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"Wenn ihr euch erinnert, können wir vergessen" Deutsche Besatzungszeit

Hagen Fleischer

/ 9 Minuten zu lesen

Im April 1941 eilt die Wehrmacht dem Achsenpartner Italien zu Hilfe, der sich vergeblich um die Einnahme Griechenlands bemüht hatte. Den griechischen Widerstand während der folgenden Besatzungszeit schlagen die Deutschen mit einer Brutalität gegen die Zivilbevölkerung zurück, die in nicht-slawischen Ländern unerreicht bleibt.

Wehrmachtssoldaten posieren vor der Akropolis, Mai 1941. (© Bundesarchiv, Bild 101I-1640368-14A)

Am 28.10.1940 fallen überlegene Truppen des faschistischen Italiens in Griechenland ein, doch wider Erwarten werden die Invasoren weit auf ihre albanische Ausgangsbasis zurückgeworfen. Die überraschenden Siege der Griechen erschüttern den Nimbus von der Unbesiegbarkeit der faschistischen "Achse": die Ablehnung von Mussolinis Ultimatum wird 1945 – als "Tag des Neins" – zweiter griechischer Nationalfeiertag. Im April 1941 eilt die Wehrmacht dem Achsenpartner zu Hilfe, um die abgekämpften Griechen niederzuzwingen. Ende Mai erobern deutsche Luftlandetruppen den letzten noch unbesetzten Ort: Kreta. Widerstand leisten dort auch große Teile der Zivilbevölkerung – getreu einer jahrhundertealten Tradition. Die verwirrten Angreifer reagieren hart und exekutieren Hunderte von Kretern. Diese "Sühnemaßnahmen" treiben viele der Überlebenden in den bewaffneten Widerstand, als "Andarten" erlangen sie Signalwirkung für das Festland. (Fleischer 1986, S. 128 ff.)

Okkupation und Widerstand

Absprung deutscher Fallschirmjäger auf Kreta, Mai - Juni 1941. (© Bundesarchiv, Bild 183-L19034)

Bei der Entwicklung des Widerstandes zeigen sich regionale Unterschiede, wobei der "Effizienz" der jeweiligen Besatzungssmacht eine wesentliche Rolle zukommt. Bei der Verteilung der Beute hat Hitler nämlich nur Gebiete von herausragender strategischer Bedeutung unter deutscher Kontrolle behalten. So fordert die Marineleitung, Kreta müsse "im Interesse der großdeutschen Belange" für immer in deutschem Besitz bleiben; auch die wichtige Hafenstadt Saloniki sei in einen Außenposten des künftigen deutschen Großreichs umzuwandeln. (BA Freiburg, Oberkommando der Kriegsmarine, Chefsache, 28.7.1942; u.v.a.) Den großen Rest Griechenlands überlässt Berlin den Italienern und Bulgaren – zur Besetzung sowie zur Befriedigung territorialer Aspirationen. Unter diesen ungleichen Bedingungen beginnt sich der griechische Widerstand zu formieren. Wichtigste Organisation ist die von der Kommunistischen Partei dominierte Nationale Befrei­ungsfront (EAM), die mit ihrer Partisanenarmee ELAS ab Sommer 1943 operative Bedeutung erlangt und den effektivsten Gegner für die Besatzer darstellt. Jene, insbesondere die Deutschen, schlagen gegen die Zi­vilbevölkerung mit einer Brutalität zurück, die in nicht-slawischen Ländern unerreicht bleibt.

Spaltpropaganda

Zugleich aber schüren die Besatzer mit Spaltpropaganda die Gegensätze zwischen nationalistischen Gruppen und der EAM-ELAS. Auch die deutsche Initiative, mit der Ende 1943 begonnenen Aufstellung bewaffneter Kollaborationsverbände (Sicherheitsbataillone) "wertvolles deutsches Blut zu sparen", zielt mehr auf politischen als auf militärischen Nutzen: eine "politische Maßnahme im Zuge der Bekämpfung des Kommunismus, für die der antikommunistische Teil der griechischen Bevölkerung restlos eingespannt werden muss, damit er sich eindeutig festlegt und in offene Feindschaft zum kommunistischen Teil getrieben wird". Tatsächlich gibt die deutsche Spaltpropaganda der latenten innergriechischen Konfrontation eine neue – letztlich den nachfolgenden Bürgerkrieg mitbewirkende – blutige Qualität. Damit sahen viele Besatzer ihre zynische These bestätigt, "hierzulande" sei "ein Menschenleben nicht viel wert" – was die Hemmschwelle bei den so genannten "Säuberungsaktionen" der Besatzungs-Truppen weiter herabsenkte.

Die so genannten "Sühnemaßnahmen"

Toter deutscher Fallschirmjäger auf Kreta (© Bundesarchiv, Bild 101I-166-0527-22)

So geraten Hunderte angeblich "bandenverseuchter" griechischer Bergdörfer in den Zangengriff blutiger Besatzungslogik: Vertrauen die Einwohner beim Anmarsch deutscher Truppen vorherigen Zusicherungen und bleiben vor Ort, laufen zumindest die Männer Gefahr, "vorsorglich" in ein Geisellager transportiert zu werden – sofern man sie nicht umgehend zur "Sühnung" irgendeiner Partisanenaktion liquidiert. Flüchten sie, wird die Flucht mit Zugehörigkeit zum Widerstand gleichgesetzt und mit Erschießung bestraft; wiederholt (so in den so genannten "Märtyrerorten" Kommeno, Klissura, Distomo u.a.) werden auch die Frauen und Kinder zu Opfern der perfiden Tötungslogik. Besonnene Befehlshaber versuchen schlimmste Auswüchse zu verhindern, doch verfügen die anderen über Rückendeckung im Führerhauptquartier, wo man das Abstreifen "aller europäischen Hemmungen" verlangt. (Fleischer 1999, passim)

Allein für die Zeit ab Juni 1943 zählt eine (unvollständige) deutsche Auflistung 25.435 getötete Griechen – 91 pro Tag während der letzten Besatzungsmonate. Darüber hinaus werden 25.728 "Gefangene" aufgeführt, über deren weiteres Schicksal nichts verlautet. (BA Freiburg, RH 19 VII/54, vgl. Fleischer 1999, S. 186, 222) Viele werden zur Fronarbeit ins Reich deportiert; ein Großteil kehrt nicht zurück. Andere werden als Geiseln exekutiert, oder, um es in der menschenverachtenden Terminologie der Besatzer zu sagen, "aufgebraucht".

Grausame Bilanz

Deutsches Erschießungskommando in Kondomari (Kreta), 2. Juni 1941. (© Bundesarchiv, Bild 101I-166-0525-39)

Zehntausende landeten in Konzentrationslagern, von denen das im Athener Vorort Chaidari am bekanntesten ist. Herr über Leben und Tod war Paul Radomski, den selbst seine SS-Dienststelle folgendermaßen charakterisiert: "primitiv in seinem ganzen Denken und Fühlen, nicht zum Führen geeignet". (Fleischer 1986, S. 548) Unerfasst blieben in besagten Listen die 60.000 ermordeten griechischen Juden, die über 100.000 Hungertoten (nach anderen Schätzungen weit mehr), der jähe Absturz der Geburtenrate. Am Ende der Okkupation leidet jeder dritte Grieche an epidemischen Infektionskrankheiten, in manchen Regionen sind 70% betroffen, insbesondere Kinder. Kaum zu berechnen sind die Verluste durch die okkupationsbedingte Hyperinflation sowie die Zerstörung der Infrastruktur infolge raubwirtschaftlicher Ausbeutung (Bergwerke, Wälder, etc.) und systematischer Vernichtung: Die meisten Eisenbahnbrücken gesprengt, über 80% des rollenden Materials ruiniert oder entwendet; 73% der Handelstonnage versenkt, zahllose Häuser und Ortschaften zerstört.

Realpolitik der Versöhnung

Plündernde Wehrmachtssoldaten in Athen, April 1941

(© Bundesarchiv, Bild-101I-163-0318-30)

Dennoch vermerken alliierte Beobachter 1947 erstaunt, bei den Griechen seien antideutsche Pauschalurteile am seltensten anzutreffen. Tatsächlich betreibt die Athener Regierung gegenüber dem im Aufbau befindlichen westdeutschen Staat eine Realpolitik der Versöhnung: "Im Interesse Gesamteuropas, und Griechenlands im Besonderen, muss Deutschland – also jenes Land, das gegenüber unserer Heimat verbrecherisch gefrevelt hat – wiederhergestellt werden. Und es ist in unserem Interesse, im Rahmen unserer Möglichkeiten hierzu beizutragen." (Fleischer 2010, S. 214) Als exponierter Frontstaat befindet sich die Bundesrepublik in analoger geostrategischer (und ideologischer) Position wie die Sieger des griechischen Bürgerkriegs 1946-49. Nach Ankunft der ersten Bonner Diplomaten in Athen Ende 1950 begründen führende griechische Politiker das besondere Gewicht eines deutschen Verteidigungsbeitrags mit den "soldatischen Tugenden" des deutschen Volkes: Die Vergangenheit sei zu vergessen, beide Seiten verbinde nun der gemeinsame Kampf gegen den Kommunismus. So plädiert Athen schon früh für eine Integration Westdeutschlands in NATO und Europarat. Auch bei der Bereinigung der Kriegsfolgen, darunter der Rückgabe deutschen Eigentums (so des Archäologischen Instituts), kommt die griechische Regierung Bonn weit entgegen. Griechenland ist das erste Land, das Bundespräsident Heuss – im Jahre 1956, nach fast siebenjähriger Amtszeit – zu einem Staatsbesuch eingeladen hat. Hierzu wird Heuss vom Auswärtigen Amt (AA) entsprechend eingestimmt: "Glücklicherweise" seien "die Begebenheiten [sic] zur Zeit der deutschen Besetzung … durch die Grausamkeiten des griechischen Bürgerkrieges … überdeckt worden." (PAAA, B 26/17, Ref. 412, Aufzeichnung, 25.4.1956)

Bewältigungsstrategien

Die deutschen Grausamkeiten werden nur linguistisch "bewältigt", nicht aber historisch, juristisch oder gar ökonomisch aufgearbeitet. Bereits 1958, bevor Ministerpräsident Karamanlis eine Anleihe von 200 Mio. DM zugesagt wird, geben ihm Adenauer und das AA "in sehr deutlicher Weise zu verstehen", welche Gegenleistung sie von den Griechen erwarten: Notgedrungen verpflichtet sich der Premier zur Durchsetzung eines Abolitionsgesetzes, das den griechischen Rechtsanspruch zur Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher der Bundesrepublik überträgt. Dort aber wird kein einziger von ihnen verurteilt oder auch nur angeklagt. (Fleischer 2006, S. 507 ff.) Doch sieht sich die Bundesregierung im Rahmen jahrelanger Verhandlungen mit allen sogenannten Weststaaten 1960/61 gezwungen, Griechenland pauschal 115 Mio. DM "Wiedergutmachung" zu Gunsten (nur) jener NS-Opfer zu zahlen, die aus "rassischen" oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden.

Erinnerungspolitik

Der erste Bruch in der Bonner Opportunitätsperspektive zur jüngsten Vergangenheit erfolgt beim zweiten Präsidentenbesuch in Athen, dem Richard von Weizsäckers. Nach langem Zögern akzeptiert das AA den Vorschlag des Verfassers (Fleischer 2010, S. 205 f.) und der Präsident ehrt am 24. Juni 1987 die Opfer der Okkupation am Hinrichtungsplatz Kaisariani: "Diese Gedenkstätte ist unlösbar mit der Geschichte Ihres und meines Volkes verbunden. […]. Kein Mensch, zumal kein Deutscher, kann hier stehen, ohne von der Botschaft dieses Ortes tief berührt zu sein." Anschließend nennt von Weizsäcker – stellvertretend für ungezählte Massaker – ein halbes Dutzend Ortsnamen, die in Griechenland seit der Besatzungszeit einen blutigen Klang haben: Kalavryta, Distomo, Klissura, Kommeno, Lyngiades, Kandanos. Zugleich gedenkt er der jüdischen Gemeinden, die vom nazistischen Rassenwahn dezimiert oder ausgelöscht wurden. Die Ehrung erregt Aufsehen, bricht sie doch mit einer Verdrängungsstrategie, welche die deutsche Griechenlandpolitik allzu lange prägte. Derartige Sternstunden der deutsch-griechischen Nachkriegsbeziehungen blieben selten und wurden erst im März 2014 beim Griechenlandbesuch von Joachim Gauck übertroffen. (s.u.)

Schuld und Schulden

Die Bundesregierungen jedoch lehnten es mit Verweis auf das Londoner Schuldenabkommen (1953) jahrzehntelang ab, über die 115 Mio. DM hinausgehenden griechischen Entschädigungsansprüche zu diskutieren, da deren Regelung nur einem geeinten Deutschland zustehe. Unter den Vorzeichen der Ost-West-Konfrontation stand dahinter die Erwartung – wie ein Botschafter 1969 gegenüber dem AA mit seltener Offenheit resümierte – "dank des Entgegenkommens unserer amerikanischen Freunde" die anderen Weltkriegsgegner "ad calendas graecas [in alle Ewigkeit] zu vertrösten". Die ungeteilte Zustimmung des AA und dessen Reparationsexperten Dr. Helmut Rumpf findet auch die unverblümte Definition der deutschen Strategie, "diesen Zwischenzustand des Nichtzustandekommens eines Friedensvertrages so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, um diese Forderungen unserer einstigen Gegner durch Zeitablauf einer Verwirkung oder Verjährung zuzuführen." (PAAA, B 86/1271, Korrespondenz April 1969)

In diesem Sinne beharren Bonn (und später Berlin) auch nach der unverhofften deutschen Einigung 1990 auf ihrer generellen Weigerung einer Schadensersatzleistung – die machtpolitisch und ökonomisch verständlich ist, denn selbst die deutsche Wirtschaft wäre überfordert, müsste sie alle Ansprüche der einstigen Kriegsgegner befriedigen. Dabei überzeugen die vorgeschobenen Erklärungen wenig: Das gilt insbesondere für die Hinweise auf den "Zeitablauf" – auf den man doch zuvor bewusst hingearbeitet hatte. Das gilt auch für Verweise auf eine über den europäischen "Topf" geleistete Struktur- und Wirtschaftshilfe, die auch Ländern wie Irland und Portugal gewährt wird, wohin nie ein Wehrmachtssoldat seinen Fuß setzte.

Zudem ist der moralische Anspruch der Griechen gewichtiger als anderswo: zum Ersten wegen der Verluste an Material und Menschen, die in Griechenland höher waren als in jedem anderen nicht-slawischen Land; zum Zweiten, da die meisten anderen ehemals besetzten Staaten bessere Gelegenheit hatten, sich selbst zu entschädigen: nämlich durch Territorialgewinne, Enteignung deutscher Minderheiten, Zwangsarbeit deutscher Kriegsgefangener, Demontage von Industrieanlagen und Zwangsexport von Rohstoffen. Die neue Bundesregierung sollte dies berücksichtigen bei der Prüfung griechischer Ansprüche hinsichtlich der von 1942-1944 allmonatlich von der griechischen Staatsbank erhobenen deutschen Zwangsanleihe, die trotz anderslautender Behauptungen keinen Reparationscharakter hat. Angesichts der vertraglich fixierten Rückzahlungszusage berechnete ein deutsches Expertenteam Anfang 1945 für die Reichsbank die Höhe dieser "Schuld des Reiches gegenüber Griechenland" auf 476 Millionen Mark - in heutiger Kaufkraft um die 10 Mrd €. (PAAA, R 27320) Auf dieser Basis könnten Verhandlungen in einer Form geführt werden, die keinen Präzedenzfall für andere Staaten darstellt. Damit wäre dem absurden Zustand ein Ende gesetzt, dass die Vertreter des NS-Regimes eine deutsche Schuld anerkannten, die von allen Bundesregierungen bislang ignoriert worden ist. Erst in den letzten Monaten gibt es vorsichtige Anzeichen für einen Gesinnungswechsel. Im Gespräch sind die Gründung einer Stiftung mit Stipendien zur Aufarbeitung der gemeinsamen Kriegsvergangenheit und zur Finanzierung eines Infrastrukturprojekts von praktischer und symbolischer Bedeutung. Auch im Koalitionsvertrag finden sich hierfür Indizien.

Vor einem halben Jahrhundert mahnten griechische Besatzungsopfer in einem Memorandum für Bundeskanzler Adenauer: "Freundschaften zwischen Völkern können nicht fundiert werden, solange zwischen ihnen der Abgrund liegt, den die Bitterkeit, der Schmerz und das Unrecht geöffnet haben." Und die ebenfalls schon historischen Worte eines französischen Widerstandskämpfers, des damaligen Präsidenten Vincent Auriol, hört man oft auch in Griechenland: "Wenn ihr euch erinnert, können wir vergessen."

Einen großen Schritt in dieser Richtung wagte am 7. März 2014 Bundespräsident Joachim Gauck. Bei seinem Versöhnungsbesuch gemeinsam mit dem griechischen Präsidenten Karolos Papoulias in der epirotischen Gemeinde Lyngiades – wo die deutschen Besatzer am 3.Oktober 1943 alle greifbaren (über 80) Einwohner ermordet hatten: größtenteils Frauen, Greise und Kinder – bat er als erster Repräsentant Deutschlands um Verzeihung für die Besatzungsverbrechen. Die entscheidenden Sätze seiner Aufsehen erregenden Rede am Denkmal für die Opfer lauteten:

"Wir Nachgeborenen tragen persönlich keine Schuld. Und doch fühle ich an Orten wie diesem tiefes Erschrecken und eine doppelte Scham. Ich schäme mich, dass Menschen, die einst in deutscher Kultur aufgewachsen sind, zu Mördern wurden. Und ich schäme mich, dass das demokratische Deutschland, selbst als es Schritt für Schritt die Vergangenheit aufarbeitete, so wenig über deutsche Schuld gegenüber den Griechen wusste und lernte. […]

Es sind die nicht gesagten Sätze und die nicht vorhandenen Kenntnisse, die eine zweite Schuld begründen, da sie die Opfer sogar noch aus der Erinnerung verbannen. Und so möchte ich heute aussprechen, was Täter und viele politisch Verantwortliche der Nachkriegszeit nicht aussprechen konnten oder wollten: Das, was geschehen ist, war brutales Unrecht. Mit Scham und mit Schmerz bitte ich im Namen Deutschlands die Familien der Ermordeten um Verzeihung. Ich verneige mich vor den Opfern der ungeheuren Verbrechen, die hier und an vielen anderen Orten zu beklagen sind. […] Achtet und sucht die Wahrheit. Sie ist eine Schwester der Versöhnung."

Quellenhinweise

BA = Bundesarchiv (Berlin – Koblenz – Freiburg) PAAA = Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin

Fleischer, Hagen: Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland 1941-1944 (Okkupation - Kollaboration – Resistance), Frankfurt u.a., Lang, 1986.

ders.: Griechenland. In: Wolfgang Benz (Hg.). Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. München, Oldenbourg, 1991, S. 241-274.

ders.: Deutsche ‘Ordnung’ in Griechenland 1941-1944. In: Loukia Droulia / Hagen Fleischer (Hg.), Von Lidice bis Kalavryta: Widerstand und Besatzungsterror. Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg. Berlin: Metropol, 1999, S. 151-223.

ders.: ‘Endlösung’ der Kriegsverbrecherfrage. Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland. In: Norbert Frei (Hg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen: Wallstein, 2006, S. 474-534.

ders.: Der lange Schatten des Krieges und die griechischen Kalenden der deutschen Diplomatie. In: Chryssoula Kambas / Marilisa Mitsou (Hg.), Hellas verstehen. Deutsch-griechischer Kulturtransfer im 20. Jahrhundert. Köln: Böhlau, 2010, S.. 205–240.

Externer Link: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden

Prof. Dr., studierte an der FU Berlin Geschichte und Publizistik, lehrt seit 1979 an den Universitäten Kreta und Athen neue Geschichte mit dem Schwerpunkt Griechische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen, vor allem zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Europa und den Folgen des Zweiten Weltkriegs. Seit 1985 besitzt Hagen Fleischer auch die griechische Staatsbürgerschaft, von 1987 bis 1988 gehörte er als griechischer Vertreter der Internationalen Historikerkommission zur Waldheim-Affäre an.