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Analyse: Die fortwährende Rückkehr | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Die fortwährende Rückkehr

Dr. Kerstin Zimmer Marburg Von Kerstin Zimmer

/ 14 Minuten zu lesen

Arbeitsmigration betrifft direkt oder indirekt weite Teile der ukrainischen Bevölkerung. In den Hauptaufnahmeländern westlich der Ukraine lassen sich mittlerweile zahlreiche Ukrainer permanent nieder, andere haben sich im Pendeln eingerichtet. Das Rückkehrpotenzial ist geringer als von der ukrainischen Regierung gewünscht. Die staatliche Politik unterstützt (potenzielle) Rückkehrer kaum – diese Aufgabe wird von internationalen und zivilgesellschaftlichen Organisationen übernommen.

Ukrainische Arbeiter - Wegen einem desolaten Nationaleinkommen ist die Arbeitsmigration sehr hoch. (© picture-alliance/dpa)

1. Ukrainische Arbeitsmigranten im Ausland


Während des wirtschaftlichen Niedergangs der 1990er Jahre wanderten immer mehr Ukrainer und Ukrainerinnen (zeitweise) aus auf der Suche nach besserer Entlohnung oder Beschäftigungsmöglichkeiten. Dabei eroberten sie schließlich auch neue Arbeitsmärkte in Südeuropa, in denen die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften im informellen Sektor hoch ist. Die Weltbank geht davon aus, dass fast 15 Prozent der ukrainischen Bevölkerung zumindest zeitweise im Ausland gearbeitet haben. 2008 lebten nach Schätzungen der ukrainischen Caritas 500.000 Ukrainer in Italien, 450.000 in Polen, je 200.000 in Spanien und Tschechien, 75.000 in Portugal, 60.000 in Griechenland und bis zu zwei Millionen in Russland – nur etwa ein Drittel davon mit Genehmigung. Die Rücküberweisungen betrugen nach Angaben der Weltbank 2010 mehr als fünf Milliarden Dollar. Ukrainische Wissenschaftler sprechen gar von 20–25 Milliarden Dollar. Etwa die Hälfte des Geldes kommt aus Russland, ein Drittel aus den EU-Staaten. Die meisten Rücküberweisungen tätigen Pendelmigranten. Der Anteil der Rücküberweisungen am ukrainischen Bruttoinlandsprodukt beträgt fast vier Prozent – und ist damit etwa doppelt so hoch wie im klassischen Entsendeland Mexiko. Die jährlichen Rücküberweisungen sind ebenso hoch wie Auslandsinvestitionen. Allerdings werden sie – bislang – fast ausschließlich für Konsumzwecke ausgegeben. Die Migranten, die seit 1991 die Ukraine (zeitweise) verlassen haben, sind eine sehr heterogene Gruppe. Es gibt verschiedene Typen von Arbeitsmigranten: 1) junge, oft Studierende, die für eine Weile – oft in den Semesterferien – ins Ausland gehen, um dort Geld zu verdienen und Erfahrungen zu sammeln. 2) Personen, die langfristig ins Ausland gehen, manchmal mit der ganzen Familie, und dort eine angemeldete Arbeit aufnehmen. Auch dabei handelt es sich oft um junge Leute, die etwas Neues ausprobieren wollen. Junge Leute pendeln weniger, da sie seltener Angehörige in der Ukraine haben, um die sie sich kümmern müssen. Zumeist senden sie auch wenig Geld in die Ukraine. Und 3) Personen, die aus finanzieller Notwendigkeit ins Ausland gehen und häufig unterhalb ihres Qualifikationsniveaus arbeiten. Viele pendeln zwischen der Ukraine und dem Aufnahmeland. Ein Großteil arbeitet im grauen Sektor, viele bleiben über den Gültigkeitszeitraum ihres Touristenvisums im Land und rutschen damit in die aufenthaltsrechtliche Irregularität. Nur wenige nutzen bestehende Programme der zirkulären Migration und andere Formen der Arbeitsvermittlung, die auf zwischenstaatlichen Abkommen beruhen. Sie verlassen sich eher auf private Netzwerke oder Vermittlungsfirmen, die sich für Geld auch um Transport und Formalitäten kümmern. Jene ohne Papiere im Ausland fühlen sich häufig ungeschützt und lassen sich auf den Schutz von (kriminellen) Netzwerken ein. Da die Migranten im Ausland mehr verdienen, steigen sie im Vergleich zur Herkunftsgesellschaft sozial auf. Gleichzeitig steigen sie sozial ab, denn auch gebildete Personen müssen unqualifizierte Arbeiten annehmen wie Tätigkeiten im Bausektor, der Landwirtschaft oder Fürsorgeleistungen in Privathaushalten. Wenn sie irregulär beschäftigt sind, genießen sie weder Arbeitsschutz noch Arbeitszeitregelungen. In den vergangenen Jahren haben sich die Struktur und das Verhalten der ukrainischen Arbeitsmigranten in der Europäischen Union derart gewandelt, dass man auf Bleibeabsichten zahlreicher Migranten schließen kann. Vor allem jüngeren Migranten gelingt es, qualifiziertere Beschäftigungen anzunehmen. Zudem steigt die Zahl der Legalisierungen. Spanien und Italien führen regelmäßig Legalisierungswellen durch, von denen auch Ukrainer profitieren – zuletzt in Italien im Jahr 2012. Polen und Tschechien bemühen sich, legale Wege für ukrainische Migranten zu eröffnen. Auch in Italien, Spanien und Portugal versuchen Ukrainer, reguläre Arbeit zu bekommen. In allen Aufnahmeländern haben sie inzwischen zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NRO) gegründet, besonders in Spanien und Italien. Viele entstanden rund um Versammlungszentren der Griechisch-Katholischen Kirche und dienen der gegenseitigen Hilfe und dem kulturellen Leben. Auch Samstagsschulen für Kinder wurden eingerichtet. Während die sogenannte vierte Welle der 1990er und 2000er Jahre Arbeitsmigranten bezeichnet, die aufgrund ihres prekären Status zumeist alleine zwischen dem Aufnahmeland und der Ukraine pendeln, zeichnet sich eine fünfte Welle zunehmend durch Familienmigration aus. Allerdings führt dies nicht zu einem Abebben der (temporären) Auswanderung. Die Dynamik der Arbeitsmigration erfasst immer mehr Menschen, die im Heimatland relativ depriviert werden. Durch die Rücküberweisungen steigen die Preise, so dass zusätzliches Einkommen für alle erforderlich wird, welches wiederum zum Teil im Ausland verdient wird. Für Migranten, die bereits mehrfach im Ausland waren, steigt mit jedem neuen Aufenthalt die Wahrscheinlichkeit für weitere Aufenthalte. Pendelmigration wird zur Lebensform, die Menschen lassen sich sozusagen in der Mobilität nieder.

2. Die Rückkehr


Hinsichtlich ihres Rückkehrpotenzials lassen sich grob drei Generationen von Migranten unterscheiden: eine ältere Generation (50–60 Jahre) unterstützt ihre Familie in der Ukraine für einige Jahre und kehrt dann zurück, um ihren Lebensabend in gewohnter Umgebung zu verbringen. Die zweite Generation ist 36–45 Jahre alt und hat in der Regel Familie in der Ukraine. Im Aufnahmeland oft fremd, fühlen sie sich bei Besuchen in der Ukraine auch zunehmend als Außenstehende. Die jüngste Generation umfasst Personen unter 30 Jahren, die ungebunden und anpassungsfähig sind. Ihre Rückkehr ist unwahrscheinlich, da sie gute Integrationsmöglichkeiten in verschiedenen Ländern haben. Speziell bei der zweiten Gruppe ist die Diskrepanz zwischen Rückkehrabsicht und Umsetzung groß. Untersuchungen zeigen, dass mehr als zwei Drittel der Migranten im Prinzip in die Ukraine zurückkehren wollen, aber oft keinen Zeitpunkt dafür angeben können. Einstweilen schicken sie Geld, das insbesondere für die Ausbildung der Kinder, die Anschaffung dauerhafter Konsumgüter oder den Immobilienerwerb verwendet wird. 90 Prozent setzen so ihre Zukunftspläne in der Ukraine um. Allerdings kehrt nur weniger als ein Viertel der Arbeitsmigranten dauerhaft zurück. Die Gründe dafür sind vielfältig. Oftmals ist ihr Kontakt in die Ukraine geschwächt, weil sie sich im Aufnahmeland irregulär aufhalten und daher nicht einfach zu Besuchen in die Ukraine ausreisen können. Dies betrifft vor allem Migranten in Südeuropa, die nach Ablauf ihres Touristenvisums in die aufenthaltsrechtliche Irregularität geraten. Je weiter entfernt von der Ukraine sich das Aufnahmeland befindet, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Migranten dort bleiben. Es ist teuer, den Kontakt aufrecht zu erhalten, da sowohl Reisen als auch Telefonate kostspielig sind. Migranten in Polen, Ungarn, Slowakei, Tschechien halten eher den Kontakt und kehren zurück. Als die internationale Finanzkrise 2009 die EU-Staaten erfasste, hofften viele ukrainische Politiker, die Arbeitsmigranten würden aufgrund mangelnder oder ungünstiger Arbeitsbedingungen und Entlassungen massenhaft in die Ukraine heimkehren. Es kamen jedoch weniger zurück als erhofft. Und nur etwa 10 Prozent der Rückkehrer tun dies aufgrund der sich verschlechternden ökonomischen Lage in den Aufnahmeländern. Die meisten (80 Prozent) kommen aus familiären Gründen zurück oder weil sie ihre (finanziellen) Ziele zunächst erreicht haben. Die Ukraine war selbst massiv von der Finanzkrise betroffen. Steigende Arbeitslosenzahlen und sinkende Einkommen verringerten die Attraktivität einer Rückkehr. Außerdem nahmen zahlreiche Migranten Arbeit zu niedrigeren Löhnen an, die aber die ukrainischen Löhne immer noch bei weitem überstiegen. Manche wanderten in andere Städte oder in Nachbarländer weiter, so zum Beispiel von Portugal nach Spanien. Die Arbeitsmigranten passen sich also an sich verändernde Rahmenbedingungen an. Auch für diejenigen, die aufgrund der Krise zurückkehren, könnte es nur ein temporärer Aufenthalt sein. Die meisten planen weitere Auslandsaufenthalte. Einige Staaten wie Spanien, die Tschechische Republik oder Belgien haben seit 2008 Programme für die freiwillige Rückkehr von Migranten implementiert. Spanien führt beispielsweise ein Programm durch, das sich an jene regulären Arbeitsmigranten wendet, die den Gesamtbetrag ihrer Arbeitslosenleistungen sofort mitnehmen wollten. 40 Prozent werden in Spanien ausgezahlt, um die Rückreise zu ermöglichen, und 60 Prozent im Heimatland. Die Migranten sollen die Möglichkeit erhalten, nach drei Jahren wieder nach Spanien zu kommen. Die Krux ist, dass das Programm sich nur an gemeldete Arbeitsmigranten wendet und begleitende Maßnahmen wie die Vorbereitung auf die Rückkehr – vor allem für die Kinder – fehlen. Außerdem geht es einigen Migranten, selbst wenn sie arbeitslos sind, in Spanien unter Umständen besser als in der Ukraine, weil sie kostenlosen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben, ihre Kinder zur Schule schicken können und an Umschulungsmaßnahmen teilnehmen können, unabhängig von ihrem Status. Je länger sie sich in Spanien aufgehalten haben, desto mehr Rechte werden ihnen zugestanden. Viele rückkehrwillige Ukrainer wissen aber nichts von diesen Programmen. Studien zeigen, dass nur etwa 11 Prozent der Rückkehrer entsprechende Programme kennen. Ihnen fällt es schwer, überhaupt heimzukehren, häufig aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen.

Angekommen in der Ukraine stehen sie vor großen Herausforderungen, denn in der Zwischenzeit haben sich sowohl sie selbst als auch das frühere Umfeld verändert. Die Rückkehr und die damit verbundene Anpassung umfassen mehrere Dimensionen: eine ökonomische, eine soziale und eine psychosoziale. Bei der ökonomischen Anpassung geht es vor allem darum, eine (angemessene) Arbeit zu finden oder ein eigenes Unternehmen zu gründen; die soziale Dimension betrifft die Netzwerke von Familie und Freunden, die psychosoziale das mentale Zurechtfinden in der »alten« Umgebung. Kehren Migranten nach Jahren zurück, finden sie kaum angemessen bezahlte Arbeit. Oft sind gute Jobs nur durch Beziehungen zu bekommen, die bei den Migranten durch ihre Abwesenheit geschwächt sind. Formelle und informelle Qualifikationen, die sie im Ausland erworben haben, werden selten anerkannt. Studien zufolge dauert es im Schnitt fast fünf Monate, eine neue Arbeit zu finden. Ansprüche auf Sozialleistungen haben die Rückkehrer in der Regel nicht. Bald entstehen neue Bedürfnisse, die durch Arbeit im Ausland befriedigt werden sollen. Viele Migranten glauben nicht mehr an positive Veränderungen in der Ukraine. Aus der Ferne beobachten sie die dortigen Ereignisse genau – vor allem den Arbeitsmarkt und die Stabilität der Währung. Da die meisten die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine als unberechenbar beurteilen, bleiben sie lieber im Ausland, wo sie – trotz ihrer oft schwierigen persönlichen Situation – größere Stabilität und Rechtssicherheit zu schätzen gelernt haben. Ihr Vertrauen in ukrainische Regierungsstellen ist gering, so dass sie sich auch bei Problemen oft nicht an ukrainische Botschaften in den Aufnahmeländern wenden. 2005 wurden dort Zentren für den Schutz der Rechte von Ukrainern im Ausland gegründet, vor allem in Russland und Mittel- und Osteuropa. Diese wurden jedoch nur von einem Prozent der Menschen genutzt. Auch verlieren die Arbeitsmigranten die Tuchfühlung für gesellschaftliche Veränderungen in ihrem ursprünglichen Umfeld und der Ukraine insgesamt und erleben vielfach einen Kulturschock bei der Rückkehr. Dinge, die sie früher in der Ukraine als »normal« empfanden, wie politische Instabilität oder Korruption, erachten sie nach der Rückkehr oftmals als problematisch und gegebenenfalls unerträglich. Viele stoßen sich an der soziopolitischen Situation und sehen die Grundrechte in der Ukraine nicht gewahrt. Oftmals kommen sie zu der Erkenntnis, dass zwar in der Ukraine alles gleich geblieben ist, sie sich aber selbst während des Auslandsaufenthaltes verändert haben. Nach einer Studie planen etwa 30 Prozent der Rückkehrer wieder auszureisen. Einige richten sich in dem permanenten Pendeln ein. Migration wird zur Lebensform, für die die Ukrainer sogar einen eigenen Begriff geprägt haben: sarobitschanstwo (etwa: Wanderarbeitertum, d. Red.), der nicht nur die Beschäftigung bezeichnet sondern auch Denkweisen und die Kultur einer Gruppe von Menschen.

3. Maßnahmen des ukrainischen Staates


n der Ukraine ist die Gesetzgebung im Bereich Migration unterentwickelt und hinkt den realen Entwicklungen hinterher. Das gilt auch für die Arbeitsmigration und vor allem den Aspekt der Reintegration, bei der politische Maßnahmen nicht erkennbar sind. Allerdings steigt der Handlungsdruck auf die Regierung. Aufgrund der Überalterung der Gesellschaft, dem Bevölkerungsrückgang (2000 bis 2009 um jährlich 0,8 Prozent) und prognostiziertem massivem Arbeitskräftemangel in bestimmten Sektoren und Regionen (in etwa 10–12 Jahren) appelliert die Regierung an den Rückkehrwillen der Ukrainer im Ausland. Die Rückkehr auch nur weniger Migranten erfordert handfeste Vorteile und Anreize. Zwar hat die Regierung bei verschiedenen Ministerien und dem Staatlichen Arbeitsamt entsprechende Arbeitsstellen sowie ein beratendes Organ bei der Regierung eingerichtet, das auch Vertreter der Zivilgesellschaft umfasst. Aber gleichzeitig setzt sie die Tradition unbestimmter Absichtserklärungen fort. Es lassen sich drei große Themenfelder unterscheiden, denen sich die Regierung widmet: 1) die Eindämmung der Auswanderung, 2) die Reintegration von Rückkehrern und 3) die Verbesserung der Bedingungen der Arbeitsmigration. Allerdings finden sich Aussagen zu den einzelnen Punkten verstreut über eine beträchtliche Anzahl von Erklärungen, Beschlüssen, Erlassen und Gesetzen, für die fast ausnahmslos die jeweiligen Ausführungsbestimmungen fehlen. Der einzige Bereich, in dem die ukrainische Regierung in den vergangenen Jahren aktiv war, ist die Bekämpfung des Menschenhandels. Der Erlass des Präsidenten zur Migrationspolitik aus dem Jahr 2011 ist eine weitgehend ungeordnete Liste wünschenswerter Prinzipien staatlicher Migrationspolitik, die unkonkret und deklarativ bleibt. Demnach sollen für rückkehrende Arbeitsmigranten sowohl der Arbeitsmarkt als auch die Rahmenbedingungen für privates Unternehmertum verbessert werden. Wie dies geschehen soll, bleibt im Dunkeln. Bereits 2004 entwickelte die Regierung ein Programm zur Sicherstellung der Rechte und Interessen von Bürgern, die auf der Suche nach Arbeit im Ausland sind – und von Kindern, die von Ausländern betreut werden bis 2010.

In der »Erklärung zur Anerkennung der Strategie der demographischen Entwicklung bis 2015« aus dem Jahr 2006 betonte die Regierung die Notwendigkeit, die Möglichkeit für reguläre Arbeitsmigration zu erweitern, vor allem in Form bilateraler Abkommen. Es legte auch Maßnahmen für die Integration von Rückkehrern fest, einschließlich Weiterbildungen und Informationsangeboten. In den vergangenen Jahren ist die Ukraine internationalen Abkommen zum Schutz von Wanderarbeitern beigetreten und hat mit zahlreichen Staaten bilaterale Abkommen über die Regulierung der Arbeitsmigration abgeschlossen. Damit haben Ukrainer in den Ländern die gleichen Rechte wie dortige Staatsbürger. Auch hier gilt die Einschränkung, dass sie nur für reguläre Arbeitsmigranten gelten. Zudem gibt es innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und mit einzelnen Staaten Vereinbarungen über die gegenseitige Anerkennung und Auszahlung von Rentenanwartschaften. Aber auch das gilt nur für angemeldete Arbeit, deren Anteil gleichwohl in allen Aufnahmeländern steigt. Der 2011 verabschiedete »Plan von Maßnahmen für die Integration von Migranten in die ukrainische Gesellschaft 2011–2015«, bezieht sich sowohl auf Zuwanderer als auch auf Rückkehrer. Rückwanderer sollen psychologische Unterstützung sowie Informationen über Beschäftigungs- und Investitionsmöglichkeiten erhalten, ihre Kinder sollen Integrationskurse besuchen. Die ukrainische Regierung vermischt klassische Diaspora-Politik mit Maßnahmen für Arbeitsmigranten, die alle unter »Ukrainer im Ausland« gefasst werden. 2010 wurde das Staatliche Programm für die Zusammenarbeit mit ausländischen Ukrainern beschlossen. Damit sollen die Bedingungen für den Erhalt und die Entwicklung der ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Identität der ukrainischen Gemeinschaften in ihren Aufenthaltsländern verbessert werden. Für die Unterstützung von Ukrainern im Ausland gab die Regierung 2012 13 Millionen Dollar aus. Anfang 2011 beschloss die ukrainische Regierung die Erarbeitung einer Reihe von Maßnahmen, welche unter anderem die Möglichkeit zur Beteiligung der Arbeitsmigranten an ukrainischen Wahlen, Reintegrationsprogramme sowie Investitionserleichterungen für Migranten vorsehen. Es ist zudem angedacht, ansatzweise dem Beispiel der Philippinen und Mexikos zu folgen und Zollerleichterungen für Einfuhren von Arbeitsmigranten einzuführen. Aber auch hier sind bislang keine konkreten Maßnahmen erkennbar. Gleichzeitig wurden Pläne bekannt, die Einfuhr von Fremdwährungen mit 10–15 Prozent zu besteuern, was vor allem die Rücküberweisungen aber auch mitgebrachtes Geld der Migranten betrifft. Zusammengefasst bleibt die ukrainische Politik weitgehend deklarativ, ohne konkrete Maßnahmen. Zum Teil ist sie widersprüchlich und kontraproduktiv. Auf jeden Fall wird sie den Bedürfnissen der Arbeitsmigranten und der Rückkehrer nicht gerecht.

4. Zivilgesellschaft und Internationale Organisationen


In Anbetracht der Tatsache, dass der ukrainische Staat keine konkreten Hilfen für Rückkehrer bietet, tragen und finanzieren NRO und ausländische Einrichtungen oder Staaten Maßnahmen der Reintegration – in ähnlicher Form wie Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik. Einige internationale Organisationen haben sich des Themas angenommen, allen voran die International Organization for Migration (IOM) und die International Labour Organization, welche einerseits die ukrainische Regierung beraten und andererseits konkrete Maßnahmen anstoßen. So schloss die Ukraine 2008 mit Portugal ein Abkommen über zirkuläre Migration ab, das von der IOM, der Weltbank und der EU-Kommission unterstützt wurde. Von 2009 bis 2010 wurden 50 Ukrainer in Portugal beschäftigt. Nach der Rückkehr erhielten sie Wiedereingliederungshilfen. Die ersten Ergebnisse erschienen vielversprechend, aufgrund der Wirtschaftskrise wurde das Programm aber nicht fortgesetzt. Die IOM arbeitet, gemeinsam mit dem ukrainischen Sozialministerium, an einem Pilotprojekt zur Eingliederung von 50 Personen. Das Hauptziel ist es, das Projekt langfristig in ukrainischen staatlichen Strukturen zu verankern. Einige Reintegrationsmaßnahmen werden über Programme der EU finanziert, und zwar im Rahmen des Rückübernahmeabkommens, das 2008 in Kraft trat. Seit Januar 2009 muss die Ukraine eigene Staatsangehörige zurücknehmen, seit 2010 auch Drittstaatsangehörige, die über die Ukraine eingereist sind und sich ohne legalen Status in der EU aufhalten. Dieses Abkommen zog eine gemeinsame Erklärung über technische und finanzielle Unterstützung nach sich, mit deren Hilfe die Ukraine das Abkommen umsetzen soll. In der Richtlinie des Europäischen Rates über »Gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger« wird die freiwillige Rückkehr der zwangsmäßigen vorgezogen. Die Mitgliedstaaten sollen verstärkt die Rückkehr fördern und die Aufnahmestaaten unterstützen. Dies bezieht sich hauptsächlich auf abgelehnte Asylbewerber, aber im Prinzip auch auf irreguläre Arbeitsmigranten. Ein Beispiel für solche Projekte und Programme ist »Post-Arrival Assistance to Migrants Returning to Ukraine«, das sich an Rückkehrer aus den Niederlanden wendet und finanziert wird von der EU (European Return Fund) und dem Niederländischen Repatriation and Departure Service; umgesetzt vom International Centre for Migration Policy Development (ICMPD). Ähnlich arbeiten Caritas Österreich und Belgien, die mit der ukrainischen Caritas innerhalb des ERSO (European Reintegration Support Organisations) Netzwerks kooperieren. Das damit verbundene ukrainische Solidaritätsnetzwerk umfasst 30 Partnerorganisationen aus 15 ukrainischen Regionen. Caritas Ukraine startete im Jahr 2011 das Programm STAVR (Strengthening Tailor-made Assisted Voluntary Return) für aus Belgien zurückkehrende ukrainische Migranten. Allen Maßnahmen liegt die Idee zugrunde, eine erfolgreiche Rückkehr und Wiedereingliederung könnten auch zur Entwicklung des Heimatlandes beitragen. Die hier genannten Projekte verfolgen einen individuellen Ansatz. Die meisten befinden sich noch im Aufbau und erreichen nur eine kleine Zahl von (potenziellen) Rückkehrern. Auch die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche engagiert sich für Arbeitsmigranten. Neben dem Bau eines Denkmals für Arbeitsmigrantinnen in den Karpaten sollen Beratungszentren in dieser stark von Auswanderung betroffenen Region entstehen. Außerdem nimmt die Selbstorganisation der Arbeitsmigranten Formen an. So wurde 2006 die Gesamtukrainische Gewerkschaft der Arbeitsmigranten in der Ukraine und im Ausland gegründet.

Fazit


Die Tatsache, dass viele Ukrainer sich irregulär im Aufnahmeland aufhalten, führt dazu, dass sie seltener in die Ukraine reisen können und den Kontakt zu ihrem sozialen Umfeld verlieren. In einigen Aufnahmeländern haben sie bereits einen regulären Aufenthaltsstatus erreicht, Kredite aufgenommen und Wohnungen gekauft. Vor allem Spanien und Portugal entwickeln sich trotz der Finanzkrise zu Ländern der Familienmigration – aufgrund der Möglichkeiten zur Legalisierung und Familienzusammenführung. Für zahlreiche ukrainische Familien ist Migration zu einem normalen Bestandteil des alltäglichen Lebens geworden, und viele werden nicht zurückkehren – trotz oder gerade wegen der staatlichen Migrations-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik. Wenn sie zurückkehren, dann aufgrund ihrer persönlichen Situation. Für den ukrainischen Staat bergen die Rücküberweisungen das Risiko fahrlässigen Verhaltens, da sie den politischen Willen, notwendige Reformen anzustoßen, untergraben. Die ukrainische Regierung verharrt in Absichtserklärungen, auf die bislang keine konkreten Gesetze, Maßnahmen oder Initiativen folgen. Fast alle Maßnahmen werden von der Zivilgesellschaft und ausländischen Initiativen getragen, erreichen aber nur wenige Rückkehrer. Daher bleibt das Potenzial der ukrainischen Arbeitsmigranten weitgehend ungenutzt.

Lesetipps

  • CARIM East – Consortium for Applied Research on International Migration http://www.carim-east.eu/

    • Hryhoriy Seleshchuk / Birgit Salzmann (2009): What and Who is Waiting for Migrants After Returning to Ukraine? Caritas Austria, online: http://www.reintegrationcaritas.be/fileadmin/user_upload/Fichiers/CS/Ukraine/Survey%20Ukraine.pdf

    Fussnoten

    Dr. Kerstin Zimmer ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Zentrum für Konfliktforschung der Universität Marburg. Zurzeit vertritt sie die Professur für Angewandte Soziologie an der Universität Marburg.