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Analyse: Gesellschaftliche Unternehmensverantwortung abseits der gewohnten Pfade: Wie Staat und Wirtschaft in Russland zusammenarbeiten | Russland-Analysen | bpb.de

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Analyse: Gesellschaftliche Unternehmensverantwortung abseits der gewohnten Pfade: Wie Staat und Wirtschaft in Russland zusammenarbeiten

Ulla Pape und Stanislav Klimovich Ulla Pape und Stanislav Klimovich (Freie Universität Berlin)

/ 10 Minuten zu lesen

Um die Klimaziele des Pariser Abkommens einzuhalten und sowohl umweltpolitisch als auch gesellschaftlich verantwortlich zu handeln, bedarf es einer engen Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft. Eine gegenseitige Abhängigkeit zeigt sich vor allem zwischen einzelnen russischen Regionen und den dort ansässigen Unternehmen.

Der russische Präsident Wladimir Putin besichtigt den Hafen von Taman und den dazugehörigen Industriepark, die sich im Besitz des Unternehmens OTEKO befinden. (© picture alliance/Aleksey Nikolskyi/Sputnik/dpa)

Zusammenfassung

Die großen Herausforderungen der Zukunft – Klimawandel, nachhaltiges Wachstum und soziale Gerechtigkeit – können nur in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft gemeistert werden. Die Debatten um die gesellschaftliche Verantwortung von (Groß-)Unternehmen sind inzwischen auch in Russland angekommen. Russische Unternehmen sind Teil globaler Wertschöpfungsketten und beteiligen sich an internationalen Netzwerken zur sozialen und ökologischen Unternehmensverantwortung (in der englischen Fachliteratur: Corporate Social Responsibility, CSR). In diesem Beitrag untersuchen wir, wie Staat und Wirtschaft auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung in Russland zusammenarbeiten. Hierbei zeigt sich, dass russische Firmen besonders in den Regionen auf sowjetische und vorsowjetische Traditionen der Unternehmensverantwortung und Wohltätigkeit zurückgreifen können. Daneben lässt sich ein zunehmender Druck internationaler Märkte beobachten, der Unternehmen auf die Einhaltung menschenrechtlicher und ökologischer Standards verpflichtet. Warum sich russische Unternehmen im Bereich CSR engagieren und wie sich ihre Zusammenarbeit mit dem Staat in diesem Bereich entwickelt, bleibt jedoch weiterhin Gegenstand der Debatte.

Einleitung

Am 23. September 2019 hat Russlands Regierungschef Dmitrij Medwedew den Weg zur Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens freigegeben. Russland bekennt sich damit zu den Klimazielen, die die menschengemachte globale Erwärmung auf weniger als 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzen wollen. Die Bereitschaft zur Ratifizierung des Abkommens wurde von der russischen Regierung damit begründet, dass die Folgen des Klimawandels gerade in Russland spürbar seien. Um umweltpolitische Schritte einzuleiten benötigt der russische Staat die enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Dies zeigt sich auf allen Ebenen der staatlichen Hierarchie, besonders jedoch in den russischen Regionen, deren Verwaltungen finanziell stark von den regional ansässigen Unternehmen abhängig sind. Die im Mai-Dekret von 2018 formulierten wirtschaftspolitischen Ziele sind für den russischen Staat nur mit Unterstützung russischer Unternehmen erreichbar. Besonders auf der regionalen Ebene kommt der Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft daher eine besondere Bedeutung zu, die in diesem Beitrag untersucht werden soll. Wir gehen dabei zunächst auf die Formen der Zusammenarbeit und die Entscheidungsmechanismen ein. Im Anschluss diskutieren wir den Beitrag der Unternehmen an der sozialen und ökologischen Entwicklung der Regionen und die Rolle der Zivilgesellschaft, bevor wir im Fazit die Motivation russischer Unternehmen für ihr Engagement im Bereich CSR resümieren.

Wechselseitige Abhängigkeit prägt das Verhältnis von Staat und Wirtschaft

Die Beziehungen zwischen staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren in Russland sind von wechselseitiger Abhängigkeit geprägt. Obwohl der Staat in einem hybriden politischen Regime eine führende Rolle spielt, ist das Verhältnis zwischen den Akteuren keine Einbahnstraße. Angesichts der Ressourcenknappheit, vor allem auf der regionalen Ebene, sind staatliche Akteure in Russland auf die finanzielle Unterstützung und die sozialpolitischen Kapazitäten von Unternehmen angewiesen. Auf diese Weise findet ein Ressourcenaustausch statt, an dem beide Seiten interessiert sind.

Russische Unternehmen treten in der Zusammenarbeit mit dem Staat als sozial verantwortliche Akteure auf und haben sich als wichtige Partner der Behörden etabliert. Zum einen sichern sie dadurch ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen gegenüber dem Staat und entgehen möglichen Sanktionen, was hinsichtlich der fehlenden Rechtsstaatlichkeit eine wichtige Rolle für ihr wirtschaftliches Überleben spielen kann. Zum anderen erhalten die Unternehmen durch diese Kooperation im sozialen und ökologischen Bereich die Möglichkeit, sich an den Entscheidungsprozessen über die Entwicklung der Regionen, in denen ihre Standorte liegen, zu beteiligen. Die Absprache und Koordination der sozialen und ökologischen Aktivitäten mit den Behörden ist ein wichtiger Bestandteil der unternehmerischen Beziehungen zum Staat (Government Relations). Sie ermöglicht den Firmen Zugang zu administrativen und weiteren Ressourcen des Staates und wird in letzter Zeit zunehmend systematisiert und institutionalisiert.

Welche Formen der Zusammenarbeit gibt es?

Da es in Russland bislang an einer Gesetzgebung im Bereich der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen fehlt, entwickelt sich die Interaktion zwischen Staat und Wirtschaft vorwiegend nach informellen Spielregeln. Trotzdem weisen verschiedene Formen der Zusammenarbeit einen gewissen Grad an Institutionalisierung auf. Es lassen sich vier Interaktionsformen unterscheiden: 1) sozialwirtschaftliche Entwicklungsabkommen zwischen Unternehmen und regionalen bzw. kommunalen Administrationen (SEDAs); 2) gemeinsame Projekte, zumeist basierend auf einer öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP); 3) Arbeitsgruppen, Ausschüsse und andere Gremien mit Beteiligung von Unternehmensvertretern und staatlichen Akteuren; 4) regelmäßige informelle Zusammenarbeit, einschließlich persönlicher Absprachen zur Regelung von Streitfragen und Wohltätigkeitsaktivitäten regionaler Unternehmen.

Eine relativ stark institutionalisierte Form der Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft sind die SEDAs. Diese verbindlichen Abkommen zwischen Unternehmen und Administrationen werden zumeist für einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren abgeschlossen und von jährlichen Zusatzverträgen begleitet, die eine Auflistung von konkreten Projekten und festgelegten Ausgaben der Unternehmen für Straßen- und Brückenbau, Ausbau und Instandhalten der sozialen Infrastruktur, langfristiges Sponsoring von Sport, Kultur, Bildung und Forschung in der Region beinhalten. In den Abkommen verpflichten sich beide Seiten zur gegenseitigen Unterstützung. Den Unternehmen wird der Abbau von administrativen Barrieren und eine staatliche Förderung von Investitionsprojekten, einschließlich von Steuervergünstigungen und Bürokratieerleichterungen zugesichert. Im Gegenzug erhalten die regionalen und kommunalen Administrationen von den Unternehmen finanzielle Zuschüsse in Höhe von hunderten Millionen Rubel zur Erfüllung sozialpolitischer Aufgaben.

Die gemeinsamen Projekte im sozialen und ökologischen Bereich finden sowohl im Rahmen von SEDAs als auch auf Vertragsbasis statt. Letzteres gilt für Unternehmen, die keine langfristigen sozialwirtschaftlichen Entwicklungsabkommen mit den Behörden abschließen. Die Themenbereiche entsprechen im Wesentlichen den regulär in den SEDAs aufgelisteten und oben erwähnten Projekten. Der substantielle Unterschied besteht darin, dass die staatliche Unterstützung im Rahmen von ÖPP auf die konkrete Zielsetzung eines einzelnen Projektes begrenzt ist und die Unterstützung des Staates für die allgemeine wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens in der Region ausschließlich auf informeller Basis erfolgt.

Die gegenseitige Beteiligung an Gremien im sozialen und umweltpolitischen Bereich stellt eine weitere, informellere Form der Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft dar. Dabei nehmen zum einen Unternehmensvertreter an den Gesellschaftsräten der regionalen Ministerien oder der Gesellschaftskammern teil und bringen ihre Vorschläge für staatliche Ausgaben in den jeweiligen Themengebieten ein. Zum anderen werden staatliche Akteure in die Auswahlkommissionen eingebunden, die über die Vergabe von Fördermitteln der Unternehmen an zivilgesellschaftliche Organisationen und kommunale Einrichtungen entscheiden. Diese Art der Zusammenarbeit ist im Vergleich zu Abkommen und Projekten für beide Seiten weitaus weniger verpflichtend und dient vor allem dem Informations- und Meinungsaustausch.

Eine weitere, schwach institutionalisierte Form der Zusammenarbeit sind Anfragen von regionalen und kommunalen Administrationen an die Unternehmen zur direkten Beteiligung an Reparatur- und Bauarbeiten in sozialen Einrichtungen des Staates, zur Finanzierung von öffentlichen Großveranstaltungen sowie zur Unterstützung von bedürftigen Organisationen und Einzelpersonen nach Absprache mit den Behörden, wie z. B. in medizinischen Notfällen. Durch ihre Bereitschaft, in Ausnahmefällen finanziell einzuspringen, signalisieren die Unternehmen ihre Loyalität gegenüber dem Staat und pflegen informelle Kommunikationskanäle, die sie für die Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen in der Region und zur Beilegung potentieller Konflikte nutzen können. Die informelle Zusammenarbeit mit den regionalen Behörden erhöht jedoch auch das Risiko für überzogene Anforderungen von Seiten des Staates und verursacht zusätzliche Kosten für die Unternehmen, die in der langfristigen Planung der CSR-Aktivitäten nicht berücksichtigt werden.

Anteil der Unternehmen an der Entwicklung der Regionen

Neben der direkten Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden führen russische Unternehmen eigene Programme zur sozialen und ökologischen Unternehmensverantwortung durch, die weitgehend unabhängig vom Staat erfolgen. Die Priorität der Unternehmen liegt dabei auf den Regionen bzw. Städten, in denen sich ihre Produktionsstandorte, die sogenannten Präsenzterritorien, befinden. Dieses schlägt sich auch in der Bezeichnung der Programme nieder. So nennt das Ölunternehmen GazpromNeft sein Programm der Unternehmensverantwortung "Heimatstädte", während der Metallkonzern Rusal von den "Territorien Rusals" spricht. Andere Unternehmen stellen die Wohltätigkeit ihrer CSR-Aktivitäten in den Vordergrund, wie z. B. das Chemieunternehmen Sibur mit dem Programm "Formel des Guten".

Russische Unternehmen mit eigenen Industriestandorten verstehen ihre gesellschaftliche Verantwortung besonders in Bezug auf die lokale Bevölkerung in den Präsenzterritorien sowie auf ihre Mitarbeiter und deren Familien. Die Unternehmen unterscheiden dabei zwischen internen CSR-Programmen, die Lohnzusatzleistungen, soziale Vergünstigungen und Fortbildungen für Mitarbeiter beinhalten, sowie externen CSR-Programmen, die sich auf die Unterstützung von lokalen Organisationen und Institutionen im sozialen Bereich richten. Eine relativ neue Entwicklung in Russland ist die Förderung der Freiwilligenarbeit unter Mitarbeitern, das sogenannte Corporate Volunteering, das von den Firmen zur Stärkung der Mitarbeiterzufriedenheit und -anbindung genutzt wird. Ein weitverbreitetes Format sind Wettbewerbe für zivilgesellschaftliche Organisationen und lokale Einrichtungen. Mit diesen Wettbewerben fördern Unternehmen soziale Initiativen in der Region und tragen gleichzeitig zu einer besseren Sichtbarkeit des Unternehmens bei. Für Handelsketten spielen in der Ausrichtung der Unternehmensverantwortung neben den Mitarbeitern auch die Kunden eine zentrale Rolle. Die CSR-Programme dieser Firmen tragen daher häufig einen Marketingcharakter und beinhalten beispielsweise besondere Vergünstigungen für Rentner oder Spendenaktionen zu besonderen Anlässen.

Viele russische Großunternehmen sind in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, ihre CSR-Programme zu systematisieren, um eine größere Einheitlichkeit und Planbarkeit der Aktivitäten zu erreichen. Es lässt sich eine allgemeine Entwicklung von einzelnen Wohltätigkeitsaktionen zu einheitlichen CSR-Programmen beobachten. Viele Unternehmen entwickeln sich von der Wohltätigkeit zu systematischen CSR-Programmen. Häufig werden bereits bestehende Aktivitäten unter einem zentralen Nenner zusammengefasst. Die Unternehmen orientieren sich dabei zunehmend an internationalen CSR-Standards und greifen internationale Entwicklungen wie z. B. die UN-Nachhaltigkeitsagenda oder das Konzept der sozialen Investitionen auf. Wichtige Akteure in der Förderung von CSR in Russland sind die Russische Union der Unternehmer und Industriellen, die seit 2012 ein Ranking in der CSR-Berichterstattung durchführt, und die Russische Managervereinigung, die Fortbildungen und Informationsveranstaltungen zur gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung anbietet. Internationale Trends werden in Russland zunehmend wichtiger, da Unternehmen, die auf internationalen Märkten tätig sind, von ihren Abnehmern oder Investoren dazu verpflichtet werden, CSR-Standards einzuhalten. In den Regionen zeigen sich jedoch interessante Mischformen. Neue CSR-Formate werden mit sowjetischen Traditionen verbunden. Das bereits erwähnte Corporate Volunteering führte beispielsweise zu einer Wiederbelebung der traditionellen Subbotniks.

Einer der Gründe für die Unternehmen, ihre Programme im Bereich der Unternehmensverantwortung zu systematisieren und ihre Zusammenarbeit mit dem Staat zu formalisieren, besteht darin, sich vor einer gesteigerten Anspruchshaltung und Willkür des Staates zu schützen. Ein Erbe der Planwirtschaft besteht darin, dass sowohl staatliche Behörden wie auch Teile der Bevölkerung hohe Erwartungen an regional ansässige Unternehmen stellen. Dieser Anspruch resultiert aus der sowjetischen Wirtschaftsstruktur, in welcher die Betriebe alle sozialen Einrichtungen, wie z. B. Polikliniken, Schulen und Kindergärten bereitgestellt haben. Durch die verbindliche Aufteilung von Rechten und Pflichten in Abkommen und Projekten werden die Grenzen unternehmerischer Investitionen und ihre finanzielle und infrastrukturelle Beteiligung an der sozialen Entwicklung der Territorien festgelegt. Somit stärken die Unternehmen ihre Position in den Verhandlungen mit dem Staat, begrenzen den Umfang von ad-hoc Anfragen der Behörden, und entwickeln die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat von den klassischen sozialen Ausgaben der Betriebe zu sozialen Investitionen mit gemeinsamer langfristiger Planung und verbindlicher Rollenaufteilung.

Welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft?

In der internationalen Forschungsliteratur wird allgemein angenommen, dass Unternehmen Programme zur gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung als Antwort auf den Druck der Zivilgesellschaft entwickelt haben. In Russland ist die Rolle der Zivilgesellschaft jedoch begrenzt. Die meisten Organisationen sind zu schwach, um es mit übermächtigen Unternehmen aufzunehmen. Zudem fehlt es in Russland weitgehend an einer kritischen Öffentlichkeit, die es vermögen würde, soziale oder ökologische Missstände in Unternehmen wirksam anzuprangern. In der letzten Zeit beginnt sich hier eine Änderung abzuzeichnen. In den Regionen entstehen vermehrt Proteste zu Umweltthemen, wie z. B. gegen Umweltverschmutzung oder den Bau von Müllverbrennungsanlagen. Einzelne Organisationen haben erfolgreich Aktionen gegen Unternehmen durchgeführt und die Einhaltung von strengeren Umweltauflagen auf lokaler Ebene erreicht. Darüber hinaus steigen in Russland die Anforderungen an Unternehmen als Arbeitgeber und Produzenten, da Mitarbeiter, Kunden oder Anwohner gute Arbeits- und Lebensbedingungen erwarten. Unternehmen können die Belange der Bevölkerung also nicht negieren. Insgesamt bleiben zivilgesellschaftliche Organisationen jedoch schwach. In den Regionen und vor allem in den sogenannten Monostädten ist die Bevölkerung stark von den vor Ort ansässigen Unternehmen abhängig und hat daher kaum Möglichkeiten zur kritischen Kontrolle.

Fazit: Warum engagieren sich russische Unternehmen im Bereich CSR?

Gesellschaftliche Unternehmensverantwortung ist eine neue Entwicklung in Russland, die wesentlich von der stärkeren Anbindung in globale Märkte geprägt wird. In der Ausprägung der Unternehmensverantwortung zeigt sich jedoch besonders in den Regionen eine Verbindung mit traditionellen Erwartungen an die Rolle von Unternehmen, wie z. B. in der Bereitstellung sozialer Infrastruktur, der engen Zusammenarbeit mit regionalen Behörden und der Förderung lokaler Wohltätigkeit. Der Staat ist auch in der Entwicklung der gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung ein zentraler Bezugspunkt für russische Unternehmen, die ihre Programme zunehmend institutionalisieren, um Rechte und Pflichten in der Zusammenarbeit mit dem Staat verbindlich festzulegen.

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Fussnoten

Ulla Pape und Stanislav Klimovich sind wissenschaftliche Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt "Variationen von Governance in hybriden Regimen. Unternehmen, Staat und Zivilgesellschaft im heutigen Russland" (Govrus) unter der Leitung von Prof. Dr. Katharina Bluhm und Prof. Dr. Sabine Kropp an der Freien Universität Berlin. Ulla Pape forscht zu den Themen Gesundheits- und Sozialpolitik, Zivilgesellschaft sowie dem Verhältnis zwischen Unternehmen und Staat in Russland. Stanislav Klimovich forscht zu den Themen Föderalismus und Dezentralisierung sowie politisches Regime und Governance in Russland.