreizt. Auch heute noch erklettern die Selbstmordkandidaten mit Vorliebe einen der Pfeiler – und werden meist von der Feuerwehr wieder herunter geholt. Nicht alle aber.

2010 ist dem Fotografen Peter Lakatos ein Schnappschuss gelungen, den sich jeder, der nicht selbst dabei war, zur World Press Photo-Ausstellung ansehen konnte. Darauf nahm sich ein Mann auf der Freiheitsbrücke seine ganz persönliche Freiheit, aus dem Leben zu scheiden.

Durch ihre Gitterkonstruktion ist es ein Leichtes für jeden Lebensmüden, auf eines der Brückentore zu klettern. Eben dies schaffte er ohne Probleme, ließ sich oben nieder – und zündete sich an. Ein Video kursiert im Internet, je länger er brennt, umso unerträglicher wird es. Schließlich erlöste er sich selbst und die Schaulustigen mit einem finalen Sprung auf den Asphalt. Und in dieser Sekunde klickte der Apparat des Fotografen.

Tragisch, dazu verworren und gänzlich ohne Augenzeugen war der Fall einer französischen Austauschstudentin, die in einer Nacht im Dezember 2008 auf der Kettenbrücke verschwand. Sicherheitskameras konnten ihren Weg von einem Club in der Stadt bis zum Fuße der Kettenbrücke nachzeichnen. Doch auf der anderen Seite kam sie nie an. Ihre Handtasche mit sämtlichen Dokumenten wurde mitten auf der Brücke gefunden.

Stadt der Illusionen

Der Architekt und Schriftsteller Pál Granasztói (1908-1985) bezeichnete in seinem Buch Budapest wie ein Architekt es sieht die Metropole der Jahrhundertwende als "Stadt der Illusionen". Die Spuren von den Illusionen einstiger Größe, vermeintlicher Werte und ehrgeiziger Ziele haben die Jahrzehnte überdauert.

Viel von ihrer Anziehungskraft, wenn nicht gar den Hauptteil, verdankt Budapest seiner landschaftlichen Umgebung. Granasztói zitiert in seinem Buch den französischen Schriftsteller Jules Romains mit den Worten: "Budapest mit der Donau bietet eines der schönsten Stadtbilder, die es gibt, vielleicht sogar das schönste in ganz Europa, London mit seiner Themse und Paris mit seiner Seine inbegriffen."

Neun Brücken überspannen heute die Donau in Budapest. Die nördliche Eisenbahnbrücke und die Árpád-Brücke im Norden sowie die Rákóczi-Brücke und die südliche Eisenbahnbrücke im Süden dienen in erster Linie den Verkehr. Die Rákóczi-Brücke ist die jüngste im Bunde, erbaut von 1992 bis 1995. Dadurch entging sie dem Schicksal der historischen Budapester Donaubrücken am Ende des Zweiten Weltkrieges.

Um nach dem Krieg ein Provisorium zu schaffen, entstand auf der Höhe des Parlaments die Kossuth-Brücke. 1960, als die anderen Brücken wieder aufgebaut wurden, wurde sie demontiert und nicht ersetzt. Heute befinden sich an beiden Flussufern Gedenktafeln in Höhe der ehemaligen Brückenköpfe. Die Brücken waren jedoch nicht die einzigen, denen die deutsche Besatzung zum Verhängnis wurde.

Zwischen Ketten- und Margaretenbrücke, nahe der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, installierten die Künstler Gyula Bauer und Can Togay 2005 die "Schuhe am Donauufer". Auf einer Länge von 40 Metern wurden sechzig Paar Schuhe aus Metall zum Gedenken an die Erschießungen von 1944 und 1945 am Boden angebracht.

Sie erinnern an die Zeit, als Pfeilkreuzler, das ungarische Nazi-Pendant, jüdische Ungarn am Donauufer zusammentrieben und erschossen. Die Schuhe stehen oder liegen "wie zufällig" übrig geblieben. Das Mahnmal ist so gestaltet, dass es auf den ersten Blick nicht verrät, welches Geschehen dahintersteckt.

Die vierte ständige Brücke, die Elisabethbrücke, wurde zwischen 1898 und 1903 gebaut. Sie war zu ihrer Bauzeit die längste Kettenbrücke der Welt. Benannt wurde sie nach nach "Sisi", der Kaiserin und Königin Elisabeth, die im Jahr des Baubeginns in Genf Opfer eines Anarchisten wurde.

Opfer fremder Mächte wurde ebenso der heilige Gellért. Am Budaer Ende der Brücke steht das Denkmal dieses Märtyrerbischofs. Der Legende nach haben die heidnischen Ungarn den missionierenden Bischof von dort in einem Holzfass in die Donau geworfen.

Fussnoten

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Sebastian Garthoff studierte Geschichte und Sozialwissenschaften in Erfurt und Vilnius. Von 2006 bis 2009 arbeitete er bei der deutschsprachigen Wochenzeitung Pester Lloyd in Budapest. Er ist Redakteur der Thüringischen Allgemeinen Zeitung in Erfurt.