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Interview – "Der Film ist meine Entdeckungsreise" | "Plastic Planet" | bpb.de

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Interview – "Der Film ist meine Entdeckungsreise"

Sascha Rettig

/ 3 Minuten zu lesen

Ein Gespräch mit Werner Boote über die Entstehung seiner Dokumentation Plastic Planet und über das, was er damit erreichen möchte.

Regisseur Werner Boote (© Farbfilm Verleih)

Herr Boote, für ihren Dokumentarfilm Plastic Planet haben Sie sich jahrelang mit dem Thema Kunststoff beschäftigt. Welche Schlüsse haben Sie für sich persönlich daraus gezogen?

Das was der Zuschauer in 95 Minuten komprimiert sieht, hat sich bei mir in einem sehr langsamen Prozess innerhalb von zehn Jahren abgespielt, in denen ich systematisch mein Leben verändert habe. Es ist natürlich so, dass ich immer noch ein Handy, einen Computer und einen Fernseher benutze, weil man auf manche Produkte aus Kunststoff nicht verzichten kann, wenn man modern leben will. Mindestens 80 Prozent sind aber völlig unnötig. Die kaufen wir nur, weil wir zu einer Wegwerfgesellschaft erzogen worden sind.

Wie kamen Sie auf das Thema Plastik?

Der Auslöser war ein sehr kleiner Zeitungsartikel über Fische in England, die sich aufgrund einer Substanz aus Kunststoff nicht mehr fortpflanzen können. Ich habe danach alle Artikel über Kunststoff gesammelt und wollte wissen, was da wirklich los ist. Der Film ist daher so etwas wie meine Entdeckungsreise, meine Investigation. So kam es vom einen zum anderen und wir haben unser Budget natürlich maßlos überschritten – auch, weil wir auf die Idee gekommen waren, sehr viele Produkte testen zu lassen.

Wie entstand das Konzept für den Film?

Ich bin ein schrecklicher Rechercheur für jeden Produzenten, weil ich mit einem Gefühl an ein Projekt und ein Interview herangehe und mich erst in den Interviews dorthin robbe, wo ich mir denke, da steckt was drin. Viele interessante Aspekte wären sicher an mir vorbeigegangen, wenn ich von Anfang an gesagt hätte: "Das ist der Film, den ich machen will." So aber konnten wir uns immer tiefer in die Materie hineinarbeiten.

Gab es ein Drehbuch nach der Recherche?

Ich habe 42 Drehbuchversionen geschrieben. Jedes Mal, wenn sich etwas Neues auftat, wir weitere Ideen hatten oder wieder Hinweise bekamen, entstand eine neue Version.

Wie viele Stunden Material sind letztlich der Schere zum Opfer gefallen?

Die erste Fassung war viereinhalb Stunden lang, von der aus wir uns dann auf eine kinotaugliche Länge zugerobbt haben.

Wie wertet man solch eine Materialfülle aus?

Die Auswahl war – wie das ja bei allen Dokumentarfilmen der Fall ist – natürlich sehr persönlich und subjektiv. Ein Schwerpunkt lag für mich auf der Moral und auf der Frage, wie wir mit der Wirtschaft und dem Konsumzwang umgehen. Allerdings war es mir wichtig, nicht zu sehr in wissenschaftliche Details zu gehen, weil sonst das Publikum irgendwann die Lust daran verliert. Auf der anderen Seite war da natürlich meine persönliche Entwicklung – vom ursprünglich Plastik begeisterten Menschen hin zum kritischen Konsumenten, der sich fragt, wie man damit umgehen kann. Dabei war es mir wichtig, gleichsam unsere Situation auf dem Plastikplaneten auszuloten und einen unterhaltenden Film zu machen, der Schauwerte hat und in dem die Leute lachen können. Das war ein schwieriger Parkour.

Werner Boote

Werner Boote, geboren 1965 in Wien, studierte Theaterwissenschaften, Publizistik und Soziologie sowie an der Wiener Filmakademie. Die Grundlagen des Filmemachens hat er sich, anfangs unter anderem als Kabelhalter, jedoch selbst erarbeitet. Er war viele Jahre lang Regieassistent bei Robert Dornhelm und Ulrich Seidl. Seit 1993 dreht Boote eigene Filme, die überwiegend im Musikbereich angesiedelt sind, so unter anderem die TV-Dokumentation Kurt Rydl – Der Gladiator (Österreich 2003) über den Wiener Opernsänger, der als ORF-Beitrag für die Emmy-Awards eingereicht wurde.

Sie haben eine sehr persönliche Herangehensweise gewählt. Läuft man da nicht Gefahr, in den Michael-Moore-Topf geworfen zu werden?

Den Vergleich höre ich immer wieder. Allerdings ist meine Herangehensweise eine ganz andere. Bei mir ist es nicht so, dass ich mir eine These nehme und sie zum Zwecke der Propaganda mit allen Mitteln – ob recht oder schlecht – untermauern will. Im Gegenteil: Bei mir ist es anfangs das Gefühl, dass da etwas ist, was nicht so sein sollte. Dem gehe ich nach und hefte mich an die Fersen. Der Film hätte auch ganz anders ausgehen können.

Was kann aber ein Film wie Plastic Planet erreichen?

Es soll ja nicht darum gehen, dass man den Kunststoff verbannt, sondern sich einerseits fragt: Was benötige ich wirklich? Und wo bin ich ein Opfer der werbemäßig geschürten Wegwerfgesellschaft? Und dass man andererseits Forderungen stellt, dass es keine ungesunden Substanzen im Kunststoff gibt und – sollte es sie doch weiter geben, dass sie gekennzeichnet werden.

Glauben Sie denn, dass die Konsumenten Druck auf die Kunststoffindustrie ausüben können?

Wenn sich Consumer-Power in Sachen Kunststoff entwickelt, sich das Problem herumspricht und Politik und Behörden gestärkt werden, glaube ich schon, dass sich Entscheidendes ändern lässt.

Das Interview führte Sascha Rettig. Es erschien erstmals am 27.01.2010 auf Externer Link: kinofenster.de, dem Onlineportal für Filmbildung der Bundeszentrale für politische Bildung und Vision Kino.

Sascha Rettig ist freier Journalist und Filmkritiker.