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Afrika in der internationalen Politik

Christof Hartmann Sven Grimm Tobias Koepf Stefan Mair Siegmar Schmidt Tobias Schumacher Denis M. Tull Isabelle Werenfels Siegmar Schmidt / Christof Hartmann / Tobias Koepf / Denis M. Tull / Tobias Schumacher / Sven Grimm / Stefan Mair / Isabelle Werenfels

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Der Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union, Alpha Oumar Konare (links) unterhält sich mit dem Präsident der Europäischen Kommission, Jose Manuel Barroso während des EU-Afrika-Gipfels in Lissabon. (© AP)

Die Afrikanische Union (AU)

Die im Jahre 2002 gegründete Afrikanische Union (AU) stellt den zweiten Versuch afrikanischer Staaten dar, den Kontinent zu einen, aus eigener Anstrengung zu entwickeln und zu befrieden. Einen ersten Versuch zur Einigung des Kontinents unternahmen afrikanische Staaten 1963 mit der Organisation Afrikanischer Einheit (OAE, englisch: Organization of African Unity, OAU). Sie wurde am Ausgang des Kolonialismus gegründet, und dies spiegelte sich in ihren Zielen wider: Primär sollte sie die Unabhängigkeit der Mitgliedstaaten bewahren und ihre Grenzen garantieren, auch wenn diese kolonialen Ursprungs waren. Die OAE wehrte sich strikt und erfolgreich gegen Sezessions(Abspaltungs)versuche, denn lediglich Eritrea wurde 1993 nach 30-jährigem Unabhängigkeitskrieg als eigenständiger Staat anerkannt. Die OAE hielt uneingeschränkt am Prinzip der Nichteinmischung in die internen Angelegenheiten der Staaten fest. In der Praxis bedeutete dies die kritiklose Hinnahme von Militärputschen und Passivität auch angesichts schwerster Menschenrechtsverletzungen. Politisch handlungsfähig zeigte sie sich in der Verurteilung und diplomatischen Isolation der verbliebenen Kolonial- und Siedlerregime Rhodesien (heute Simbabwe), Südafrika, Namibia, Angola und Mosambik. Organisatorisch stand sie auf äußerst schwachen Füßen, auch weil zahlreiche Mitgliedstaaten ihren Beitragsverpflichtungen nicht nachkamen. Als in den 1990er Jahren gewaltsame Konflikte zunahmen, stellte die OAE zwar einige Beobachter- und Vermittlungsmissionen, doch es gelang ihr nicht, sich zu einem handlungsfähigen politischen Akteur zu entwickeln.

Ende der 1990er Jahre begann in Afrika eine lebhafte Diskussion um die Zukunft des Kontinents, der zu einer Randzone der Globalisierung zu werden drohte. Es blieb dem damals international geächteten libyschen Staatschef Gaddafi vorbehalten, auf einem Treffen der OAE 1999 die Idee des früheren ghanaischen Staatschefs Kwame Nkrumah (1960 bis 1966) aufzunehmen und die "Vereinigten Staaten von Afrika" anzuregen. Die Vorschläge waren zwar völlig utopisch, doch bestärkten sie den allgemeinen Veränderungswillen, und die Gründung der AU wurde beschlossen; sie erfolgte 2002 im südafrikanischen Durban. Mitglieder sind alle afrikanischen Staaten mit Ausnahme Marokkos, das der Organisation fern geblieben ist, weil die AU die Westsahara als eigenständiges Gebiet anerkennt.

Ziele und Prinzipien

Die AU unterscheidet sich sowohl im Hinblick auf Ziele und Prinzipien als auch in ihren Institutionen fundamental von der OAE. Ihre Ziele (Art. 3 der Gründungsakte) sind umfassend und beinhalten die sozioökonomische Integration, die Herstellung von Frieden und Sicherheit und die politische Interessenvertretung Afrikas in der globalisierten Welt. Während die entwicklungspolitischen Ziele wenig Neues enthalten, da sie zumeist in ähnlicher Form in vielen Dokumenten und Erklärungen enthalten sind (und bislang das Stadium von Absichtserklärungen nicht verlassen haben), sind die Ausführungen zum Bereich Sicherheit geradezu revolutionär. Sicherheit und Stabilität werden nun als unabdingbare Voraussetzung für Entwicklung betrachtet, da Konflikte ein "Haupthindernis für die sozioökonomische Entwicklung" darstellen. Etwas irritierend bestätigt Artikel 4 (g) zunächst das traditionelle Nichteinmischungsprinzip, doch der folgende Art. 4 (h) schreibt das Recht der Union fest, auch ohne Zustimmung des betroffenen Staates in Fällen von Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu intervenieren. Damit kann die von afrikanischen Staaten aufgrund ihrer kolonialen Erfahrungen hoch gehaltene Souveränität letztlich aufgehoben werden. Sofern ein Konsens nicht erzielt werden kann, bestimmt die Versammlung der afrikanischen Staats- und Regierungschefs mit Zweidrittelmehrheit über Sanktionen und mögliche militärische Interventionen. Dieses völkerrechtlich einmalige Interventionsrecht ist 2004 auf Fälle ausgeweitet worden, in denen die Ordnung eines Staates zum Beispiel durch einen Militärputsch außer Kraft gesetzt wurde.

Institutionen und Organe

Die institutionelle Struktur der AU ist weitaus komplexer als die ihrer Vorgängerorganisation und orientiert sich stark an der EU.

  • Die Versammlung der Staats- und Regierungschefs bildet das oberste exekutive Organ der AU. Sie ist dem Europäischen Rat vergleichbar mit dem wesentlichen Unterschied, dass hier Entscheidungen mit einer Zweidrittelmehrheit (und bei verfahrenstechnischen Fragen sogar mit einfacher Mehrheit) gefällt werden können, während der Europäische Rat nur einstimmig Beschlüsse fassen kann.

  • Der Exekutivrat (EC) besteht in der Regel aus den Außenministern und entspricht dem Ministerrat der EU. Auch er entscheidet im Unterschied zum EU-Ministerrat, der mit sowohl absoluten als auch qualifizierten Mehrheiten (je nach Politikbereich) Entscheidungen fällt, generell wiederum mit einer Zweidrittelmehrheit. Er führt die Anweisungen der Versammlung im Bereich Konfliktbearbeitung aus.

  • Der Ausschuss der Ständigen Vertreter (PRC) auf Botschafterebene bereitet wie die gleichnamige EU-Institution die Sitzungen des Exekutivrates vor und stellt die Arbeitsebene dar.

  • Die AU-Kommission koordiniert die Arbeit der AU und bereitet die AU-Treffen vor. Sie darf keine Weisungen von Regierungen annehmen. Der Vorsitzende repräsentiert die AU nach außen. Unklar ist noch, ob die AU-Kommission selbstständig (supranational) wie die EU-Kommission Politikbereiche verwalten soll.

  • Das Pan-Afrikanische Parlament (PAP) hat 2004 in Midrand, nahe der südafrikanischen Hauptstadt Tshwane, seine Arbeit aufgenommen. Die Abgeordneten werden nicht direkt gewählt, sondern jedes Mitgliedsland delegiert fünf Mitglieder von den nationalen Parlamenten. Bis 2009 sollte das PAP volle legislative Befugnisse erhalten, welche das Europäische Parlament (EP) bis heute, 30 Jahre nachdem es erstmals direkt gewählt wurde, nicht besitzt. Doch bislang waren die afrikanischen Staats- und Regierungschefs nicht bereit, dem PAP konkrete Kompetenzen zuzugestehen. Das PAP bleibt daher (vorerst) ein allgemeines Diskussionsorgan, dessen zahlreiche Resolutionen von den Regierungen kaum beachtet werden.

  • Der Afrikanische Gerichtshof (African Court genauer African Court on Human and Peoples' Rights, ACHPR) überwacht die Einhaltung der in der African Charta on Human and Peoples' Rights definierten Rechte. Neben Staaten und der AU-Commission on Human and Peoples' Rights können auch Nichtregierungsorganisationen und Individuen unter bestimmten Umständen als Kläger zugelassen werden. Obwohl nur 23 Staaten ein entsprechendes Protokoll unterzeichnet und damit die Zuständigkeit des Gerichtshofes anerkannt haben, wählte die African Commission 2006 elf Richter. Bislang hat der Gerichtshof seine Arbeit noch nicht aufgenommen, auch weil die geplante Verschmelzung mit dem African Court of Justice bisher nicht erfolgte. Dies wird von Nichtregierungsorganisationen scharf kritisiert.

  • Ein Wirtschafts-, Sozial- und Kulturrat (Economic, social and cultural council, ECOSOCC) mit 150 Mitgliedern - ähnlich dem EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss - berät die Institutionen. Es ist hier auch eine Vertretung der afrikanischen Diasporas geplant.

Im Unterschied zur EU besitzt die AU mit dem Friedens- und Sicherheitsrat (Peace and Security Council, PSC) ein zentrales Organ für Friedenssicherung. Er besteht aus 15 Mitgliedern, die von der Versammlung der Staats- und Regierungschefs gewählt werden. Bei der Wahl werden die Prinzipien des regionalen Proporzes und der Rotation beachtet. Fünf Mitglieder gehören dem Rat für drei Jahre, die übrigen zehn für zwei Jahre an. Dem PSC zur Seite steht eine ganze Reihe von primär militärischen Behörden einschließlich einer (geplanten) multinationalen Eingreiftruppe von 15 000 Mann, zu der noch regionale Einheiten von jeweils 3000 bis 5000 Mann hinzukommen sollen.

QuellentextKontinentale und regionale Friedens- und Sicherheitsarchitektur

Die afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur (African peace and security architecture, APSA) bildet den politischen und strukturellen Rahmen, den die AU zur Prävention und zur Lösung von Konflikten auf dem Kontinent geschaffen hat. Sie besteht aus zwei Komponenten: der gemeinsamen afrikanischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik (Common African Defence and Security Policy, CADSP) und dem Friedens- und Sicherheitsrat (Peace and Security Council, PSC). Erstere verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der AU-Mitgliedsländer im Februar 2004. Sie bildet das Grundlagendokument der Friedens- und Sicherheitsarchitektur und soll primär effektiv auf interne und externe Bedrohungen reagieren. Der dabei eingeführte Sicherheitsbegriff basiert auf dem Prinzip der Unteilbarkeit: Jegliche Drohung oder Aggression gegen ein Land - ob innerafrikanisch, ob extern - wird als Angriff gegen alle afrikanischen Staaten und den Kontinent als Ganzes wahrgenommen. Unmittelbar zuständig für die Durchführung der Verteidigungs- und Sicherheitsagenda ist der Friedens- und Sicherheitsrat als wichtigstes sicherheitspolitisches Organ der AU. Er ist dem UN-Sicherheitsrat nachempfunden, allerdings gibt es keine Vetomächte und ständigen Mitglieder.
Der Rat koordiniert die sicherheitspolitischen Angelegenheiten des Kontinents und übernimmt zudem eine Frühwarnfunktion, um so rechtzeitig und effektiv auf Konfliktsituationen reagieren zu können. Er kann der AU-Generalversammlung eine Intervention in ein Mitgliedsland empfehlen sowie bei Beschluss der Staats- und Regierungschefs Friedensmissionen beauftragen und entsenden. Die Generalversammlung entscheidet also letztlich neben Sanktionen auch über Interventionen. Das Interventionsrecht der AU ist jedoch völkerrechtlich umstritten, weil es vielfach allein den Vereinten Nationen zugebilligt wird. Die Abteilung für Frieden und Sicherheit der AU-Kommission (Department for Peace and Security) soll unterdessen die getroffenen Entscheidungen koordinieren und auf kontinentaler Ebene umsetzen.
Der Friedens- und Sicherheitsrat wird von einem Panel of the Wise, das sich aus fünf afrikanischen Persönlichkeiten verschiedener Herkunftsregionen zusammensetzt, und einem militärischen Beratungsgremium unterstützt. Das sich im Aufbau befindende kontinentale Frühwarnsystem (Continental Early Warning System, CEWS) soll ihn durch Datensammlung und -analyse über potenzielle Konflikte und Bedrohungen informieren und dabei mit den Frühwarnsystemen der regionalen Wirtschaftsgemeinschaften kooperieren. Der Rat verfügt mit der African Standby Force zudem über eine afrikanische Eingreiftruppe.

Rolle der Regionalorganisationen
Während die AU für die Entwicklung und Koordinierung der Politik auf kontinentaler Ebene verantwortlich ist, sollen die Regionalorganisationen die getroffenen Entscheidungen auf regionaler Ebene umsetzen. Die AU möchte dabei mit fünf Organisationen kooperieren, die idealtypisch je eine der fünf Regionen repräsentieren. Jede von ihnen wird über ein eigenes, sich zurzeit im Aufbau befindliches Frühwarnsystem verfügen. Zudem spielen sie eine zentrale Rolle beim Aufbau der African Standby Force. Sie soll in zwei Phasen bis 2010 aufgebaut werden und anschließend bei innerafrikanischen Friedenseinsätzen unter dem Mandat der AU und in enger Kooperation mit der UN einsetzbar sein.
Die AU hat die fünf Regionalorganisationen damit beauftragt, je eine 3000 bis 5000 Mann starke Brigade aufzustellen, bestehend aus zivilen und militärischen Kräften, samt regionalem Hauptquartier und strategischen Planungseinheiten. Die Brigaden können als Teil einer über den Kontinent verteilten Streitmacht auch außerhalb ihrer Region eingesetzt werden. Ausbildung und Ausstattung der Brigaden sollen den UN-Normen entsprechen. Mit der ECOWAS, der SADC und der IGAD haben bisher allerdings lediglich drei der Regionalen Wirtschaftsgemeinschaften (REC) Erfahrungen im Bereich Konfliktbewältigung sammeln können.
Die AU ihrerseits ist verantwortlich für den Aufbau eines Hauptquartiers für die Missionen und die Bereitstellung eines geeigneten Kommunikationssystems, um die Friedenseinsätze zu steuern und zu koordinieren.
Die Friedens- und Sicherheitsarchitektur bildet in der Theorie ein tragfähiges Fundament. Ihr Erfolg wird davon abhängen, ob es der AU und den Regionalorganisationen gelingt, diese ambitionierte Agenda umzusetzen.

Fabian Böckler

Gegenwärtig befinden sich die Institutionen der AU noch im Aufbau. Es fehlt vor allem an finanziellen Ressourcen, da viele Staaten ihren Beitrittsverpflichtungen nicht nachkommen. Den Haushalt der AU tragen zu einem Großteil Südafrika, Nigeria, Libyen und Algerien. Der Aufbau der Institutionen verläuft wesentlich langsamer als geplant, und nicht alle Staaten haben die notwendigen Beitrittsprotokolle zu den einzelnen Institutionen unterzeichnet.

Neben dem Ressourcenmangel erschwert auch die extrem heterogene Mitgliedschaft die Fähigkeit der AU, tragfähige Kompromisse zu finden. Im Unterschied zur EU, die immer ein "Klub von Demokratien" war, sind in der AU sowohl Diktaturen als auch Demokratien vertreten, wodurch Entscheidungen im Falle von Menschenrechtsverletzungen oder Verstößen gegen demokratische Prinzipien schwierig werden. Zahlreiche Abgeordnete des PAP sind nicht aus demokratischen Wahlen hervorgegangen. Auch muss offen bleiben, inwieweit Entscheidungen, die mit Zweidrittelmehrheit zustande kommen, wirklich politische Folgen haben, da nur wenige Staaten überhaupt in der Lage sind, groß angelegte Militäroperationen durchzuführen. Mit Ausnahme des Sicherheitsbereiches wirkt die AU bislang eher noch wie eine Art Hülle, die erst mit konkreten Inhalten gefüllt werden muss.

Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung

Die NEPAD (New Partnership for Africa's Development) wurde 2001 in Abuja, der Hauptstadt Nigerias, ins Leben gerufen. Sie ging aus verschiedenen Initiativen afrikanischer Regierungen hervor und ist 2002 zum Entwicklungsprogramm der AU erklärt worden. Die NEPAD will gemeinsam mit den Geberstaaten die Voraussetzungen für die Entwicklung des Kontinents schaffen. Dabei spielt "good governance", also gute Regierungsführung, eine zentrale Rolle. Grundgedanke ist, dass der transparente, effiziente und entwicklungsorientierte Umgang mit den eigenen Ressourcen die Basis für Entwicklungserfolge bildet und Afrika die Chance auf Teilhabe an der Globalisierung eröffnet. Kernstück des umfangreichen und für afrikanische Verhältnisse ungewohnt selbstkritischen Dokuments ist ein freiwilliger Überprüfungsmechanismus, inwieweit die ökonomischen und politischen Ziele NEPADs - verkürzt gesagt: Marktwirtschaft, Demokratie und good governance - erreicht worden sind.

Staaten, die das entsprechende Protokoll des African Peer Review Mechanism (APRM) unterschrieben haben, durchlaufen einen komplexen Überprüfungsmechanismus, der unter anderem auch den Besuch einer Expertenkommission aus afrikanischen Staaten vorsieht und die Beteiligung der Zivilgesellschaft vorschreibt. Bisher sind 30 Staaten Mitglied des APRM geworden, aber lediglich Kenia, Ghana, Ruanda und Südafrika haben bislang alle Stufen durchlaufen. Inwieweit die Staaten die Empfehlungen aus den Überprüfungsverfahren annehmen, bleibt ihnen überlassen. Sanktionen, die auf Einhaltung drängen, sind nicht geplant. Allerdings haben Geber, unter anderem die EU, angekündigt, Staaten, die Reformprogramme auf der Basis der Überprüfungsverfahren durchführen, finanziell zum Teil massiv zu unterstützen. Die EU beabsichtigt, dadurch den bislang nur zögerlich angelaufenen APRM zu aktivieren. Auch wenn der APRM die hohen Erwartungen nicht erfüllt hat, so ist es in einigen Staaten (z. B. in Ghana) gelungen, eine breite innergesellschaftliche Diskussion über Entwicklungsziele und notwendige Reformen einzuleiten. Bisher ist es afrikanischen Staaten kaum gelungen, über NEPAD zusätzliche Mittel für ihre äußerst ehrgeizigen, teilweise illusionären Entwicklungsprogramme einzuwerben.

Fazit

Regionale Abkommen

Sowohl die AU als auch NEPAD sind Ausdruck geradezu revolutionärer Veränderungen im politischen Denken Afrikas; beide Initiativen sind darüber hinaus eigenständige afrikanische Anstrengungen. So überzeugend die Ansätze prinzipiell sind, so gilt es zwei Einwände zu bedenken: Erstens sind AU und NEPAD Elitenprojekte, die bislang nicht in der Bevölkerung verankert sind und daher keine breite Unterstützung genießen. Zweitens, und dies ist gravierender, bestehen massive Probleme in der konkreten Umsetzung. AU und NEPAD sind äußerst ambitionierte Projekte von im Grunde genommen schwachen Staaten. Ohne Unterstützung von außen, etwa der EU, werden sie jedoch nicht in der Lage sein, ihre weit reichenden Aufgaben wahrzunehmen. Entscheidend für den Erfolg der Projekte bleiben der Wille, das Engagement und die Bereitschaft afrikanischer Regierungen, Kompromisse zu schließen und nötigenfalls Konflikte zu riskieren. Um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren, dürfen sie nicht wie im Falle der katastrophalen Entwicklung in Simbabwe weitgehend passiv bleiben.

Regionalorganisationen

Ausgangspunkt für die Gründung der zahlreichen Regionalorganisationen Subsahara-Afrikas war der unzureichende wirtschaftliche Entwicklungsstand, insbesondere die schlechte Infrastruktur der vielen neu gegründeten afrikanischen Staaten zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit Anfang der 1960er Jahre. Im interregionalen Vergleich gab es in Afrika überdurchschnittlich viele Staaten mit kleinen Binnenmärkten bzw. ohne direkten Zugang zum Meer. Der wirtschaftliche Zusammenschluss, in der Regel zunächst als Freihandelszone, aber zumeist mit dem erklärten Ziel, einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen, galt ihnen als bevorzugte Strategie bei der (importsubstituierenden) Industrialisierung und der nachholenden Entwicklung. Das Vorbild war die Europäische Gemeinschaft mit ihrem Modell wirtschaftlicher Integration durch Schaffung supranationaler Institutionen.

Doch Mitte der 1970er Jahre waren diese kontinentweiten Experimente regionaler Zusammenarbeit ausnahmslos gescheitert. Die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC), 1967 als vielleicht ehrgeizigstes afrikanisches Integrationsprojekt von Kenia, Tansania und Uganda ins Leben gerufen, zerbrach 1977 endgültig an politischen und persönlichen Konflikten zwischen den beteiligten Staaten und ihren Regierenden. Wie die anderen afrikanischen Regionalorganisationen brachte die EAC ihren Mitgliedsländern keine wirtschaftlichen Vorteile ein. Die Liberalisierung des Außenhandels vergrößerte vielmehr zunächst das wirtschaftliche Ungleichgewicht, und im Fall der EAC zog Kenia weit mehr Vorteile aus der regionalen Zusammenarbeit als seine Nachbarländer. Zwar kam es 1975 mit der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) noch zu einer ehrgeizigen Neugründung, aber auch diese existierte für die nächsten 15 Jahre praktisch nur auf dem Papier.

Als die afrikanischen Staaten Ende der 1970er Jahre unter dem Eindruck der Ölkrise und fallender Preise für ihre wichtigsten Exportprodukte in eine Wirtschaftskrise gerieten, gab es mit Ausnahme der währungspolitischen Zusammenarbeit in der Franc-Zone, in der die meisten früheren französischen Kolonien in West- und Zentralafrika an Frankreich gebunden sind, kaum noch funktionierende regionale Organisationen in Afrika. Sie galten weder den Staatschefs noch den internationalen Finanz­institutionen - wie Weltbank und IWF -, die nun wirtschaftspolitische Reformen ("Strukturanpassung") zur Auflage für die Gewährung neuer Kredite machten, als passende Antwort auf die wirtschaftlichen Herausforderungen. Erst seit den 1990er Jahren haben regionale Organisationen in Subsahara-Afrika erneut an Dynamik gewonnen.

Mit der wirtschaftlichen Globalisierung gewann eine verstärkte ökonomische Zusammenarbeit auf regionaler Ebene für die Entwicklungsländer wieder an Bedeutung. Ihr Ziel war jedoch nicht der Aufbau hinreichend großer, vor der Weltkonkurrenz geschützter Handelszonen. Die regionale Zusammenarbeit zielte vielmehr auf eine verbesserte Integration in die globalisierten Märkte. Von Freihandelszonen erwarteten die Staaten vermehrte ausländische Direktinvestitionen und eine Produktivitätssteigerung der Exportsektoren. Die Neugründung der East African Community 2000 ist zum Beispiel aus dieser Perspektive zu verstehen. Einer verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf regionaler Ebene steht jedoch weiterhin eine ganze Reihe von Problemen entgegen:

  • So sind die Einnahmen aus Zöllen eine wesentliche Finanzierungsquelle für viele afrikanische Staaten; ihr Abbau durch die Schaffung von Freihandelszonen und Binnenmärkten verursacht Löcher im Staatshaushalt. Die durch internationale Finanzinstitutionen erzwungene Liberalisierung des Außenhandels führte dazu, dass in vielen Staaten die Zölle einseitig gesenkt wurden.

  • Aus historischen Gründen gehören gerade im östlichen und südlichen Afrika Staaten verschiedenen regionalen Abkommen mit unterschiedlichem Integrationsniveau und differierenden Regelungen an, dabei kann es zu regionalen Überschneidungen kommen. Dies erschwert eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit in erheblichem Maße.

  • Schließlich handelt es sich bei den Mitgliedstaaten zumeist um Exporteure von Agrargütern mit nur geringem Potenzial für stärkere Handelsverflechtungen. Tatsächlich übersteigt der intraregionale Handel, also der Handel zwischen den Mitgliedsländern einer Regionalorganisation, nirgendwo in Afrika mehr als zehn Prozent des gesamten Außenhandels der betreffenden Staaten.

Das neue Interesse an regionaler Zusammenarbeit hat folglich weniger wirtschaftliche als vielmehr politische und sicherheitspolitische Ursachen. Im westlichen und südlichen Afrika haben die Regionalorganisationen ECOWAS und SADC wesentlich dazu beigetragen, das regionale Staatensystem zu stabilisieren und eine kollektive regionale Identität zu schaffen. Nach Ende der Apartheid in Südafrika und Namibia Anfang der 1990er Jahre war es möglich, im südlichen Afrika die lose strukturierte Organisation der gegen das Apartheidregime agierenden Frontstaaten (Southern African Development Coordination Conference, SADCC, 1980 bis 1992) in die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) umzuwandeln. Südafrika war der Wirtschaftsmotor und verstand sich zugleich, jedenfalls während der Präsidentschaft Nelson Mandelas (1994 bis 1999), als demokratische Führungs- und Interventionsmacht in der Subregion. In Westafrika nutzte die regionale Hegemonialmacht Nigeria die ECOWAS zur Legitimierung der Militärinterventionen in Liberia und Sierra Leone. Die ECOWAS erhielt später einen eigenen sicherheits­politischen Pfeiler und intervenierte bei den Bürgerkriegen in Guinea-Bissau (1998/1999) und der Côte d'Ivoire (2002 bis 2007).

Die Umwandlung der Organisation für Afrikanische Einheit in die Afrikanische Union (2002) unter maßgeblichem Einfluss Südafrikas stärkte auch die regionalen Organisationen. Denn in der neuen "Sicherheitsarchitektur" des Kontinents ist neben dem zentralen Steuerungsorgan des Peace and Security Council (PSC) auch fünf regionalen Abkommen eine klare Rolle zugewiesen. So soll bei der Aufstellung einer afrikanischen Standby Force (ASF) und der Einrichtung eines kontinentalen Frühwarnsystems (CEWS) auf bereits bestehende Strukturen und Institutionen der regionalen Ebene (insbesondere bei ECOWAS, z.T. auch SADC und IGAD) zurückgegriffen werden. Sicherheitspolitisch relevante Regionalorganisationen Sub­sahara-Afrikas sind:

  • SADC (Southern African Development Community): Angola, Botsuana, DR Kongo, Lesotho, Madagaskar, Malawi, Mauritius, Mosambik, Namibia, Sambia, Seychellen, Simbabwe, Südafrika, Swasiland, Tansania;

  • ECOWAS (Economic Community of West African States): Benin, Burkina Faso, Côte d'Ivoire, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Kapverde, Liberia, Mali, Niger, Nigeria, Senegal, Sierra Leone, Togo;

  • CEEAC (Communauté Economique des États de l'Afrique Centrale): Angola, Äquatorial-Guinea, Burundi, DR Kongo, Gabun, Kamerun, Kongo, Sao Tomé und Principe, Tschad, Zentralafrikanische Republik);

  • IGAD (Inter-Governmental Authority on Development): Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Kenia, Somalia, Sudan, Uganda.

Schließlich sind für die internationale Gebergemeinschaft die regionalen Organisationen wesentliche Partner bei der entwicklungspolitischen Stabilisierung, Krisenprävention oder beim Kampf gegen den Terrorismus. Deutschland fördert afrikanische Regionalorganisationen zunehmend mit Mitteln aus dem Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ); selbst Frankreich und die USA, deren Afrikapolitik traditionell durch bilaterale Beziehungen oder persönliche Kontakte zu befreundeten Staatschefs charakterisiert war, sehen in den regionalen Abkommen wichtige Pfeiler beim Aufbau eines stabilen afrikanischen Staatensystems.

Auch bei der sicherheitspolitischen Kooperation sollte man jedoch vor unrealistischen Erwartungen warnen: Afrikanische Regionalorganisationen bleiben ständig unterfinanziert und daher von ausländischer Unterstützung abhängig. Gerade in Zentralafrika, wo es die höchste Dichte an schwachen Staaten und chronischen Gewaltkonflikten gibt, fehlt eine effektive Regionalorganisation; die CEEAC hat keine praktische Bedeutung. In anderen Regionen bleibt die staatliche Souveränität das letzte Gut, das vielen Staaten verbleibt. Auch wenn die EU oft noch als Vorbild fungiert, wird es Regionalorganisationen, die supra­nationale Kompetenzen tatsächlich durchsetzen, in Afrika auf absehbare Zeit nicht geben.

Rolle Frankreichs und Großbritanniens

Die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien spielen auch mehrere Jahrzehnte nach dem Ende der Kolonialzeit eine wichtige Rolle auf dem afrikanischen Kontinent. Paris gehört für alle aus dem französischen Kolonialgebiet hervorgegangenen Staaten zu den wichtigsten Handelspartnern, und französische Unternehmen sind dort aktiver als Investoren aus anderen Ländern. Die Handelspolitik Großbritanniens gegenüber den Nachfolgestaaten der britischen Kolonien folgt dem gleichen Muster. Beide Akteure treten in ihren ehemaligen Kolonien als größte Entwicklungshilfegeber auf und unterstützen in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der Europäischen Union oft deren Belange.

Bis Ende der 1980er Jahre gelang es Paris mit Hilfe einer engagierten Militär-, Wirtschafts- und Kulturpolitik, sich vor allem in den jungen Staaten West- und Zentralafrikas eine exklusive Einflusssphäre zu erhalten. Das Verhältnis zu den nordafrikanischen Staaten Algerien, Tunesien und Marokko gestaltete sich aufgrund des weitaus konfliktreicher verlaufenen Ablösungsprozesses schwieriger. Paris hatte daher auf die dortigen politischen Verhältnisse einen geringeren Einfluss.

Mit der fortgesetzten Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent wollte Frankreich in erster Linie seinen Anspruch auf den Status einer internationalen Großmacht unterstreichen. Während des Kalten Krieges spielte auch die Absicht, eine Ausweitung des sowjetischen Einflusses zu verhindern, eine wichtige Rolle. Um diese Ziele zu erreichen, schreckte Paris nicht davor zurück, undemokratische Regime politisch, wirtschaftlich und im Notfall mit eigenen Soldaten zu unterstützen.

Ein zentrales Merkmal der französischen Afrikapolitik war die enge persönliche Verflechtung zwischen den politischen Eliten Frankreichs und jenen der frankophonen afrikanischen Staaten. Dies führte zu einer Vermischung privater und öffentlicher Interessen, was die franko-afrikanischen Beziehungen undurchsichtig und besonders anfällig für Korruption und Misswirtschaft machte.

Für die Außenpolitik Großbritanniens waren die Beziehungen zu den britischen Kolonien nach deren Unabhängigkeit zunächst von weniger zentraler Bedeutung. London verfolgte eine zurückhaltende Politik und konzentrierte sich darauf, die Beziehungen zu seinen ehemaligen Kolonien im Rahmen des Commonwealth, eines freiwilligen Zusammenschlusses heute unabhängiger Staaten des ehemaligen britischen Empires, aufrechtzuerhalten. Diese Haltung änderte sich jedoch in den folgenden Jahren. Das zunehmende Engagement der Sowjetunion vor allem im englischsprachigen Teil Afrikas rückte den Kontinent wieder stärker in den Fokus der Briten mit dem Ziel, die Einflussnahme Moskaus zu unterbinden.

Die weltpolitischen Veränderungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 stellten sowohl für das französische als auch für das britische Afrikaengagement eine große Herausforderung dar und zwangen beide Akteure dazu, ihre Politik gegenüber dem Kontinent neu zu bewerten. Im Falle Frankreichs wurde diese Notwendigkeit durch seine zweifelhafte Rolle in Ruanda verstärkt. Paris wird vorgeworfen, die aus Mitgliedern der Hutu zusammengesetzte Regierung mit Waffen versorgt zu haben, bevor deren Milizen im Jahr 1994 den Völkermord an der Volksgruppe der Tutsi verübten - Vorwürfe, die viele französische Politiker und Militärs bis heute vehement bestreiten.

Im Zuge der Neuausrichtung ihrer Afrikapolitik sicherten Politiker beider Länder zu, die Entwicklungshilfe zu erhöhen. Sie versprachen, dabei auch Staaten außerhalb ihrer traditionellen Einflussbereiche stärker zu berücksichtigen und die Vergabe der Hilfsgelder ebenso wie die Handelsbeziehungen an Fortschritte beim Aufbau demokratischer Regierungsformen, die Achtung von Menschenrechten sowie eine bessere Regierungsführung zu knüpfen. Besonders engagiert war hier der britische Premierminister Tony Blair (1997 bis 2007). Auf dem Gipfeltreffen im schottischen Gleneagles im Jahre 2005 gelang es ihm, die Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten zu dem Versprechen zu bewegen, ihre Entwicklungshilfe deutlich zu erhöhen. Blairs Bemühen war maßgeblich inspiriert von den Schlussfolgerungen des Berichts der Commission for Africa, eines von ihm selbst ins Leben gerufenen und aus verschiedenen Kennern des Kontinents zusammengesetzten Experten-Gremiums. Statt Konflikte durch einseitige Parteinahmen und mit dem Risiko eines erneuten Ausbruchs lediglich einzufrieren, sollte verstärkt auf deren vollständige Lösung hingearbeitet werden. Langfristig wurde das Ziel ausgegeben, afrikanische Akteure dazu zu befähigen, diese Aufgabe selbst zu übernehmen. Ein direktes militärisches Eingreifen war nur noch in besonders schweren humanitären Krisen vorgesehen.

Die Bilanz dieser Neuausrichtung fällt zwiespältig aus. Das Gesamtvolumen der französischen und der britischen Entwicklungshilfe stieg in den vergangenen Jahren zwar an. Dies ist allerdings in erster Linie darauf zurückzuführen, dass einigen afrikanischen Staaten die Auslandsschulden erlassen wurden. Auch die Initiative Tony Blairs geriet in die Kritik, da sie von Seiten vieler Experten als falsche Antwort auf die Probleme Afrikas und als Versuch gewertet wurde, den innenpolitischen Imageverlust der Regierung abzufedern, der 2003 durch die Teilnahme an der Intervention im Irak entstanden war.

Die Verteilung der Hilfsgelder lässt ebenfalls keine wesentliche Neuorientierung erkennen. Immer noch profitieren in erster Linie die ehemaligen Kolonien von der französischen und britischen Entwicklungshilfe. Fortschritte in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte und gute Regierungsführung wurden trotz zahlreicher Ankündigungen selten belohnt und Rückschritte kaum bestraft. Die Interventionen Großbritanniens in Sierra Leone 2000 und Frankreichs in der Elfenbeinküste 2002 haben eine weitere Eskalation der jeweiligen Konflikte zwar verhindert; letztendlich wurden jedoch nur die herrschenden Kräfte stabilisiert, ohne die Konfliktursachen auszuräumen.

Trotz mehrfacher Bekundungen konnten sich beide Akteure bis dato auch nicht dazu durchringen, ihre Afrikapolitik stärker in einen europäischen Rahmen zu stellen. Obwohl ein gemeinsames Handeln größere Erfolge versprechen würde, sind sowohl auf entwicklungspolitischer als auch auf sicherheitspolitischer Ebene nur zaghafte Versuche einer Europäisierung der nationalen Politiken erkennbar.

Als Hemmschuh einer neuen Politik haben sich vor allem die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs und Großbritanniens herauskristallisiert. Die Bedeutung einiger afrikanischer Staaten als Handelspartner und insbesondere als Lieferanten mineralischer und landwirtschaftlicher Rohstoffe ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Den Entscheidungsträgern in Paris und London ist mittlerweile klar geworden, wie schwierig es ist, Ziele wie Entwicklung, Demokratieförderung und die Achtung von Menschenrechten mit der Wahrung wirtschaftlicher Interessen zu vereinbaren. Viele der als Wirtschaftspartner attraktiven Staaten werden von Regierungen geführt, die undemokratisch an die Macht gelangt sind und auch bei der Ausübung ihrer Herrschaft wenig Rücksicht auf die Belange ihrer Bevölkerungen nehmen. Sie sind nicht bereit, ihre Machtfülle einzuschränken, und drohen, sobald von Kürzungen der Entwicklungshilfe oder anderen Sanktionen ihnen gegenüber die Rede ist, mit einer Aufkündigung der wirtschaftlichen Beziehungen.

Verschärft wurde dieses Dilemma im Laufe der letzten Jahre durch die neue Konkurrenz um wirtschaftlichen Einfluss auf dem Kontinent in Gestalt aufstrebender Mächte wie China, Indien und Russland, aber auch den USA. Diese Entwicklung hat die Verhandlungsposition der afrikanischen Eliten verbessert und setzt französische und britische Politiker zusätzlich unter Druck. Den Trend, die Kooperation mit undemokratischen Regierungen fortzuführen, hat auch die zunehmende Bedeutung des Kampfes gegen den Terrorismus verstärkt. Vieles deutet darauf hin, dass Paris und London lieber mit bekannten Partnern zusammenarbeiten als Demokratisierungsprozesse zu unterstützen, deren Ausgang ungewiss ist.

Neue Mächte auf dem Kontinent

Mit dem Ende des Kalten Krieges erlitt Afrika, vor allem die Region südlich der Sahara, einen internationalen Bedeutungsverlust. Seit etwa der Jahrtausendwende ist indes eine strategische Wiederentdeckung des Kontinents zu beobachten - nicht nur von Seiten westlicher Staaten, allen voran den USA, sondern auch von Seiten "neuer" Akteure wie China, Indien, Russland, Brasilien und weiterer Schwellenländer. Angesichts der beeindruckenden Geschwindigkeit, mit der diese Staaten ihre Beziehungen zu Afrika aufbauen und ausweiten, scheint die Phase beendet zu sein, in der die USA und die ehemaligen europäischen Kolonialmächte als einzige Akteure substanzielle Interessen in Afrika verfolgten.

Die Volksrepublik China steht zweifellos an der Spitze der neuen Mächte, die sich verstärkt in Afrika engagieren. Deutlichster Indikator ist das afrikanisch-chinesische Handelsvolumen, das von acht Milliarden US-Dollar im Jahr 2004 auf über 100 Milliarden US-Dollar im Jahr 2008 anstieg. Dass Ölimporte aus Afrika (Angola, Sudan, Nigeria) dabei mit 80 Prozent zu Buche schlagen, verdeutlicht die Interessen Chinas. Chinesische Unternehmen - staatliche wie private - engagieren sich aber flächendeckend in Afrika, also auch in kleinen und ressourcenarmen Ländern. China führt einen rasch wachsenden Anteil seiner Rohstoffimporte aus Afrika ein (30 Prozent bei Öl, 80 Prozent bei Kobalt und 40 Prozent bei Mangan). Zudem ist Beijing auf dem Weg, der größte Finanzier von Infrastrukturprojekten wie Straßen, Eisenbahnen und Strom auf dem südlichen Kontinent zu werden. Im Jahr 2006 erreichten die chinesischen Zusagen in diesem Bereich sieben Milliarden US-Dollar. In der DR Kongo schnürten chinesische Unternehmen 2007 ein Investitionspaket von knapp neun Milliarden US-Dollar, das in gewisser Hinsicht exemplarisch ist für das chinesische Kooperationsmodell in ressourcenreichen Ländern: Der Bau von Infrastrukturprojekten wird gegenfinanziert durch Bergbaukonzessionen, das heißt die Vergabe von Nutzungsrechten, und die Lieferung von Rohstoffen von afrikanischer Seite.

Auch bei Indiens Afrikapolitik steht der Zugang zu Rohstoffen im Mittelpunkt, das bilaterale Handelsvolumen lag 2006 bei rund 30 Milliarden US-Dollar. Anders verhält es sich mit Russland, das selbst ein rohstoffreiches Land ist und dessen geplante Investitionen in den Sektoren Metallindustrie, Bergbau und Energie (transsaharisches Pipeline-Projekt) eher auf wirtschaftliche Profite ausgerichtet sind. Auch ist Russlands Außenwirtschaftspolitik anders als im Falle Chinas und Indiens bislang nicht in ein afrikapolitisches Gesamtkonzept eingebettet, mit Abstrichen gilt dies allenfalls für den Maghreb. China und Indien entwickeln hingegen ein afrikapolitisches Profil, das flächendeckend und politikfeldübergreifend angelegt ist. Die wirtschaftlichen Kooperationsangebote Chinas und Indiens kombinieren Handel und Investitionen mit Zuwendungen, die nach westlichem Verständnis eher in den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit fallen.

Als aufsteigende Großmächte mit wachsenden internationalen Gestaltungsansprüchen suchen beide Länder in Afrika politische Partner und Verbündete. Mit Ausnahme Nigerias und Südafrikas sind afrikanische Staaten natürlich keine Schwergewichte der internationalen Politik. Sie stellen aber ein Viertel der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (UN) und bilden daher eine potenziell wichtige Quelle diplomatischer Unterstützung, insbesondere in internationalen Organisationen wie der WTO und der UN-Menschenrechtskommission sowie für außenpolitische Ziele wie die Errichtung einer multipolaren Weltordnung.

Zur politischen Profilierung der neuen Partnerschaften zwischen Afrika und den neuen Mächten trägt die klassische Diplomatie bei, das heißt eine rege Reisediplomatie und große Gipfeltreffen wie das Forum on China-Africa Cooperation in Beijing 2006 oder der indisch-afrikanische Gipfel in Neu-Delhi 2008. Unbelastet von kolonialem Ballast präsentieren sich die Schwellenländer teilweise auch als Gegenentwurf zu den westlichen Staaten und deren Afrikapolitik. Ihr weitgehender Verzicht darauf, in Afrika ein bestimmtes Entwicklungsmodell zu propagieren, steht in markantem Gegensatz zur Politik westlicher Staaten und Geberorganisationen, die politische und wirtschaftliche Liberalisierung von den afrikanischen Partnern einfordern. Afrikanische Regierungen sehen darin eine unangemessene Einmischung in ihre inneren Angelegen­heiten und eine Verletzung ihrer staatlichen Souveränität.

Die neuen Kooperationspartner werden die Abhängigkeit afrikanischer Staaten von westlichen Gebern zwar nicht beenden, sie können aber dazu dienen, den Druck abzufedern. Dies gilt nicht nur für undemokratische oder reformresistente Regierungen. Denn grundsätzlich ist die Ausweitung politischer und wirtschaftlicher Kooperation auf die neuen Partner eine vernünftige Strategie afrikanischer Staaten, deren Außenpolitik lange Zeit auf die westliche Gemeinschaft fokussiert war. Das neue Engagement der Schwellenländer eröffnet Afrikas Staaten die historische Chance, ihre Außenbeziehungen auf ein breiteres Fundament zu stellen und damit nicht nur ihre politische und wirtschaftliche Situation zu verbessern, sondern auch ihre Verhandlungsposition gegenüber den westlichen Staaten.

Gleichwohl gibt es zumindest in Einzelfällen Anlass zu berechtigten Vorbehalten gegen die Politik der neuen Mächte. Die duldsame Haltung gegenüber den verbrecherischen Regimen in Sudan (China) und in Simbabwe (China, Russland) ist höchst problematisch. Auch in weniger kontroversen Fällen untergräbt der Einflusszuwachs der Schwellenländer aus westlicher Sicht Versuche, die eigenen politischen und wirtschaftlichen Vorstellungen in Afrika durchzusetzen. Grundsätzlich erscheint die westliche Kritik - vor allem an Chinas Afrikapolitik - jedoch häufig undifferenziert und überzogen. Sie übersieht zudem, dass Afrikas Staaten nicht über einen Kamm zu scheren sind. Relativ demokratische Staaten werden einen anderen und häufig kritischeren Umgang mit den neuen Mächten finden als autoritär regierte Länder. Zudem hat sich die westliche Politik, Bedingungen an die afrikanischen Regierungen zu stellen, bisher ohnehin nicht als besonders effektiv erwiesen.

QuellentextSudans neue Partner

[...] Es ist noch gar nicht lange her, da wirkte Khartum ruhig und beschau­lich, manchmal gar ein wenig schläfrig. Oft war nur die Stimme des Muezzins zu vernehmen, der seine Gläubigen zum Gebet rief. Nun aber gibt überall der Presslufthammer den Ton an. Wohin man blickt, wird gebaggert und gebaut. Die Stadt verwandelt sich rasant.
Nur das herrschende Regime hat seit zwanzig Jahren nicht gewechselt. Khartum ist immer noch die Bastion von Putschistengeneral Omar al-Bashir, der 1989 die gewählte Regierung im Sudan stürzte. Bashir ist der starke Mann am Nil. Aber er ist auch ein Gejagter. Denn die Justiz sitzt ihm im Na­cken. Der Chefankläger des Internatio­nalen Strafgerichtshofes (ICC) in Den Haag möchte ihn hinter Gitter bringen. Luis Moreno-Ocampo sieht in ihm einen Völkermörder, den Drahtzieher eines Vernichtungsfeldzuges gegen die Bauernvölker in Darfur, der umkämpften Westprovinz des Sudan. [...]
Noch ist Bashir ein freier Mann. Und der Ort, an dem er seinen Machtapparat lenkt, wirkt keineswegs wie die Hauptstadt eines geächteten Paria-Staates. Im Gegenteil: Khartum boomt, wie man es nie zuvor gesehen hat. Das liegt an den Ölquellen im Süden des Sudan, die seit einigen Jahren reichlich sprudeln und Milliarden Petrodollars in die Staatskasse fließen lassen. [...]
Die Investoren kommen fast alle aus dem Nahen und Fernen Osten. Vor allem Geschäftsleute aus China und der arabischen Welt pumpen Geld in die Wirtschaft. Dass die Weltmacht USA das Land seit Jahren als Sponsor des Terrorismus geißelt und mit harten Wirtschaftssanktionen straft, bremst den Aufschwung von Khartum kaum. Auch europäische Firmen haben sich weitgehend zurückgezogen, hier suchen nun andere ihre Chance. Sudanesische Geschäftsleute schütteln heute nur mitleidig den Kopf, wenn sie von den Amerikanern und den Sanktionen sprechen. Die Strafen schmerzen kaum noch.
Khartums Architektur versprüht wenig Charme. [...] Doch manche in der Stadt haben ehrgeizige Pläne, die man im Internet schon besichtigen kann. Sudanesische Unternehmen zaubern dort schillernde Simulationen auf den Bildschirm. "Sudans Antwort auf Dubai oder Shanghai" nennt das der Großunternehmer Osama Daoud [...] Noch ist es vor allem eine virtuelle Welt. Aber es wird schon fleißig an ihr gebaut. [...]
Der Gedanke an Shanghai liegt gar nicht so fern, denn überall stiefeln chinesische Bauarbeiter durchs Revier, sie messen, graben, rechnen. Alle winken freundlich, aber ein längeres Gespräch kommt nicht zustande. Ihr Chef ist all die Tage nicht zu sprechen. "Zu beschäftigt", heißt es. Man darf schließlich Fragen per E-Mail schicken, doch auch die werden nie beantwortet. Sie sind scheu, die Chinesen in Afrika, sie meiden das Rampenlicht. "Sie arbeiten immer sehr hart", sagt Amir Diglal, PR-Manager, als müsse er sie entschuldigen. "Und sie sind bereit, Risiken einzugehen." [...]
Für Khartum ist die Achse nach Peking von größter Bedeutung. Nicht nur ökonomisch, auch politisch. Denn China hält bislang seine schützende Hand über das im Westen verrufene Regime. Als Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat kann es harte Strafen gegen die Regierung am Nil verhindern. Peking ist der wichtigste Pate, den Khartum hat. [...]

Arne Perras, "Reich an allen Übeln", in: Süddeutsche Zeitung vom 3. Februar 2009

Die intensiveren Beziehungen zwischen Afrika und den neuen Mächten stellen die hergebrachte Annahme in Frage, Afrika sei ein marginalisierter, von der Globalisierung abgehängter Kontinent. Durch vermehrten Handel, Investitionen und den Ausbau der Infrastruktur geben sie Afrika auch neue Entwicklungsimpulse. Und schließlich ist das Vordringen der neuen Mächte auch ein Weckruf an Europa, in dem nunmehr die Einsicht zu wachsen scheint, dass der Kontinent nicht nur eine krisengeschüttelte Altlast kolonialer Tage ist, sondern auch wirtschaftliche Chancen bietet.

Europäisch-Mediterrane Zusammenarbeit

Am 27./28. November 1995 initiierte die Europäische Union zusammen mit insgesamt zwölf Staaten aus dem Mittelmeerraum in Barcelona die Euro-Mediterrane Partnerschaft (EMP). Dies geschah vor dem Hintergrund der Nahost-Konferenz von 1991 in Madrid und des anschließenden Osloer Friedensprozesses, der zu einer Annäherung Israels und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) geführt hatte. Angesichts dieser Entwicklung ging die EU davon aus, dass eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts nachhaltige Auswirkungen auf das Verhältnis der nordafrikanischen und arabischen Staaten zu Israel haben und einen Prozess der regionalen Kooperation in Gang setzen werde. Darauf aufbauend umfasst die auch als "Barcelona-Prozess" bekannte EMP neben den EU-Mitgliedstaaten, bis auf Libyen, alle südlichen Mittelmeeranrainer, die Palästinensische Autonomiebehörde, Jordanien und die Türkei sowie seit Ende des Jahres 2007 auch Mauretanien und Albanien. Bosnien, Montenegro, Kroatien und Monaco haben ebenfalls ihr Interesse an einer EMP-Vollmitgliedschaft zum Ausdruck gebracht. Inzwischen sind sie Mitglied der im Juli 2008 gegründeten und 43 Staaten umfassenden "Union für das Mittelmeer", in die die EMP übergegangen ist.

Die EMP zeichnet sich dadurch aus, dass sie neben einer Zusammenarbeit in wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten ("Korb II") erstmals auch politische und sicherheitspolitische Fragen ("Korb I") miteinbezieht sowie eine Partnerschaft auf den Gebieten Soziales und Kultur ("Korb III") anstrebt. Diese drei Bereiche der Zusammenarbeit werden konkretisiert in der Deklaration von Barcelona, die von den Außenministern der EU-Mitgliedstaaten und ihren Amtskollegen aus dem südlichen Mittelmeerraum im November 1995 angenommen wurde. Hinzu treten bilateral abgeschlossene euro-mediterrane Assoziierungsabkommen, die die formalrechtliche Grundlage der Beziehungen der EU zu den einzelnen Partnerstaaten bilden.

Im Sommer 2003 hat die EU nicht zuletzt aufgrund ihrer zum damaligen Zeitpunkt bevorstehenden Osterweiterung die Euro­päische Nachbarschaftspolitik (ENP) lanciert. Sie offeriert den osteuropäischen und südmediterranen Nachbarstaaten der EU, die keine Perspektive auf eine EU-Mitgliedschaft haben, zusätzlich zu den jeweils bestehenden Kooperationsmechanismen weitreichende Anreize und eine stufenweise Integration in den Binnenmarkt im Gegenzug für politische und wirtschaftliche Reformen. Untermauert wird dieser Politikansatz durch das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI), das alle bis dato existierenden Finanzierungsmechanismen in einem einzigen Instrument gemeinschaftlicher Außenhilfe zusammenführt und für den Zeitraum 2007 bis 2013 insgesamt circa zwölf Milliarden Euro zur Verfügung stellt.

Korb I

Die politische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit bleibt eine Geisel des ungelösten Nahostkonflikts und des Autoritarismus. Bereits im Vorfeld der Konferenz von Barcelona 1995 hatten Syrien und der Libanon kritisiert, dass Israel bei der Schaffung der EMP miteinbezogen werden sollte. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt wurde deutlich, dass eine nachhaltige und umfassende politische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit im euro-mediterranen Rahmen die Lösung des Nahostkonflikts und aller damit zusammenhängenden territorialen Fragen zur Vorbedingung hat. Dementsprechend ist es der EU bis in die Gegenwart nicht gelungen, ihre nordafrikanischen und arabischen Partner sowie Israel zu einer Zusammenarbeit in Feldern zu gewinnen, die einen militärpolitischen Bezug haben und folglich auch Fragen der Abrüstung, der Konfliktprävention und des Konfliktmanagements berühren. Auch die ursprünglich geplanten Arbeiten zu einem euro-mediterranen Stabilitätspakt mussten im Jahr 2000 endgültig eingestellt werden, nachdem es Ende September 2000 zu einer neuerlichen Verschärfung des israelisch-arabischen Konflikts kam.

Zwar setzt die Ebene der "Senior Officials" trotz aller Rückschläge den politischen und sicherheitspolitischen Dialog immer noch regelmäßig fort. Doch wird er erschwert, weil eine von allen Partnern anerkannte Definition von Sicherheit fehlt, weil die EMP sich weiterhin an den Grundprinzipien des KSZE-Entspannungsprozesses der 1970er und 1980er Jahre orientiert, weil die nordafrikanischen und übrigen Partnerstaaten den Umgang mit vertrauens- und partnerschaftsbildenden Maßnahmen nicht gewohnt sind und weil in den arabischen Partnerstaaten autoritäre Herrschaftsstrukturen existieren. Vor allem letztere sind dafür verantwortlich, dass die in der Deklaration von Barcelona sowie in den ENP-Aktionsplänen vereinbarten Ziele, etwa die Ingangsetzung von Demokratisierungsprozessen, die Wahrung der Menschenrechte, die Stärkung der Zivilgesellschaften und die Herstellung von Rechtsstaatlichkeit, nicht verwirklicht wurden. Ein ernsthafter Diskurs zu diesen Fragen ist bislang entweder am Widerstand der nordafrikanischen und arabischen Herrschaftseliten gescheitert oder handelspolitischen Interessen in Europa zum Opfer gefallen.

In dieser Hinsicht enttäuscht auch die am 13. Juli 2008 auf Drängen des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy geschaffene "Union für das Mittelmeer", da sie sich ausschließlich auf große, medienwirksame Kooperationsprojekte in den Bereichen Solarenergie, Transportinfrastruktur, Katastrophen- und Umweltschutz beschränkt. Außerdem leistet sie einem seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf die USA zu beobachtenden Trend Vorschub: der "Versicherheitlichung" von nicht-sicherheitspolitischen Fragen sowie der zunehmenden Einschränkung der Bürger- und Freiheitsrechte im euro-mediterranen Raum.

Korb II

Die wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit kreist im Wesentlichen um das sowohl in der Deklaration von Barcelona als auch in den Assoziierungsabkommen festgelegte Ziel, innerhalb von zwölf Jahren bis spätestens 2010 eine euro-mediterrane Freihandelszone zu schaffen. Da die meisten Abkommen allerdings erst nach langen und zeitaufwändigen Verhandlungen angenommen und ratifiziert wurden, wird die Freihandelszone 2010 kaum zu realisieren sein. Ferner ist ihre Reichweite beschränkt, da es sich um vertikale, das heißt zwischen der EU und jedem einzelnen Partnerstaat zu schaffende Zonen handelt und somit Handelsbarrieren auf horizontaler Ebene, das heißt zwischen allen gegenwärtig 39 EMP-Staaten, nicht abgebaut werden. Ebenfalls kritisch zu bewerten ist, dass weiterhin überwiegend nicht-tarifäre Handelshemmnisse (etwa mengenmäßige Enfuhrbeschränkungen oder Ein- bzw. Ausfuhrverbote) für die äußerst wettbewerbsfähigen südmediterranen Agrargüter bestehen, die Reziprozitätsklausel, das heißt die gegenseitige Gewährung von Handelspräferenzen, in den Abkommen verankert ist sowie dass auch nach nahezu anderthalb Jahrzehnten EMP, bis auf das rohstoffreiche Algerien, alle südlichen Mittelmeer­anrainerstaaten noch immer unter den seit Jahrzehnten bestehenden Handelsbilanzdefiziten mit der EU leiden. An dieser Problematik, die vor allem die überwiegend unsicheren südlichen Volkswirtschaften betrifft, konnte bislang auch die ENP nichts ändern. Die wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit bleibt asymmetrisch.

Korb III

Korb III will die Entwicklung menschlicher Ressourcen, das Verständnis zwischen den Kulturen sowie den Austausch zwischen den Zivilgesellschaften fördern. Um diese Ziele zu verwirklichen, haben die Partner die in Kairo ansässige Anna Lindh-Stiftung und 2008 im slowenischen Portoroz eine EuroMediterrane Universität gegründet. Sie haben besondere Programme zur Jugendförderung und zum kulturellen Erbe aufgebaut, pflegen eine audiovisuelle Zusammenarbeit und einen interkulturellen Dialog. Letzterer beschränkte sich allerdings bislang nahezu ausschließlich auf die Erörterung des Verhältnisses zwischen Christentum und Islam, blieb einer kleinen kulturellen Elite vorbehalten und orientierte sich unausgesprochen an den wissenschaftstheoretisch kritisch zu betrachtenden Thesen zum "Kampf der Zivilisationen", die der US-amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington zu Beginn der 1990er Jahre vorgestellt hatte.

Die Verträge von Lomé und Cotonou

AKP-Länder

Mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1958 begannen auch die gemeinschaftlichen europäischen Aktivitäten in Afrika. Die Afrikapolitik galt als Kern- und Aushängestück eines auch außereuropäischen Anspruches der Gemeinschaft, und über Jahrzehnte besaßen die europäischen Beziehungen zu Afrika Modellcharakter für die Nord-Süd-Beziehungen. Sie waren nicht Teil der Europäischen Verträge (= Römischen Verträge) und wurden 1964 mit den Abkommen von Jaunde, Kamerun, und seit 1975 von Lomé, Togo, vorgeblich "unpolitisch" strukturiert, da sie vor allem auf Marktzugangspräferenzen und Hilfszahlungen basierten. Eine nennenswerte wirtschaftliche Entwicklung wurde dadurch in den Partnerländern jedoch nicht ausgelöst. Die Beziehungen zwischen der EU und den AKP (Afrika, Karibik, Pazifik)- Staaten wurden deshalb im Jahr 2000 erneuert. Mit einem neuen Abschlussort - Cotonou in Benin - sollte auch symbolisch ein inhaltlicher Neuanfang verdeutlicht werden. Das Abkommen von Cotonou ruht wie seine Vorläufer auf mehreren Säulen: europäische Entwicklungshilfe an die AKP-Staaten, Regelungen der europäischen Handelspolitik für diese Staatengruppe und - mit Cotonou verstärkt - politischer Dialog beider Seiten.

Entwicklungshilfe

Das vermutlich bekannteste Element der EU-AKP-Beziehungen ist die Entwicklungshilfe über den Europäischen Entwicklungsfonds (EEF). Der seit dem Abkommen von Jaunde fortgeführte Fonds ist inzwischen der zehnte EEF (2008 bis 2013) und umfasst mittlerweile insgesamt 24 Milliarden Euro. Bei der Summe muss berück­sichtigt werden, dass sowohl der Kreis der EU-Staaten von ehemals sechs auf jetzt 27 Geberstaaten gewachsen ist als auch die Zahl der AKP-Staaten - von ehemals 18 Empfängerstaaten auf gegenwärtig 79. Bisher nicht verplante Gelder aus vorherigen Fonds fließen in die Gesamtsumme der Neuzusagen des 10. EEF mit ein.

EU-Handelsbeziehungen zu Afrika

Ein besonderes Element der EU-AKP-Beziehungen war seit 1975 der von der EU einseitig eröffnete Marktzugang für Produkte aus AKP-Staaten. Diese Regelung geriet jedoch seit den 1990er Jahren zunehmend von Seiten der EU unter Druck, weil sie offensichtlich unwirksam war. Den AKP-Staaten gelang es nicht, ihren Anteil am Handelsvolumen mit der EU zu steigern - er ging vielmehr von acht Prozent in den 1970er Jahren auf gegenwärtig rund zwei Prozent zurück. Hauptsächlich werden zudem noch immer agrarische und mineralische Rohstoffe gehandelt; eine Diversifizierung der Warengüter blieb aus. Allgemeine Liberalisierungen im Welthandelssystem haben darüber hinaus Wettbewerbsvorteile abgeschwächt, die durch besondere Handelspräferenzen entstanden waren.

Das Hauptargument gegen die bisherigen einseitigen Handelspräferenzen ist allerdings ihr Verstoß gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Sie erhebt den Grundsatz der Gleichbehandlung; eine bevorzugte Behandlung wird innerhalb der WTO nur den am wenigsten entwickelten Ländern (least developed countries, LDCs) zuerkannt. Für die LDCs gilt bereits seit 2001 - auch jenseits der AKP-Gruppe - die EU-Politik der Everything-but-arms-Initiative, das heißt des freien Marktzugangs aller Waren außer Waffen (mit 2008 abgelaufenen Übergangsregelungen für Reis, Zucker und Bananen). Die AKP-Gruppe hat als einziges gemeinsames Gruppenkriterium jedoch nur die Vergangenheit ihrer Mitglieder als europäische Kolonien und konnte ihre Präferenzen bis 2008 allein mithilfe einer Ausnahmeregelung, einem so genannten waiver, aufrechterhalten.

Mit dem Cotonou-Abkommen haben sich die EU und die AKP-Staaten nun von einseitigen Präferenzen verabschiedet und sich stattdessen für die Einführung von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs) entschieden. Es handelt sich um regionale (nicht bilaterale) Freihandelsabkommen, welche die EU anstrebt, um so die Regionalintegration in Afrika, der Karibik und dem Pazifik zu fördern. Eine besondere Schwierigkeit in Afrika ist das Nebeneinander regionaler Organisationen mit sich teilweise gegenseitig ausschließenden wirtschaftlichen Zielsetzungen.

Die EPAs beruhen auf Gegenseitigkeit, das heißt, nicht nur die AKP-Staaten können ihre Waren weitgehend zollfrei in die EU exportieren, sondern auch sie müssen ihre Märkte für europäische Produkte, Investitionen und Dienstleistungen öffnen und die Zölle auf Importe aus der EU streichen. So wird nach Ansicht zahlreicher Nichtregierungsorganisationen den Staaten aber die Möglichkeit genommen, ihre Märkte vor subventionierten Importen aus der EU zu schützen. EPAs und Handelsliberalisierung seien Instrumente der Entwicklungspolitik, betonen die zentralen Akteure der EU. Es ist aber strittig, ob Entwicklung mit Hilfe von Marktöffnungen erreicht werden kann. Das Wirtschaftswachstum vieler asiatischer Länder ist beispielsweise nicht durch freie Marktwirtschaft im klassisch ökonomischen Sinn gefördert worden; ebenso entscheidend sind Institutionen, die Rahmenbedingungen setzen und durchsetzen können sowie angepasste Technologien, die das Lernen vom gegenwärtigen technischen und institutionellen Ausgangspunkt ermöglichen.

QuellentextZölle sind lebenswichtig

[...] Geoffrey Bakunda: Die Regierung hat unter dem Druck von Weltbank und Internationalem Währungsfonds mit fast religiösem Eifer liberalisiert und privatisiert - ganz im Sinne der geforderten Strukturanpassungsprogramme. Eine reine Erfolgsgeschichte ist das nicht. Im Gegenteil, diese Politik hat zur Ausbreitung der ländlichen Armut beigetragen. Den meisten Bauern geht es heute schlechter, ihr reales Einkommen ist geringer als vor der Liberalisierung.
Frankfurter Rundschau: Warum?
Bakunda: Der Milchsektor, der am meisten unter der Liberalisierung gelitten hat, ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung. Bis Anfang der 90er Jahre hat die staatliche Milchgesellschaft landesweit die Verarbeitung und Vermarktung der Milch organisiert. Sie garantierte den Bauern die Abnahme der Milch und einen Preis, der den Erzeugern ein Auskommen sicherte. Mit der Privatisierung des Sektors sind die Preise in den Keller gegangen, sie schwanken jetzt zum Teil extrem.
FR: Was sind die Ursachen dieser Entwicklung?
Bakunda: Die privaten Molkereien, die entstanden sind, agieren vornehmlich im städtischen Umfeld. Es ist nicht gelungen, das landesweite Netz der staatlichen Milchgesellschaft aufrecht zu erhalten. Es fehlt jetzt die Infrastruktur - also Sammelstellen und Kühlstationen - um Milch, die auf dem Land erzeugt wird, zu verarbeiten.
FR: Warum sind viele der privaten Molkereien, die vor 15 Jahren an den Start gingen, wieder vom Markt verschwunden?
Bakunda: Sie waren nicht wettbewerbsfähig. Schon zwei Jahre nach ihrer Gründung mussten viele wieder aufgeben, vor allem auch, weil sie mit den Importen von Milchprodukten und Milchpulver nicht mithalten können. Die Einfuhren kommen aus der Europäischen Union - oft über Kenia, Südafrika aber auch über Dubai - nach Uganda. Diese Milch ist von höherer Qualität, besser verarbeitet und besser verpackt. In den städtischen Zentren dominieren importierte Milchprodukte den Markt. Einheimische Molkereien können das Geld für Investitionen in eine bessere Milchverarbeitung gar nicht aufbringen.
FR: Welche Auswirkungen wird das Economic Partnership Agreement, das die EU mit der East African Community verhandelt hat, auf die Milchindustrie haben?
Bakunda: Schon jetzt sind Ugandas Einfuhrzölle für Agrarrohstoffe und verarbeitete Produkte sehr niedrig. Wenn die EPAs uns nun zwingen, dass wir die Tarife innerhalb einer Frist von zehn Jahren auf Null runterfahren müssen, dann wird unser Land mit Importen aus der EU erst richtig überschwemmt.
FR: Was raten Sie der ugandischen Re­gierung?
Bakunda: Sie muss die Ausgaben für die Landwirtschaft erhöhen. Zur Zeit sind das nur vier Prozent des nationalen Etats. Priorität haben für die Regierung immer noch die Verteidigung und die nationale Sicherheit sowie Energieversorgung und Bildung. Die Entwicklung der Landwirtschaft ist für die Zukunft des Landes aber von größter Bedeutung. Wir brauchen profitable Strukturen. Und wir sollten unbedingt die EPAs mit der EU nachverhandeln. Wir müssen den heimischen Agrarsektor schützen, dazu sind Importzölle notwendig. Nach den Regeln der Welthandelsorganisation wäre das auch möglich, doch die EPAs lassen uns keinen Spielraum.
FR: Was sollten die Bauern tun?
Bakunda: Ich rate den Farmern dringend, den Wiederaufbau der Farmer-Kooperativen zu forcieren. Über die Kooperativen könnten die Bauern ihre Milch in größeren Mengen anbieten und höhere Preise aushandeln. Die Kooperativen könnten die Bauern beraten und selbst in die Weiter­verarbeitung der Milch investieren. Überall auf der Welt funktioniert dieses System. [...]

Interview von Tobias Schwab mit dem ugandischen Handels- und Agrarexperten Geoffrey Bakunda, in: Frankfurter Rundschau vom 3. Juni 2008

Vor allem die AKP-Länder und einige EU-Mitgliedstaaten sehen die EPAs eher kritisch. Es bestehen erhebliche Positionsunterschiede über den Zusammenhang von Marktöffnung und Entwicklungshilfe und über die Eignung von EU-Finanzierungsvorschlägen.

Politischer Dialog

Schrittweise wurde das alle fünf Jahre erneuerte Lomé-Abkommen in den 1980er Jahren um Klauseln ergänzt, die eine Respektierung der Menschenrechte, demokratische Verfahren und Rechtsstaatlichkeit betreffen. Verstöße gegen diese Grundsätze können zum Aussetzen der Zusammenarbeit führen. Für Streitfälle gibt es Schlichtungsmechanismen. Sie bieten afrikanischen Staaten allerdings wenig Schutz, da diese oftmals hochgradig geberabhängig und so von Strafmaßnahmen bedroht sind, ihrerseits aber der EU kaum mit Sanktionen drohen können. Das Auftreten neuer Geberstaaten in Afrika - nicht zuletzt Chinas - vergrößerte allerdings de facto den politischen Spielraum für einige afrikanische Staaten, die aufgrund ihrer schlechten Regierungsführung nach Ende des Kalten Krieges vom Westen gemieden wurden. Negative, strafende Sanktionen waren bisher aber auch aufgrund der internen Vielstimmigkeit europäischer Politik schwierig und in der Praxis kaum umzusetzen.

Im Cotonou-Abkommen wurden maßgebliche Veränderungen der bisherigen Beziehungen zwischen Europa und den AKP-Staaten vereinbart. Der politische Aspekt der Partnerschaft wurde deutlich gestärkt. Fragen der guten Regierungsführung (good governance) sowie sicherheitspolitische Themen, beispielsweise der Verzicht auf Massenvernichtungswaffen, sind im Abkommen zu einem wesentlichen Element aufgewertet worden. Zudem hat sich im Verhältnis zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Handel ein grundlegender Wandel vollzogen, weg von einseitigen Präferenzen hin zu WTO-kompatiblen Regeln und einer stärkeren Betonung inter-regionaler Kooperation.

Der Modell-Anspruch der EU-AKP-Beziehungen ist inzwischen allerdings weitgehend verblasst. Zudem sind neue Institutionen entstanden, die auch Staaten jenseits der AKP-Mitglieder einschließen, insbesondere die Afrikanische Union und NEPAD, deren Mitgliedschaft auch Nordafrika umfasst. Die EU wird sich zunehmend also die Frage stellen müssen, ob der AKP-Rahmen noch zeitgemäß ist.

Deutsche Afrikapolitik

Werte und Interessen

Gemeinhin wird von der deutschen Afrikapolitik behauptet - insbesondere von jenen, die sie gestalten -, sie sei primär werteorientiert. Das heißt, deutsche Afrikapolitik sei vor allem darauf ausgerichtet, afrikanischen Gesellschaften zu wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung zu verhelfen sowie auf dem Kontinent Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu verwirklichen. Wenn auch tatsächlich viel unternommen wurde, um diesen Zielen näher zu kommen, so fehlte diesem Anspruch immer die letzte Überzeugungskraft. Dies galt bereits für die Anfänge der nachkolonialen Afrikapolitik: Entwicklungshilfe wurde von der damaligen Bundesrepublik Deutschland explizit nur dann gewährt, wenn der Empfängerstaat die DDR nicht anerkannte und sich gegenüber dem westlichen Lager freundlich verhielt. Letzteres führte zum Beispiel dazu, dass ein wesentlicher Nutznießer deutscher Entwicklungshilfe der zairische Diktator Mobutu Sese Seko war, der mit den hehren Werten deutscher Afrikapolitik nichts gemein hatte.

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts schien die Zeit für eine kohärente werteorientierte deutsche Afrikapolitik gekommen. Doch nach wie vor bestehen unvermeidliche Widersprüche in der Werteorientierung. Ist Frieden um jeden Preis das höchste Gut, oder sind Befreiungskriege zur Erlangung der Freiheit legitim? Ist es wichtiger, ob ein Staat entwicklungsorientiert oder ob er demokratisch ist? Es gibt zwischen den Werten, die die deutsche Afrikapolitik betont, keine eindeutige Rangfolge, und somit ist sie nicht frei von inneren Widersprüchen. Darüber hinaus ist die Sichtweise, die Außenpolitik eines Staates könne absolut frei von Interessen sein, nicht realistisch. Wenn die Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland über nationale Interessen auch lange Zeit tabuisiert war, so hat die deutsche Außenpolitik doch stets solche Anliegen verfolgt - meist geschickt eingebettet in europäische Zielvorstellungen, manchmal aber auch sehr deutlich wie im Falle der DDR-Nichtanerkennungsdoktrin.

Auch in der deutschen Afrikapolitik lassen sich eine Reihe von Interessen klar identifizieren; dazu gehört an erster Stelle, den Mittelmeerraum bzw. die nordafrikanischen Staaten zu stabilisieren. Eng verbunden damit sind drei deutsche Sicherheitsinteressen, die teilweise im Widerspruch zur werteorientierten Außenpolitik stehen, da sie tendenziell zur Stärkung undemokratischer Regime beitragen:

  • Erstens soll die deutsche Energiesicherheit gewährleistet werden; dabei kommt Nordafrika eine immer wichtigere Rolle zu.

  • Zweitens soll die Zuwanderung aus Afrika nach Europa eingedämmt oder zumindest reguliert werden und

  • drittens war es ein Anliegen, unter dem Eindruck des 11. Septembers 2001 mit den nordafrikanischen Staaten im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus zu kooperieren. Hinzu kommt das Interesse, keine herrschaftsfreien, staatenlosen Räume entstehen zu lassen, die neben internationalem Terrorismus auch organisierter Kriminalität, zum Beispiel Drogenhandel und Piraterie, Rückzugsräume eröffnen würden.

Nicht zuletzt sind auch der Erhalt der biologischen Vielfalt in Afrika sowie der Zugang zu den natürlichen Ressourcen und den Märkten Afrikas Bestrebungen, die in der deutschen Afrika­politik Gewicht haben.

Neben diesen sehr unmittelbar afrikabezogenen Beweggründen gibt es zwei weitere, übergeordnete Ziele, die sich auf die Afrikapolitik auswirken. Zum einen soll die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU stärker wirksam werden. Afrika spielt an dieser Stelle insofern eine bedeutsame Rolle, als die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich, Großbritannien, Portugal und Belgien zu einem stärkeren Engagement auf dem Kontinent drängen und Europa neue Instrumente seiner Außen- und Sicherheitspolitik in Afrika erproben will. Zum anderen will Deutschland in Afrika auch Partner für die Gestaltung globaler Ordnung gewinnen - in der Klima- und Umweltpolitik, aber auch in der Handels- und Sicherheitspolitik.

Diese Interessen sind durchaus von Bedeutung, wenn auch nicht so dominant wie im Falle anderer Regionen. Deshalb lässt sich in einem Zwischenfazit feststellen, dass die Freiräume für eine werteorientierte deutsche Außenpolitik im Falle Afrikas - sieht man von Nordafrika ab - durchaus größer sind als andernorts.

Strukturen und Akteure

Neben Werten und Interessen deutscher Afrikapolitik sind ihre Strukturen von Belang und die Akteure, die in ihr tätig sind. Auf diesem Gebiet zeichnet sich die deutsche Afrikapolitik durch eine große Vielfalt aus. Die primäre Verantwortung trägt im staatlichen Bereich - wie generell in der Gestaltung der Außenbeziehungen - das Auswärtige Amt (AA). Allerdings genießt die Afrikapolitik in diesem Ministerium im Vergleich zu transatlantischen Beziehungen, zur Europa- und Nahostpolitik sowie zu weiteren Politikfeldern eher nachrangige Bedeutung. Anders im Falle des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), für das Afrika mittlerweile die wichtigste Bezugsregion für Entwicklungs­zusammenarbeit ist. Aus dieser Konstellation - übergreifende Verantwortlichkeit beim AA, Interesse und Ressourcen beim BMZ - ergeben sich zahlreiche Reibungspunkte. Hinzu kommt, dass sich eine Reihe weiterer Ministerien für Afrika interessieren bzw. dort präsent sind: unter anderem das Verteidigungs-, das Umwelt-, das Landwirtschafts-, das Innen- und das Wirtschaftsministerium.

Neben den Ministerien gibt es weitere wesentliche Träger deutscher Afrikapolitik. Dazu gehört an erster Stelle die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die einen großen Teil der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika abwickelt und mit mehr als 500 deutschen Experten vor Ort präsent ist. Größe und Expertise verleihen der GTZ mehr Einfluss auf die deutsche Afrikapolitik, als es ihr Status als Durchführungsorganisation nahelegen würde. Gefördert von staatlichen Geldern, aber vom Einfluss des Staates weitgehend unabhängig sind die parteinahen politischen Stiftungen und die kirchlichen Entwicklungsdienste in vielen afrikanischen Staaten tätig. Erstere fühlen sich primär der Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit sowie sozialer Marktwirtschaft verpflichtet, letztere kümmern sich vor allem um gesellschaftliche Belange. Auch das deutsche Goethe-Institut ist in einigen Staaten Afrikas kulturpolitisch tätig. Nahezu flächendeckend ist die Arbeit deutscher Nichtregierungsorganisationen auf dem Kontinent. Auffallend in dieser bisherigen Auflistung ist, dass in ihr mit den Wirtschaftsverbänden - zumindest in Afrika südlich der Sahara - ein Akteurstypus weitgehend fehlt, der in den meisten anderen regionalen Ansätzen deutscher Außenpolitik eine zentrale Rolle spielt. Das mag sich in Zukunft ändern und ist vor allem auf die bisher geringe weltwirtschaftliche Bedeutung Afrikas zurückzuführen.

QuellentextWaldkaffee und Urwaldschutz - Konzertierte Entwicklungsarbeit in Äthiopien

[...] "Kaffas Wälder bluten!" Mesfin Tekeles Warnung könnte in kaum größerem Widerspruch zur Opulenz der Sinnesreize stehen. Der Forstwirt lehnt sich an einen bemoosten Stamm und zieht eine bittere Bilanz: Allein zwischen 1980 und 2000 seien 43 Prozent des dichten Grüns gerodet worden. "Seither hat sich die Zerstörung im Bonga Forest eher noch beschleunigt", ergänzt Svane Bender-Kaphengst vom Naturschutzbund Nabu. Und dieser Wald ist einer der letzten Äthiopiens: Noch in den siebziger Jahren lagen 40 Prozent des Landes unter einer dichten Vegetationsdecke - übrig sind keine drei Prozent mehr. [...]
Dabei ist der Dschungel von Kaffa nicht nur seiner Schönheit und der Mannigfaltigkeit seiner 244 Pflanzen- und 294 Tierarten wegen so kostbar. [...] Die Wälder sind auch eine existenzielle Ressource für alles Leben, alles Wirtschaften in der Region: [...] Wie kann, daran arbeiten Unternehmen, Entwicklungshelfer und Biologen, diese Wildnis erhalten werden? Vor allem: Wie verbessert man gleich­zeitig die Lage der Bauern? Denn auch ihrer Armut wegen setzt sich der Raubbau an den verbliebenen rund 340 000 Hektar teils noch unberührten Waldes fort. Mit krummem Rücken schleppen die Frauen wahre Holzgebirge als Brennstoff und Baumaterial die Staubstraßen entlang. Ihre Familien werden größer und roden mächtige Urwaldriesen, um kultivierbares Land zu gewinnen. Selbst an erdrutschgefährdeten Steilhängen kümmern zwischen den Baumriesenstümpfen Mais- und Hirsepflanzen, die auch Zuwanderer aus Äthiopiens vertrocknendem Norden angebaut haben. [...]
Die Chance auf Wandel ohne Zerstörung bietet nun ein Strauch, dessen rostrote Kirschen im Dickicht des Urwalds ins Auge stechen: Coffea arabica, die edelste Kaffeeart, mit der jeden Tag Millionen Menschen weltweit ihren Tag beginnen. Ihren Ursprung hat sie genau hier: im Bergnebelwald von Kaffa. [...] Es ist Kaffee in seiner Urform. Seit einigen Jahren wer­den diese wilden Bohnen nun von Florian Hammerstein, einem Unternehmer aus Freiburg, mit wachsendem Erfolg ver­marktet. [...]
Hammerstein [...] importiert [...] den Wildkaffee aus Äthiopien [...]. Rund 145 Tonnen Wildkaffee kauft das "Sozialunternehmen" in dieser Saison in Kaffa auf. [...]
Je nach Bezugsquelle sind die Verbraucher bereit, für 250 Gramm zwischen 6,95 Euro und 9,50 Euro für den - zertifizierten - ökologischen und sozialen Mehrwert des Kaffees auszugeben. Rund die Hälfte dieser Summe bleibe im Handel, sagt Florian Hammerstein. Zum hohen Preis trage auch eine Veredelungsmethode bei, die aufwendiger und teurer sei als die für Industriekaffee. [...]
[...] Den ersten Anstoß bekam der Diplomkaufmann im Jahr 2001 von einem anderen Pionier: Reiner Klingholz, damals Geschäftsführer des Vereins "Geo schützt den Regenwald", hatte es bei einer Afrikareise in Kaffas Verwaltungsstädtchen Bonga verschlagen, und immer wieder luden ihn die Bauern dort zur traditionellen Kaffeezeremonie ein. [...]. Klingholz, der nicht nur Waldschützer ist, sondern auch Gourmet, war begeistert: Welch ein Geschmack! [...] Doch auf den Weltmärkten gab es in jenen Jahren ein immenses Überangebot, und die Preise lagen tief. Da lohnte sich für die "Kaffechos", wie sich die Nachfahren eines alten Königreiches nennen, weder der Anbau noch die Ernte im Wald. So kam die Idee auf: Wenn man den Bauern den doppelten Weltmarktpreis dafür bezahlte, dass sie den Urkaffee pflücken, dachte Klingholz; wenn man ihnen überdies die Abnahme ihrer Ernte garantierte, dann würden sie nicht nur besser verdienen, sondern zugleich ein größeres Interesse am Waldschutz entwickeln. Denn dann würde der Dschungel nicht mehr durch Raubbau zur Einkommensquelle, sondern durch langfristige Nutzung. [...]
Es dauerte eine Saison lang, bis zunächst 400 Bauern gelernt hatten, den europäischen Qualitätsansprüchen an ein Produkt für Feinschmecker gerecht zu werden. [...] Damit möglichst wenig gestritten und die Natur geschont wird, haben die Bauern Waldnutzer-Organisationen gegründet. Auch die Sammler in Uffa legen für ein abgestecktes Gebiet und meist auf der Grundlage traditioneller Übereinkünfte gemeinsam Rechte, Regeln und einen Managementplan fest, erzählt ihr Dorfvorsteher Asafa Wolde Sanbet. [...] Früher hätten die Leute auch deshalb kaum Kaffee vermarktet, sagt der Dorfvorsteher, weil Zwischenhändler ihre Not mit willkürlichen Preisen ausnutzten; "dann hat man sie nie wieder gesehen". Beim Direktverkauf an den Importeur indes bekämen die Subsistenzbauern nicht nur den besseren Preis: "Es gibt auch Dividenden!"
Dafür sorgt die Kaffa Forest Coffee Farmers Cooperative Union, zu der sich 25 lokale Genossenschaften zusammengeschlossen haben. Sie zahlt eine Ausschüttung, wenn sie den Kaffee gut absetzen konnte. Das gelingt immer besser; der weltweite Spezialitäten-Hype führt dazu, dass sich in der Region neue Abnehmer tummeln. [...] Der Wettbewerb jedenfalls blüht, mit dem Florian Hammerstein den Bauern den Rücken stärken wollte, und der Importeur hat darin nun selbst zu bestehen: Dieses Jahr musste er sein Angebot an die Kooperative um einige Cent pro Kilo erhöhen, um den Zuschlag für die Ware zu bekommen. [...]
Zur Wahrheit [...] gehört auch, dass ein so kleines Unternehmen die Aufbauarbeit in Kaffa allein nicht hätte stemmen können. Vor allem in die Kooperativen, den Aufbau ihrer Verwaltung und die Schulung der Bauern flossen insgesamt 1,5 Millionen Euro an Geld- und Sach­leistungen durch Unterstützung der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Zu dem Helfer-Konsortium gehören außerdem "Geo schützt den Regenwald", der Nahrungskonzern Kraft Jacobs und der Naturschutzbund Nabu. Die Stiftung Weltbevölkerung versucht derweil, mit Projekten zur Familienplanung zum Waldschutz beizutragen; man kooperiert überdies mit der Welternährungsorganisation FAO. Gemeinsam schufen die Beteiligten die Voraussetzung dafür, dass die Kaffeebauern ein vermarktbares Produkt anbieten können - und Pflanzen und Tiere eine Überlebenschance haben. [...]

Christiane Grefe, "Der edle Wilde", in: DIE ZEIT, Nr. 8 vom 12. Februar 2009

Widersprüchliche Werte und durchaus vorhandene, aber noch immer nicht eindeutig geklärte Interessen sowie eine große Heterogenität von Akteuren verleihen der deutschen Afrikapolitik positiv ausgedrückt eine beachtliche Vielgestaltigkeit. Die Kehrseite der Medaille ist, dass es ihr an klaren Zielbestimmungen, Strategien und Prioritätensetzungen fehlt.

Politikfelder

Die deutsche Afrikapolitik kann in einzelne Politikfelder aufgeteilt werden: Diplomatie, Sicherheits-, Entwicklungs- und Kulturpolitik.

In der deutschen Diplomatie spielt Afrika eher eine nachrangige Rolle - ungeachtet der Tatsache, dass Deutschland in nahezu jedem afrikanischen Land mit einer Botschaft vertreten ist. In der inneren Hierarchisierung des Auswärtigen Amtes kommt aber nur vier dieser Botschaften eine gehobene Bedeutung zu: den Vertretungen in Südafrika, Ägypten und Nigeria aufgrund des relativen Gewichts dieser drei Staaten und der Vertretung in Äthiopien als Sitz der Afrikanischen Union. Der Mitarbeiterstab des AA, der sich mit Afrika beschäftigt, ist relativ klein. Dasselbe gilt für die Zahl der Staatsbesuche und Reisen der Regierungsspitze nach Afrika südlich der Sahara. Eine Ausnahme bildet das Engagement von Bundespräsident Horst Köhler, der die Beziehungen zu Afrika zu einem der Schwerpunkte seiner Amtsführung erklärte. Mit Blick auf Nordafrika gilt, dass mit seiner wachsenden sicherheitspolitischen Bedeutung die Zahl der Reisen der Bundeskanzlerin, des Außenministers und selbst des Innenministers in jüngster Vergangenheit stark zugenommen hat.

Die deutsche Diplomatie achtete vor allem während des Kalten Krieges sehr genau darauf, auf dem Kontinent nichts zu unternehmen, was sie in Gegensatz zu den bedeutenderen ehemaligen europäischen Kolonialmächten gebracht hätte. Das galt vor allem für das frankophone Afrika. Besonders klar trat dies in der Zurückhaltung gegenüber der Deutschland geographisch verhältnismäßig nahe gelegenen Maghreb­region zu Tage. Beides hat sich seit Beginn der 1990er Jahre deutlich gemildert, ist aber in veränderter Form noch immer ein Wesenszug deutscher Diplomatie. Deutschland bemüht sich nun um afrikanische Unterstützung für seine Positionen und Anliegen in internationalen Fragen. Dies zeigte sich besonders deutlich in den Versuchen, Afrikas Beistand für die deutsche Bewerbung um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu gewinnen. Anstelle der deutschen Zurückhaltung gegenüber dem frankophonen Afrika trat dagegen die besondere Betonung gesamteuropäischer Ansätze in der Afrikapolitik.

Afrika hat eine Aufwertung in der deutschen Sicherheitspolitik erfahren. Lange Zeit beschränkte diese sich auf Ausstattungshilfe für ausgewählte afrikanische Armeen und Trainingsangebote für deren Offiziere. Die Beteiligung der Bundeswehr an der Friedensmission in Somalia 1993 bis 1994 war der erste Auslandseinsatz außerhalb des NATO-Gebiets. Ihr Scheitern war aber auch ein Grund dafür, dass das Ver­teidigungsministerium jede weitere Beteiligung an solchen Missionen in Afrika über zwölf Jahre hinweg vehement ablehnte. Die Wende kam mit der Führungsrolle der Bundeswehr an der EUFOR-Mission in der DR Kongo im Jahr 2006. Seither verweigert das Verteidigungsministerium den Einsatz bei internationalen Friedensmissionen nicht mehr prinzipiell, sondern entscheidet fallbezogen.

Das stärkere Engagement Deutschlands in der Diplomatie und Sicherheitspolitik gegenüber Afrika seit Ende der 1990er Jahre führte dazu, dass deutsche Afrikapolitik mittlerweile mehr ist als Entwicklungspolitik. Dennoch stellt die Entwicklungszusammenarbeit in Bezug auf Afrika nach wie vor das wichtigste Politikfeld dar. Dies lässt sich mit Zahlen belegen: Deutschland ist fast für jeden afrikanischen Staat einer der fünf wichtigsten Entwicklungshilfegeber.

Mehr als ein Drittel der bilateralen deutschen Entwicklungshilfe fließt nach Afrika. 26 der 60 Schwerpunktländer deutscher Entwicklungszusammenarbeit befinden sich auf dem Kontinent, davon 24 südlich der Sahara. Das Gewicht Afrikas in diesem Politikfeld war seit jeher hoch. Verändert hat sich allerdings die Ausprägung der Zusammenarbeit. Lange Zeit erschöpfte sie sich in zahllosen Kleinprojekten der Technischen Zusammenarbeit und wenigen Großprojekten der Finanziellen Zusammenarbeit, die kaum strategische Linien erkennen ließen. Seit einigen Jahren versucht das BMZ dies zu ändern, indem es gegenüber Afrika südlich der Sahara drei Schwerpunkte der Zusammenarbeit setzte - gute Regierungsführung und Konfliktprävention, Wasserversorgung und Entwicklung des Privatsektors. Im Falle jedes Schwerpunktlandes wird versucht, die Kooperation auf drei individuell auf das Land zugeschnittene Felder zu konzentrieren. Darüber hi­naus wendet sich das BMZ verstärkt der direkten Finanzhilfe für Staatshaushalte gut geführter Regierungen zu und verabschiedet sich damit schrittweise von der Projektorientierung deutscher Entwicklungszusammenarbeit. Neu ist auch, dass nicht nur das BMZ über Entwicklungshilfemittel verfügen kann, sondern auch das Auswärtige Amt und das Umweltministerium. Trotz dieser Neuerungen bleibt aber auch der deutschen Entwicklungszusammenarbeit nicht die Frage nach der Effektivität ihrer Hilfe erspart. Auch partnerschaftliche Beziehungen lassen sich nur schwer entwickeln, wenn der eine Staat der Geber von Hilfe ist und der andere der Empfänger.

Deutsche Entwicklungshilfe für Afrika 2007

Die auswärtige Kulturpolitik war seit Ende der 1980er Jahre das Stiefkind deutscher Afrikapolitik. Die Präsenz von Goethe-Instituten in Afrika wurde reduziert, der Kulturetat, den die deutschen Botschaften zur Verfügung hatten, schrumpfte, die Mittel für Stipendiaten aus Afrika waren geringer als im Fall anderer Regionen. In ganzen Subregionen, dem Maghreb etwa, gab es keine deutsche Schule mehr.

Gegen Ausgang des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts scheint sich diese Situation zu verbessern. Mit dem "Kultur­dialog" hat das Auswärtige Amt ein Instrument geschaffen, das kulturelle und gesellschaftliche Brücken zwischen islamisch geprägten Staaten und Deutschland schlagen soll. Die Aktion Afrika des AA bemüht sich besonders um einen Kulturaustausch mit Afrika südlich der Sahara.

Auf der Suche nach einer neuen Rolle

Noch Mitte der 1990er Jahre stellten Afrikapolitiker wie Repräsentanten des Kontinents häufig fest, wenn Afrika morgen im Ozean versänke, nähme kaum jemand Notiz davon. Sie spielten damit auf den Bedeutungsverlust an, den Afrika südlich der Sahara nach dem Ende des Ost-West-Konflikts erlitten hatte.

Die Wahrnehmung der Rolle Afrikas in der internationalen Politik änderte sich mit dem Jahrtausendwechsel. Sie hat im Wesentlichen drei Ursachen. Erstens versuchte der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki mit seiner Initiative New Partnership for Africa's Development (NEPAD) und mit Unterstützung der Präsidenten Nigerias, Senegals, Algeriens und Ägyptens, Afrika zurück auf die internationale Agenda zu bringen. Dies gelang ihm mit seinem Auftritt beim G8-Gipfel 2001 in Genua, der wiederum Auftakt für die G8 war, sich langjährig mit dem Kontinent zu befassen.

Entscheidender waren jedoch die Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September 2001 auf die USA. Sie veränderten den Sicherheitsdiskurs in Europa und den USA. Schlagartig wurde den Sicherheitspolitikern klar, dass langjährige Konflikte, Anarchie und Staatszerfall, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und soziale Verelendung sowie permanente Gewalterfahrung selbst dann Folgen für die Sicherheit der westlichen Welt zeitigen können, wenn sie sich in peripheren Weltregionen abspielen.

Drittens trat mit China ein neuer Akteur auf, der zum einen demonstrierte, dass sich selbst auf den schwierigen Märkten Afrikas ausgezeichnete Geschäfte machen ließen, und der sich zum anderen sehr strategisch Zugänge zu wichtigen Rohstoffen, insbesondere Erdöl und Eisenerzen, verschaffte. Gleichzeitig kündigte sich ab der Jahrtausendwende in Nordafrika die Rückkehr Russlands an. Es sorgte für die Aufrüstung der finanzkräftigen erdölreichen Staaten und schloss wichtige Allianzen im Erdgas- und Erdölsektor. Europa und die USA besannen sich nunmehr auch wieder auf das relativ große Stimmengewicht des Kontinents in den internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen.

Afrika selbst scheint sich auf den neuen Bedeutungszuwachs erst noch einstellen zu müssen. Es fällt afrikanischen Staaten nach wie vor schwer, das neue internationale Gewicht kon­struktiv zu nutzen. Dies wurde vor allem in zwei Belangen deutlich: Bei der Diskussion der Reform des UN-Sicherheitsrates gelang es den viel umworbenen afrikanischen Staaten lange nicht, eine plausible oder gar mehrheitsfähige afrikanische Position zu definieren. Hauptursache hierfür war, dass der aussichtsreichste Reformvorschlag Afrika nur zwei permanente Sitze anbot, für die es aber drei Bewerber gab: Ägypten, Nigeria und Südafrika. Die afrikanischen Staaten konnten oder wollten sich nicht für zwei von diesen dreien entscheiden, weshalb sie nach langem Hin und Her einen eigenen Reformvorschlag vorlegten, dem jegliche Aussicht auf eine Mehrheit fehlte und der dazu beitrug, dass die Reformdiskussion zu Fall kam. Beim Scheitern der Doha-Runde der WTO-Verhandlungen, die die weltweite Liberalisierung des Agrarsektors zum Ziel hatten, ließen sich die afrikanischen Staaten allzu sehr für die Interessen Indiens, Chinas und einiger lateinamerikanischer Staaten einspannen, obwohl ihre eigenen nur bedingt mit diesen vereinbar waren.

QuellentextEntwicklung braucht Zeit

[...] Frankfurter Rundschau: Sie haben die Entwicklung Südafrikas bislang immer sehr positiv beurteilt. Sie sprachen vom "Wunder" am Kap der Guten Hoffnung und prägten den Begriff der Regenbogen-Nation. Müssen wir jetzt eher von der Gewitterwolken-Nation reden?
Desmond Tutu: Es gibt diese Wolken. Aber wir müssen uns auch vergegenwärtigen, dass wir erst seit 15 Jahren frei sind. Schauen Sie sich Deutschland an: Ihr habt den Holocaust hervorgebracht und habt heute doch noch Neonazis. [...] Oder nehmen wir die USA: Sie sind seit dem 18. Jahrhun­dert frei. Aber schauen Sie sich die Un­gleichheiten an, die der Wirbelsturm Katrina zum Vorschein brachte. [...] Und nun zu den Südafrikanern: Sie mussten mit dem Kolonialismus und der Apartheid fertig werden und sollten gleichzeitig einen modernen Staat aufbauen. Ihr müsst auch uns eine Chance geben.
FR: Aber Südafrika scheint nicht auf dem rechten Weg zu sein, es hat die Richtung verloren.
Tutu: Was hätten Sie den Deutschen 1936 gesagt?
FR: Deutschland hatte damals völlig die Richtung verloren ...
Tutu: Inzwischen seid ihr wieder zurückgekommen. Und man hat euch, etwa mit dem Marshallplan, unglaublich dabei geholfen. Wir mussten übrigens die Schulden der Apartheids-Regierung alle selbst bezahlen. Es stimmt, dass wir etwas vom Pfad abgekommen sind, den wir Anfang der 1990er Jahre mit Nelson Mandela eingeschlagen haben. Das ist traurig. Aber wir sollten nicht unrealistisch sein. Denken Sie etwa daran, dass sehr viele Leute, die hier an die Macht gelangt sind, aus äußerst armen Verhältnissen kommen. Viele von ihnen hatten nicht einmal ein Bankkonto und wurden plötzlich sehr reich. Es ist schon fast wieder erstaunlich, dass nicht mehr von ihnen korrupt geworden sind. [...]
FR: Wir erleben zur Zeit, wie Entwicklungsländer die völlig unverantwortlichen Handlungen von Bankern und Finanzspekulanten in der Ersten Welt ausbaden müssen. Zahllose Afrikaner werden von der Weltwirtschaftskrise besonders hart erwischt, viele werden deshalb sogar ster­ben. Die Welt scheint weder besser noch gerechter zu werden.
Tutu: Es ist tatsächlich atemberaubend, wie die westlichen Regierungen, die der Dritten Welt immer die Öffnung der Märkte und einen schlankeren Staat gepredigt haben, plötzlich genau das Gegenteil tun: Sie intervenieren und verstaatlichen sogar Banken. Sie tun genau das, was sie uns immer verboten haben. Die Weltwirtschaftsordnung befindet sich in einer völligen Schräglage. Der Westen sagt uns, dass wir keine Subventionen haben dürfen, subventioniert aber selbst noch viel mehr als wir. Die EU zahlt einem Farmer für eine Kuh zweieinhalb Dollar am Tag. Hier in Afrika müssen viele Menschen von weniger als einem Dollar täglich überleben. Wenn man solche Ungerechtigkeiten duldet, darf man nicht überrascht sein, wenn es ein Phänomen wie den Terrorismus gibt. Wir sind der Auffassung, dass Gerechtigkeit auf lange Sicht hin auch wirtschaftlich profitabel ist.
FR: Was muss geschehen?
Tutu: Die Industrienationen sollten in die Ausrottung der Armut investieren. Sie müssen sich fragen, warum sie noch immer Milliarden US-Dollar in die Rüstung pumpen, statt dafür zu sorgen, dass alle Kinder dieser Welt genug zu essen haben. Zu ihrem eigenen Nutzen und aus ganz egoistischen Gründen: Denn wenn wir eine stabile Welt haben wollen, dann müssen wir umdenken.
FR: Stellen Sie sich manchmal vor, was Gott in diesen Tagen wohl denken mag, wenn er auf seine Schöpfung herabschaut?
Tutu: Er weint, wenn er Darfur und Burma, Simbabwe und die Turbulenzen in Südafrika sieht. Er weint, wenn er die Opfer des Holocausts oder des Völkermords in Ruanda sieht und die Kinder, die ohne Essen und Trinkwasser sterben. Ich bin froh, dass ich nicht Gott bin.

"Gott weint, wenn er Südafrika sieht", Johannes Dieterich im Gespräch mit Friedensnobelpreisträger und Erzbischof Desmond Tutu, in: Frankfurter Rundschau vom 22. April 2009

Noch immer ist also der bereits zu Zeiten des Ost-West-Konflikts dominante Mechanismus wirksam, dass Afrika international Gewicht hat, dieses Gewicht aber nicht dazu nutzt, eigene Positionen zu entwickeln und umzusetzen. Doch es gibt Ansätze. Ägypten hat sich beispielsweise aufgrund seiner kontinuierlichen Mittlerrolle im israelisch-palästinensischen Konflikt eine internationale Sonderstellung erarbeitet. Da es aber als gemäßigter und verlässlicher Sprecher der arabischen Welt vornehmlich über die Arabische Liga auftritt, wird es aus internationaler Perspektive wesentlich stärker als arabischer denn als afrikanischer Akteur wahrgenommen. Eine halbwegs eigenständige, durchhaltbare, international relevante Position hat im Grunde nur Südafrika. Nach dem Ende des Apartheid-Regimes ist ihm die Rolle des Sprechers Afrikas zugefallen - nicht weil Südafrika selbst diese massiv eingefordert hätte oder sie ihm gar von den afrikanischen Staaten beigemessen worden wäre, sondern weil sie ihm von der westlichen Welt, aber auch von neuen Führungsmächten wie Brasilien, Indien und China angetragen wurde. Südafrika fehlt nunmehr kaum in einer der internationalen Gruppierungen, die sich um die Lösung globaler Ordnungsfragen bemühen. Die Gründe hierfür sind das relative wirtschaftliche Gewicht des Landes innerhalb Afrikas südlich der Sahara und das hohe Ansehen, das der Staat nach der friedlichen Überwindung der Apartheid genießt. Südafrika selbst wirkt mit dieser Rolle allerdings zuweilen überfordert.

Außer Ägypten und Südafrika wird noch am ehesten Nigeria international als gewichtig wahrgenommen. Bei allen Prognosen, die über die Verschiebung internationaler Kräfteverhältnisse kursieren, spielen nach wie vor afrikanische Staaten eine nachrangige Rolle. Afrika hat zwar international wieder an Bedeutung gewonnen, ist aber weit davon entfernt, einer der großen Akteure internationaler Politik zu sein.

ist Professor für Internationale Politik und Entwicklungspolitik mit Schwerpunkt Afrika an der Universität Duisburg-Essen. Zu seinen Arbeitsgebieten zählen politische Reformprozesse in Afrika und ihre Beeinflussung durch externe Akteure und entwicklungspolitische Strategien sowie die politische Rolle regionaler Abkommen in Afrika.

Kontakt: christof.hartmann@uni-due.de

Dr., ist Politikwissenschaftler und arbeitet seit 2005 als Research Fellow zum Thema Europäische Entwicklungszusammenarbeit und -governance, insbesondere mit Sub-Sahara-Afrika, am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn. Aktuell befasst er sich mit good governance-Programmen der EU, vor allem in Ghana.

Kontakt: sven.grimm@die-gdi.de

ist Doktorand in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Außen- und Afrikapolitik Frankreichs sowie die Afrikapolitiken Großbritanniens und der Europäischen Union.

Kontakt: Tobias.Koepf@swp-berlin.org

Dr., ist Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Mitglied des Beirats der Initiative "Partnerschaft mit Afrika" des Bundespräsidenten und gehört dem wissenschaftlichen Beirat des GIGA an. Seine Arbeitschwerpunkte sind Afrika südlich der Sahara, deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, Global Governance.

Kontakt: stefan.mair@swp-berlin.org

ist Professor für Internationale Politik und Analyse und Vergleich politischer Systeme an der Universität Landau. 2003-2004 Inhaber des Willy-Brandt-Lehrstuhls des DAAD in Kapstadt/Südafrika. Mitglied im Verwaltungsrat des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED). Seine Forschungsschwerpunkte sind Entwicklung und Demokratie in Afrika, EU-Afrikapolitik, Entwicklungspolitik und Deutsche Außenpolitik.

Kontakt: schmidts@uni-landau.de

ist Senior Researcher in Politikwissenschaft am Centre for Research and Studies in Sociology (CIES) am Lissaboner Universitätsinstitut (ISCTE). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Internationale Beziehungen, die EU als internationaler Akteur, Außenpolitikanalyse, politische und wirtschaftliche Entwicklung in Nordafrika und Nahost, Euro-Mediterrane Beziehungen.

Kontakt: tobias.schumacher@iscte.pt

Dr., ist seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Seine Forschungsfelder umfassen Afrika südlich der Sahara, insbesondere West- und Zentralafrika, gesellschaftlichen und politischen Wandel, Demokratisierung, Kriege und Konflikte, externe Interventionen und peacekeeping sowie Afrikas internationale Beziehungen.

Kontakt: tll@swp-berlin.org

Dr., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ihr regionaler Arbeitsschwerpunkt sind die Maghrebstaaten. Inhaltlich forscht sie vor allem zu gesellschaftlichen und politischen Veränderungen in den Maghrebstaaten, zu islamistischen Bewegungen und Parteien sowie zur Kooperation zwischen europäischen und mediterranen Staaten. Kontakt:»isabelle.werenfels@swp-berlin.org«