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Mit dem Taxi an die Marne

Karen Denni

/ 6 Minuten zu lesen

Das "Wunder von der Marne" wurde der französische Sieg im September 1914 über die Deutschen genannt. Zu diesem Wunder gehörte auch ein Mythos. Einen wichtigen Beitrag zum Sieg bei der ersten Marneschlacht hätten die Taxis von der Marne geleistet. Was ist Legende, was hält einer kritischen Beobachtung stand?

Marne-Taxi im Museum von Meaux (© Inka Schwand)

Eine Lücke in der Front

Bis vor einigen Jahren hat in keinem französischen Schulbuch ein Foto von den Pariser Taxis gefehlt, mit denen die Soldaten an die Front im Nordosten von Paris gebracht wurden. Wie ist es zu der Entscheidung gekommen, zivile Fahrzeuge wie Taxis für Militärtransporte einzusetzen? Welche militärische und psychologische Rolle haben die Taxis bei der Schlacht an der Marne gespielt? Aus welchen Gründen ist noch heute die Schlacht von der Marne eng mit den Bildern von den Taxis verbunden? Eine Antwort liefert zunächst das Kampfgeschehen vor September 1914.

Anders als es der Interner Link: Schlieffen-Plan von 1905 und seine modifizierte Form von 1911 vorgesehen hatten, versuchten die deutschen Armeen im August 1914 nicht, Paris von Westen einzunehmen. Vielmehr machten sie einen Schlenker nach Süden, um die Franzosen an der Marne zu verfolgen. In der deutschen Propaganda waren seit dem deutsch-französischen Krieg von 1870/1871 die Bilder zaudernder und feiger französischer Soldaten lebendig, weshalb die Deutschen die Widerstandskraft ihrer Gegner maßlos unterschätzten.

Wegen dieser strategischen Fehleinschätzung war zwischen der deutschen 1. und 2. Armee eine Lücke von 40 Kilometern entstanden, so dass deren rechte Flanke ungeschützt vor Paris stand. Darüber waren die Franzosen durch moderne Technik – im Ersten Weltkrieg wurden erstmals Aufklärungsflugzeuge eingesetzt – unterrichtet. Der französische Oberkommandierende Joseph Joffre erkannte schnell die Verletzlichkeit der deutschen Flanke – und setzte nach den verlorenen Schlachten im Grenzkrieg am Rhein im September 1914 auf eine große Gegenoffensive an der Marne. Aus diesem Grund mussten eilig Soldaten an die Front gebracht werden.

Ein ungewöhnlicher Vorschlag

Bereits im August waren 8.000 Zivilfahrzeuge und 1.500 Fahrer eingezogen worden. Dabei wurden bereits Taxis für den Transport von Granaten und Marschverpflegungen benutzt. Dennoch war der neue Pariser Militärgouverneur Joseph Gallieni wenig begeistert, als ihm sein Mitarbeiter General Clergerie den Vorschlag unterbreitete, eine Infanterie-Brigade der 7. Division mit Taxis an die Front zu fahren, um die neu geschaffene 6. Armee von General Joseph Maunoury zu verstärken.

Nach Gallienis Auffassung war es Sache der Armee, ihre Soldaten zu transportieren und nicht Aufgabe von Zivilpersonen. Allerdings war der gerade neu gegründete Automobilservice der Armee bereits ausgelastet und konnte der starken Nachfrage nicht Herr werden. Also willigte Gallieni ein. Der Militärgouverneur ahnte damals noch nicht, dass er mit dieser Entscheidung seinen Ruhm als ein Sieger der Schlacht an der Marne begründen sollte.

Wenn man bedenkt, dass in Paris heutzutage 19.000 und in Berlin 7.000 Taxis unterwegs sind, ist es erstaunlich, dass an der Seine vor hundert Jahren bereits 12.000 Fahrer dieses Gewerbe ausübten. Allerdings gab es weitaus mehr Chauffeure als Fahrzeuge. Zwei Drittel der Pariser Taxis waren Renaults der Marke AG1 Landaulet, sie erreichten eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern. Eines dieser Exemplare steht heute im "Musée de la Grande Guerre" von Meaux.

Im September 1914 waren nur noch 5.000 Fahrer in Paris, vor allem ältere Männer, die nicht eingezogen worden waren. Diese Anzahl ist dennoch beträchtlich, wenn man bedenkt, dass 99 Prozent der unter 48-jährigen Franzosen der Mobilisierung gefolgt waren. Dies bedeutete einen großen Unterschied zum deutsch-französischen Krieg von 1870/1871, bei dem immerhin 35 Prozent der mobilisierten Soldaten zu Hause geblieben waren.

Die ersten Taxis werden requiriert

Die Renault-Taxis wurden zwischen 1905 und 1910 produziert (© Inka Schwand)

Am 6. September um 23 Uhr erhielt die Pariser Polizei von Gallieni den Befehl, die "Taxi-Autos" in den Straßen anzuhalten. Man hoffte auf die Requisition von 1.200 Fahrzeugen. Die verdutzten Fahrgäste wurden gezwungen, auszusteigen, damit die leeren Fahrzeuge sich zu ihrem Einsatzbefehl vor der Militärschule und den Invaliden versammeln konnten.

Schon einige Tage vorher hatte die Regierung, die aus Sicherheitsgründen von Paris nach Bordeaux verlegt worden war, die Beschlagnahme von Taxis für die Reserve beschlossen, um die Archive des Kriegsministeriums zu evakuieren. Nun erhielten die Taxifahrer eine militärische Aufgabe. Der erste Konvoi bestand aus 160 Fahrzeugen. Allerdings war er damit erheblich kleiner als erhofft.

Für den zweiten Konvoi von 250 Autos wurden mangels verfügbarer Fahrzeuge nicht Taxis, sondern Militärautos und Privatautos bereitgestellt. Der Anteil der Taxis am Transport der 7. Division an die Front war also weit geringer als er später dargestellt wurde. Auch das gehört zum Mythos der Taxis von der Marne.

Die Fahrt an die Front

Nach einer gründlichen Inspektion auf ihre Fahrtauglichkeit brachen die leeren Taxis abends auf, um die ganze Nacht im Schritttempo in einer Kolonne zu fahren, ehe sie am frühen Morgen in der Nähe von Dammartin-en-Goële ankamen. Da die Fahrer den Zweck der Reise nicht kannten, kam Unzufriedenheit auf, es mehrten sich Klagen wegen der schlaflosen Nacht. Teilweise mussten sogar die Begleitoffiziere eingreifen, um die Gemüter zu beruhigen.

Nach einer langen Wartezeit erhielten die Konvois am 7. September gegen 16 Uhr den Befehl umzudrehen, um die Taxis in Villemonble und Gagny mit 4 bis 5 Infanteristen pro Wagen zu beladen. Damit begann der Kriegseinsatz der Taxis, der bis heute stark im kollektiven Gedächtnis der Franzosen verankert sind.

Der kleine Ort Gagny, einige Kilometer südwestlich von der Interner Link: Stadt Meaux gelegen, war überfüllt mit Soldaten und Taxifahrern. Vor ihrem Kampfeinsatz ruhten sich die erschöpften und übermüdeten Infanteristen auf den Straßen aus. Die Regimenter hatten bei den Grenzschlachten am Rhein hohe Verluste erlitten, nun waren sie mit Reservisten verstärkt worden, die nicht an lange Märsche von 40 bis 50 Kilometern gewöhnt waren. Das Angebot mit den Taxis wurde daher dankbar aufgenommen. Dass zivile Fahrzeuge mobilisiert worden waren, gab ihrer Moral Auftrieb. Schon vor dem Kampf wurden die Soldaten als Retter von Paris gefeiert.

Der Taxi-Zug setzte sich Richtung Nanteuil-le-Haudouin, eine Kleinstadt zwischen Senlis und Meaux, in Bewegung. Erschwert wurde die Fahrt dadurch, dass die Chauffeure ohne Licht fahren mussten, um nicht vom Feind entdeckt zu werden. Da die Chauffeure keine Erfahrung mit dem Kolonnenfahren hatten, kam es häufig zu abrupten Halten, Staus, Pannen und Unfällen. Die Konvois waren im Zustand wachsender Unordnung; ruhig schlafen konnten die Soldaten angesichts der vielen unvorhersehbaren Zwischenfälle nicht. Doch das stand nicht in den Geschichtsbüchern, die den Ruhm der Marnetaxis begründeten.

Ruhm und Nachruhm

Die Ankunft der Taxis mit den Soldaten wurde an der Front mit Erstaunen und Bewunderung quittiert. Eine entscheidende militärische Rolle hatte die 7. Division allerdings nicht. Nicht nur, dass ihre Stärke von gut 4.000 Mann im Vergleich zum militärischen Aufgebot von etwa 1,8 Millionen Soldaten, das zwischen Senlis und Verdun kämpfte, vergleichsweise gering gewesen ist. Auch hatten sie nur eine eingeschränkte militärische Funktion. Keiner der Infanteristen der 7. Division nahm am unmittelbaren Kampfgeschehen teil, sie blieben bei den Angriffen auf das 4. deutsche Korps in defensiven Stellungen der zweiten Linie aufgestellt.

Viel eher als Soldaten galt der Ruhm den Taxifahrern. Dabei spielte es keine Rolle, dass sie für ihren beherzten Einsatz schlecht entlohnt wurden. Für ihre insgesamt 70 Kilometer lange Fahrt an die Marne hatten sie nur 27 Prozent des Tariflohns erhalten. Auch wenn der militärische Beitrag der Infanteristen, die von ihnen an die Front gebracht wurden, am Ende gering war, hatte der Einsatz der zivilen Taxifahrer eine hohe psychologische Wirkung. Nachdem sich die französischen Armeen nach dem verlorenen Grenzkrieg ins Landesinnere zurückgezogen hatten, so die Botschaft, hatte Frankreich beim "Wunder an der Marne" vom 5. bis 12. September 1914 keine Mittel und Mühen gescheut, um die Soldaten für eine Gegenoffensive an die Front zu bringen.

Zivilisten und Militär trugen gemeinsam dazu bei, das Vaterland gegen die deutschen Eindringlinge zu verteidigen. Der Einsatz moderner Fahrzeuge motivierte die Soldaten und flößte ihnen Hoffnung und Selbstvertrauen ein, um die Schlacht an der Marne gewinnen und damit Paris, die Hauptstadt, erfolgreich verteidigen zu können. Ein Symbol der Entschlossenheit und Geschlossenheit der Nation im Kampf gegen den Feind: Das waren die Taxis von der Marne.

Fussnoten

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Karen Denni ist Historikerin und hat über die Geschichte der Brücken zwischen Straßburg und Kehl promoviert. Sie arbeitet an der Ecole Euroropéenne Strasbourg und am Institut Dynamiques européennes der Universität Straßburg. Denni ist Mitglied der Redaktion von "Geschichte im Fluss".