Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Gedenken als Widerstand | bpb.de

Gedenken als Widerstand Porträt: Parastou Forouhar

Sonja Ernst

/ 5 Minuten zu lesen

Die in Deutschland lebende Künstlerin Parastou Forouhar kämpft gegen einen mächtigen und unnachgiebigen Gegner – das Regime in Iran. Die 47-Jährige will den Mord an ihren Eltern aufklären.

Die Nachricht ereilte Parastou Forouhar am Telefon. Ein BBC-Reporter war am Apparat: Ob sie schon vom gewaltsamen Tod ihrer Eltern erfahren habe?

Nein, sie wusste es noch nicht. Am 21. November 1998 hatten Männer des iranischen Geheimdienstes das Ehepaar Dariush und Parwaneh Forouhar in ihrem Haus in Teheran ermordet. Ihre Tochter Parastou Forouhar war tausende Kilometer weit von ihrem Elternhaus entfernt in Deutschland, wo sie seit Anfang der 1990er Jahre lebte und arbeitete. Am darauf folgenden Tag flog sie nach Iran, um dem Mord an ihren Eltern nachzugehen.

Die iranische Künstlerin Parastou Forouhar. (© Forouhar)

Parastou Forouhar ist heute eine der erfolgreichsten iranischen Künstlerinnen in Deutschland. Ihre Arbeiten umfassen Fotografien, Zeichnungen sowie Kunstinstallationen. Eine dieser Installationen ist eine Dokumentation zur Aufklärung des Mordes an ihren Eltern. Darin zeigt die 47-Jährige Zeitungsartikel und Fotos, ihre Korrespondenz mit Politikern und Behörden. Mit im Raum steht ein Kopierer, sodass die Besucher die Dokumente vervielfältigen und mitnehmen können.

"Zum ersten Mal habe ich diese Ausstellung 1999 hier in Deutschland gezeigt", erzählt die Künstlerin. "Ich wollte mein Bemühen um Aufklärung zeigen." Parastou Forouhar hat braune Augen, ihre dunklen Haare trägt sie kurz. Sie wirkt verhalten, aber freundlich. Schon oft hat sie die Geschichte ihrer Eltern erzählt, schon oft über die Situation in Iran gesprochen. Während der Proteste nach der Präsidentschaftswahl im Juni 2009 in Iran war sie häufige Gesprächspartnerin deutscher Medien: Sie gilt als Kennerin Irans.

Das Ehepaar Dariush und Parwaneh Forouhar. Foto: Forouhar (© Forouhar )

Seit dem Mord ihrer Eltern versucht Parastou Forouhar sich der Wahrheit zu nähern. Ihr wurde bald klar, dass ihre Eltern Opfer des Regimes waren. Beide waren führende oppositionelle Politiker, beide hatten sie Jahrzehnte für die Demokratie gekämpft. Der Vater, Dariush Forouhar, war nach der Revolution Arbeitsminister gewesen, später verbrachte er viele Jahre im Gefängnis. Nun hatte man den 70-Jährigen und seine 60-jährige Ehefrau brutal niedergestochen. Der Leichnam von Dariush Forouhar trug 11 Messerstiche. Die Grausamkeit des Verbrechens wurde rasch publik und löste in Iran eine Schockwelle aus. Die Trauerfeier für das Ehepaar geriet zu einer Demonstration: Tausende Menschen nahmen daran teil, stumm zeigten sie ihre Auflehnung. "Viele Menschen trugen Sonnenbrillen, um möglichst unerkannt zu bleiben. Aber sie alle kamen", erinnert sich die Tochter. "Mit dem Tod meiner Eltern war eine Grenze überschritten."

"Es ging nicht um Aufklärung"

Das Morden ging weiter: Im Dezember 1998 wurden Mohammad Mokhtari und Mohammad Djafar Pouyandeh tot aufgefunden, beide waren kritische Schriftsteller. Als weitere Morde folgten, sprach die Presse angesichts dieser Serie schließlich von Kettenmorden. In Iran hatte es schon zuvor politische Morde gegeben, Dissidenten waren spurlos verschwunden. Doch diesmal wollte die Serie nicht enden. Noch dazu hatten die Iraner im Jahr zuvor Ajatollah Chatami mit großer Mehrheit zu ihrem Präsidenten gewählt: Er stand für Reformen, für mehr Freiheiten und eine Öffnung der Gesellschaft. Jetzt wurde deutlich, dass das konservative Establishment im Land keinen Wandel zulassen wollte.

Die Protestwelle wuchs und im Falle des Ehepaares Forouhar sah sich das Regime offenbar zum Handeln gezwungen. "Es kam zur überraschenden Erklärung des staatlichen Geheimdienstes, Mitarbeiter seien an dem Mord meiner Eltern beteiligt gewesen", sagt Parastou Forouhar. Offizielle Ermittlungen wurden aufgenommen, die Morde sollten in einem Prozess verhandelt werden. Doch die Untersuchung wurde von der Militärstaatsanwaltschaft übernommen. Das bedeutete den Ausschluss der Öffentlichkeit vom Prozess. Die Ermittlungen dauerten zwei Jahre. In dieser Zeit reiste Parastou Forouhar mehrmals nach Iran. Immer wieder besuchte sie die für die Ermittlungen zuständigen Behörden und bat um Informationen - ergebnislos.

Im Herbst 2000 erhielten die Familie Forouhar und ihre Anwälte Akteneinsicht. "Es waren 13 Ordner, über 1.000 Seiten", erzählt die Künstlerin. "Wir hatten zehn Tage Zeit. Immer morgens ab halb acht bis zum Mittagsgebet um halb eins. Danach verschwanden die Akten wieder in einem großen Safe." Beim Lesen der Akten kam der Verdacht auf, dass am Ende ein Schauprozess geplant war. "Die Akten waren eine Mischung aus Vertuschung und Halbwahrheiten", so Parastou Forouhar. "In den Vernehmungsprotokollen fehlten Seiten. Hauptschuldige, die zwischenzeitlich genannt worden waren, tauchten nun nicht mehr auf. Es ging nicht um Aufklärung."

Gedenken als Widerstand

Als Ergebnis der Ermittlungen präsentierte der Staatsanwalt 18 Angeklagte. Im Prozess wurden drei Todesstrafen verhängt. Nach islamischem Recht, das in Iran gilt, entscheiden die nächsten Familienangehörigen der Opfer über die Vollstreckung der Todesstrafe. Das Urteil kann in Haft umgewandelt werden, und es wird ein Blutgeld verhängt, das die Familie des Täters an die Familie des Opfers zu zahlen hat. "Meine Eltern hatten immer gegen die Todesstrafe gekämpft. Wie konnten wir da die Todesstrafe annehmen?", so Parastou Forouhar. Die Familie lehnte die Vollstreckung der Todesstrafe ab, ebenso das Blutgeld. Der Staat hatte ermittelt, doch in den Augen der Familie Forouhar waren die Angeklagten Bauernopfer und die Auftraggeber blieben straflos.

In den Jahren nach der Ermordung kehrte die Künstlerin immer auch zum Todestag ihrer Eltern nach Teheran zurück. In den ersten Jahren hielt die Familie eine öffentliche Gedenkfeier ab, an der stets Tausende von Menschen teilnahmen. Es wurden Reden gehalten; die Aufklärung der Morde wurde genauso gefordert wie mehr Demokratie. Doch im November 2003 wurde der Familie Forouhar verboten, die Gedenkfeier an einem öffentlichen Ort abzuhalten. Später wurde ihr auch die private Gedenkfeier untersagt. Heute verwandelt sich an jedem 21. November die Gasse vor dem Elternhaus in eine Sicherheitszone: Polizisten sperren die Straße ab, sie kontrollieren die Passanten und lassen niemanden zum Haus der Forouhars durch. Drinnen treffen sich die engsten Verwandten: Parastou und ihr Bruder, Schwestern, Bruder und Mutter der Ermordeten.

Das Haus der Forouhars hat seine politische Symbolkraft bislang behalten. Doch über die Jahre verblasst die Erinnerung, der Ruf nach Aufklärung verhallt. Es kommen weniger Menschen zusammen, um zumindest an der Straßensperre kurz zu verweilen. "Irgendwann setzt sich das Verbot auch in den Köpfen der Menschen fest", sagt Parastou Forouhar. Denkverbote bedeuten, dass Erinnerungen verloren gehen. Dass Wahrheiten verblassen. Doch Parastou Forouhar arbeitet dagegen. Sie erinnert an den Mord ihrer Eltern, auch wenn sie sich in der Rolle der stetig Mahnenden nicht immer gefällt. Doch sie hat keine andere Wahl.

Fussnoten