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Sicherheit

Monika Heupel

/ 8 Minuten zu lesen

Kriege zwischen Nationalstaaten sind selten geworden, dafür haben die Bedrohungen durch nicht staatliche Gewaltakteure zugenommen. Vor allem in Verbindung mit dem internationalen Terrorismus ziehen sie Nutzen aus der Globalisierung. Auf diese neuen Gefahren muss die internationale Staatengemeinschaft eine Antwort finden.

Die islamistische Terrororganisation IS nutzt die durch den Bürgerkrieg geschwächten Staaten Irak und Syrien für ihre militärische Expansion. Durch mediale Inszenierung wollen sie Anhänger gewinnen und ihre Gegner einschüchtern. Parade durch die syrische Stadt Tall Abyad 2014 (© REUTERS / Yaser Al-Khodor)

Herausforderungen im Zeichen der Globalisierung


Traditionell galten Staaten als die Akteure, von denen Sicherheitsbedrohungen ausgehen. So wurde Krieg lange mit gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Staaten gleichgesetzt. Dementsprechend beauftragt die Charta der Vereinten Nationen den UN-Sicherheitsrat als zentrale Institution für Sicherheitsfragen, Zwangsmaßnahmen zu erlassen, um den Frieden und die internationale Sicherheit – gedacht als Frieden und Sicherheit zwischen Staaten – aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (UN-Charta, Art. 39). Diese Sichtweise hat sich heute fundamental geändert. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges findet nur noch etwa jeder sechste Krieg zwischen Staaten statt, während der Großteil der kriegerischen Auseinandersetzungen ausschließlich durch nicht staatliche Gewaltakteure oder zumindest unter deren Beteiligung ausgetragen wird. Gleichzeitig entstanden beziehungsweise verschärften sich vor dem Hintergrund der Globalisierung sogenannte transnationale, also grenzüberschreitende Sicherheitsbedrohungen, die ebenfalls in erster Linie von nicht staatlichen Akteuren ausgehen.

Die wohl bekannteste Sicherheitsbedrohung dieser Art ist der transnationale Terrorismus. Grenzüberschreitende Terrornetzwerke profitieren von den Chancen und Begleiterscheinungen der Globalisierung, um sich von staatlichen Unterstützern unabhängig zu machen. Sie nutzen schwache und versagende Staaten, deren Regierungen das Gewaltmonopol auf ihrem Territorium verloren haben, als Rückzugsraum, und sie rekrutieren gerade über das Internet weltweit Mitstreiter und Anhänger. Außerdem finanzieren sich transnationale Terrornetzwerke vor allem über private Geldgeber und illegale ökonomische Aktivitäten. Das Terrornetzwerk Al Qaida etwa, das für die verheerenden Anschläge in den Vereinigten Staaten vom 11. September 2001 verantwortlich war, nutzte den zerfallenen Staat Afghanistan als Rückzugsraum. Zudem finanzierte sich Al Qaida über religiöse Stiftungen, reiche Geschäftsleute und den illegalen Handel mit Drogen und anderen Gütern. Eine ähnliche Vorgehensweise wendet die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) an, die in den Wirren des Syrienkrieges und im Irak zu bedrohlichem Einfluss gekommen ist.

QuellentextDie Finanzierung des IS-Terrors

zenith: Das von der Organisation "Islamischer Staat" (IS) ausgerufene Kalifat umfasst mittlerweile große Teile Syriens sowie des Iraks. Ist IS mit den eroberten Gebieten, Erdölvorkommen und Bankgeldern inzwischen überhaupt noch auf ausländische Finanzmittel angewiesen?
David Romano: Es ist schwierig, abzuschätzen, wie viel ausländisches Geld den "Islamischen Staat" – noch – erreicht. IS und seine Geldgeber verwenden oft das "Hawala-System": Eine Person A, die Geld an eine Person B transferieren will, übergibt dieses an eine Drittperson, der sie vertraut und die mit B oder einer Vertrauensperson von B in Kontakt ist. Dieses informelle Überweisungssystem bewährt sich seit Jahrzehnten. Da es jenseits offizieller Kanäle erfolgt, ist es unmöglich, herauszufinden, wie viel Geld der IS aus privaten Spenden erhält.

zenith: Besonders die Golfstaaten sind im Zusammenhang mit der Finanzierung dschihadistischer Gruppen in Verruf geraten, allen voran Katar und Kuwait. Haben diese Länder IS dazu verholfen, zu dieser Größe heranzuwachsen?
David Romano: Die aus den Golfstaaten stammende Unterstützung ist einerseits finanziell, andererseits ideologisch. Dort leben viele reiche Leute mit einer ultrakonservativen salafistischen Ideologie. Sie sitzen in ihren leeren Häusern im Golf, tun selbst nichts, unterstützen aber diejenigen, die aktiv sind, finanziell. […]

zenith: Mittlerweile kommen die Dschihadisten aber vor allem auf dem Schlachtfeld zu Geld. Wie stark wird die Strategie von IS durch die Gewinnung von Rohstoffen bestimmt?
David Romano: Eine zentrale Einnahmequelle von IS ist die Bevölkerung in den eroberten Gebieten. Kriegsbeute zu machen, ist einer der Gründe, warum IS gleichzeitig verschiedene Fronten öffnet und ständig neue Feldzüge beginnt. Die Christen in Mossul durften erst fliehen, nachdem sie ihr Hab und Gut übergeben hatten […]. […] IS erhebt auch Schutzzölle und hat Hunderte von Millionen US-Dollar – der Betrag ist umstritten – aus Banken in Mossul erbeutet. Ansonsten finanziert IS sich durch das lukrative Erdölgeschäft. […]

zenith: Der "Islamische Staat" führt Kriege an mehreren Fronten, die Lage ändert sich fortlaufend. Wie muss man sich die interne Finanzverwaltung von IS vorstellen?
David Romano: Es handelt sich um eine organisierte Feudalhierarchie. So wie damals ein Baron dem Herzog und dieser wiederum dem Großherzog Geld schuldete, muss ein lokaler Führer Einnahmen seinem Vorgesetzten weiterleiten. Er hat relativ viel Entscheidungsfreiheit, was Kampfeinsätze und die Verwaltung finanzieller Mittel betrifft. Dies ist eine Notwendigkeit, weil die Kommunikation von IS durch die irakische und die amerikanische Regierung blockiert wird. Das Feudalsystem ist aber ziemlich effizient. Potentielle Oppositionelle werden so oft als möglich bestochen statt unterdrückt – was allerdings einen Haufen Geld kostet. […]

zenith: Wie konnte IS diesen Staatshaushalt in derart kurzer Zeit aufbauen?
David Romano: Schon bevor IS die betreffenden Gebiete in seine Gewalt brachte, war es dort üblich, dass Geschäftsleute von ansässigen Stämmen und manchmal lokalen Politikern und Milizen erpresst wurden. Es gab zum Beispiel den Fall eines türkischen Geschäftsmanns, der Stammesleuten 500.000 US-Dollar pro Monat bezahlen musste, um in Mossul sein Gewerbe ausüben zu können. Als IS die Stadt eroberte, erhöhte er die Steuer auf eine Million Dollar pro Monat. Da zog sich der Geschäftsmann zurück, woraufhin IS seine Forderung wieder auf eine halbe Million herabsetzte und ihn bat, zurückzukommen. IS hat die bestehenden mafiösen Strukturen übernommen und ist selbst zur größten Mafia geworden.

zenith: Werden wir es bei IS eines Tages also mit einem gigantischen kriminellen Netzwerk zu tun haben, vergleichbar mit international agierenden Mafia-Clans?
David Romano: Wir sind jetzt schon so weit. Am laufenden Meter werden Leute entführt und Lösegelder erpresst. Das geschieht im Irak seit 2003.

zenith: Und Sie meinen, die Entwicklung wird anhalten?
David Romano: Jein. Wie das IS-Netzwerk wächst, nähert es sich der Überdehnung. Es gibt kaum noch weitere Gebiete, in die IS vorstoßen kann. […]

zenith: Was wird also geschehen?
David Romano: Wie sich die Erfolge von IS verringern werden, wird der Einfluss, den die Gruppe auf lokale Führer ausüben kann, mit der Zeit schwinden. Diese werden sich abspalten und kriminelle Gruppen bilden – wobei sie sich so lange als möglich noch des "Islamischen Staats" als politischer Deckung bedienen werden, um sich zu legitimieren. […]

"Das IS-Netzwerk gleicht einem Feudalsystem", Interview von Julia Joerin mit dem Politologen David Romano, in: zenith 11–12/2014


Eine weitere neue Sicherheitsbedrohung sind transnational operierende Netzwerke, die Material, Technologie und Expertise für die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen weitergeben (sogenannte Proliferationsnetzwerke). Staaten, die illegale Nuklear-, Bio- oder Chemiewaffenprogramme unterhalten, suchen immer häufiger nicht die Unterstützung von Staaten, sondern kooperieren mit untereinander vernetzten Wissenschaftlern und Geschäftsleuten. Das berühmteste Proliferationsnetzwerk dieser Art um den pakistanischen Wissenschaftler Abdul Qadeer Khan belieferte die Nuklearprogramme Irans, Nordkoreas und Libyens. Dabei profitierte das Netzwerk insofern von der Globalisierung, als die Verdichtung der globalen Handelsbeziehungen und die Auslagerung von Produktionsprozessen in weniger entwickelte Staaten dem illegalen Handel mit Nukleartechnologie Vorschub leisteten.

Schließlich zählen auch grenzüberschreitende Gewaltökonomien zur Finanzierung von Bürgerkriegen zu den neuen transnationalen Sicherheitsbedrohungen, die in hohem Maße von der Globalisierung begünstigt werden. Während des Kalten Krieges konnten Rebellengruppen in den sogenannten Stellvertreterkriegen in der Regel darauf bauen, entweder von den Vereinigen Staaten oder von der Sowjetunion finanziell und mit Kriegsausrüstung unterstützt zu werden. Heute versorgen sich viele nicht staatliche Gewaltakteure über den Diamanten-, Holz- und Drogenschmuggel und andere illegale ökonomische Aktivitäten. Die Kriege in Angola und Sierra Leone in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren etwa wurden vor allem deshalb am Leben gehalten, weil Rebellengruppen über Jahre beträchtliche Einkünfte aus dem illegalen Handel mit Diamanten erzielen konnten. Und die Kriege in Kambodscha und Afghanistan konnten viele Jahre lang auch deshalb nicht beendet werden, weil Gewaltakteure hohe Gewinne aus dem illegalen Handel mit Holz beziehungsweise Drogen erwirtschaften konnten. Auch transnationale Gewaltökonomien profitieren von der Globalisierung, denn der Anstieg der grenzüberschreitenden Warenströme stellt ein Hindernis für effektive Grenzkontrollen dar.

Zentrale internationale Institutionen

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 615 124)

Der Sicherheitsrat der UN ist die zentrale internationale Institution im Sachbereich Sicherheit. Die UN-Charta überträgt ihm die Hauptverantwortung für die Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit (Art. 24). Er kann militärische und nicht militärische Zwangsmaßnahmen verhängen, wenn er eine Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit feststellt (Art. 41 und 42). Der Sicherheitsrat reagierte auf die Herausbildung transnationaler Sicherheitsbedrohungen, indem er sein Mandat neu interpretierte und nicht mehr nur Konflikte zwischen Staaten, sondern auch transnationale Sicherheitsbedrohungen als Friedensgefährdung definierte. Auf der Basis dieser Mandatserweiterung konnte der Sicherheitsrat in der Folge Zwangsmaßnahmen auch zur Bearbeitung transnationaler Sicherheitsbedrohungen erlassen.

Vor allem drei Typen von Zwangsmaßnahmen sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung:

  • Erstens verhängt der Sicherheitsrat Sanktionen. Um Al Qaida zu schwächen, wies der Sicherheitsrat alle Staaten dazu an, Reise- und finanzielle Sanktionen gegen Individuen und Gruppen, die mit Al Qaida und den Taliban verbündet sind, durchzusetzen. Um transnationalen Proliferationsnetzwerken das Wasser abzugraben, erließ der Sicherheitsrat Sanktionen gegen Individuen und Gruppen, die an den Nuklearprogrammen der beiden Staaten beteiligt waren, und untersagte die Lieferung von entsprechendem Material und Technologie nach Nordkorea und in den Iran. Und um transnationale Gewaltökonomien auszutrocknen, beschloss der Sicherheitsrat Handelsembargos gegen nicht zertifizierte Diamanten aus Angola und Sierra Leone.

  • Zweitens autorisiert der Sicherheitsrat Friedensmissionen. So entsandte er eigene Blauhelm-Missionen zur Befriedung von Konflikten, die durch transnationale Gewaltökonomien am Leben gehalten wurden. Einige Missionen unterstützen dabei konkrete Maßnahmen zu deren Schwächung, wie zum Beispiel die UN-Mission in Kambodscha, die zu Beginn der 1990er-Jahre ein Moratorium für den Export von Holz überwachen sollte. Darüber hinaus bewilligt der Sicherheitsrat Militäreinsätze, die von Staaten oder Staatenkoalitionen durchgeführt werden. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 etwa genehmigte der Sicherheitsrat den Einsatz der Organisation des Nordatlantikvertrags (NATO) und deren Partnerländern, um Afghanistan, Al Qaidas wichtigsten Rückzugsraum, zu stabilisieren.

  • Drittens schuf der Sicherheitsrat mit sogenannten gesetzgebenden Resolutionen ein neues Instrument. Angesichts grenzüberschreitender Sicherheitsbedrohungen verpflichten solche Resolutionen alle Staaten darauf, ihre nationale Gesetzgebung den Vorgaben des Sicherheitsrates anzupassen. 2001 schrieb der Sicherheitsrat mit der Resolution 1373 allen Staaten vor, in ihrer nationalen Gesetzgebung Terrorismus als ernsthaftes kriminelles Vergehen zu behandeln und die Terrorismusfinanzierung unter Strafe zu stellen. Drei Jahre später wies der Sicherheitsrat alle Staaten an, Gesetze zu erlassen, die die Weitergabe von Material, Technologie und Expertise für die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen kriminalisieren (Resolution 1540 vom 28. April 2004).

QuellentextGeopolitische Schwerpunkte der UN-Friedensmissionen

[…] Die VN-Einsätze und -Operationen lassen einen geopolitischen Fokus erkennen: Während Afrika und der Nahe und Mittlere Osten bereits in den 1990er-Jahren zum Hauptbetätigungsfeld avancierten, entwickelte das VN-System kollektiver Sicherheit keine vergleichbare Rolle als Anbieter regionaler Sicherheit in (Ost-)Europa, (Ost-)Asien und Lateinamerika. Dieser Umstand ist nicht mit der nachhaltigen Lösung der sicherheitspolitischen Problematik in den Regionen zu erklären, sondern hängt in erster Linie mit den Interessen der im SR [Sicherheitsrat – Anm. d. Red.] vertretenen Großmächte zusammen. So wurde auf dem europäischen Kontinent der Rat durch Frankreich und Großbritannien 1992 zwecks Balancierung des deutschen Einflusses in die Jugoslawien-Krise einbezogen; die somit gewährleisteten Mitbestimmungsrechte Russlands und Chinas führten indes ab der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre zur "Herausdrängung" des SR aus der europäischen Sicherheitspolitik, die nun in den Fällen Mazedonien, Bosnien und Kosovo durch regionale Organisationen übernommen wurde.

Auch auf dem lateinamerikanischen Kontinent stand die relative "Stärke" der regionalen Mittelmächte (Mexiko, Kolumbien, Brasilien) wie auch der Anspruch der USA auf weitgehende Handlungsfreiheit in der eigenen Nachbarschaft einer elaborierten Rolle des SR entgegen. Während das Problemfeld Haiti kontinuierliche Aufmerksamkeit erhielt, blieben die Effekte und die Spill-over-Problematik des Drogenhandels außerhalb der Agenda. Ähnlich in Asien: Hier fiel das Engagement des SR ab Mitte der 1990er-Jahre ab, um sich auf die Konflikte in Indonesien/Osttimor und Nordkorea zu konzentrieren. Externe und regionale Akteure wie Indien, Pakistan und China sperrten sich gegen eine Einmischung des SR in ihre Einflusssphäre, während speziell die euro-atlantischen Staaten um eine Kanalisierung von asiatischen High-priority-Sicherheitsrisiken im Rahmen eigener Missionen bemüht waren (wie etwa durch ISAF in Afghanistan).

Die regionale Differenzierung führte – zumindest in der Tendenz – zu der Etablierung eines "Zwei-Klassen-Sicherheitsmanagements", wonach die Rückläufigkeit der VN-Friedensmissionen insbesondere in den geopolitisch relevanten Regionen Europa und Asien zu einer starken Konzentration des VN-Sicherheitsmanagements auf die ansonsten vernachlässigten Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent führte. Unzureichend ausgebildete und ausgestattete Blauhelmkontingente leisteten der Etablierung kleinerer, häufig insuffizienter Missionen Vorschub, während große NATO-Missionen europäische Ressourcen und Technologie in Anspruch nahmen, die dadurch für die VN nicht mehr zur Verfügung standen. Bis ins Jahr 2013 stellte die NATO das System kollektiver Sicherheit mit der höchsten Sach- und Personalausstattung dar, wobei allein im Rahmen der ISAF-Mission mehr uniformiertes Personal eingesetzt wurde als in sämtlichen VN-Missionen zusammen. […]

Eva Schmitt, "Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der internationalen Sicherheitsarchitektur", in: APuZ 37/2013 vom 2. September 2013

UN-Friedensmissionen - Finanzierung und Personal (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 615 509; Quelle: UN Department of Peacekeeping Operations)

Neben dem UN-Sicherheitsrat haben auch Regionalorganisationen Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung transnationaler Sicherheitsbedrohungen ergriffen. So entsendet die Europäische Union Friedensmissionen zur Einhegung von Konflikten, die sich aus transnationalen Gewaltökonomien speisen, und verhängt Sanktionen gegen Terrorverdächtige sowie gegen Individuen und Gruppen, die mit Proliferationsnetzwerken zusammenarbeiten. Die NATO führte in Afghanistan einen langjährigen (friedenserzwingenden) "robusten" Militäreinsatz durch, vor allem um Al Qaida einen wichtigen Rückzugsraum zu nehmen. Und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) versucht, über Hilfe beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen dem Entstehen transnationaler Sicherheitsbedrohungen vorzubeugen. Außerdem beteiligen sich zahlreiche Funktionalorganisationen – also Organisationen, die sich auf bestimmte Aufgaben spezialisiert haben, – an der Eindämmung transnationaler Sicherheitsbedrohungen. Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) trägt Informationen zu transnationalen Proliferationsnetzwerken zusammen und überwacht, ob sich Staaten über sie mit verbotenem Waffenmaterial versorgen. Der Arbeitskreis Maßnahmen zur Geldwäschebekämpfung (FATF), um ein weiteres Beispiel zu nennen, setzt Standards zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung und kontrolliert in seinen Mitgliedstaaten, ob die Standards umgesetzt werden.

Kritik und Reformbemühungen des UN-Sicherheitsrates


Obwohl der Sicherheitsrat nach wie vor ein stark formalisiertes Gremium ist, in dem lediglich Staaten vertreten sind und Entscheidungen treffen, lassen sich dennoch im Umgang des Sicherheitsrates mit grenzüberschreitenden Sicherheitsbedrohungen auch neue Formen der Global Governance ausmachen. So unterstützt er informelle Zusammenschlüsse, die Staaten gebildet haben, um besser auf grenzüberschreitende Bedrohungen reagieren zu können. Die Proliferation Security Initiative (PSI) etwa, eine lockere Staatenkoalition mit dem Ziel, die Aufbringung verdächtiger Transfers zu verbessern, wurde durch eine gesetzgebende Resolution des Sicherheitsrates gestärkt. Zudem unterstützt der Sicherheitsrat transnationale Governance-Netzwerke wie zum Beispiel den Kimberley-Prozess, ein internationales Zertifizierungsprogramm für den Handel mit Rohdiamanten, an dem Staaten, die Diamantenindustrie und zivilgesellschaftliche Gruppen beteiligt sind. Darüber hinaus hat sich der Sicherheitsrat zumindest in geringem Maße für gesellschaftliche Akteure geöffnet. Der Sicherheitsrat lässt sich regelmäßig von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zu Konflikten und Querschnittsthemen informieren. Außerdem arbeitet er bei der Umsetzung seiner gesetzgebenden Resolutionen mit NGOs zusammen, die Sachverstand bereitstellen und Staaten dabei helfen, Kapazitäten aufzubauen.

Wie viele andere internationale Organisationen, die Autorität ausüben, geriet auch der Sicherheitsrat nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in die Kritik. Zivilgesellschaftliche Akteure, Staaten, Gerichte und andere internationale Organisationen thematisierten öffentlich seine Schattenseiten im Umgang mit den Herausforderungen der Globalisierung. So wurde ihm vorgeworfen, für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu sein. Vor allem NGOs kritisierten, dass Handelssanktionen die Lebensgrundlage unschuldiger Zivilisten zerstörten und Individuen, die gezielt mit Sanktionen belegt wurden, kein Recht auf ein ordentliches Verfahren bekamen. UN-Blauhelmen wurde zur Last gelegt, in Konfliktgebieten Frauen und Kinder sexuell auszubeuten. Auch die Entscheidungsverfahren des Sicherheitsrates wurden beanstandet. Immer mehr Staaten bemängelten, dass der Sicherheitsrat von fünf ständigen Mitgliedern mit Vetorecht – China, Frankreich, Russland, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten – dominiert wird. Dem Sicherheitsrat wurde außerdem vorgeworfen, selektiv zu handeln und in einigen Krisen zu intervenieren, während er etwa dem Genozid in Ruanda 1994 und dem Einsatz von Chemiewaffen in Syrien 2013 weitgehend tatenlos zusah. Schließlich wurde der Sicherheitsrat beschuldigt, sein Mandat zu überschreiten: die neuen gesetzgebenden Resolutionen seien nicht zulässig, weil der Sicherheitsrat lediglich konkrete Situationen, nicht aber den transnationalen Terrorismus und die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen als solche als Friedensbedrohung einstufen dürfe.

QuellentextDer Sicherheitsrat – Autorität oder Sündenbock?

[…] Die Akzeptanz einer "Autorität" des Rates und eine hiermit einhergehende "Verstetigung" des Konfliktmanagements auf das Gremium sind […] kritisch zu hinterfragen. Zwar stellten nach 1990 wiederholt relevante Akteure (unter anderem die USA) als auch Regionalorganisationen die Bedeutung einer "übergeordneten Rolle" des SR [Sicherheitsrates] heraus. Dies muss jedoch nicht zwangsläufig als normorientierte Affinität zu multilateralen Arrangements im Rahmen der VN gewertet werden. Der Rat macht die internationalen Beziehungen indes nicht egalitärer, da einflussreiche Akteure vielfältige (völkerrechtliche und institutionelle) Optionen zum Handeln außerhalb des Rates besitzen. Auch machen Diplomaten seit den 1990er-Jahren auf ein zunehmend schlechtes Image der VN speziell bei Ländern des Globalen Südens aufmerksam – was wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Dominanz von schlecht zu kontrollierenden Großmächten im Sicherheitsrat steht. So fehlt etwa eine Bezugnahme auf den SR in der Charta der Afrikanischen Union (eine der Hauptadressaten der VN-Aktivitäten), während die Blockfreien Staaten nach 1990 wiederholt die fehlende Legitimität des Rates beklagten.

Die Argumentationsfigur einer "Autorität" des Rates wird hingegen intensiv im Rahmen der OECD beziehungsweise von euro-atlantischen Staaten vertreten – ein Umstand, der mit hoher Plausibilität mit ihrer eigenen einflussreichen Rolle im Rat zusammenhängt. Die USA nutzen die Legitimitätsfunktion des Rates selektiv, während sich die EU-Staaten im Rahmen der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) 2003 mit der Zielsetzung eines "angestrebten" Handelns in Übereinstimmung mit der VN-Charta Handlungsfreiheit verschaffen. Russland und China, die nicht (mehr) über Ressourcen für globale Machtprojektionen verfügen, sind zwecks Wahrung ihrer (außerregionalen) sicherheitspolitischen Relevanz weitgehend auf die Compliance [das Einverständnis – Anm. d. Red.] mit den P 3 [den 3 übrigen permanenten Mitgliedern – Anm. d. Red.] angewiesen. Jedoch ist in Rechnung zu stellen, dass gerade auch die Blockadefunktion dieser Mächte (die sie primär dann nutzen, wenn das Interesse der P3 an einem Konflikt nicht sehr ausgeprägt ist) hilfreich und praktisch sein kann, wenn es um die Vermeidung von finanziell und militärisch kostenintensivem internationalem Engagement geht.

Der Sicherheitsrat besitzt – wenn das Gremium mit einem Konflikt befasst beziehungsweise blockiert ist – auch eine Entlastungs- und Sündenbockfunktion für die demokratischen Regierungen, die sie – angesichts von innenpolitischen Forderungen – vor weltpolitischer Überlastung schützen kann. In den Fällen Bosnien und Ruanda bewahrte die (in der Realität rudimentäre) Befassung der Ratsmitglieder die US-amerikanische sowie die europäischen Regierungen zunächst vor nationaler Kritik hinsichtlich des fehlenden eigenen Engagements oder vor der Unfähigkeit, innerhalb des eigenen Territoriums als Anbieter kollektiver Sicherheit zu agieren. Auch mit Blick auf den Sudan verhinderte zunächst die Vetodrohung Chinas das Eingreifen in einem Fall von geostrategisch minderer Relevanz, das unter humanitären Gesichtspunkten notwendig gewesen wäre.

Eine ähnliche "Praktikabilität" besteht in Bezug auf Tschetschenien sowie Birma, wobei speziell hinsichtlich des asiatischen Binnenstaats eine 2008 erfolgte Vetodrohung Chinas einer sicherheitspolitischen Überlastung Frankreichs entgegenwirkte. Ein aktueller Fall ist der Bürgerkrieg in Syrien: Hier "entbindet" vorerst noch ein Veto Russlands die NATO-Mitglieder von einem weiteren "kostenintensiven" (und in den Folgen nicht abschätzbaren) Einsatz nach Libyen.

Angesichts dieser Fallbeispiele erscheint es plausibel, die Attraktivität einer (angenommenen) Prärogative [Vorrecht – Anm. d. Red.] des Rates auch vor dem Hintergrund einer Vermeidung (beziehungsweise Suggerierung) von Engagement zu sehen. Die Argumentationsfunktion der "Autorität" des Rates ist insofern wirkmächtig, als dass sie einer Vielzahl von Akteuren in variablen Konflikten – im Hinblick auf die Verfolgung konkreter Interessen – nützlich scheint. Dies bedingt möglicherweise einen Anreiz zur Mandatierung von militärischen Einsätzen über den Rat, der jedoch utilitaristisch [nutzorientiert – Anm. d. Red.] motiviert bleibt und keinen Trend zu einer substanziellen "Verrechtlichung" darstellt. Auch in Zukunft ist daher damit zu rechnen, dass die westlichen Staaten in der Regel SR-Autorisierungen für relevante Missionen generieren können, jedoch – falls dies nicht möglich sein sollte – auch Möglichkeiten zum Handeln außerhalb des Rates wahrnehmen werden. […]

Eva Schmitt, "Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der internationalen Sicherheitsarchitektur", in: APuZ 37/2013 vom 2. September 2013

Nicht zuletzt die öffentliche Kritik hat dazu beigetragen, dass der globale Trend zur Verrechtlichung auch den Sicherheitsrat erfasst hat. Heute erkennen immer mehr Völkerrechtler und Staatenvertreter an, dass auch er an zwingende Völkerrechtsnormen und an das Völkergewohnheitsrecht gebunden ist. Dies spiegelt sich auch im Umgang des Sicherheitsrates mit transnationalen Sicherheitsbedrohungen wider. So stärkte er, wenn auch zögerlich, das Recht sanktionierter Individuen auf ein ordentliches Verfahren, indem er die Gründe für Listungsentscheidungen offenlegte und einen zumindest schwach verrechtlichten Beschwerdemechanismus schuf. Und auch in einzelnen vom Sicherheitsrat autorisierten Friedensmissionen richtete das UN-Sekretariat Kontaktstellen ein, die Beschwerden im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch durch Blauhelme entgegennehmen können. Gleichwohl bleibt der Sicherheitsrat insgesamt eine vergleichsweise schwach verrechtlichte internationale Institution.

Fazit


Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass internationale Institutionen im Bereich Sicherheit durchaus in der Lage waren, auf die durch die Globalisierung begünstigte Herausbildung transnationaler Sicherheitsbedrohungen zu reagieren. Gerade der UN-Sicherheitsrat, dem häufig vorgeworfen wird, reformunfähig zu sein, zeigte sich erstaunlich anpassungsfähig, indem er seinen Handlungsspielraum ausweitete, bestehende Instrumente anforderungsgemäß umgestaltete und neue Instrumente entwickelte. Gleichzeitig wurde jedoch die Legitimität seines Vorgehens in Frage gestellt. Wenngleich sie eher schwach und zögerlich erfolgten, sind der Verrechtlichungsschub und die Öffnung des Sicherheitsrates für nicht staatliche Akteure dennoch Versuche, verlorene Akzeptanz zurückzugewinnen und die Ausübung von Autorität zu legitimieren. Ob dies gelingt, werden die kommenden Jahre zeigen.

Prof. Dr. Monika Heupel ist seit September 2014 Juniorprofessorin für Politikwissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind: Verantwortung internationaler Organisationen für den Schutz der Menschenrechte sowie die Legitmität des UN-Sicherheitsrats und anderer internationaler Organisationen.
Kontakt: E-Mail Link: monika.heupel@uni-bamberg.de