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Wodurch ist die aktuelle Debatte geprägt? | bpb.de

Wodurch ist die aktuelle Debatte geprägt?

Daniel Naujoks

/ 5 Minuten zu lesen

Viele Analysten untersuchen die Interessen "der Staaten" bzw. deren Einwände gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Jedoch werden entsprechende Regelwerke nicht "vom Staat" in einem Black-Box-Mechanismus geschaffen. Vielmehr handelt es sich um einen vielschichtigen Politikprozess, in dem das Zusammenspiel verschiedener Akteure und Koalitionen mit unterschiedlichsten Werten und Interessen zur Ablehnung oder Annahme einer Regelung führt.

Demonstration der Türkischen Gemeinde in Deutschland vor dem Bundesinnenministerium. (© picture-alliance/dpa)

Zudem bestehen in politischen und gesellschaftlichen Diskursen oft Versuchungen, Daten und Positionen der eigenen politischen Überzeugung unterzuordnen und weniger objektiv darzustellen. Viele der oben diskutierten Gründe gegen die doppelte Staatsbürgerschaft erscheinen wenig überzeugend. Im Folgenden soll anhand von drei Thesen aufgezeigt werden, warum der Kern der Diskussion zumeist verschleiert wird, welche Vorstellungen ihm zugrunde liegen und was sein Inhalt ist.

Ein beschränktes Diskursfeld

Die erste These lautet, dass das Diskursfeld um die doppelte Staatsbürgerschaft – wie um andere migrationspolitische Diskussionen – insofern beschränkt ist, als dass gewisse Argumente zunächst grundsätzlich als illegitim und damit außerhalb des zulässigen Diskussionsrahmens gesehen werden . Dies führt dazu, dass viele der eigentlichen Argumente gegen die doppelte Staatsbürgerschaft nicht oder nur in verschleierter Form vorgebracht werden. Argumente bezogen auf Loyalitäts-, Gleichheits- und Integrationsfragen genauso wie Einwände aus dem Bereich des internationalen Rechts und der doppelten Wehr-, Steuer- und Rechtspflichten sind einfacher zugänglich und können angeführt werden, ohne dass ihre Verfechter Gefahr laufen, als undemokratisch und fremdenfeindlich zu gelten. Es ist deswegen von besonderer Bedeutung, die vorgebrachten Einwände gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zu hinterfragen und die eigentlichen Interessen und Motive in Betracht zu ziehen.

Ein prototypischer Ausländer als Basis der Einstellung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft

Der zweiten These zufolge beherrscht ein bestimmtes negatives Bild der "Ausländer" das Vorstellungsbild der Kritiker, wobei negative Einstellungen gegenüber Einwanderern mit Ansichten über die doppelte Staatsbürgerschaft vermengt werden. Hier spielt vor allem die objektive und subjektiv wahrgenommene Zusammensetzung der Migrantenströme eine Rolle.

Eine bestimmte Wahrnehmung von Details aus amtlichen Statistiken bezüglich der Herkunft der Migranten, ihrer schulischen und beruflichen Leistungen sowie ihrer Religionszugehörigkeit und ihrer Arbeitslosigkeitqote führt dazu, dass für viele "der Einwanderer und der religiös, [ethnisch] und sozio-ökonomisch unterprivilegierte 'Andere'... häufig ein und derselbe [ist]" . Dieses verallgemeinernde und notwendigerweise unvollständige Bild des protoypischen Ausländers wird von einer oftmals undifferenzierten Presseberichterstattung unterstützt.

Viele Einwände, die sprachlich abstrakt formuliert sind, wie die Kritik an der Unvereinbarkeit verschiedener Loyalitäten und das Abstellen auf die integrationshemmende Wirkung sind häufig nicht abstrakt-generell gedacht. Vielmehr beruhen sie auf dem Bild eines spezifischen, als vermeintlichen Standardtypus des Ausländers an sich erkannten Menschen. Mit anderen Worten, Kritiker mögen nicht generell bezweifeln, dass Menschen aufrichtige Bindungen an zwei Staaten haben können. Vielmehr haben sie Personen mit bestimmten, negativ wahrgenommenen soziokulturellen Eigenschaften im Blick, die hierzu nicht in der Lage seien. Aufgrund der oben behandelten Diskursbeschränkung wird dies nur undeutlich vorgebracht.

Exklusion als Hauptgrund der Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft

Die Verpflichtung zur Aufgabe der alten Staatsangehörigkeit kann Einwanderer trotz bestehender Integration aus praktischen oder identitären Gründen von der Einbürgerung abhalten . Faktisch führt das Verbot der mehrfachen Staatsbürgerschaft daher zur Nichteinbürgerung einer großen Gruppe einbürgerungswilliger Einwanderer und damit zu deren Ausschluss von partizipatorischen Rechten in ihrem permanenten Aufenthaltsland.

Die dritte These lautet, dass es vielen Kritikern nicht um die Verhinderung der doppelten Staatsangehörigkeit an sich, sondern um die Erschwerung der Einbürgerung geht . Dabei richten sich diese Ausschlussbestrebungen nicht gleichermaßen gegen alle Menschen anderer Herkunft, sondern in erster Linie gegen das oben beschriebene prototypische Leitbild "des Ausländers". Wie die Abbildung und die Tabelle illustrieren, bestehen große Unterschiede bei der Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Die im August 2007 eingeführte vollkommene Anerkennung der doppelten Staatsangehörigkeit für EU-Bürger wurde nicht kontrovers diskutiert. Es ist anzunehmen, dass dieselbe Hinnahme für türkische Staatsbürger, für die das Verbot einstweilen fortbesteht, unterschiedlich debattiert worden wäre. So konnten im Jahr 2007 lediglich 17% der eingebürgerten Türkischstämmigen ihren ehemaligen Pass behalten. Eine Tendenz, bestimmte Bevölkerungsgruppen ausschließen zu wollen, wird auch deutlich, wenn man die im nächsten Abschnitt dargestellten Argumente gegen die Einbürgerung bestimmter Personengruppen betrachtet, die in Diskussionen zur doppelten Staatsbürgerschaft vorgebracht werden.

 
Einbürgerungsdetails für verschiedene Zuwanderergruppen
 
Bisherige StaatsangehörigkeitAnzahl der Einbürge-
rungen
Anteil an der Gesamt-
einbürgerung
Durchschnitt-
liche Einbürge-
rungsquote1
Eingebürgerte mit doppelter Staats-
angehörigkeit
Durchschnitts-
alter bei Einbürgerung
Durchschnitts-
aufenthalts-
dauer bei Einbürgerung
in %in Jahren
Jahresdurchschnitt 2003-2007Jahresdurchschnitt 2005-2007
Asien31.91426,33,858,829,611,0
EU-Staaten212.3349,70,686,236,218,4
Afrika10.9268,83,959,731,011,0
Türkei39.12431,82,215,626,520,1
Ehemalige Sowjetunion13.35711,12,756,535,89,2
Russische Föderation4.1903,52,366,036,79,6
Ukraine4.0173,33,180,537,59,9
Ehemaliges Jugoslawien12.86811,01,652,828,716,1
Polen5.9545,13,873,235,214,3
Iran5.4134,38,499,736,015,3
Marokko3.7313,05,199,928,515,0
Afghanistan3.6102,96,499,626,211,6
Irak3.3252,94,330,325,48,8
Alle Länder125.544100,01,848,330,515,1
Quelle: Einbürgerungsstatistik, Ausländerregister (AZR), Statistisches Bundesamt
1) Die Einbürgerungsquote spiegelt das Verhältnis von Einbürgerungen und im Ausländerzentralregister (AZR) gemeldeten Ausländern in einem Jahr wider.
2) 2003: EU15; ab 2004 EU25

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dies zeigen auch Freeman (1995:884) und Brubaker (1992:906 ff.).

  2. Schüler mit Migrationshintergrund lagen in den Pisastudien im Durchschnitt weit hinter den ihrerseits nicht herausragenden deutschen Schülern. Überdies sind Ausländer statistisch fast doppelt so stark von Arbeitslosigkeit betroffen (23,6%) wie der Gesamtdurchschnitt erwerbsfähiger Personen (12,0%), Bundesagentur für Arbeit (2007:75). Insbesondere der hohe Anteil muslimischer Migranten wird dabei von Teilen der Bevölkerung als Bedrohung wahrgenommen, so Casanova (2006) und Green (2005:933, 942 f.). Dabei wird die große Anzahl von Unternehmern, Akademikern und tragenden Elementen von Gesellschaft und Wirtschaft mit Migrationshintergrund zumeist gänzlich ignoriert.

  3. Casanova (2006:185). Auch Thränhardt (2008:5, 14) sieht einen Zusammenhang zwischen den Diskussionen der doppelten Staatsbürgerschaft und der "wiederholten Misstrauensattitüde gegenüber nichteuropäischen oder nichtwestlichen Einwanderungsgruppen, insbesondere solchen muslimischen Glaubens."

  4. Zum Einen können bei Verlust der Staatsangehörigkeit das Recht, Grundeigentum zu besitzen, oder das Erbrecht ausgeschlossen sein. Zum Anderen brauchen Migranten in diesem Fall gegebenenfalls Visa, um in ihre alte Heimat zurückzureisen, und Pläne, sich im Alter dort niederzulassen, können bedeutend erschwert werden. Neben pragmatischen Erwägungen sind es jedoch vielfach identitäre Aspekte, die einer Aufgabe der ehemaligen Staatsbürgerschaft entgegenstehen, da in vielen Fällen das Gefühl besteht, hierdurch die eigenen Wurzeln zu verraten. Vgl. Hammar (1985:441); Green (2005:923); Böcker und Thränhardt (2006:124).

  5. Gegner der doppelten Staatsangehörigkeit prophezeien die Auflösung der Nation durch "Masseneinbürgerungen" und die damit einhergehende Umdefinition oder den "Austausch des Staatsvolkes" (Bandulet (1999). Wie Böcker und Thränhardt (2006) zeigen, wurde bereits in den 60er Jahren die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft durch die Debatte über die Verringerung der Zahl türkischer Migranten beendet.

Daniel Naujoks ist Rechts- und Wirtschaftwissenschaftler und promoviert am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Zurzeit ist er Mitarbeiter der Organisation for Diaspora Initiatives, New Delhi.