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Föderalismus in Russland | Russland | bpb.de

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Föderalismus in Russland

Andreas Heinemann-Grüder

/ 9 Minuten zu lesen

Neben den ethnischen Russen gehören über 185 ethnische Gruppen zur "Russländischen Föderation". Unter Präsident Putin schwinden die regionalen Kompetenzen, die Diskrepanzen zwischen den Regionen nehmen währenddessen dramatisch zu.

Im Föderationsrat, der zweiten Kammer des Parlaments, sind die Regionen mit je zwei Mitgliedern vertreten - je einem Vertreter der Exekutive und Legislative. (© picture-alliance/dpa)

Russland ist ein Nachfolgestaat der Sowjetunion mit 146,8 Millionen Einwohnern (Stand 1.1.2017 unter Einbezug der Krim). Die Föderation besteht aus 85 Gebietseinheiten ("Föderationssubjekte"), einschließlich der Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol, deren Annexion international nicht anerkannt ist. Die Föderation ist zahlenmäßig die größte der Welt, sie besteht aus 22 Republiken, 9 Regionen (Kraja), 46 Gebieten (Oblasti), drei föderalen Städten (Moskau, Sankt Petersburg und Sewastopol), vier autonomen Kreisen und dem autonomen Jüdischen Gebiet Birobidschan. Von diesen 85 Föderationssubjekten zeichnen sich 27 durch Autonomierechte nicht-russischer Nationalitäten aus. Seit dem Jahr 2000 gibt es sieben föderale Bezirke, in denen jeweils mehrere Subjekte zusammengefasst sind. Im Jahr 2010 wurde zusätzlich der föderale Bezirk Nordkaukasus gebildet. Die Republik Krim und Sewastopol bilden seit der Annexion 2014 einen eigenen föderalen Bezirk.

Föderationsrat

Im Föderationsrat, der zweiten Kammer des Parlaments, sind die Regionen mit je zwei Mitgliedern vertreten - je einem Vertreter der Exekutive und der Legislative. Die Amtszeit im Föderationsrat entspricht jeweils der Legislaturperiode der regionalen Exekutive bzw. Legislative. Der Föderationsrat wirkt bei der Gesetzgebung mit. Zu seinen Zuständigkeiten gehören die Grenzziehung zwischen den Regionen, die Bestätigung eines Dekrets über den Kriegs- bzw. den Ausnahmezustand, Auslandseinsätze der Streitkräfte, die Amtsenthebung des Präsidenten, die Ernennung von Richtern des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichts und des Obersten Arbitragegerichts und die Ernennung bzw. Entlassung des Generalstaatsanwalts. Im Föderationsrat müssen Gesetze zum Bundeshaushalt, den Bundessteuern und -abgaben, zu Finanz-, Währungs-, Kredit- und Zollangelegenheiten sowie der Geldemission, die Ratifizierung und Kündigung völkerrechtlicher Verträge, Fragen der Staatsgrenze und von Krieg und Frieden behandelt werden. Durch die Duma beschlossene Gesetze können vom Föderationsrat entweder zur Unterschrift an den Präsidenten weitergeleitet oder an die Duma zurückverwiesen werden, diese kann, wenn ein Vermittlungsausschuss scheitert, den Föderationsrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit überstimmen.

Merkmale der Eigenständigkeit

Administrative Gliederung (2011).
Klicken Sie Interner Link: hier um die PDF zu öffnen. (© www.kartographie-kaemmer.de)

Laut Verfassung sind die Subjekte der Föderation gleichberechtigt in ihren Beziehungen gegenüber der Zentralregierung. Staatssprache ist Russisch, die Republiken können zusätzlich eigene Staatssprachen bestimmen. Änderungen im Status von Gebietseinheiten - z. B. Gebietsfusionen, die Auflösung bestehender oder die Bildung neuer Subjekte - werden durch ein Bundesgesetz geregelt, das ein Referendum über Gebietsänderungen vorsieht. Die Verfassung gibt den Föderationssubjekten keine Möglichkeit, aus der Föderation auszutreten. Formal gibt es in Russland jedoch ein Selbstbestimmungsrecht der Völker bzw. Nationalitäten, einen eigenen Staatscharakter der Republiken und damit Statushierarchien unter den ethnisch definierten Gebieten.

Historische Voraussetzungen

Der Föderalismus wurzelt in der Multiethnizität des Zarenreiches. Der russische Nationalismus war zwar dominant, besonders seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, konnte die nicht-russischen Völker jedoch weder verdrängen noch zwangsassimilieren. Einige der nicht-russischen Völker gehören seit 600-800 Jahren zu Russland, andere, z. B. die nordkaukasischen Völker, erst seit etwa 150 Jahren. Nicht-russische Völker wie jene im Kaukasus oder in Sibirien kamen im Zuge der Expansion des Zarenreiches unter russische Herrschaft, andere Völker wie etwa die Armenier, Ukrainer oder Balten gehören zu Diasporagruppen mit einem externen "Mutterland". Zu den nicht-russischen Völkern gehören auch Interner Link: Russlanddeutsche, die sich vor allem nach dem "Einladungsmanifest" (1763) von Zarin Katharina II. an der Wolga, in Wolhynien, auf der Krim, im Kaukasus, am Schwarzmeer und in Sibirien angesiedelt hatten. Die Nachfahren dieser Siedler wanderten mehrheitlich als sogenannte russlanddeutsche (Spät-)Aussiedler ab Mitte der 1980er Jahre in die Bundesrepublik aus. Das Versprechen von Föderalismus an nicht-russische Völker war ursprünglich eine entscheidende Quelle des Sieges der Bolschewiki im Bürgerkrieg gegen die "Weißen" nach der Oktoberrevolution von 1917.

Föderalismus in Russland

Die Vielfalt der Gruppen wurde in den 1920er- bis 1950er-Jahren in eine De jure-Hierarchie ethnischer Gebietseinheiten übersetzt. Trotzdem war es unmöglich, eine auch nur annähernde Übereinstimmung zwischen Gruppenmerkmalen und dem politisch-administrativen Status zu erreichen. Für die Anerkennung als Volk, Nationalität oder nationale Minderheit und die Gewährung bestimmter Rechte erfüllten ethnische Gruppen mitnichten einheitliche "harte" Kriterien (Heinemann-Grüder 2000).

Völker in Osteuropa und Nordasien, Klicken Sie Interner Link: hier um die PDF zu öffnen. (© www.kartographie-kaemmer.de)

Russland ist mit offiziell 185 verschiedenen ethnischen Gruppen ein Vielvölkerstaat. Die Zunahme ethnischer Gruppen im Zeitverlauf ist dem Umstand geschuldet, dass einige Gruppen nicht mehr als Untergruppen anderer beim Zensus erfasst werden. Außer der nominell größten Gruppe der ethnischen Russen (111 Mio. = 80.9 Prozent der Bevölkerung, Zahlen des Zensus von 2010), zählen vier weitere Gruppen jeweils mehr als eine Million Menschen: die Tataren (5,3 Mio. = 3,9 Prozent), Ukrainer (2,9 Mio. = 2 Prozent), Baschkiren (1,7 Mio. = 1,2 Prozent), Tschuwaschen (1,6 Mio. = 1,1 Prozent), Tschetschenen (1,4 Mio. = 0,9 Prozent) und Armenier (1,1 Mio. = 0,8 Prozent). Zu den kleinen Völkern gehören die indigenen Völker des hohen Nordens, Sibiriens und des Fernen Ostens. Insgesamt gibt es 1.350 Zeitungen bzw. Zeitschriften, 300 Fernsehsender und 250 Radiosender, die in über 50 Minderheitensprachen publizieren. 6.260 Schulen bieten gegenwärtig Unterricht in insgesamt 38 Minderheitensprachen an. Die Beherrschung der indigenen "Muttersprache" nimmt unter den nicht-russischen Gruppen jedoch insgesamt ab.

Die meisten Republiken und autonomen Kreise sind stark "russifiziert". Republiken, in denen die Titularethnie oder mehrere Titularethnien die Mehrheit stellen, sind Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien, Tuwa, Tschuwaschien, Kabardino-Balkarien, Nordossetien-Alanien, Tatarstan und Karatschai-Tscherkessien. In einigen ethnischen Gebieten ist der Anteil der nicht-russischen Völker sehr gering, zum Beispiel in Karelien mit nur 7,1 Prozent Kareliern (Zensus 2010).

Stellung und Kompetenzen der Regionen

In Russland gilt ein einheitliches staatliches Machtsystem, in das die Regionen einbezogen sind. Die Verfassung zählt die Zuständigkeiten der Zentralmacht auf. Die Autonomie der Regionen leidet generell unter der mangelnden Trennung zwischen föderalen und regionalen Zuständigkeiten bzw. der faktischen Wahrnehmung der "gemeinsamen Zuständigkeiten" durch den Zentralstaat. Die Steuerautonomie der Regionen ist minimal. Die föderale Ebene hat ca. 700 Zuständigkeitsbereiche, während nach den Reformen unter Präsident Putin (2000-2008) nur rund 50 Kompetenzbereiche bei den Regionen verblieben sind. Im Jahre 2004 wurde die Wählbarkeit der Gouverneure in den Regionen abgeschafft. Die Gouverneure wurden bis zur Wiedereinführung ihrer Wählbarkeit zwischen 2004-2012 vom Präsidenten ernannt.

Obschon formal gleichgestellt, sind die Republiken berechtigt, eine eigene Verfassung zu erlassen, sie können zudem internationale Verträge unterzeichnen, solange sich diese an die russische Verfassung halten. Besonderheiten der Republiken bestehen zudem in der traditionellen Namensgebung, der Anzahl der Abgeordneten in Regionalparlamenten und spezifischen Gesetzgebungskompetenzen. In den Republiken existieren normalerweise eine zusätzliche oder mehrere Staatssprachen. Unter anderem bedeutet dies, dass alle Rechtsakte in diesen Sprachen veröffentlicht werden müssen. Die Verwendung dieser Sprachen wird im Unterricht, in den Massenmedien und in der Kulturpolitik gefördert. Die Regierungen und Parlamente der Republiken betrachten dies als Voraussetzung, um den Erhalt von Volksgruppen zu gewährleisten.

Innerhalb der ethnischen Regionen werden die Titularethnien meist privilegiert, und zwar durch Bevorzugung bei der Elitenauswahl und in öffentlichen Verwaltungen, durch Quotenregelungen und den Wahlkreiszuschnitt. Die sprachlich-kulturellen Rechte variieren in den ethnischen Gebieten - vor allem in Abhängigkeit von der Stärke der Titularethnie und deren Nationalbewegung in den 1990er-Jahren. Unter den Republiken finden sich sowohl entwickelte (v. a. Tatarstan, Komi und Jakutien), durchschnittlich entwickelte (z. B. Karelien, Udmurtien, Burjatien) und wenig entwickelte (besonders im Nordkaukasus und südlichen Sibirien). Von 1994 an unterzeichnete die russische Regierung mit zahlreichen Regionen bilaterale Verträge über die Wahrnehmung von Kompetenzen. Einige mächtige ethnische Republiken wie Tatarstan wurden durch bilaterale Verträge privilegiert. Die meisten dieser bilateralen Verträge wurden ab 1998 nicht mehr erneuert, schon unter Präsident Jelzin wurde somit die Abkehr vom "Vertragsföderalismus" und flexiblen (asymmetrischen) Regelungen eingeleitet. Eine pauschale Bevorzugung aufgrund des Status als Republik ist nicht feststellbar. Republiken profitieren jedoch dann von föderaler Umverteilung, wenn sie zu den am wenigsten entwickelten gehören.

Zentralisierung seit der Jahrtausendwende

Mit Putins Reformen wurde die staatliche Macht ab dem Jahr 2000 wieder stärker zentralisiert. Die Reformen bezogen sich auf die Durchsetzung föderalen Rechts, vor allem durch die Annullierung regionaler Rechtsakte und die Rechts- und Fachaufsicht gegenüber den Gouverneuren und Regionalparlamenten. Die Aufgaben der Präsidentenvertreter in den föderalen Bezirken umfassen die Durchsetzung der Regierungspolitik, darunter der Personalpolitik des Präsidenten, die Koordination der föderalen Organe in den Regionen, die Mitwirkung an den regionalen Machtorganen, die Durchsetzung von Präsidentendekreten und disziplinarische Rügen. Putin reformierte zudem den Föderationsrat (Oberhaus des russischen Parlaments). Anstelle der zuvor direkt gewählten Gouverneure und Republikpräsidenten werden die "Senatoren" nun von den Regionalparlamenten gewählt, wobei jeweils ein Vertreter aus der Legislative und der Exekutive stammt.

Seit der Jahrtausendwende haben Fremdenfeindlichkeit und Islamphobie in Russland zugenommen. Das Verhalten der Republikführer ist defensiv und unterwürfig: Gründe dafür sind der Abschreckungseffekt der militärischen Rückeroberung Tschetscheniens und der Generalverdacht, unter den muslimische Republiken sich seit dem 11. September 2001 gestellt sehen. An die Stelle des ethnischen Nationalismus der 1990er-Jahre ist insbesondere im Nordkaukasus islamistischer Terrorismus einer jüngeren Generation getreten.

Infolge der Reformen unter Putin haben sich die Zugangschancen der Regionen gegenüber der Regierung in Moskau vermindert. Die Entscheidungshoheit der Zentralregierung, die sogenannte Vertikale der Macht, hat den Wettbewerbsföderalismus unter Präsident Jelzin abgelöst. Die Intransparenz der Entscheidungsfindung und die Länge des Entscheidungsprozesses haben zugenommen.

Regionale Diskrepanzen

Während ethnische und Statusunterschiede zwischen den Regionen gegenüber den 1990er Jahren an Bedeutung einbüßten, haben die sozio-ökonomischen Diskrepanzen enorm zugenommen. In Russland koexistieren Regionen mit einem Niveau der afrikanischen Sub-Sahara-Region mit solchen, die mit westeuropäischen Standards vergleichbar sind. Die Unterschiede im durchschnittlichen Monatseinkommen differieren zwischen den Regionen mit einem Faktor von bis zu 5,3: Im reichen Moskau verdient man im Schnitt mehr als fünf Mal so viel wie in der armen Republik Kalmückien. Die Arbeitslosigkeit ist in zahlreichen ethnischen Regionen überdurchschnittlich hoch. Zu den ärmsten Regionen gehören die Republiken im Nordkaukasus sowie die Republiken Kalmückien und Tuwa, die Regionen Altai und Stawropol sowie die Gebiete Brjansk, Kirow und Pskow. Hohe Einkommenszuwächse sind in den Gebieten Tjumen, Sachalin und im Leningrader Gebiet, in den Städten Moskau und St. Peterburg sowie den Republiken Komi, Tatarstan und Tschukotka zu verzeichnen. Am geringsten entwickelt sind aber im Schnitt ethnische Republiken und die südsibirische Peripherie, der Ferne Osten Russlands und der Nordkaukasus. Die Regionen Russlands lassen sich einteilen in:

  1. ressourcenreiche Gebiete mit einem extraktiven Profil (nördliche Regionen und Ferner Osten);

  2. urbane Industriegebiete, die Schwer- und Leichtindustrie kombinieren (Zentralrussland sowie Teile des Urals und Sibiriens)

  3. exportorientierte Regionen und Finanzzentren (Moskau und St. Petersburg) sowie Grenzregionen mit Hochseehäfen (Norden und Ferner Osten);

  4. landwirtschaftliche Regionen, die für den heimischen Markt produzieren (Schwarzerde-Zone und Wolgagebiet) sowie

  5. unterentwickelte ethnische Regionen.

Die Moskauer Professorin Natalja Subarewitsch spricht von einer Koexistenz von vier Russlands. Es gibt demnach

  1. reform- und wachstumsorientierte große Städte mit einer liberalen Mittelklasse und einer post-materialistischen Protestkultur;

  2. mittlere Städte mit krisenanfälligen Monoindustrien, geringen Industrieeinkommen und sozialen Protesten;

  3. kleine Städte und ländliche Gebiete im Süden, im Nordkaukasus und in der nördlichen Peripherie, die durch Subsistenzwirtschaft, schlechte Infrastruktur und Inseln des Ressourcenabbaus gekennzeichnet sind; und

  4. ethnische Republiken im Nordkaukasus, die sich durch Gewaltkonflikte, radikalen Islam, Klanstrukturen und umfangreiche föderale Transferleistungen auszeichnen.

Zwar hat das Zentrum seit der Jahrtausendwende rückständige ethnische Regionen massiv subventioniert, doch sind die Entwicklungseffekte gering. Die Ursachen für die Zunahme regionaler Diskrepanzen sind politischer Natur. Die Umverteilung ist in hohem Maße intransparent. In die Modernisierung der Infrastruktur wurde mit Ausnahme der olympischen Spiele in Sotschi, der Nord Stream-Pipeline und der Eisenbahnverbindung zwischen Moskau und St. Petersburg wenig investiert. Darüber hinaus gehen seit 2013 die Investitionen in Bauvorhaben, Finanzdienstleistungen, Transport und Kommunikation dramatisch zurück. Die Einnahmen der Regionalhaushalte schrumpfen; zudem nimmt der Umfang der föderalen Transfers seit 2009 ab. Autokratisches Regieren in den Regionen blockiert wiederum den ökonomischen Wettbewerb.

Ziele der Regionalpolitik

Als Ziele der Regionalpolitik werden die Verbesserung der kommunalen Wohnungsversorgung, die Befriedung der ethnischen Konflikte, die Transparenz des Finanzausgleichs, eine Ausweitung der regionalen Einnahmequellen und die Erschließung und Entwicklung der Infrastruktur, der Märkte und des Tourismus im hohen Norden sowie im Fernen Osten erklärt. Als strategische Regionen gelten der Ferne Osten und die arktische Region. Die Zentralregierung erkennt, dass für die Regionalentwicklung Steueranreize geschaffen werden und die Kompetenzen zwischen Zentrum und Regionen abgegrenzt werden müssen. Die Konzentration exekutiver Macht im Zentrum verhindert jedoch die Innovation und die Mobilisierung von Wachstumskräften. Modernisierungsblockaden entstehen infolge exzessiver Kontrolle, durch mangelnde Kompetenzabgrenzung und aufgrund von Steuerzentralismus und Subventionsabhängigkeit.

Literatur:

  • Andreas Heinemann-Grüder: Der heterogene Staat. Föderalismus und regionale Vielfalt in Russland, Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 2000.

  • Grigorij V. Golosov. The Roots of Electoral Authoritarianism in Russia, in: Europe-Asia Studies 63/4, 2011, S. 623-639.

  • Nikolaj Petrov, Föderales Pendel. Zentrum und Regionen in Russland, in: Osteuropa 6-8/2012, S. 251-262.

  • Natal'ja Zubarevic, Russlands Parallelwelten. Dynamische Zentren, stagnierende Peripherie, in: Osteuropa 6-8/2012, S. 263-278.

PD Dr. Andreas Heinemann-Grüder ist Leiter der Akademie für Konflikttransformation im ForumZFD und Privatdozent an der Universität Bonn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Friedens- und Konfliktforschung, politisches System Russlands, vergleichender Föderalismus, politische Regime in Zentralasien.