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Mögliche Folgen des Brexit für die City of London | Der Brexit und die britische Sonderrolle in der EU | bpb.de

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Mögliche Folgen des Brexit für die City of London

Christian Odendahl

/ 7 Minuten zu lesen

Die City of London ist zentral für Großbritannien und die internationale Finanzwirtschaft. Wie wird der Brexit die Stellung Londons beeinflussen? Christian Odendahl über Gewinner und Verlierer des Brexit.

City of London

(Externer Link: flickr/Bo&Ko) Lizenz: cc by-sa/2.0/de

Einer der größten Wirtschaftszweige Großbritanniens ist der Finanzsektor, der oft schlicht "die City" genannt wird – nach dem traditionellen Standort der britischen Banken, dem Altstadtbezirk von London. 2014 trugen Versicherungs- und Finanzdienstleistungen acht Prozent zur britischen Wertschöpfung bei (wovon rund die Hälfte auf London entfiel), aus dem Finanzsektor kamen schätzungsweise 11,5 Prozent aller Staatseinnahmen. Auch für Europa ist London der wichtigste Finanzstandort, zum Beispiel werden ca. 80 Prozent aller europäischen Interner Link: Hedge-Fonds-Vermögen von hier verwaltet. London ist sogar im globalen Maßstab führend, 41 Prozent aller weltweiten Währungstransaktionen werden nach Schätzung des Interessensverbandes TheCityUK in London getätigt.

Die Gründe für diese herausragende Bedeutung sind vielfältig. Die geografische Lage und Zeitzone zwischen Asien und Amerika helfen, da man aus London heraus beide Märkte bespielen kann. London war zudem lange Zeit Zentrum des britischen Interner Link: Empires und Heimatstadt der damaligen Leitwährung, des britischen Pfunds, bevor es vom Dollar abgelöst wurde. Hinzu kamen die politische Stabilität, die lange Tradition des britischen Rechtssystems und die relativ freundliche Regulierung, verglichen mit dem Rest Europas. Dass Großbritannien von englischsprachigen Menschen bevölkert ist, war ebenfalls hilfreich.

Die Interner Link: Europäische Union (EU) und paradoxerweise auch der Euro (den Großbritannien ja bekanntlich nicht eingeführt hat) haben London als Finanzzentrum ebenfalls gestärkt. Die EU ermöglicht den Interner Link: freien Verkehr von Kapital über Grenzen sowie freien Handel von Gütern und vermehrt auch von Dienstleistungen. Letztere sind jedoch oft streng reguliert: Wer Arzt, Anwalt oder Bank sein darf, unterliegt strengen Vorgaben. Die EU hat es über die Jahre immer leichter für Banken gemacht, über Landesgrenzen hinweg zu operieren: EU-Länder erkennen zum Beispiel die Banklizenzen anderer Länder an – Banken bekommen einen sogenannten "EU-Pass".

Auch der Euro hat es den Londoner Finanzdienstleistern leichter gemacht, zu wachsen. Plötzlich gab es nicht mehr 19 verschiedene Währungen, in denen vielleicht die lokalen Banken spezialisiert waren, sondern eine Währung für den Großteil Europas. Dadurch konnte der Finanzplatz London weiter wachsen und wurde zum Zentrum des Handels von Finanzprodukten in Euro, insbesondere zwischen den Banken.

Wie würde der Brexit die Stellung Londons beeinflussen? Die Antwort hängt sehr stark davon ab, was nach einem Brexit kommen würde. Denn es ist zurzeit keineswegs klar, wie das Interner Link: Arrangement zwischen Großbritannien und der EU aussähe. Von den möglichen Szenarien können wir zwei exemplarisch herausgreifen, um die möglichen Folgen zu erkennen.

Die erste wäre die norwegische Option, in der Großbritannien aus der EU austräte, aber Mitglied des Interner Link: Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) bliebe. Das hieße, für die meisten Firmen würde sich wenig ändern, sie hätten weiter vollen Zugang zum EU-Markt. Für Banken gilt dies prinzipiell auch, allerdings müssen die EWR-Staaten dafür EU-Regulierungen umsetzen, woran es seit der Finanzkrise hapert. Zum Beispiel fällt es den EWR-Staaten schwer, die neu geschaffenen EU-weiten Finanzregulierungsbehörden zu akzeptieren – was mit Großbritannien im EWR nicht einfacher würde. Und hier liegt auch das Hauptproblem dieses Norwegen-Szenarios. Großbritannien hätte keinen Einfluss mehr auf die zukünftige EU-Politik, inklusive des Bankensektors – Norwegen bekommt EU-Entscheidungen per Fax. Zudem müsste Großbritannien, wie Norwegen, weiter den EU-Haushalt mitfinanzieren und die Interner Link: Freizügigkeit von Arbeitnehmern akzeptieren, zwei Dinge, die Austrittsbefürworter strikt ablehnen. Politisch wäre die Norwegen-Option ein unhaltbarer Zustand für Großbritannien.

Die zweite Option wäre eine Art Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU, ähnlich wie das kürzlich zwischen der EU und Kanada abgeschlossene. Das Problem wäre, dass Finanzdienstleistungen bei solchen Arrangements meist ausgeschlossen sind, da sie starke regulatorische Harmonisierung erfordern. Zudem wird die EU sehr daran interessiert sein, zumindest teilweise die Finanzierung der EU und die Freizügigkeit von Arbeitnehmern mit dem freien Zugang zum EU-Finanzmarkt zu verknüpfen, was für die Briten nur schwer zu akzeptieren sein wird.

Selbst die Schweiz, die viele sektorale Abkommen mit der EU abgeschlossen hat, die die EU mitfinanzieren muss und EU-Immigration akzeptiert, hat keinen vollen Zugang zum EU-Markt im Finanzsektor. Schweizer Banken müssen daher einige regulatorische Hürden überwinden, bevor sie im EU-Markt tätig werden dürfen. Konsequenterweise bedienen die meisten Schweizer Banken den europäischen Markt durch ihre Niederlassungen in London.

Nach einem britischen EU-Austritt wäre also der Zugang zum europäischen Finanzmarkt erschwert. Inwiefern das die City beeinflussen würde, hinge davon ab, ob der erschwerte Zugang die Vorteile der City als Finanzstandort soweit aufwiegt, dass Banken und andere Finanzdienstleister ihr Europageschäft anderswo aufbauen – in Amsterdam, Dublin, Frankfurt oder Paris.

Für die Geschäfte unter Banken wird London schon auf Grund seiner Größe und internationalen Vernetzung bedeutend bleiben. Die Bereiche, die europäische Kunden bedienen, werden aber zumindest einen Teil ihres Geschäfts in ein EU-Land verlegen wollen, um nicht den komplizierteren Weg über EU-Außengrenzen gehen zu müssen. Das gilt insbesondere für Banken aus dem nicht-europäischen Ausland: Sie müssten, würden sie von London aus europäische Kunden bedienen, einen Dschungel aus drei verschiedenen Regulierungen und Behörden navigieren – die ihres Heimatlandes, die britischen und die europäischen. Einige US-Banken wie JP Morgan und die Citibank haben kürzlich intern ihren Mitarbeitern verkündet, dass Teile des Geschäfts in die EU verlegt werden müssten.

Ein Sonderfall sind die sogenannten Clearinghäuser. Sie sind Zentralstellen für Wertpapiergeschäfte und ermöglichen nicht nur geringe Kosten, sondern auch weniger Risiko und mehr Anonymität für Käufer und Verkäufer. Sie nehmen eine zentrale Rolle im Finanzmarkt ein, ihre Position wurde sogar durch die Verschärfung der Regulierung nach der Interner Link: Krise noch gestärkt. In Krisenzeiten sind Clearinghäuser aber potenziell anfällig und könnten dadurch das Finanzsystem ins Wanken bringen. In London sind die bedeutendsten Clearinghäuser für den Eurohandel ansässig. Die Interner Link: Europäische Zentralbank (EZB) hat ein legitimes Interesse, die Regulierung und Überwachung dieser Clearinghäuser zu übernehmen. Ihr Versuch, diesen Clearinghäusern die Übersiedlung in den Euroraum vorzuschreiben, scheiterte aber am Interner Link: Europäischen Gerichtshof aufgrund einer Klage der Briten. Nach einem Brexit stünde der Eurozone dieser Weg allerdings wieder offen, so dass dieser Teil der Londoner Finanzinfrastruktur vermutlich abwandern würde.

Eines der großen Probleme für die britische Wirtschaft wird die Übergangsperiode sein. Nicht nur werden die Europäer, schon aus Selbstschutz, hart verhandeln – was lange dauern kann. Die Zeit der Unsicherheit wird Investitionen behindern, auch im Banken- und Finanzsektor. Ob Banken auf den Ausgang der Verhandlungen warten oder sich bereits vorher mit einer Umorganisation absichern, bleibt abzuwarten.

Gäbe es auch Profiteure des Brexit im kontinentaleuropäischen Finanzsektor? Frankfurt wäre gemäß einer Externer Link: Umfrage unter 55 Experten aus Wirtschaft und Politik (der Autor war selbst einer der Befragten) der Hauptprofiteur. Die Stadt bietet sich an, da mit der EZB die Zentralbank und der Bankaufseher des Euroraumes bereits hier beheimatet ist. Allerdings sprechen das nur wenige in Hessen oder Frankfurt laut aus, denn die allermeisten hoffen auf einen EU-Verblieb der Briten: Der politische und wirtschaftliche Schaden eines Brexit für die EU wäre groß und das erfahrenste Land im Bereich der Finanzregulierung und internationalen Finanzmärkte würde sich damit außerhalb der EU befinden – potenziell zum Nachteil der europäischen Finanzindustrie. Doch auch Paris und das bei internationalen Unternehmen sehr erfolgreiche Dublin könnten sich berechtigte Hoffnungen machen, genau wie Amsterdam, als Finanzstandort zu profitieren.

Brexit-Befürworter argumentieren dagegen, dass der Finanzplatz London auch einer der Gewinner sein könnte: Frei von EU-Regulierung könnte sich die City noch besser der Welt öffnen. Das ist allerdings wenig wahrscheinlich. Zum einen wird sehr viel Regulierung des Finanzmarktes international vereinbart (also z.B. in "Basel", wie der Interner Link: Basler Ausschuss für Bankenaufsicht gerne verkürzt wird). Davon würde sich Großbritannien auch nicht im Falle eines Brexit freimachen können. Zum anderen wird sich die britische Regulierung notgedrungen an EU-Regularien orientieren müssen, um zumindest anteilig am europäischen Markt teilnehmen zu können. Zu guter Letzt ist die britische Regulierung seit der Krise keineswegs weniger streng, sondern eher strenger als die der Eurozone, wie Banken in London gerne beklagen. Ein Beispiel ist, wie viel von ihrem eigenen Geld Banken in Investionen einbringen müssen (d.h. mit wie viel Eigenkapital sie finanziert sein müssen); hier fordert Großbritannien mehr als die meisten EU-Länder.

Die Geschichte gibt wenige Anhaltspunkte dafür, was nach einem Austritt Großbritanniens aus der EU passieren würde. Auch die Folgen für den Finanzsektor sind schwer vorherzusagen. Doch der Zugang der Londoner Banken zum gemeinsamen EU-Markt dürfte erschwert werden. Eine seichtere Regulierung für die City wäre ebenfalls nach einem Brexit kaum zu erwarten. Der Finanzplatz London wäre einer der Verlierer des Brexit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. 'Financial Services: contribution to the UK economy', Library of the House of Commons, 26 Februar 2015.

  2. TheCityUK, 'UK and the EU: A mutually beneficial relationship', Juni 2013.

  3. TheCityUK, 'A practitioner's guide to Brexit', März 2016.

  4. Siehe zum Beispiel 'Citigroup warns staff of Brexit jobs risk', Guardian, Jill Treanor, Mittwoch 8 June 2016.

  5. Siehe zum Beispiel British Bankers' Association, 'UK banking regulation – level playing field issues', Report prepared by Freshfield Bruckhaus Deringer, January 2011

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Christian Odendahl für bpb.de

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Dr. Christian Odendahl ist Chefökonom des Centre for European Reform, einer u.a. von großen deutschen, britischen und amerikanischen Unternehmen finanzierten Denkfabrik mit Schwerpunkt auf europäischen und transatlantischen Themen und Sitz in London.