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Analyse: Konsumverhalten der russischen Bevölkerung angesichts der Folgen des Lebensmittelembargos und der Importsubstitution | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Konsumverhalten der russischen Bevölkerung angesichts der Folgen des Lebensmittelembargos und der Importsubstitution

Vera Belaya Maryna Hahlbrock

/ 11 Minuten zu lesen

Das Konsumverhalten der Russen im Bereich von Lebensmitteln hat in letzter Zeit einen Wandel durchlaufen. Worin dieser besteht, wo seine Gründe liegen könnten und ob sich Zusammenhänge zu dem verhängten Lebensmittelembargo oder Importsubstitutionen feststellen lassen, untersucht dieser Artikel.

Obst wird von der russischen Bevölkerung oft als Luxus-Lebensmittel empfunden und deshalb nicht täglich konsumiert. Griffen die Russen 2015 doch zum Obst, entschieden sie sich für die günstigere Variante. (© picture-alliance/dpa)

Der russische Markt für Lebensmittel wird momentan von mehreren Faktoren beeinflusst: Lebensmittelembargo, Wertverlust des Rubel sowie die davon beeinflusste sinkende Kaufkraft der Bevölkerung. Ein sichtbarer Trend ist der Wandel im Konsumverhalten in Richtung günstigerer Produkte in allen Produktbereichen sowie der Eigenherstellung von Lebensmitteln (Backen und Kochen) und somit eine steigende Nachfrage nach typischen Backzutaten und Lebensmitteln der niedrigsten Verarbeitungsstufe.

Einleitung

Die Inflation bei Lebensmittelpreisen ist in Russland in den letzten zwei Jahren auf 28,7 % angestiegen. Gleichzeitig erfolgte ein drastischer Wertverlust des Rubel, der laut der Einschätzung von Experten zu etwa 20 % für die Preissteigerung verantwortlich ist. Die einheimische Lebensmittelproduktion hat den Trend der Importsubstitution aufgegriffen, doch laut Experten reicht die Steigerung der einheimischen Produktion nicht aus, um die Nachfrage nach Lebensmitteln vollständig zu bedienen. Die Preise bleiben hoch, die Kaufkraft der Bevölkerung – bedingt durch die Abwertung der nationalen Währung – ist gesunken. Man rechnet mit einem Zeitraum von einigen Jahren, bis sich die Situation wieder auf dem Vor-Krisen-Niveau stabilisiert haben wird. Viele russische Verbraucher mussten Ihre Konsumpräferenzen stark anpassen und für viele bedeutet es ein strenges Sparprogramm und eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten.

Fleischkonsum

Laut der russischen Statistikbehörde "Rosstat" ist 2015 der pro Kopf Fleischkonsum von 69 kg auf 67 kg zurückgegangen (–3 %). Auch nach Angaben der "Fleischunion" ("Mjasnoj Sojus") ist der russische Fleischkonsum im Vorjahr um 3 % zurückgegangen. Laut der Forschungsholding "Romir" haben die russischen Verbraucher den Konsum von Fleisch 2015 insgesamt um 2,5 % reduziert. Grund dafür sei die Verteuerung der Produkte um 15 % im Jahr 2015. Diese Tendenz hielt in den letzten zwei Jahren (2014 – 2015) an und ist vor allem auf die sinkende Kaufkraft der Bevölkerung zurückzuführen.

Die Importe in allen Fleischkategorien machten 2015 ca. 1,2 Millionen Tonnen aus, was gegenüber 2014 ein Rückgang von etwa 0,6 Millionen Tonnen bedeutete. Laut Angaben der "Nationalen Fleischassoziation" (NMA) macht der Anteil des in Russland produzierten Schweinefleischs etwa 90 % des gesamten Schweinefleischkonsums aus. Trotz wachsender Schweinefleischproduktion kann kein Überschuss auf dem Markt beobachtet werden, da mit diesem meist die ausgefallenen Importe ersetzt werden. Wenn Russland 2013 noch 1,2 Millionen Tonnen Schweinefleisch importierte, so waren es 2015 nur noch 400.000 Tonnen. Laut Einschätzung der "Nationalen Fleischassoziation" (NMA) dürften die Importe in 2016 um weitere 20 % sinken.

Trotz steigender Produktion von Rindfleisch ist der Konsum durch russische Verbraucher hier gefallen. Es wird von einem Rückgang von 10 % im Jahr 2015 gesprochen. Neben höheren Preisen spielt auch die geringe Qualität des Rindfleisches eine entscheidende Rolle für einen geringeren Konsum. Immer noch wird der größte Teil der Rindfleischproduktion mit der Milchproduktion verknüpft, es werden nur wenige Fleischrassen gezüchtet, was Rindfleisch als ein Nebenprodukt weniger attraktiv für den Konsumenten macht. Auch preislich liegt das Rindfleisch über dem Schweine- und Geflügelfleisch, was es für viele Verbraucher zu teuer und damit unerschwinglich macht.

Gleichzeitig steigt auch das Verbraucherinteresse und die Kaufbereitschaft bei Geflügel, was vor allem durch einen niedrigen Preis für Hähnchenfleisch bedingt ist. Der Konsum von Putenfleisch bleibt auf einem niedrigen Niveau: Jährlich konsumiert ein russischer Verbraucher im Schnitt weniger als 1 kg Putenfleisch, dem gegenüber sind es etwa 25 kg Hähnchenfleisch. Diese Tendenz dürfte auch in der Zukunft anhalten, vor allem durch einen Rückgang der Kaufkraft bedingt.

Insgesamt sind Schweine- und Geflügelfleisch mit etwa 80 % des gesamten Fleischkonsums die zwei meistkonsumierten Fleischarten im russischen Warenkorb. Die Preisbildung auf dem Fleischmarkt wurde 2015 von Preisunterbietung seitens der großen Agroholdings bestimmt. Laut Angaben der Marktforschungssparte der Bank "WTB Kapital" wird 2017 eine Steigerung von Fleischkonsum bis auf 75,1 kg erwartet, was eine Erhöhung auf 100 Gramm über der empfohlenen Verzehrmenge zur Folge hat; die war in den letzten zwei Jahren gar nicht erst erreicht worden. Viele russischen Konsumenten haben aufgrund der gesunkenen Kaufkraft meist auf Fleisch verzichtet, was wiederum einen Rückgang des Fleischkonsums zur Folge hatte (er betrug insbesondere bei Rindfleisch –10 %). Die Konsumentennachfrage bleibt momentan stabil, doch werden weiterhin etwa in kleineren Läden meist günstige Produkte nachgefragt (so die Aussage eines Vertreters der Handelskette "Dixy", die meist kleine Läden in Wohnvierteln betriebt). Dies zeugt weiterhin von der Tendenz, eher "Economy"-Lebensmittel zu bevorzugen. Bedingt durch die Nachfragestruktur bleiben auch Preise für Geflügel und Schweinefleisch auf demselben Niveau. Der Einkaufspreis für Schweinefleisch im Großhandel ist sogar um 15 % zurückgegangen. Stabilität auf dem Markt wird auch für wachsenden Konsum sorgen: 2020 soll der Konsum laut Prognosen der Analysten von "WTB Kapital" sogar auf 78,7 kg steigen.

"WTB Kapital" gibt allerdings für 2016 eine positive Prognose und rechnet mit einem Anstieg des Fleischkonsums um 3 % in diesem Jahr. Auch die Angaben der Agrarholding "Rusagro" weisen auf eine Verkaufssteigerung bei Schweinefleisch von 8 % und bei Geflügelfleisch von 3 % hin.

Konsum von Milchprodukten

Dem Nationalen Verband der Milchproduzenten "Sojusmoloko" zufolge ist der Konsum von Milchprodukten 2015 um 2–3 % zurückgegangen. Auch beim Konsum von Milchprodukten kann eine leichte Tendenz zum Kauf von mehr "economy"-Vollmilchprodukten beobachtet werden, also von Trinkmilch, Kefir, saurer Sahne, Rjaschenka [fermentiertes Sauermilchprodukt] etc. Auch zukünftig wird der Konsum in diesen Produktsegmenten zunehmen. Meist wird beim Kauf teurerer Milchprodukte wie Käse, Joghurt und Quarkerzeugnisse gespart. Laut der Forschungsholding "Romir" haben die russischen Verbraucher den Konsum von Hartkäse 2015 um 10 % reduziert. Allerdings stieg der Verbrauch von Schmelzkäse im gleichen Zeitraum um 12 %. Daran lässt sich sehen, dass die Verbraucher versuchen, Milchprodukte mit höherer Wertschöpfung, die in der Regel im Preis deutlich teurer sind, durch aus ihrer Sicht gleichwertige Produkte der niedrigeren Wertschöpfungsstufe (in diesem Fall Schmelzkäse) zu ersetzen. Laut einer anderen Studie des russischen Markt- und Meinungsforschungsinstituts "WZIOM" konsumieren 87 % der russischen Verbraucher regelmäßig Milchprodukte: 57 % verzehren sie täglich und weitere 30 % konsumieren sie einmal oder mehr pro Woche.

Nach Angaben von "The Dairy News" und des Ministeriums für Landwirtschaft lag der Pro-Kopf-Konsum von Milchprodukten 2015 bei 230 kg, was deutlich unter der empfohlenen Verzehrmenge von 320–340 kg liegt. Der Pro-Kopf-Konsum ist in den letzten 5 Jahren zurückgegangen; die wichtigsten Gründe für diesen Trend sind sinkende Kaufkraft und steigende Preise. Gestützt auf eine Umfrage bei 10.000 russischen Konsumenten stellte die Forschungsholding "Romir" eine zurückgegangene Nachfrage nach Hartkäse im Jahr 2015 fest, die zu einem Rückgang des Kaufvolumens um 10 % führte. Dagegen ist die Nachfrage nach vergleichsweise günstigem Schmelzkäse gestiegen, was vor allem durch eine angestiegene Anzahl der Käufe im selben Jahr um 12 % deutlich wird. Der Konsum von vielen hochwertigen (unter anderem auch europäischen) Käsesorten wurde auch vom 2014 eingeführten Embargo auf bestimmte Lebensmittel beeinflusst. Als Antwort auf die westlichen Sanktionen hatte Russland ein vollständiges Importverbot für Käse, Milch und andere Milchprodukte aus den EU-Ländern, den USA, Australien, Kanada und Norwegen eingeführt. Damit würden in den Regalen der russischen Supermärkte die von russischen Verbrauchern gern verzehrten Käsespezialitäten fehlen. Betroffen sind in erster Linie die Konsumenten aus der wohlhabenden und der gehobenen Mittelschicht. Zwar öffnet sich hiermit eine Chance für einheimische Produzenten, doch wird es schwierig, wenn nicht unmöglich sein, die seit Jahrzehnten bewährten traditionellen Käsesorten zu ersetzen.

In der Struktur von Käseproduktion und Verbrauch entfallen auf Hartkäse 24 %, Käseerzeugnisse 22 %, Halbhartkäse 21 %, Schmelzkäse 17 %. Vor allem ist eine Zunahme der Produktion von Käseerzeugnissen, die in einem im Vergleich zu Hart- und Halbhartkäse unterem Preissegment liegen, durch die sinkende Kaufkraft der Bevölkerung bedingt.

Die Butterpreise sind 2016 um 14,3 % gestiegen. Laut einem Bericht der Nationalen Union der Milchproduzenten Russlands haben sich die Preise in 3 Schritten erhöht: um 2,6 % im Juli, um weitere 2 % im August und um weitere 3,3 % im September. Dabei lagen die Preise für importierte Butter unten den Preisen der russischen Produzenten. Dies sorgte für zusätzlichen Preiswettbewerb auf dem russischen Markt und beeinflusst den Konsum von russischer Butter und damit die russische Butterproduktion, die 2016 bereits um 6,3 % im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen ist, negativ (Angaben von "Milknews.ru"). So soll der Butterkonsum in Russland in 2015 um 3,3 % zurückgegangen sein und 350.000 Tonnen betragen haben. Auch in diesem Produktsegment kann teilweise ein Umstieg von etwas teurerer Butter auf preisgünstigere Margarine beobachtet werden.

Konsum von Brot- und Backwaren

In Russland beobachten Experten einen Trend zum Selbstbacken von Brot und Backwaren. Das spiegelt sich im Rückgang der Einkäufe von fertigen Brot- und Backwaren und der Zunahme der Käufe von Produkten wieder, die üblicherweise als Backzutaten genutzt werden. Laut dem Marktforschungsunternehmen GfK haben die Russen im Jahr 2016 im Vergleich zu 2015 weniger Brot, Back- und Konditoreiwaren konsumiert (so berichtete die Zeitung "Kommersant"). Von August 2015 bis Juli 2016 wurde ein Rückgang von Backwaren-Käufen um 5,5 % festgestellt. Im Gegenteil steigen die Käufe von Mehl (der am schnellsten wachsenden Kategorie), Pflanzenöl, Margarine, Hefe. "Die Menschen kaufen Backzutaten und backen zu Hause, weil es günstiger ist", meint die Leiterin der Abteilung für Verbraucherforschung GFK, Jelena Samodurowa.

Laut einer Studie der Forschungsholding "Romir" sind die Verkäufe nicht nur von typischen Backzutaten, sondern auch von Eiern gestiegen. Im vergangenen Jahr (2015) kauften die Verbraucher 6 % mehr als Backzutaten nutzbare Lebensmittel (Mehl, Zucker, Grieß usw.) und 3 % mehr Eier als im Vorjahr. Die Experten des Forscher-Teams meinen, dass die Verbraucher versuchten, den verringerten Konsum von teurerem Fleisch und Fisch durch günstigere Produkte mit tierischem Eiweiß zu ersetzen, z. B. durch Eier.

Konsum von Gemüse und Obst

Eine sehr interessante Tendenz wurde in Bezug auf den Konsum von Gemüse beobachtet bzw. durch die Forschung festgestellt. Laut einer Studie von "Romir" haben die Verbraucher 2015 weniger teure, dafür aber mehr günstige Lebensmitteln gekauft. So sind die Käufe von Tomaten 2015 (im Vergleich zum Vorjahr) um 10 % zurückgegangen. Stattdessen begannen die Menschen mehr Kartoffeln (+7 %), Kohl (+11 %) und Rüben (+8 %) zu konsumieren. Darin sehen die Experten einen Versuch der Bevölkerung, Ersatz für Fleisch, Fisch sowie andere teurere Gemüsearten zu finden.

Die Situation auf dem Obstmarkt ist der auf dem Gemüsemarkt ähnlich. Trotz der Steigerung des Obstkonsums in den Jahren 2004–2014 erlebte der Konsummarkt im Jahr 2015 einen Rückgang (auf nur 61 kg). Diese Daten hat das Forschungsunternehmen "Technologii Rosta" vorgestellt. Bei der Analyse des Konsums von Obst in Russland muss man beachten, dass es sehr schwer ist, den Konsum von Äpfeln festzustellen bzw. zu messen, weil ein großer Anteil der Verbraucher eigene Äpfel auf ihren Datschas (den Gärten der Sommerhäuser) anbauen und konsumieren. Beim Konsum von tropischen und exotischen Früchten wie Bananen, Ananas, Zitrusfrüchte lassen sich die Daten der Importe und des Konsums gleichsetzen, weil alles was importiert wird, auch frisch konsumiert wird. Denn für diese Obstarten existiert auch keine Verarbeitungsindustrie. Die Forscher haben festgestellt, dass 2014 im Vergleich zum Vorjahr der Konsum von Bananen um 5 % (auf insgesamt 1,28 Mio. t oder 8,9 kg pro Kopf) und von Orangen um 9 % (auf 467.000 t oder 3,5 kg pro Kopf) zurückgegangen ist.

Nach Angaben der Generaldirektorin von "FruitNews", Irina Kosij, kaufen russische Verbraucher mehr konservierte Ananas als frische Früchte. Dabei hat sowohl der Konsum von frischer als auch von konservierter Ananas eine rückläufige Tendenz. Gleichzeitig geht das Volumen des Verbrauchs der Frucht in frischer und konservierter Form in etwa mit dem gleichen Tempo. Nach Angaben des Föderalen Zolldienstes Russlands hat sich im Zeitraum 2013–2015 die Einfuhr von frischer Ananas um 36 % und die von konservierten um 35 % verringert. Frau Kosij meint, der Grund dafür sei die sinkende Kaufkraft der Bevölkerung. Obst wird oft als Luxus-Lebensmittel empfunden und deshalb nicht für den täglichen Konsum sondern nur zu besonderen Anlässen konsumiert. Ihrer Ansicht nach ist Ananas eine teure Frucht. Daher sank der Konsum von dieser Obstart, obwohl die Ananaslieferungen kaum vom russischen Lebensmittelembargo betroffen waren. Allgemein beobachten die Experten auf dem russischen Obstmarkt einen deutlichen Trend der Verlagerung der Verbraucherpräferenzen hin zu billigerem Obst: Die Markanteile von Bananen und billigen Zitrusfrüchten wachsen, wobei der Konsum von teureren Obstarten zurückgeht.

Konsum von Fisch

Im Jahr 2015 ist der Verbrauch von Fisch und Meeresfrüchten in Russland von 22,3 auf 19 kg pro Kopf (Daten von "Romir") oder auf 14 kg zurückgegangen (von "Interfax" mit Verweis auf die "Informationsagentur für Fischerei" veröffentlichte Daten). Dieser Wert liegt unter der Mindestnorm des Gesundheitsministeriums. Trotz der divergierenden Daten sind die Experten sich einig: Der Grund für den Rückgang des Konsums sind die gestiegenen Preise. Laut den Daten von Rosstat ist der durchschnittliche Preis für Fisch 2015 um 20 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Nach Angaben des für Filialenentwicklung zuständigen Direktors der Lebensmittelmarktkette "Petrowskij", Andrej Awerjanow, ist der durchschnittliche Preis für russischen Fisch im vergangenen Jahr um 15 % und für importierten um rund 30 % gestiegen. Grund dafür seien die höheren Transportkosten, Änderungen in der Logistik und der gefallene Kurs des Rubel.

Konsumrückgang und dessen mögliche Ursachen

Es ist offensichtlich, dass aufgrund des Preisanstiegs die Ernährung vieler Familien immer weniger den empfohlenen Standards der Ärzte entspricht. Nach der Empfehlung des Gesundheitsministeriums sollte der Fleischkonsum zwischen 70 und 75 kg pro Person und Jahr, der Fischkonsum zwischen 18 und 22 kg, der Milchkonsum zwischen 320 und 340 kg, der Gemüsekonsum (ohne Kartoffeln) zwischen 120 und 140 kg, der Obst- und Beerenkonsum zwischen 90 und 100 kg betragen. Wie aus den Daten von Rosstat hervorgeht, können wir von einem chronischen Mangel an Milchprodukten sowie an Obst und Gemüse in der Ernährung der Bevölkerung sprechen. So betrug zum Beispiel im Jahr 2014 der Milchkonsum etwa 244 kg pro Kopf und Jahr, bei Gemüse (ohne Kartoffeln) waren es nur 111 kg, bei Früchten und Beeren 64 kg pro Kopf und Jahr. Weniger erkennbare Abweichungen von der Norm sind beim Konsum von Fleisch und Fisch festzustellen.

Der 2016 durchgeführte Agrarzensus ergab auch eine interessante Entwicklung. Die Zahl der Datscha-Vereinigungen stieg 2016 auf 6.100 im Vergleich zu 1.000 im Jahr 2006. Dabei betrug die durchschnittliche Landfläche pro Datscha-Vereinigung 2016 durchschnittlich 16 Hektar (im Vergleich zu 17,9 ha im Jahr 2006). Viele Experten sehen diese Entwicklung als direkte Folge des Preisanstiegs für Lebensmittel und des Versuchs der Bevölkerung, sich selbst zu versorgen.

Als Gründe für den Rückgang des Konsums bei teureren Lebensmitteln nennen die meisten Experten neben dem Lebensmittelembargo die Abwertung des Rubels, die Abnahme der Kaufkraft der Bevölkerung und die steigenden Preise. In der Tat sind nach den Angaben von RIA Nowosti die Lebensmittelpreise in den zwei Jahren (August 2014 – August 2016) durchschnittlich um 31,6 % gestiegen. Dabei überholten die Preisanstiege die Inflation um 20 %. Das eingeführte Lebensmittelembargo führte aber zu einer Verringerung des Wettbewerbs auf dem Markt, die einige ausländische Lieferanten, die dem Embargo nicht unterlagen, sowie inländische Hersteller dann für sich ausgenutzt haben. Sie hatten die Möglichkeit, die Preise für Produkte zu erhöhen und haben dies ganz offensichtlich nach Regeln der freien Marktwirtschaft getan, um ihren Gewinn zu maximieren. Einige inländische Hersteller haben ihre Preiserhöhung durch Anpassungen an den Wechselkurs, Verteuerung der Hersteller-Ausrüstung, des Saatgutes oder sogar durch den "entgangenen" Gewinn auf den ausländischen Märkten begründet bzw. gerechtfertigt.

Fazit

In fast allen Lebensmittelbereichen kann eine klare Tendenz zur Importsubstitution der dem Embargo unterliegenden Lebensmittel mit einheimischen Produkten sowie eine starke Umstellung der Preispräferenzen beobachtet werden. Die meisten Konsumenten kauften allgemein weniger teure Lebensmittel, dafür günstigere Basisprodukte (z. B. weniger Rindfleisch und mehr Hähnchenfleisch; weniger Hartkäse und dafür mehr Trinkmilch, Sauermilcherzeugnisse und Schmelzkäse; weniger Premium-Obstsorten wie Ananas usw.). Zudem wird wieder viel mehr zu Hause gebacken und gekocht. Die Verbraucher bevorzugen Basisprodukte anstatt fertiger und halbfertiger Lebensmittel einer höheren Wertschöpfung und mit höherem Preis. Ob die Situation mit den steigenden Preisen und somit mit den Veränderungen des Konsumverhaltens als direkte Konsequenz des russischen Lebensmittelembargos zu bezeichnen ist, ist schwer zu sagen. Denn es war ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren. Dennoch haben die Experten festgestellt, dass steigende Preise als indirekte Konsequenz des Lebensmittelembargos "hausgemacht" sind, indem das entstandene "Vakuum" nach dem Lebensmittelimportverbot weniger Konkurrenzdruck auf die existierenden Produzenten ausübte, was zu den Preisanstiegen führte.



Fussnoten

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Dr. Vera Belaya studierte Betriebswirtschaft an der Kasachischen Agraruniversität in Astana sowie Agrarmanagement an der Hochschule Weihenstephan in Triesdorf. Nach dem erfolgreichen Abschluss als "Master of Business Administration in Agriculture" in Triesdorf wurde sie am Leibnitz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) zur Doktorin der Agrarwissenschaften promoviert.

Dr. Maryna Hahlbrock promovierte am Bereich Unternehmensentwicklung und Strukturwandel des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Halle/Saale. Sie publiziert und hält Vorträge zu wirtschaftlich und agrarwirtschaftlich relevanten Themen.