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Eine Bewegung schafft sich ihren Staat: der Zionismus

Michael Brenner

/ 16 Minuten zu lesen

Das Land mit der eigenen Hände Arbeit aufzubauen, war ein erklärtes Ziel der zionistischen Einwanderer. Rückkehr von der Landarbeit in Shave Zion, 1938. (© Bildarchiv Pisarek / akg-images)

Zionismus ist ein Begriff, der bis heute polarisiert: Die einen sehen in ihm die Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes, den anderen gilt er als Ausgeburt des Kolonialismus und Imperialismus. Nichts verdeutlicht diese Polarisierung so sehr wie die – je nach politischer Wetterlage – unterschiedliche Bewertung des Zionismus durch die UNO-Vollversammlung: 1975 hatte diese mit den Stimmen der arabischen Staaten, der Ostblockländer und einiger Staaten der Dritten Welt den Zionismus als "eine Form des Rassismus" gebrandmarkt. Nach dem Ende des Kalten Krieges hob im Dezember 1991 die UNO-Vollversammlung diese Resolution mit überwältigender Mehrheit wieder auf und erklärte sie für null und nichtig. Der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan meinte in einer Rede zum Thema Antisemitismus im Jahre 2004, dass die umstrittene Gleichstellung von Zionismus und Rassismus einen Tiefpunkt in der Geschichte der Vereinten Nationen gebildet habe.

Von religiöser Sehnsucht zu politischer Bewegung

Der Zionismus war eine moderne politische Bewegung, die jedoch aus einem sehr alten religiösen Gedanken erwachsen war. Schon seit der ersten Vertreibung ins Exil in biblischen Zeiten nämlich gaben die Juden ihrer Sehnsucht Ausdruck, in das Gebiet zurückzukehren, das für sie als das verheißene oder das "Heilige Land" galt. In der hebräischen Bibel hören wir im Psalm 137 von den nach Babylonien Exilierten, wie sie an den Strömen Babels saßen und Zions gedachten. "Wenn ich dich je vergäße, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren", heißt es darin.

Drei Mal täglich beten fromme Juden für die Rückkehr nach Zion – jenem Berg in Jerusalem, der symbolisch für das ganze Land Israel steht. Hebräische Dichter haben während des Mittelalters poetisch die Rückkehr nach Jerusalem ausgemalt. Und immer wieder sind einzelne Juden in ihr heiliges Land ausgewandert – zumeist allerdings nur, um dort zu sterben und begraben zu sein, jedoch nicht, um dort zu leben. Mitunter gab es auch koordinierte Versuche ganzer Gruppen jüdischer Mystiker, sich in das Land Israel aufzumachen, von denen die Bewegung des aus Polen stammenden Jehuda He-Chassid im Jahre 1700 die bekannteste war. Doch mündeten diese nicht in eine politische Bewegung.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts erfuhr die traditionelle Zionssehnsucht allerdings eine entscheidende Veränderung. Die religiösen Gefühle verbanden sich mit den aufkommenden Nationalbewegungen. In Europa entstanden neue Staaten, die sich teilweise auf antike historische Grundlagen bezogen. Jüdische Intellektuelle blickten nach Griechenland und Italien und fanden in diesen alt-neuen Nationalstaaten historische Vorbilder. Die italienische Nationalbewegung (der Risorgimento) diente Moses Heß (1812–1875), einem frühen Weggefährten von Karl Marx, als Inspiration, um die Gründung eines jüdischen Staates vorzuschlagen. In seiner 1862 veröffentlichten Schrift "Rom und Jerusalem" argumentierte er, dass das antike Jerusalem genauso den Kern eines modernen jüdischen Staates bilden könne wie die Erinnerung an das antike Rom den Kern der italienischen Nationalbewegung ausmachte.

Heß’ kleine Schrift verhallte ebenso ungehört wie einige andere religiös motivierte Aufrufe zur Rückkehr der Juden nach Palästina in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die im Rahmen der osteuropäisch-jüdischen Aufklärungsbewegung, der Haskala, entstanden. Es waren somit weder die religiöse Begeisterung noch die nationale Aufbruchsstimmung, die den Zionismus als politische Bewegung begründeten: Mehr noch war es der von vielen bereits als überwunden geglaubte, doch am Ende des 19. Jahrhunderts in radikaler Form neu formulierte Judenhass.

1879 hatte der deutsche Journalist Wilhelm Marr den Begriff des Antisemitismus erfunden und damit dem nunmehr "rassisch" begründeten Judenhass einen pseudo-wissenschaftlichen Anstrich gegeben. Im Deutschen Kaiserreich wie auch in Österreich erlebte die sich nun antisemitisch nennende Bewegung politische Erfolge. In Wien wurde mit Karl Lueger ein sich offen zum Antisemitismus bekennender Politiker zum Bürgermeister der Stadt gewählt. Selbst in Frankreich, das als Mutterland der Judenemanzipation seinen jüdischen Einwohnern als erstes Bürgerrechte gewährt hatte, gab es antijüdische Exzesse, als dem jüdischen Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus 1894 wegen angeblichen Hochverrats der Prozess gemacht wurde.

Die neue Welle antijüdischer Einstellungen in Mittel- und Westeuropa äußerte sich vor allem in verbaler Form in der Drohung, die Emanzipation rückgängig zu machen. Die neuen antisemitischen Parteien, die am Ende des 19. Jahrhunderts in den deutschen Reichstag einzogen, fanden im alten Feindbild der Juden Erklärungen für neue Missstände. Angesehene Persönlichkeiten wie der Hofprediger Adolf Stoecker und der Historiker Heinrich von Treitschke schürten derlei antijüdische Vorurteile selbst am kaiserlichen Hof und an den Universitäten.

Noch bedrohlicher war die Lage in Osteuropa, wo die weitaus größten jüdischen Gemeinden bestanden. Hier waren die Juden niemals vollständig emanzipiert worden und litten zudem unter großer wirtschaftlicher Not. Nach dem Attentat auf den Zaren Alexander II. 1881, an dem auch eine Frau jüdischer Herkunft beteiligt gewesen war, führte eine gezielt antijüdische Kampagne zu gewaltsamen Pogromen. Viele Juden mussten um ihr Hab und Gut und oftmals auch um ihr Leben fürchten. Zwischen 1881 und 1914 wanderten daher über zwei Millionen Juden aus dem Zarenreich nach Nordamerika aus.

Eine kleine Gruppe der Auswanderungswilligen brach im gleichen Zeitraum ins Osmanische Reich auf, um sich in dem Gebiet, das sie Eretz Israel, das Land Israel, nannten, niederzulassen. Es gab damals weder Israel noch Palästina als politische Einheit, sondern lediglich verschiedene von Istanbul, der Hauptstadt des Osmanischen Reiches, aus regierte Bezirke, den Sandschak von Jerusalem sowie den von Nablus und Akko. Inspiriert wurden die Auswanderungswilligen von einer Schrift des in Odessa lebenden Arztes Leon Pinsker (1821–1891), der 1882 unter dem Eindruck der Pogrome in einem kleinen auf Deutsch verfassten Büchlein mit dem Titel "Auto-Emanzipation" gefordert hatte, dass die Juden sich eben selbst emanzipieren müssten. Wenn dies im Zarenreich nicht möglich sei, bräuchten sie ein eigenes politisches Territorium, um sicher vor den Antisemiten zu sein. Zwar bildeten sich daraufhin einige Ortsvereine der sogenannten Zionsfreunde (Chovevei Zion), doch eine breite politische Bewegung konnte Pinsker ebenso wenig auf die Beine stellen wie vor ihm Moses Heß.

Theodor Herzl und die Anfänge des Zionismus

Dieses Verdienst kommt unumstritten dem in Budapest aufgewachsenen und in Wien lebenden Journalisten Theodor Herzl (1860–1904) zu, war ihm jedoch gewiss nicht in die Wiege gelegt worden. Er wuchs in einem Elternhaus auf, das sich bewusst für einen Weg heraus aus dem traditionellen Judentum und hinein in die deutschsprachige Gesellschaft entschieden hatte. So war Herzl mit der hebräischen Sprache nicht vertraut und die jüdischen Gebete blieben ihm zeitlebens fremd.

Herzl war in Wien kein Unbekannter. Bereits mit 30 Jahren war er Feuilletonredakteur der wichtigsten liberalen Tageszeitung "Neue Freie Presse", seine Stücke wurden im Burgtheater aufgeführt und er wurde als Korrespondent nach Paris ent­sandt. Hier wurde er Zeuge des Dreyfus-Prozesses mit seinen antisemitischen Begleiterscheinungen. Herzl war sich wohl bewusst, dass die Juden auch in seiner Geburtsstadt Budapest und in seiner Wahlheimat Wien angefeindet wurden. Aber wenn selbst in Frankreich, wo sie seit über 100 Jahren gleichberechtigte Bürger waren, auf der Straße gegen sie gehetzt wurde, dann gab es nach seiner Ansicht keine Hoffnung mehr für die Juden, irgendwo in Europa frei von Ressentiments zu leben.

Pläne

Einen Schlüssel zur Lösung des Problems sah Herzl zunächst in einem Massenübertritt der Wiener Juden zum katholischen Glauben. Sehr bald erkannte er jedoch, dass sie damit zwar der traditionellen, religiös motivierten Judenfeindschaft ausweichen konnten, nicht aber dem neuen, "rassisch" begründeten Antisemitismus. Als Ausweg blieb nur die Auswanderung aus Europa. 1896 veröffentlichte Herzl eine kleine Broschüre mit dem programmatischen Titel "Der Judenstaat". Darin hielt er fest, dass sein Projekt eines Judenstaates unzweifelhaft aus der Zurückweisung durch die europäische Umgebung geboren wurde: "Wir haben überall ehrlich versucht, in der uns umgebenden Volksgemeinschaft unterzugehen und nur den Glauben unserer Väter zu bewahren. Man lässt es nicht zu. Vergebens sind wir treue und an manchen Orten sogar überschwängliche Patrioten. (…) Wenn man uns in Ruhe ließe. (…) Aber ich glaube, man wird uns nicht in Ruhe lassen." (Theodor Herzl, Der Judenstaat, Leipzig 1896, S. 11 f.)

Wo der neue Judenstaat liegen sollte, war ihm noch nicht klar: Neben Palästina erörterte er auch die Möglichkeit, ihn in Argentinien zu begründen, wo der in Paris lebende Philanthrop Baron Maurice de Hirsch (1831–1896) in seinen landwirtschaftlichen Projekten bereits Tausende russischer Juden angesiedelt hatte. Später sollte Herzl auch andere mögliche Territorien für seinen Judenstaat in Betracht ziehen, darunter einen ihm von den Briten in Aussicht gestellten Landstreifen in Ostafrika. Dieser sogenannte Uganda-Plan wie auch die früheren Argentinien-Pläne stießen allerdings unter Herzls Anhängern – vor allem denjenigen aus Osteuropa – auf wenig Gegenliebe: Aus ihrer Sicht hatten ihre Vorfahren nicht drei Mal täglich für die Rückkehr nach Zion gebetet, um dann einen Staat in Afrika oder Südamerika zu begründen.

Widerstände

Herzl stieß von Anfang an auf Widerstand in der jüdischen Gemeinschaft. Den orthodoxen (also frommen) Juden aus Osteuropa passte nicht, dass ein säkularer (also weltlich ausgerichteter) Jude aus Wien sich an die Spitze einer Bewegung stellte, die nach ihrem Dafürhalten einzig dem Messias vorbehalten sein sollte, dem Erlöser, dessen Kommen die alten Weissagungen prophezeiten. Die assimilierten, also ihrer jeweiligen Umwelt angepassten Juden hatten ein anderes Problem: Sie fühlten sich als deutsche, österreichische oder französische Staatsbürger jüdischen Glaubens und warfen Herzl vor, den Antisemiten Argumente zu liefern, wenn er behauptete, die Juden seien ein Volk und wie jedes Volk benötigten auch sie ihr eigenes Land. So verweigerten wohlhabende Juden, wie die Barone Rothschild und Hirsch in Paris, Herzl ebenso die Unterstützung wie die Rabbiner, um die er sich bemühte.

Herzl ließ sich von den zahlreichen Widerständen nicht aufhalten. Als der deutsche Rabbinerverband und die Israelitische Kultusgemeinde in München seinen Plan, den ersten Zionistenkongress in der bayerischen Hauptstadt abzuhalten, verhinderten, organisierte er diesen im Sommer 1897 in Basel. Anstelle der Rothschilds und Hirschs kamen die notleidenden Juden aus dem Zarenreich.

Doch er erhielt durchaus auch Respektsbezeugungen durch europäische Fürsten: Der König von Bulgarien empfing ihn ebenso wie der Großherzog von Baden. Er traf Kaiser Wilhelm II. auf dessen Visite im Heiligen Land, und er wurde vom Sultan Abdulhamid II. in Istanbul empfangen. Als Herzl 1904 im Alter von nur 44 Jahren verstarb, hatte er allerdings keinerlei konkrete Zusagen erhalten. Die zionistische Bewegung, die er aufgebaut hatte, lebte jedoch weiter und konnte sich trotz mancher Rückschläge im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg konsolidieren.

Unterschiedliche Zielvorstellungen: politisches oder kulturelles Zentrum?

Herzl war aber auch innerhalb der jungen zionistischen Bewegung nicht unumstritten. Um den russischen Zionisten Achad Ha’am (hebr.: Einer aus dem Volk, eigentlich Ascher Ginsberg, 1856–1927) scharten sich jene Zionisten, deren Motiv zur Rückkehr nach Palästina nicht so sehr der Antisemitismus war wie die Angst um den Untergang des Judentums als Folge der zunehmenden Assimilation. Sie wollten ein geistiges und kulturelles jüdisches Zentrum schaffen, darin die hebräische Sprache als Alltagssprache wiederbeleben, und mit einer neuen, säkularen, jüdischen Kultur auch den in der Diaspora (Zerstreuung) verbleibenden Juden das Festhalten an ihrer jüdischen Identität ermöglichen.

Als Herzl im Jahre 1902 seinen utopischen Roman "Altneuland" veröffentlichte, der die zukünftige jüdische Gesellschaft in Palästina wie ein idealisiertes Europa darstellte, wo man englische Internate, französische Opernhäuser und natürlich Wiener Kaffeehäuser hätte und wo europäische Sprachen gesprochen würden, reagierte Achad Ha’am mit scharfer Kritik. Was Herzl hier projiziere, sei doch nichts anderes als eine Assimilation der Juden auf kollektiver Ebene. Sie retteten zwar ihre physische Existenz in den Orient, doch sie lebten weiter, als ob sie in Europa wären. Ihm fehlte in Herzls Phantasiegebilde die jüdische Kultur. Und in einem weiteren Punkt hielt Achad Ha’am Herzl für naiv: In Herzls Vision hießen die einheimischen Araber die jüdischen Einwanderer willkommen, da diese die Errungenschaften der modernen Zivilisation Europas mit sich brachten und das Land aufbauten. Achad Ha’am dagegen prognostizierte den Konflikt der beiden Bevölkerungsgruppen. Ihm zufolge würden sich die Araber gegen die jüdische Besiedlung des Landes wehren.

QuellentextKlein-Europa oder Hebräerland?

[…] Sechs Jahre nach dem Erscheinen des "Judenstaats" legte Herzl […] in seinem utopischen Roman "Altneuland" die plastisch beschriebene Vision seiner Erfüllung vor. Die meisten Darstellungen Herzls zeigen ein statisches Bild vom zukünftigen Judenstaat. Sie übersehen, dass Herzl in diesen sechs Jahren seine Meinungen entscheidend weiterentwickelt […] hat. Anstatt einer "Society of Jews" gibt es jetzt nur noch eine allgemeine "Neue Gesellschaft" […].

"Altneuland" erzählt von einem Wiener Juden und einem preußischen Adligen, die aus der europäischen Gesellschaft aussteigen und in die Südsee reisen. Bei einem kurzen Zwischenstopp in Palästina sind sie über den in jeder Hinsicht deprimierenden Zustand des Landes entsetzt. Als sie zwanzig Jahre später, im Jahre 1923, nach Europa zurückkehren wollen, erkennen sie bei einem erneuten Halt in Palästina das Land nicht mehr wieder. Die inzwischen gegründete "Neue Gesellschaft" hat eine blühende Infrastruktur mit kulturellen Höchstleistungen und einer funktionierenden Demokratie geschaffen. […] Getragen wird die "Neue Gesellschaft" selbstverständlich vor allem (allerdings nicht ausschließlich) von Juden, doch stellt sie ein kleines kosmopolitisches [toleranteres, verjüngtes, technisch und sozial modernisiertes] Europa im Nahen Osten dar. Juden und Araber leben friedlich miteinander, es kommt kaum zu politischen Konflikten. […]

Für westeuropäische Leser mochte dies attraktiv sein, für die meisten Juden Osteuropas dagegen las sich der Roman wie eine schlechte Parodie auf den Judenstaat, den sie sich vorstellten. Es war einem von ihnen, Achad Ha’am, […] vorbehalten, seiner Verwunderung Ausdruck zu geben. […]

Für Achad Ha’am […] sollte die Aufgabe des Zionismus vor allem darin bestehen, für die in der Diaspora verbleibende Mehrheit ein geistiges Zentrum aufzubauen. Im Westen brauche man den Zionismus nur wegen des Antisemitismus, im Osten dagegen suche man auch Antworten auf die drohende Assimilation. Während Herzl nur das Problem der Juden zu lösen suche, wollte Achad Ha’am auch das Problem des Judentums lösen. […]

In den Personen Herzls und Achad Ha’ams standen sich innerhalb des zionistischen Projekts zwei grundsätzliche Konzepte der Normalisierung der Juden gegenüber[:] die Grundpositionen eines universalistischen Modells, dem es um die Verbesserung der Welt ging, und eines partikularistischen Modells, dem es um die Weiterentwicklung des Judentums ging. […] [Letzteres] […] forderte viel drastischere Maßnahmen als eine Umsiedlung der Juden. Dazu gehörten die Wiederbelebung ihrer hebräischen Kultur, die radikale Neustrukturierung ihrer Berufe und letztlich sogar ihre physische Umgestaltung. Kurz gesagt, ein "neuer jüdischer Mensch", der "hebräische Mensch", sollte geschaffen werden. […]

Michael Brenner, Israel. Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates, Verlag C. H. Beck, München 2016, S. 63 ff.

Diplomatischer Durchbruch: die Balfour-Deklaration von 1917

Erst dreizehn Jahre nach Herzls Tod erhielt der Zionismus die Anerkennung, von der sein Gründer geträumt hatte: Im Zuge des Ersten Weltkriegs standen die Briten kurz davor, dem Osmanischen Reich die Herrschaft über Palästina zu entreißen. Auf der Suche nach Verbündeten machten sie den Arabern politische Versprechungen und stellten gleichzeitig den Zionisten eine nationale Heimstätte in Palästina in Aussicht. In einem von der britischen Regierung abgesegneten und für die Öffentlichkeit bestimmten Brief an den prominenten britischen Zionisten Lord Lionel Walter Rothschild schrieb der damalige britische Außenminister Lord Arthur Balfour im November 1917:

"Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei, wohlverstanden, nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht jüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern infrage stellen könnte."

Vieles in diesem Dokument blieb offen: Was bedeutete eine nationale Heimstätte in rechtlicher Hinsicht? In welchem Gebiet "in Palästina" sollte sie errichtet werden? Welche Rechte hatten die Araber, falls sie diese Heimstätte nicht hinnehmen wollten? Ungeachtet dieser und anderer ungeklärter Fragen war die Balfour-Deklaration das erste offizielle Dokument einer für Palästina zuständigen Regierung, das einen Rechtsanspruch der Juden auf mindestens einen Teil des von den Zionisten beanspruchten Landes begründete. Zwar war der Weg zur Staatsgründung noch weit, aber die Erklärung trug dazu bei, der zionistischen Bewegung größeres Ansehen auch innerhalb derjenigen Teile des Judentums zu verschaffen, die ihr vor dem Ersten Weltkrieg gleichgültig oder sogar feindlich gegenübergestanden hatten.

In den folgenden zwei Jahrzehnten wurde die Umsetzung der Balfour-Deklaration zur Hauptaufgabe der zionistischen Führung. Bei der Konferenz von San Remo 1920 übertrug der neu gegründete Völkerbund Großbritannien ein Mandat über Palästina; dies bedeutete den Auftrag, in einer Art Vormundschaft, die staats- und völkerrechtlichen Interessen eines fremden Gebiets zu vertreten, das sich nicht selbst verwalten kann. Die Briten behandelten Palästina allerdings nicht viel anders als ihre Kolonien. Unter steigendem Druck der arabischen Bevölkerung gegen die Einwanderung von Juden und die Autonomie der jüdischen Bevölkerung schränkten sie die in der Balfour-Deklaration gegebenen Versprechen zunehmend ein.

Der Jischuw: die jüdische Bevölkerung in Palästina

Jüdische Einwanderung nach Palästina (© Angelika Timm, Israel. Die Geschichte des Staates seit seiner Gründung, Bouvier Verlag Bonn 1998, S.348 (Auszug))

Vor Beginn der Einwanderungsbewegung, die Anfang der 1880er-Jahre aus Osteuropa einsetzte, lebten circa 25.000 Juden unter etwa einer halben Million zumeist muslimischer, aber zu einem kleinen Teil auch christlicher Araber in Palästina. Über Jahrhunderte war diese kleine jüdische Bevölkerung, der sogenannte Alte Jischuw, in Palästina ansässig gewesen und hatte sich auf die vier Städte Jerusalem, Hebron, Tiberias und Zefat (Safed) konzentriert. Sie lebte vor allem von dem in der jüdischen Diaspora für sie gesammelten Geld. Die neuen Einwanderer wollten die Abhängigkeit von der Diaspora beenden und ihre Gemeinden wirtschaftlich eigenständig machen. Die erste Phase der landwirtschaftlichen Ansiedlungen in Palästina begann 1870 mit der Gründung von "Mikwe Israel" südöstlich von Jaffa. Weitere Siedlungsgründungen folgten. Finanziell gesichert durch Initiativen der Rothschilds und des Baron Hirsch hatten die Siedler dabei, genau wie ihre Finanziers, zunächst nicht notwendigerweise das politische Ideal eines eigenen jüdischen Staates im Sinn.

Die jüdische Bevölkerung Palästinas wuchs bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs auf etwa 80.000 Personen an. In dieser Zeit wurden auch die beiden Lebensformen geschaffen, die den Grundstein für die spätere jüdische Gesellschaft Palästinas bilden sollten: der Kibbuz (hebr.: Versammlung, Gemeinschaft) als kollektive Lebensform auf lokaler Basis und die Gründung der ersten groß angelegten jüdischen Stadt, Tel Aviv, im Jahre 1909. Der erste Kibbuz, damals noch Kvutzah genannt, wurde 1910 in Degania gegründet, als zehn Männer und zwei Frauen ihr Wirtschaftsideal einer Kollektivgemeinschaft am Rande des Sees Genezareth verwirklichten. Ohne Aufsicht und Verwaltung von außen regelten die Kibbuzmitglieder ihre eigenen Angelegenheiten selbst. Kinder wuchsen in einem kollektiven Kinderhaus auf, Frauen sollten ebenso wie die Männer arbeiten, und der Kibbuz sollte für seine eigenen essenziellen Bedürfnisse sorgen.

Neben der landwirtschaftlichen Betätigung verschrieb sich diese Generation der Einwanderer vor allem dem Ideal, die hebräische Sprache wiederzubeleben. Das Hebräische war zwar als Gebetssprache, aber seit vielen Jahrhunderten nicht mehr als Umgangssprache verwendet worden. Seine Wiederbelebung verdankte sich vor allem nun dem russischen Zionisten Eliezer Ben-Yehuda, der ein neues Wörterbuch erarbeitete.

1909 wurde mit Tel Aviv "die erste hebräische Stadt" gegründet. Benannt nach der Übersetzung von Herzls Roman "Altneuland" und zunächst als Gartenstadt konzipiert, wuchs der Vorort von Jaffa schnell zu einer eigenständigen Metropole und der größten Stadt des Landes heran, die 1935 bereits 120.000 Einwohner zählte. In Jerusalem wurde mit der Hebräischen Universität 1925 der Grundstein eines akademischen Studiums in der hebräischen Sprache gelegt.

Variationen des Zionismus

Obwohl sie von den sozialistischen Traditionen in Russland geprägt waren und wenig Erfahrung mit demokratischen Traditionen hatten, entwickelten die jüdischen Einwanderer in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg ein Demokratieverständnis, das durchaus andere Richtungen tolerierte und ein offenes Parteiensystem anstrebte.

Im Zentrum der sich herausbildenden Parteienlandschaft vertraten die Allgemeinen Zionisten um Chaim Weizmann (1874–1952), den Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation, wirtschaftlichen Liberalismus und gemäßigte politische Ansichten. Schon bald allerdings identifizierten sich die meisten Zionisten, vor allem in Palästina, mit einem staatsbildenden Sozialismus und arbeiteten auf eine klassenlose Gesellschaft hin. Unter der Führung von David Ben Gurion (1886–1973) schlossen sich die wichtigsten Strömungen der zionistischen Linken 1930 zur Arbeitspartei Mapai zusammen. Viele Jahrzehnte sollte die sozialistische Leitung von nun an die zionistische Organisation und den Staat Israel dominieren.

Als letzte größere Strömung des Zionismus betrat der Revisionismus die Szene. Innerhalb der Bewegung stand er für antisozialistische und nationalistische Haltungen. Die bestimmende Persönlichkeit des Revisionismus war bis zu seinem Tod Wladimir Ze’ev Jabotinsky (1880–1940). In Russland hatte er sich einen Namen als Journalist, Schriftsteller und Übersetzer gemacht. Dank seiner brillanten Rhetorik zog er vor allem die bürgerlichen Mittelschichten im Polen der Zwischenkriegszeit an. Er legte sein Augenmerk auf die Notwendigkeit des militärischen Kampfes und konnte im Ersten Weltkrieg die Aufstellung der "Jüdischen Legion" in der britischen Armee durchsetzen. Auch seine Jugendorganisation Betar war im Grunde eine paramilitärische Gruppe.

Die religiösen Zionisten sammelten sich bereits seit 1902 um die relativ kleine Partei Misrachi. Sie musste sich gegen die nicht zionistischen Charedim (Ultraorthodoxe) durchsetzen. Die Bemühungen, die orthodoxen Juden zu einigen, scheiterten auf ganzer Linie. Die britischen Behörden zwangen der Gemeinschaft – in der eine große Anzahl von Charedim die Zusammenarbeit verweigerte – ein Oberrabbinat mit je einem aschkenasischen und einem sephardischen Oberrabbiner auf. Das neue Amt verdankte seine Anerkennung weitgehend der Autorität des ersten Oberrabbiners von Palästina, Rabbi Abraham Isaak Kook. In seinen Augen war die Gründung eines jüdischen Staates wesentlich für den messianischen Prozess und für die Erlösung des jüdischen Volkes.

Auf dem Weg zum Staat

Bereits während der britischen Mandatszeit von 1920 bis Mai 1948 hatten sich die Strukturen des späteren jüdischen Staates herausgebildet. Die Jewish Agency, 1929 als Nachfolgerin des Palästina-Büros der Zionistischen Weltorganisation gegründet, agierte in der Zeit des britischen Mandats als eine vorstaatliche Regierungsorganisation. Doch die Hoffnung auf eine vollständige Souveränität, die nach der Balfour-Deklaration 1917 und der Einsetzung des jüdischen Hochkommissars für Palästina, Lord Herbert Samuel, unter vielen Zionisten herrschte, war nur von kurzer Dauer. Die arabische Bevölkerung betrachtete die jüdischen Einwanderer als Eindringlinge in ihr Land. Je mehr die Juden in Europa vom wachsenden Antisemitismus bedroht waren und je größer die Zahl ihrer Einwanderer wurde, desto mehr erstarkten die Widerstände gegen ihre Anwesenheit in Palästina.

Bereits 1920/21 wurde die jüdische Bevölkerung in Jaffa und Jerusalem Ziel arabischer Angriffe. 1929 folgten weitere Zusammenstöße nach einem Vorfall an der Klagemauer in Jerusalem, die sich rasch in andere jüdische Gemeinden ausbreiteten und zu einem Massaker sowie der kompletten Evakuierung der Jahrhunderte alten jüdischen Gemeinde in Hebron führten. Schließlich organisierten 1936 arabische Aufständische unter Führung des radikalen Großmuftis von Jerusalem, Hadj al-Husseini, eine Revolte gegen die britische Regierung, von der sie sich hintergangen fühlten. Diese reagierte zunächst mit der Einsetzung einer Kommission, die einen Plan über die Zukunft Palästinas ausarbeiten sollte.

Der nach dem Kommissions-Vorsitzenden benannte Peel-Plan aus dem Jahre 1937 schlug erstmals die Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat vor und beließ Jerusalem und die anderen heiligen Stätten unter britischer Herrschaft. Obwohl der jüdische Staat nur ein winziges Fleckchen Land ausmachte, wurde er von der Zionistischen Organisation mit vorsichtigem Optimismus aufgenommen. Eine weitere Diskussion erübrigte sich jedoch, nachdem sowohl die Araber zu erkennen gaben, dass sie eine Teilung niemals akzeptieren würden, und auch die britische Regierung von der Teilungsabsicht abwich.

QuellentextBritisches Weißbuch vom 17. Mai 1939 (Auszüge)

Das Weißbuch von 1939 bestimmte die britische Politik in Palästina bis 1947. Um dem arabischen Widerstand Rechnung zu tragen, propagiert es statt der noch 1937 angestrebten Teilung in einen arabischen und einen jüdischen Staat ein vereinigtes Palästina und will den jüdischen Zuzug beschränken.
I/4:
Die Regierung Seiner Majestät verkündet jetzt unzweideutig, dass es nicht ihre Politik ist, aus Palästina einen jüdischen Staat werden zu lassen.

I/10/1:
Das Ziel der Regierung Seiner Majestät ist die Errichtung eines unabhängigen Palästina-Staates innerhalb von zehn Jahren, der Vertragsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich in der Weise hat, dass die wirtschaftlichen und strategischen Interessen beider Länder berücksichtigt werden.

I/10/2:
In dem unabhängigen Staat sollen Araber und Juden gemeinsam in der Weise regieren, dass die wesentlichen Interessen jeder Gemeinschaft gesichert sind.

II/13/1:
Die jüdische Einwanderung wird in den nächsten fünf Jahren so geregelt, dass die Zahl der jüdischen Einwanderer ungefähr ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Landes erreicht – vorausgesetzt, die wirtschaftliche Aufnahmefähigkeit des Landes erlaubt dies [...] Vom April dieses Jahres an werden innerhalb der nächsten fünf Jahre 75.000 Einwanderer zugelassen.

II/13/3:
Nach fünf Jahren wird keine jüdische Einwanderung mehr gestattet, es sei denn, die Araber Palästinas wären hierzu bereit.

II/13/4:
Die Regierung Seiner Majestät ist entschlossen, die illegale Einwanderung zu verhindern.

III/16:
Der Hochkommissar erhält Vollmachten, den Landverkauf zu verbieten und zu steuern.


Zitiert nach: Friedrich Schreiber / Michael Wolffsohn, Nahost. Geschichte und Struktur des Konflikts, Opladen, 4. Aufl. 1996, S. 109<absatz/>

Kinan Jaeger / Rolf Tophoven (Hg.), Der Nahost-Konflikt. Dokumente, Kommentare, Meinungen, Bonn 2011, S. 49

Stattdessen schlossen die Briten allmählich die Tore Palästinas vor den Hunderttausenden, die nun aus Nazideutschland und anderen Ländern Europas einwandern wollten. Für die meisten von ihnen gab es mit Beginn des Zweiten Weltkriegs keine Zufluchtsstätten mehr. Die Erkenntnis, dass vielleicht viele Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn der jüdische Staat bestanden hätte, führte zu einem Wandel in der Meinung der Weltöffentlichkeit. Die Vollversammlung der neu gegründeten UNO stimmte am 29. November 1947 mit der nötigen Zweidrittel-Mehrheit und gegen die Stimmen aller arabischen Länder mit der UN-Resolution 181 für die Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat. Jerusalem sollte internationalisiert werden und unter der Kontrolle der Vereinten Nationen bleiben.

QuellentextUnabhängigkeitserklärung

Tel Aviv, 14. Mai 1948 (Auszüge)
Im Lande Israel entstand das jüdische Volk. Hier prägte sich sein geistiges, religiöses und politisches Wesen. Hier lebte es frei und unabhängig. Hier schuf es eine nationale und universelle Kultur und schenkte der Welt das ewige Buch der Bücher. [...]
Beseelt von der Kraft der Geschichte und Überlieferung, suchten Juden jeder Generation, in ihrem alten Lande wieder Fuß zu fassen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte kamen sie in großen Scharen. Arbeiter und Wegbereiter, Verteidiger des schon Geschaffenen erweckten gemeinsam mit den der Blockade trotzenden Neueinwanderern (Maapilim) Einöden zur Blüte, belebten aufs neue die hebräische Sprache, bauten Dörfer und Städte und errichteten eine stets wachsende Gemeinschaft mit eigener Wirtschaft und Kultur, die nach Frieden strebte, sich aber auch zu verteidigen wußte, die allen im Lande die Segnungen des Fortschritts brachte und sich vollkommene Unabhängigkeit zum Ziel setzte. [...]

Die Katastrophe, die in unserer Zeit über das jüdische Volk hereinbrach und Millionen von Juden in Europa vernichtete, bewies unwiderleglich aufs neue, daß das Problem der jüdischen Heimatlosigkeit durch die Wiederherstellung des jüdischen Staates im Lande Israel gelöst werden muß, eines Staates, dessen Pforten jedem Juden offenstehen und der dem jüdischen Volk den Rang einer gleichberechtigten Nation in der Völkerfamilie sichert. [...]

Am 29. November 1947 faßte die Vollversammlung der Vereinten Nationen einen Beschluß, der die Errichtung eines jüdischen Staates im Lande Israel forderte. […] Diese von den Vereinten Nationen ausgesprochene Anerkennung der Berechtigung des jüdischen Volkes, einen Staat zu gründen, ist unwiderruflich. [...]

Wir beschließen, daß vom Augenblick der Beendigung des Mandates, heute um Mitternacht, [...] dem 15. Mai 1948, bis zur Amtsübernahme durch verfassungsgemäß zu bestimmende Staatsbehörden, doch nicht später als bis zum 1. Oktober 1948, der Volksrat als vorläufiger Staatsrat und dessen ausführendes Organ, die Volksverwaltung, als zeitweilige Regierung des jüdischen Staates wirken sollen. Der Name des Staates lautet Israel.

Der Staat Israel wird der jüdischen Einwanderung und der Sammlung der Juden im Exil offenstehen. Er wird sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen. Er wird auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten Israels gestützt sein. Er wird allen seinen Bürgern ohne Unterschied der Religion, der Rasse oder des Geschlechtes soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten, die heiligen Stätten unter seinen Schutz nehmen und den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen treu bleiben. [...]

Wir bieten allen unseren Nachbarstaaten und ihren Völkern die Hand zum Frieden und guter Nachbarschaft und rufen sie zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe mit dem selbständigen jüdischen Volke in seiner Heimat auf. [...]

"Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel (1948)", in: 100 Dokumente aus 100 Jahren. Teilungspläne, Regelungsoptionen und Friedensinitiativen im israelisch-palästinensischen Konflikt (1917–2017), hg. von Angelika Timm, AphorismA Verlag Berlin 2017, S. 139 ff.

In den anschließend ausbrechenden Kämpfen zwischen jüdischen und arabischen paramilitärischen Verbänden, und – nach der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 – zwischen den israelischen Streitkräften und den angreifenden Armeen von fünf arabischen Staaten, gelang es Israel nicht nur, sich zu verteidigen, sondern auch kleinere Gebietsgewinne zu verbuchen. Beim Waffenstillstandsabkommen von 1949 wurde vereinbart, Jerusalem vorerst zwischen Israel und Jordanien aufzuteilen. Jordanien hatte sich zusammen mit Ägypten die eigentlich für die Palästinenser bestimmten Gebiete zu eigen gemacht.

Ein Großteil der Palästinenser verließ während des Ersten Nahostkrieges/Unabhängigkeitskrieges, der von ihnen als Nakba (arab. für "Katastrophe") bezeichnet wird, den neuen Staat. Teilweise von der israelischen Armee vertrieben, teilweise von den arabischen Armeen dazu aufgefordert, endete ihre Flucht oftmals in den Flüchtlingslagern der benachbarten Staaten. Israel hatte seine heiligsten Stätten in der Altstadt von Jerusalem verloren. Juden durften während der jordanischen Herrschaft über Ost-Jerusalem die Klagemauer nicht besuchen. Zudem musste Israel nun Hunderttausende jüdischer Flüchtlinge aus den arabischen Ländern von Marokko bis Irak und Jemen aufnehmen. Die Geschichte des jungen Staates begann damit gänzlich anders als von Theodor Herzl 50 Jahre zuvor erträumt.

Prof. Dr. Michael Brenner ist Inhaber des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität München und Direktor des Center for Israel Studies an der American University in Washington D.C. Seine Forschungsschwerpunkte sind Jüdische Geschichte, Geschichte des Zionismus und Geschichte der Juden in Deutschland.