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Damenfußball, Straßenfußball: der weibliche Kick bis zum DFB-Verbot im Juli 1955

Eduard Hoffmann Jürgen Nendza

/ 7 Minuten zu lesen

In der Nachkriegszeit beginnen die ersten Mädchen wieder mit dem Fußballspiel. Viele der jungen Frauen, die in den späten 50er Jahren den Damenfußball in Deutschland prägen, beginnen als Straßenfußballerinnen.

Straßenfußballerin mit Freunden in den 50er Jahren (© Privatarchiv Nendza/Hoffmann)

Nach dem zweiten Weltkrieg melden sich die alten DFB-Funktionäre zurück und beschließen im Sommer 1949 in Stuttgart die Neugründung des Deutschen Fußball-Bundes. Anders als in der Weimarer Republik, in der die Arbeit der zahlreichen Fußball- und Sportverbände immer auch politischen oder weltanschaulichen Zielen diente, verpflichten sich nun alle Sportverbände in West-Deutschland dem Prinzip der Einheitsorganisation, die ohne Bindung an weltanschauliche Konzepte arbeitet. Der DFB, der zu Zeiten der Weimarer Republik noch in Konkurrenz zu den Fußballern des sozialistischen Arbeiter-Turn- und Sportbundes stand (die z.B. eigene deutsche Fußballmeisterschaften durchführten), wird konkurrenzloser Fußball-Dachverband.

Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wird auch die grundgesetzliche Gleichberechtigung von Mann und Frau festgeschrieben. Doch zwischen Theorie und Praxis verläuft im konservativen Nachkriegsdeutschland ein tiefer Graben. Das patriarchalische Denken in geschlechtsspezifischen Bahnen dominiert immer noch Sport und Gesellschaft. Fußballsport gilt nach wie vor als "unweiblich" und "nichtfraugemäß".

Straßenfußball und "Damenballspiel" in Oberhausen

Dennoch findet man zu dieser Zeit unter den zahlreichen Straßenfußballern nicht wenige Mädchen, die nach der Schule mit Brüdern und Freunden auf der Straße, dem Schulhof oder auf brachliegenden Geländen in aller Öffentlichkeit Fußball spielen. Viele der jungen Frauen, die in den späten 50er Jahren den Damenfußball in Deutschland prägen, beginnen als Straßenfußballerin. "Neben der Schule war direkt ein Fußballplatz, und da sind wir immer hin: ein paar Jungens, ein paar Mädchen und haben gespielt", erinnert sich Erika Flügge von Rhenania Essen. Und auch Christa Kleinhans war Straßenfußballerin: "Wir spielten oft eine Ecke gegen die andere, Straßenanfang gegen Straßenende. Da wurde richtig rumgebolzt.". Irmgard Statzner, geb. Lammers, vom DFC Bochum schnürt bereits 1953 ihre Fußballschuhe, um regelmäßig zunächst in Essen, dann in Bochum mit anderen fußballbegeisterten Frauen auf einem richtigen Fußballplatz zu trainieren. Bereits seit 1951 kicken die Damen von Blau-Weiß Oberhausen regelmäßig untereinander. Um die Vereinskasse aufzubessern, plant Trainer und Organisationsleiter Rolf Warschun ein öffentliches "Damenballspiel". Die 22 Frauen im Alter von 17 bis 43 Jahren sollen eine Art Handfußballspiel austragen. Der Anstoß erfolgt am 5. Mai auf dem Sportplatz von Rot-Weiß Oberhausen. Dort bedauert man, dass der Platz vom geschäftsführenden Vorstand "irrtümlich" zur Verfügung gestellt worden sei. Die Vereinsleitung von RWO distanziert sich "von dieser Art Sport, die auf einen Rummelplatz gehört und mit den wahren Zielen des Sportgedankens nichts zu tun hat." (Ruhrwacht, 5.5.1951). Der "Generalanzeiger" (Oberhausen) merkt am Tag der Spiels hämisch an: "Eine Dauereinrichtung wird es nicht werden, denn Männer können blaue Flecken an den Beinen vertragen, Frauen aber sicher nicht. Es mindert die Anziehungskraft der Beine und damit wird sich keine Frau für ständig abfinden." Zum "Damenballspiel" kommen weit weniger als die erwarteten 6000 Zuschauer. Elf Tore fallen - und der DFB ist erbost: Rolf Warschun wird nach dem Spiel aller DFB-Ämter enthoben.

"Fußballverrückte Grazien"

Als die deutschen Fußball-Herren 1954 bei der WM in der Schweiz Fußballweltmeister werden und ihr Titelgewinn als "Wunder von Bern" zum geflügelten Wort wird, ist die Fußballeuphorie in ganz Deutschland gewaltig. Auch viele junge Frauen schlägt der sensationelle Titelgewinn in seinen Bann und weckt das Bedürfnis, selbst zu spielen, so auch bei Gisela Lehmann, geb. Lubin, Kickerin bei Grün-Weiß Dortmund: "Schuld war eigentlich die WM 54. Ich war auf der Pferderennbahn in Castrop-Rauxel. Am Endspieltag hatte man ein großes Zelt aufgebaut, dort stand ein Fernseher. Ich bin da reingegangen und war begeistert über das Spiel. Ich dachte mir: Mensch, das möchte ich auch mal machen." (Interview 2006) Auch Bärbel Wohlleben (sie wird 1974 als erste Frau ein Tor des Monats erzielen) ist nach dem WM-Sieg 1954 begeistert und möchte unbedingt Fußball spielen. Das geht als 14 Jährige natürlich nur bei den Jungs. "Ich musste da ganz besondere Prüfungen ablegen, die Jungs hatten mich aufgefordert gegen sie Ringkämpfe auszutragen in der Weitsprunggrube, und da ich dann einige Jungs geschafft habe, war ich anerkannt und hatte seitdem vier Jahre in der C-Jugend in Ingelheim mitgespielt. Und als ich dann 15 Jahre alt wurde, war das nicht mehr erlaubt, der Südwestverband hatte mir seinerzeit eine Sondergenehmigung erteilt, das war dann mit dem Jugendalter, B-Jugend, vorbei" (Bärbel Wohlleben, Interview 2007)

Im Frühjahr 1955 wird aus mehreren deutschen Städten über fußballspielende Frauen bzw. über die Gründung von Damenfußballvereinen berichtet. Im April spricht die Bild-Zeitung (Hamburg) von "fußballverrückten Grazien", fragt, ob "der Fußball-Sturmlauf auf Stöckelschuhen noch zu stoppen" sei und konstatiert: "Nach dem BILD berichtete, dass junge Hamburgerinnen Deutschlands erste Damen-Fußballelf gegründet haben, meldeten sich überall in Deutschland fußballhungrige junge Damen." (Bild-Zeitung, 27.4.1955). Gekickt werden soll bei den Damen mit verkürzter Spielzeit (2x30 Minuten) und ohne "Rempeln". Über die mögliche Abschaffung des Kopfballspiels will man noch beraten. Zaghaft spricht man von einer "fraulichen Spielweise". Und von "Olympia-Kämpfer" Dr. Martin Brustmann gibt es sogar eine sportärztliche Unbedenklichkeitserklärung: "Warum den Frauen den Wunsch nach vergnüglichem Fußballspiel innerhalb der Grenzen weiblicher Konstitution aus männlichen Vorurteilen versagen? Zarte Schultern und Arme, aber breite Hüftgürtel und kräftige Beine sind normale Attribute weiblicher Schönheit, die der Betätigung im Fußballspiel durchaus gewachsen sind, wenn das Spielfeld verkleinert, die Spielzeit verkürzt und am besten mit zwei Ruhepausen ausgestattet wird".( BILD, 27.4.1955)

Viele der fußballbegeisterten Frauen waren auch schon vorher sportlich aktiv, spielten z.B. Feldhandball oder betrieben Leichtathletik. Zur Frauenfußball-Hochburg wird Nordrhein-Westfalen, genauer das Ruhrgebiet. Hier blickt man besonders interessiert ins benachbarte Holland, wo sich Mitte 1955 bereits 13 Damenfußball-Clubs gegründet haben sollen.

Gruga Essen und Fortuna Dortmund

Im April 1955 wird das Team von Gruga Essen gegründet. Dort kickt auch die legendäre Lotti Beckmann (1925-1995) mit. Die damals Dreißigjährige wächst unter sieben Brüdern auf und arbeitet als Markthelferin. Die aktive Feldhandballspielerin ist schon in der Kindheit fußballbegeistert. Mit ihrem Bruder Helmut tauscht sie einmal Weihnachtsgeschenke aus: Für ihre Puppe erhält sie seinen Fußball. 1956 wird Lotti Beckmann beim Länderspiel Deutschland-Holland das erste Länderspieltor einer deutschen Damenauswahl erzielen.

Beim ersten Städtespiel des Teams um Lotti Beckmann am17.7.1955 gegen den FC Mönchengladbach trainiert noch Fritz Schortemeier die Damen von Gruga Essen. Ein Jahr später betreut er das Team von Rhenania Essen. Die Presse schreibt über das erste Damenfußballspiel in Essen: "Ein Schiedsrichter brachte das Spiel ohne Verstöße über die zweimal 35 Minuten. 3000 Zuschauer pilgerten trotz Badewetters zur alten Rennbahn hinaus, um Damenfußball mitzuerleben. Viele waren begeistert, andere sprachen sich ablehnend aus. Die Ruhrmetropole hatte ihre Sensation: Jetzt auch Damenfußball!" (NRZ,18.7.1955) Fast zeitgleich mit Gruga Essen wird auch das bekannteste und dominanteste Damenfußballteam der 50er und 60er Jahre gegründet: Interner Link: Fortuna Dortmund. Bis 1965 gehen die Kickerinnen um die Gründungsmitglieder Anne Droste und Renate Müller, geb. Bress, auf Fußball-Reisen und tragen wesentlich zur Popularität des Damenfußballs bei.

DFB gegen Damenfußball

Doch der DFB lehnt Damenfußball "aus grundsätzlichen Erwägungen und ästhetischen Gründen" ab. DFB-Jugendobmann Prof. Dr. Zimmermann erklärt: "Der Damenfußball würde doch grundsätzliche Dinge berühren und nicht ohne Regeländerungen auskommen (leichterer Ball, Rempeln usw.). Fußball wäre kein echter Kampfsport mehr. Organisatorisch gibt es wohl kaum eine geschlossenere Sportart als den Fußball – vielleicht, weil keine Frauen dabei sind...". (Kicker, 9.5.1955)

Kein Freund des Damenfußballs, DFB-Präsident Peco Bauwens 1953 bei der Überreichung der Meisterschale an Kaiserslautern (Foto: AP) (© AP)

Auch DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens ist davon überzeugt, dass "Fußball kein Frauensport" ist. Er hält Damenfußball in Deutschland für indiskutabel und argumentiert dabei auch `sportplatzorganisatorisch´: "Wir werden uns mit dieser Angelegenheit nie ernsthaft beschäftigen. Das ist keine Sache für den DFB./../Wenn in einigen Städten ein Dutzend Frauen zusammenkommen und einen Fußballklub gründen, ist das ihre Angelegenheit. Es bleibt aber immer die Frage offen, wo diese Mannschaften spielen wollen. Die Sportplatznot in den größeren Städten zwingt die Vereine ohnehin bereits, ihre Jugendspiele vorwiegend auf samstags zu verlegen." Er verweist ferner darauf, daß Fußball "genügend Gefahren der Verletzungen" mit sich bringt und mithin "Frauen nur Sportarten ausüben (sollten), die keine nennenswerten Nachteile mit sich bringen" - wie Leichtathletik, Schwimmen oder Tennis. (Neue Ruhr Zeitung 7.5.1995)

Dennoch müssen sich die Vertreter des DFB mit der "Angelegenheit Damenfußball" befassen. Als aus Essen und Mönchengladbach Damenfußballspiele mit "erstaunlich hohen Zuschauerziffern" (3.000 bzw. 10.000 Zuschauer) vermeldet werden, gibt der Vorstand des Fußballverbandes Niederrhein (FVN) kurzerhand folgende "amtliche Mitteilung" heraus: "Bevor nicht der Frage des Damen-Fußballs auf der DFB-Ebene endgültig geklärt und entschieden ist, ist es allen Vereinen untersagt, Damen-Fußballabteilungen zu bilden, ihre Plätze für solche Spiele herzugeben und irgendwelchen Personen zur Verfügung zu stellen". (NRZ 1955).

Platzsperre und Polizeiaufgebot gegen Fußballerinnen

Als Ende Juli 1955 die Kickerinnen vom DFC Duisburg-Hamborn und Gruga Essen auf dem bereits gemieteten Fußballplatz der Spvgg. Hamborn 90 gegeneinander antreten wollen, wird ihnen aufgrund des FVN-Beschlusses trotz Mietvertrages Platzverbot erteilt. Kurzhand ziehen die Fußballerinnen um und beginnen ihr Spiel auf dem Sportplatz des Kreisklassenvereins Hertha Hamborn. Wenig später betritt der 2. Vorsitzender der Hamborner Hertha zusammen mit einem "Schutzmann" den Platz und läßt das Spiel abbrechen. "Draußen stand für alle Fälle das Überfallkommando" berichtet die Westdeutsche Allgemeine Zeitung am 1.8.1955 über diese Posse, "es brauchte indessen nicht einzugreifen". Die Kickerinnen werden vom Sportplatz vertrieben. "Sie kickten nur 20 Minuten /.../ dann wurde der Damen-Fußball liquidiert" kommentiert die WAZ und stellt fest: "Es war diesmal nichts mit der Gleichberechtigung..." (Westdeutsche Allgemeine Zeitung., 1.8.1955).

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