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Editorial | bpb.de

Editorial

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2017 feierte Indien den 70. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Am 15. August 1947 wurde das Land wie sein Nachbar und dauerhafter Konfliktpartner Pakistan aus der britischen Kolonialherrschaft entlassen. Das Datum gilt vielen als Zäsur, als Anfang vom Ende des Kolonialismus.

Die Inderinnen und Inder sind stolz auf ihr Land: Es fasziniert weltweit durch seine Kultur, seine Buntheit, seine sprachliche, ethnische und religiöse Vielfalt, seine vielgestaltigen Landschaften vom Himalaya bis zum Kap Komorin an der Südspitze des Subkontinents. Jahr für Jahr zieht es Menschen aus aller Welt ins Land, das ihnen als Zentrum und Hort der Spiritualität gilt.

Darüber hinaus hat Indien in den vergangenen sieben Jahrzehnten viel erreicht: Die bevölkerungsreichste Demokratie der Erde ist zu eine der führenden Wirtschaftsmächte Asiens geworden. Sie spielt als anerkannte Atom- und Regionalmacht in der internationalen Politik eine wichtige Rolle und ist u.a. Mitglied der G20-Staaten und der BRICS-Gruppe.

Auch die schiere Größenordnung der indischen Bevölkerung stellt einen gewichtigen Machtfaktor dar: Mit einer Bevölkerung von jetzt schon mehr als 1,3 Milliarden wird Indien seinen direkten Nachbarn und Rivalen China innerhalb der nächsten Dekade übertreffen. Dabei geht die Zahl der Inderinnen und Inder, die in absoluter Armut leben, langsam, aber stetig zurück, während eine kleine, aber wachsende Mittelschicht sich als Motor des Fortschritts etabliert hat, und so in einigen Branchen international konkurrenzfähige Unternehmen entstanden sind. Die Wachstumsraten betrugen in den vergangenen Jahren stabil über sieben Prozent.

Doch das große Land steht weiterhin vor immensen Herausforderungen: Es fehlen ausreichende Arbeitsplätze für die jährlich 12 Millionen jungen Menschen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, ebenso wie effektive Schul- und Ausbildungsmöglichkeiten. Nur ein kleiner Teil der indischen Bevölkerung profitierte vom Boom der vergangenen Jahre. Mehr als zwei Drittel leben immer noch in ärmlichen Verhältnissen auf dem Land oder in den Slums der Millionenstädte und suchen zu mehr als 70 Prozent im informellen Sektor ihr Überleben zu sichern. Bürokratische und gesellschaftliche Verkrustungen behindern das Fortkommen, allgemeine Achtlosigkeit und ein hoher Ressourcenverbrauch sowie die Auswirkungen des Klimawandels belasten die Umwelt und stellen die betroffene Bevölkerung vor existenzielle Gefährdungen.

In den Fokus – auch weltweiter – Öffentlichkeit rückt immer wieder die kritische Situation der Frauen in Indien. Und auch die latent immer schon vorhandene Konfliktlinie zwischen Hindus und Muslimen bereitet Beobachtern zunehmend Grund zur Besorgnis.

Mit umfangreichen Reformprogrammen, beispielsweise der 2014 auf den Weg gebrachten Initiative "Make in India", will die indische Regierung sich den Herausforderungen stellen. Vieles hängt auch davon ab, ob es Indien gelingt, seine "Einheit in der Vielfalt" zu bewahren, damit sich der 2007 vom damaligen Premier Manmohan Singh getätigte Ausspruch "Was gut ist für Indien, ist auch gut für die Welt" bewahrheitet.

Jutta Klaeren

Fussnoten