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Kooperation und Konflikt - Menschen im Unternehmen | Unternehmen und Produktion | bpb.de

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Kooperation und Konflikt - Menschen im Unternehmen

Birgit Weber

/ 23 Minuten zu lesen

Unternehmen sind nicht nur ökonomische Systeme. Blick auf große Firmen in Lodz, das nach dem EU-Beitritt viele Investoren anlocken konnte. Lizenz: cc by-nd/2.0/de

Einleitung

Das Unternehmen ist nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein soziales bzw. soziotechnisches System, in dem die Teilsysteme voneinander abhängen. Aufgaben in einem Unternehmen werden arbeitsteilig erledigt. Dabei sind zweckmäßige Arbeitsabläufe sicherzustellen und die Teilaufgaben aufeinander abgestimmt durchzuführen. Im Prozess der betrieblichen Leistungserstellung ist die menschliche Arbeit einer der so genannten Produktionsfaktoren. Sie geht als Leistung in den Produktionsprozess ein, ist aber von ihrem Besitzer nicht unabhängig. Während Arbeitnehmer und Unternehmer ein gleiches Interesse an der Existenzsicherung des Unternehmens haben, sind ihre übrigen Interessen aber häufig verschieden:

  • Während die Arbeitnehmer leistungs- und bedarfsgerechte Löhne sowie soziale Absicherung anstreben, sind Löhne aus der Sicht der Unternehmen vor allem Kosten, deren Verringerung den Interessen der Kapitaleigner, der Kreditgeber und der Konsumenten dienen kann.

  • Während Arbeitnehmer ihre Zeit auf Arbeit, Regeneration und Freizeit aufteilen und diese auch mit Familie und Freunden in Einklang bringen möchten, gilt das Interesse der Unternehmen einer termingerechten Produktion und der Auslastung ihrer Anlagen.

  • Während Arbeitnehmer eine dauerhafte Beschäftigung mit sicherem Einkommen zum Ziel haben, müssen Unternehmen flexibel auf Veränderungen der Auftragslage reagieren.

  • Während Arbeitnehmer nicht nur funktionieren wollen und können, sondern humane Arbeitsbedingungen, zufriedenstellende menschliche Beziehungen, soziale Anerkennung, individuelle Entfaltung und Partizipation anstreben, kann dies den Interessen kostengünstiger Produktion kurzfristig durchaus entgegenstehen.

Was am Arbeitsplatz wichtig ist

Die im Unternehmen tätigen Menschen sind keine Maschinen, die sich vollständig unter Aufgabe eigener Vorstellungen und Interessen für die Unternehmensziele instrumentalisieren lassen.

Rechtsentwicklung

Die Möglichkeiten der Erwerbstätigen, im Arbeitsprozess auch ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen zum Ausdruck zu bringen, haben sich historisch entwickelt. Heute als selbstverständlich betrachtete Einschränkungen unternehmerischer Handlungsfreiheiten zu Gunsten der Beschäftigten waren zu Zeiten der Industrialisierung undenkbar. Sie sind für die Unternehmen mit zusätzlichen Kosten verbunden, die in Zeiten wirtschaftlicher Krisen immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden.

Zur Zeit der industriellen Revolution waren die Arbeiter ohne jeglichen Einfluss auf ihre Löhne und ihre Arbeitsbedingungen. Männer, Frauen und Kinder arbeiteten täglich 12 bis 15 Stunden in Baumwollspinnereien, Webereien und Bergwerken. Die Löhne waren oft so niedrig, dass es kaum zum Überleben reichte. Harte Strafen sorgten für Disziplin. Den Menschen blieb kaum eine andere Wahl, als sich diesen Arbeitsbedingungen anzupassen, denn sie hatten nichts zu verkaufen außer ihrer Arbeitskraft. Den Industriellen galten sie allein als zum Gehorsam verpflichtete Untergebene, mit denen man nicht verhandelte - weder mit den einzelnen Arbeitnehmern noch mit ihren Vertretern. Zur Selbsthilfe und zum Schutz, aber auch zur Organisation des Widerstandes gegen diese Arbeitsbedingungen, kam es immer wieder zur Gründung von Arbeiterorganisationen. Im Gegenzug entstanden zur Abwehr dieser Forderungen die Arbeitgeberverbände.

QuellentextKeine Verhandlungen mit Vertretern der Arbeiterschaft !

A. Bueck, Generalsekretär des Zentralverbandes deutscher Industrieller 1890: "Niemals werden die deutschen Arbeitgeber mit Vertretern der Arbeiterorganisationen oder anderen außerhalb stehenden Leuten auf dem Fuße der Gleichberechtigung verhandeln! [...] Jede Einmischung von Gewerkschaften, von Vertretern in Betriebsangelegenheiten wird von den Arbeitgebern entschieden zurückgewiesen. Verhandlungen mit den Genannten werden ein für alle Mal abgelehnt."
Aus dem Beschluss der freien Fleischerinnung 1901: "Die Innungsversammlung steht auf dem Standpunkt, dass der Abschluss von Tarifverträgen eines freien Handwerkers unwürdig ist. Mitglieder, die solche abschließen, werden wegen Verletzung der Standesehre in eine Ordnungsstrafe genommen und nach fruchtloser Ermahnung aus der Innung und deren Nebeneinrichtungen ausgeschlossen."
Aus der Satzung des Gesamtverbandes deutscher Metallindustrieller 1908: "Zweck des Verbandes ist: [...] unberechtigte Bestrebungen der Arbeitnehmer, welche darauf gerichtet sind, die Arbeitsbedingungen einseitig vorzuschreiben, und insbesondere die zu diesem Zweck geplanten und veranstalteten Aufstände gemeinsam abzuwehren und in ihren Folgen unschädlich zu machen."

G. Kessler, Die Deutschen Arbeitgeberverbände, Leipzig 1907, zitiert nach Wilhelm Adamy / Johannes Steffen, Handbuch der Arbeitsbeziehungen, Bonn 1985

Gesetze und Verordnungen des Arbeitsrechts

Die ersten Arbeitervereine entstanden während der bürgerlichen Revolution 1848, sie wurden allerdings 1854 wieder verboten. 1875 schlossen sich der "Allgemeine Deutsche Arbeiterverein" und die "Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands" zur "Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands" zusammen. Mit den Sozialistengesetzen von 1878 versuchte die Reichsregierung die Aktivitäten der Arbeitervertretung zu unterbinden. Gleichzeitig bemühte sich Reichskanzler Otto von Bismarck, durch seine Sozialgesetzgebung den aufstrebenden Arbeiterorganisationen den Boden für ihre Kritik zu entziehen. 1883 wurden die Krankenversicherung für Arbeiter und 1884 eine Unfallversicherung eingeführt. Vereinigungen von Arbeitnehmern zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und zur Teilnahme am gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand waren keine Selbstverständlichkeit. Dass heute Arbeitskräfte nicht mehr der unbegrenzten Verfügungsgewalt der Arbeitgeber ausgesetzt sind und die sozialen Beziehungen im Unternehmen vielfach geregelt werden, ist nicht zuletzt das Ergebnis des Einsatzes der Arbeiterorganisationen bzw. Gewerkschaften. Die Möglichkeit, Vereinigungen zur Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden, wurde verfassungsrechtlich in Artikel 9, Abs. 3 des GG verankert. Es existieren eine ganze Reihe von arbeitsrechtlichen Bestimmungen in zahlreichen Einzelgesetzen und -verordnungen, die sich sowohl auf das einzelne Individuum als auch auf die Mitwirkungsmöglichkeiten seiner Vertretungen beziehen.

Management und Personalführung

Im wohlverstandenen Eigeninteresse können moderne Managementkonzeptionen die Bedürfnisse der Mitarbeiter nicht ignorieren. Dazu gehören zunächst Maßnahmen zum Schutz des Lebens und der Erhaltung der Gesundheit. Denn neben den Folgen für den einzelnen Arbeitnehmer führen Unfälle und Krankheiten auch bei den Unternehmen zunächst zu Ertragsausfällen, da im Krankheitsfall die Löhne weiter gezahlt werden müssen. Die Unfallversicherung wird im Gegensatz zu den anderen Sozialversicherungen zu 100 Prozent von den Arbeitgebern getragen - und bei überdurchschnittlich hohen Unfallzahlen steigen die zu zahlenden Versicherungsprämien. Auch eine menschengerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen zum Schutz gegen einseitige Belastungen ist im Unternehmensinteresse. Dazu gehört, dass etwa ein Arbeitsplatzwechsel ermöglicht (job rotation), Aufgabengebiete erweitert (job enlargement) oder einseitige Arbeitstätigkeit durch höhere Selbstständigkeit und Verantwortung angereichert (job enrichment) wird.

Eine humane Gestaltung derArbeitswelt bedeutet aber auch, dass die Mitarbeiter ihre Fähigkeiten voll entfalten können bzw. dass diese zumindest nicht verkümmern. Stichworte dazu sind die Förderung ihrer Mitwirkung, Selbstentfaltung, Qualifizierung und die Übernahme von Verantwortung. Ein funktionierendes Informations- und Kommunikationssystem ist dafür eine wichtige Voraussetzung.

Das Management eines Unternehmens ist verantwortlich für Zielsetzung, Planung und Durchsetzung von Entscheidungen, für die Koordination der Arbeitsteilung und für die Kontrolle der Arbeitsergebnisse. Auf diese Weise beeinflusst es die Arbeit anderer durch die Vorgabe von Zielen, Anreizen und Kontrolle, durch Einstellungen und Entlassungen. Dies wirkt sich auf Motivation, Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter aus. Der Führungsstil muss sowohl die Unternehmensziele als auch die Interessen der Mitarbeiter berücksichtigen, allein schon um die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft aufrechtzuerhalten. In gewisser Weise liegt es also im Eigeninteresse eines Unternehmens, die wirtschaftlichen und sozialen Ziele zum Ausgleich zu bringen. Die Führungsstile sind aber auch stark beeinflusst vom zugrunde liegenden Menschenbild.

QuellentextEin familienfreundliches Unternehmen

[...] In einer Gesellschaft, in der sich Familien- und Berufsleben gemeinhin nicht verbinden lassen, bildet der Deerberg-Versand eine Ausnahme. 90 Prozent der Mitarbeiter sind Frauen. Dass das Unternehmen zu den wohl familienfreundlichsten in Deutschland gehört - ausgerechnet auf dem konservativen Land, in einer Gegend, in der die Bundeswehr einer der größten Arbeitgeber ist und eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit herrscht -, ist Teil seiner Erfolgsgeschichte. [...] Generell gilt: Beruf und Kinderbetreuung müssen vereinbar sein, und deshalb wird berücksichtigt, dass die Mitarbeiter außer der Arbeit im Versandhaus noch anderes, Wichtiges in ihrem Leben zu erledigen haben. Dabei muss es gar nicht immer um Kinder gehen. Selbst wer einen Hund zu Hause versorgen muss, darf seine Arbeit dafür unterbrechen.
Gearbeitet wird nach einem Jahresstundenmodell, in dem jeder Mitarbeiter festlegen kann, wie viele Stunden er in welchem Zeitraum arbeitet. "Den Begriff Überstunden haben wir abgeschafft", sagt Stefan Deerberg. "Das ist so ein Aufrechnungsgedanke." Stattdessen setzt das Unternehmen auf extrem flexible Arbeitszeiten. [...] "Wer mit den Kindern zum Kieferorthopäden muss, trägt das ein und geht dann eben", sagt Regina Eggert. Mit all diesen Terminwünschen und Jahresstundentabellen in der Hand und den erwarteten Anrufszahlen im Kopf stellt sie Monat für Monat die Dienstpläne neu zusammen. Etwa vier Stunden braucht sie allein, um die 400-Euro-Kräfte einzuteilen.
Eine Mühe, von der beide Seiten profitieren: Einerseits braucht der Versandhandel flexible Arbeitskräfte, etwa wenn im Januar und im Juli die neuen Kataloge rausgehen und täglich über tausend Anrufe im Call-Center in der ehemaligen Scheune ankommen. Andererseits brauchen die Mitarbeiterinnen flexible Arbeitszeiten, um bettlägrige Eltern oder kranke Kinder zu versorgen. Oder einfach um über die Schulferien zu kommen. [...] Wer kurzfristig absagen darf, hilft im Notfall eben auch schon einmal aus. Eine Kultur des Gebens und des Nehmens sei entstanden, so Stefan Deerberg. Ein weiterer Nutzen: "Seit der Einführung des Stundenkontos hat sich der Krankenstand von sechs auf 1,9 Prozent gesenkt, damit liegen wir weit unter dem Bundesdurchschnitt", sagt Deerberg.
Im vergangenen Jahr hat der Deerberg-Versand an der Prüfung "Familie und Beruf" der gemeinnützigen Hertie-Stiftung teilgenommen. "Um das Zertifikat für ein familienfreundliches Unternehmen zu erhalten, mussten wir gar nichts ändern", sagt Stefan Deerberg. "Das war bei uns schon immer so." Die Arbeit mit den Auditoren brachte indes viele neue Ideen. Diese fragten die Mitarbeiter ausführlich nach ihren Wünschen in Sachen Vereinbarkeit und Familienfreundlichkeit. Jetzt feiert der Deerberg-Versand jährlich ein Familiensommerfest, zudem gibt es heute auf dem Firmengelände einen Waschmaschinenraum. "Unsere Mitarbeiterinnen wollten während der Arbeit ihre Wäsche erledigen", sagt Stefan Deerberg. "Und jetzt waschen und trocknen sie eben auf Firmenkosten."
Wichtiger aber ist für viele Mütter der neue Betriebskindergarten [...]. Auch über eine tägliche Nachmittagsbetreuung denken Deerbergs nach. Mitarbeiterbindung ist Gabi und Stefan Deerberg wichtig. Einmal im Monat etwa verschicken sie einen Rundbrief an pausierende Mitarbeiterinnen, in dem sie erzählen, was im Unternehmen inzwischen passiert ist. Müttern in der Babypause gibt dies das Gefühl, als Arbeitskraft gewollt und gebraucht zu werden.
Darüber hinaus haben die Deerbergs zusätzlich eine eigene Akademie gegründet. Alle sechs Wochen fahren die mittleren Führungskräfte - alle Frauen - für drei Tage auf ein Seminar, wo sie von externen Trainern geschult werden. Kommunikation, Delegation, Feedback-Gespräche, das alles steht auf dem Stundenplan, mit Vorträgen, praktischen Übungen und Videoaufzeichnungen - eine Art nachgeholtes Studium. "Viele unserer Mitarbeiterinnen sind mit Realschulabschluss ins mittlere Management aufgestiegen", sagt Stefan Deerberg. [...]
Der Versand wirbt mit seiner Unternehmenspolitik. Es macht sich gut, wenn in einem Modekatalog für Frauen steht, dass das Unternehmen dahinter vor allem von Frauen geführt wird. "Familie&Beruf, bei uns geht beides!" ist im Katalog zu lesen. [...]

Tanja Busse, "Gabis Heile-Welt-AG", in: Die Zeit Nr. 39 vom 22. September 2005

Menschenbilder

Die in der Betriebswirtschaftslehre vorherrschenden Menschenbilder lassen sich nach unterschiedlichen Typen klassifizieren. Danach wird dem Arbeitnehmer entweder Autonomie, Lernfähigkeit und Verantwortung zugetraut, die in den Dienst der unternehmerischen Effizienz gestellt werden, oder aber es wird dem Management die Aufgabe zugewiesen, den Arbeitnehmer entsprechend zu motivieren, zu beobachten und zu disziplinieren:

Frederick W. Taylor vertrat in seinem Hauptwerk "Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung" (1911) die These, dass der rational economic man allein durch ökonomische Anreize gesteuert und unfähig zu Selbstinitiative, -disziplin und -kontrolle sei. Die Arbeiter müssten deshalb durch äußere Kontrolle diszipliniert werden, um im Interesse der Effizienzsteigerung die Güterversorgung zu verbessern.

Demgegenüber stellte der Soziologe Elton Mayo (1880-1949) bei seinen Untersuchungen zu den Auswirkungen der Automatisierung 1945 fest, dass soziale Bedürfnisse den Menschen steuern. Dieser social man sucht in der Arbeit einen Sinn, seine arbeitsbezogenen zwischenmenschlichen Beziehungen wirken identitätsbildend. Der Betriebswissenschaftler William Ouchi, der 1981 die Motivation der Arbeitskräfte in den Strukturen des Lean Management untersuchte, fand außerdem heraus, dass die Arbeitskräfte zudem das Vertrauen und das Gefühl brauchten, in die Organisation involviert zu sein. Eine Unternehmensführung täte also gut daran, den potenziellen Sinnverlust durch soziale Beziehungen, durch Zugehörigkeit und Anerkennung für den organisation man zu kompensieren.

Einen völlig anderen Typus identifizierte 1960 der Managementprofessor Douglas McGregor. Sein self-actualizing man strebt nach Selbstverwirklichung durch Ausnutzung seiner Talente und Möglichkeiten. Externe Anreize und Kontrollen können bei ihm sogar kontraproduktiv wirken, da die Individuen von sich aus bestrebt sind, die Interessen der Organisation mit den eigenen in Einklang zu bringen.

Der Organisationspsychologe Edgar H. Schein stellte diesen Typen 1965 seinen complex man gegenüber, der vielfältige, aber auch wechselhafte Bedürfnisse hat, lernfähig ist, sich mit der Organisation identifizieren und auf unterschiedliche Führungsstrategien ansprechen kann.

Damit gibt es aber auch keine Strategie für alle Typen in jeder Arbeitssituation. Allerdings bergen die Annahmen, die dem Führungsstil zugrunde liegen, die Gefahr der self-fulfilling prophecy, indem der Führungsstil genau die Realität schafft, die vermieden werden soll.

Führungsstile

Führungsstile können also idealtypisch von zwei Extremen ausgehen:

  • Werden die Mitarbeiter als vorwiegend einkommens- und freizeitinteressiert wahrgenommen, erscheint ein adäquater Zwang notwendig, um produktivitäts- und leistungsorientierte Ergebnisse zu erzielen.

  • Wird ein Zusammenhang zwischen der Arbeitszufriedenheit und der Leistung der Mitarbeiter gesehen, müssen die Bedürfnisse der Mitarbeiter als Voraussetzung für eine angemessene Leistung berücksichtigt werden.

Damit die Motive der Mitarbeiter und die Ziele des Unternehmens angenähert werden, können unterschiedliche betriebliche Anreize gesetzt werden. Dazu dienen beispielsweise als materielle Anreize Entlohnung und Aufstiegsmöglichkeiten, aber auch immaterielle Anreize über Anerkennung und Mitgestaltungsmöglichkeiten, beeinflusst durch die Unternehmenskultur. Sind die Mitarbeiter aus sich selbst heraus motiviert, ist oft der Abbau von Motivationsbarrieren schon hinreichend.

Eindimensionale Führungsstile bergen aber auch ihre Probleme. Ein allein auf die Bedürfnisbefriedigung der Mitarbeiter ausgerichteter "kooperativer" Führungsstil kann zum Beispiel dazu führen, dass durch unangemessenes Arbeitstempo Termine nicht eingehalten werden und die Arbeitsteilung zwischen den Abteilungen nicht funktioniert. Ein autoritärer Führungsstil, der allein die Produktionssteigerung anstrebt, geht letztlich zu Lasten der Mitarbeiter. Aber auch der goldene Mittelweg, der häufig nach Kompromissen zwischen Unternehmens- und Mitarbeiterzielen sucht, erhöht letztlich vor allem unproduktiven Koordinationsaufwand. Ein partizipativer Führungsstil forciert hingegen durch eine ausgewogene Abstimmung der Aufgabenanforderungen und Mitarbeiterbedürfnisse eine hohe Arbeitsleistung.

Gesetze und Verordnungen des Arbeitsrechts

In der Betriebswirtschaftslehre wird es von den Rahmenbedingungen abhängig gemacht, ob ein autoritärer bzw. partizipativer Führungsstil von Vorteil ist. So gilt letzterer vor allem dann als angebracht, wenn die Mitarbeiter gut ausgebildet, aufgeschlossen, kreativ und initiativ sind, wenn hoch komplexe Situationen innovatives Handeln und nichtstandardisierte Aufgaben schöpferisches, flexibles und wenig regelgeleitetes Handeln erfordern. Im Gegensatz dazu verspricht der mehr autoritäre Führungsstil eher Erfolg bei stark sicherheitsmotivierten Mitarbeitern ohne Eigeninitiative in Situationen, die rasche Entscheidungen erfordern, und bei hoch routinierten, sich wiederholenden Aufgaben, die wenig Eigeninitiative und kaum Entscheidungsspielraum verlangen.

Managementkonzepte

Neben solchen grundsätzlichen Führungsstilen existieren unterschiedliche Führungskonzepte, die den Mitarbeitern auf den unterschiedlichen Entscheidungsebenen zunehmend mehr Verantwortung zugestehen. Das Management by Exception setzt auf Abweichungskontrolle und Eingriffe in Ausnahmefällen. Die Führung soll dabei durch eine klare Regelung von Zuständigkeiten von Routineaufgaben entlastet werden, aber eingreifen, wenn es zu Abweichungen kommt. Dieses Führungskonzept behält möglicherweise interessante Aufgaben den Vorgesetzten vor, und die Mitarbeiter sind weniger innovativ und eher bestrebt, Misserfolge zu vermeiden, da sie mit überraschenden Eingriffen rechnen müssen. Demgegenüber wird durch Management by Delegation Hierarchie abgebaut und versucht, die Aufgaben zu delegieren und die Entscheidungen auf die für die Sache angemessene Ebene zu verlagern. Damit sollen Eigeninitiative, Leistungsmotivation und Verantwortungsbereitschaft der Mitarbeiter gefördert werden. Dieses Führungskonzept ist aber davon abhängig, dass die Vorgesetzten zur Delegation bereit und die Mitarbeiter dazu fähig sind. Als modernste Managementkonzeption gilt heute das Management by Objectives. Dabei werden zwischen Vorgesetzten und Abteilungen klare operationalisierbare Zielvereinbarungen getroffen, die regelmäßig kontrolliert werden und für deren Einhaltung die jeweiligen Einheiten selbstorganisiert zuständig sind. Um unangemessene Ziele zu vermeiden, bedarf es dabei gemeinsamer, zeitaufwändiger Planungs- und Zielbildungsprozesse.

QuellentextErfolgsfaktor Managementmix

Seit einigen Jahren wächst die Anzahl der Managementbücher, die emotionale Intelligenz zum Thema machen. Nicht nur Fachwissen, die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit und Durchsetzungskraft seien gefragt, sondern zunehmend brauche eine Führungskraft soziale Fähigkeiten und Mitgefühl. Immer wieder versuchen so vor allem amerikanische Autoren den idealen Managementtyp zu charakterisieren. Doch: Gibt es diese "eierlegende Wollmilchsau" wirklich? Allein dieses seit Jahren kursierende Unwort der Managementliteratur macht deutlich, dass man sich damit wohl auf dem Holzweg befindet.
Weil es den omnipotenten Unternehmenslenker nicht gibt, ist es wichtiger, einen Blick auf das Team zu werfen. Viele große Unternehmerpersönlichkeiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie gute Alter egos gefunden haben, die sich von ihnen selbst grundlegend unterschieden. Robert Bosch hatte mit seinem Privatsekretär Hans Walz seinen engsten Vertrauten gefunden, der den Aufbau der Firma auch vorantrieb, als der Gründer sich mehr und mehr zurückzog. Mit Dietmar Hopp und Hasso Plattner standen zwei sich ergänzende Persönlichkeiten an der Wiege der SAP. Der eher scheue Bill Gates hat mit Steve Ballmer einen Einpeitscher an seiner Seite. Eine Analyse der erfolgreichen Unternehmen würde wohl ergeben, dass sie von guten Teams geführt werden, die unterschiedliche Charaktere und Temperamente in sich vereinen.
Natürlich gibt es Eigenschaften eines Managers, die nur schwer durch einen anderen kompensiert werden können. Persönliche Autorität, fachliches Wissen und Anerkennung durch Mitarbeiter und Kunden sind Must-Skills für jeden einzelnen. Auch persönliche Mobilität und Weltgewandtheit gehören heute dazu. Und fraglos müssen die zentralen Kompetenzen für Finanzen, Vertrieb, Produktion, Personal, Forschung und Entwicklung exzellent besetzt sein. Aber jeder Mensch hat seine Stärken und Schwächen. Die Stärken eines Teams sollten so verteilt sein, dass ein Unternehmen auf verschiedene Herausforderungen schnell und passend reagieren kann.
Idealerweise repräsentiert ein Managementteam einen analytisch denkenden Albert Einstein, einen handlungsstarken James Bond, einen Willy Brandt für die soziale Integration, aber auch einen Daniel Düsentrieb, der krause Ideen einbringt und vorantreibt. Würde das Team aus vier Personen des gleichen Schlags bestehen, würde hochwahrscheinlich das Chaos ausbrechen. Vier draufgängerische Bonds gingen sich an den Kragen, vier Düsentriebs würden sich vor Ideen überschlagen, ohne sie je zu realisieren, vier Brandts könnten zwar gut miteinander reden, aber den Wettbewerber nicht ausstechen, und vier Einsteins kämen aus dem Grübeln nicht mehr raus.
Ein Unternehmen braucht alle vier Typen. Die Zusammensetzung eines Teams sollte nicht allein aufgrund von Kompetenzen und Stereotypen erfolgen. Sind in einem Unternehmen nur Treiber, bricht schnell das Chaos aus. Besteht das Team ausschließlich aus fleißigen Arbeitern, fehlen Vision und Dynamik.
Der richtige Managementmix ist heute wichtiger denn je. Die Weltwirtschaft ist von hoher Dynamik und turbulenter Entwicklung gekennzeichnet. Ein Unternehmen muss in der Lage sein, ad hoc auf neue Situationen zu reagieren. Mal steht die Fähigkeit zur Innovation im Vordergrund, mal die aggressive Reorganisation und morgen vielleicht die Kunst, Mitarbeiter für ein völlig neues Geschäftsfeld zu begeistern. Für lang vorbereitete und ausdiskutierte Planungen bleibt keine Zeit. Statt dessen muss das Führungsteam über die jeweils notwendigen Talente verfügen, um konkrete Herausforderungen sofort zu meistern. Hierzu gehört, dass jeder einzelne mal mehr Teamplayer, mal Solist ist und die Gruppe - wie eine gute Jazzband - auf der Basis von wenigen Regeln gemeinsam agiert, aber auch improvisieren kann. Das Ergebnis einer solchen Führung ist ein Unternehmen mit hoher Agilität. Aber hierfür ist ein Umdenken auch unter Managementtheoretikern erforderlich: Das Team ist der wichtigere Erfolgsindikator als die Einzelperson.

August-Wilhelm Scheer, "Einstein, Brandt, Bond", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. September 2006

Mitwirkung der Arbeitnehmer

Während es bei den Führungsstilen des Managements vor allem um eine angemessene Motivation der Mitarbeiter im Interesse des Unternehmens geht, regelt die betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen. Mitwirkung der Arbeitnehmer kann sich auf der Ebene der Betriebsverfassung und der Unternehmensverfassung oder aber auch durch Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden entfalten.

QuellentextPrinzipien erfolgreicher Mitarbeiterbeteiligung

Michael Schumann, Industriesoziologe in Göttingen, leitet aus Best-Practice-Beispielen in Unternehmen folgende Prinzipien ab:

  • Gruppenarbeit erhöht die Handlungsspielräume und die Selbstorganisationsfähigkeit der Beschäftigten.

  • Flachere Hierarchien verbessern Abstimmungs- und Problemlöseprozesse und gewährleisten Transparenz.

  • Beschäftigte müssen in die Planung und Optimierung der Produktion eingebunden werden. In einer engen Verzahnung von Arbeiten und Lernen müssen sie die Chance zur Qualifizierung haben.

  • Wichtig sind schließlich neue Entlohnungsformen, die Eigenverantwortung mit verbessertem Einkommen honorieren.

Das alles macht eine "nach unten" geöffnete Mitbestimmung notwendig. Die Betriebsräte müssen bei der praktischen Umsetzung dieser Prinzipien eine tragende Rolle spielen.

nach SOFI-Mitteilungen Nr. 33

Betriebliche Mitbestimmung

Karikatur: Mitbestimmung

Im Rahmen der Betriebsverfassung wird die Zusammenarbeit der Belegschaft mit dem Management geregelt. Das erstmalig 1952 beschlossene und 1972 erneuerte Betriebsverfassungsgesetz gilt für alle Betriebe ab mindestens fünf Arbeitnehmern. Es regelt nicht allein die Mitwirkungsmöglichkeiten des Betriebsrates, sondern gesteht auch den einzelnen Arbeitnehmern individuelle Rechte zu. Sie haben Mitwirkungsrechte bezüglich ihres Arbeitsplatzes, Einsichtsrecht in die Personalakte und Beschwerderecht, falls sie sich benachteiligt oder ungerecht behandelt fühlen. Soweit in Betrieben mit mehr als fünf Arbeitnehmern ein Betriebsrat existiert, sind die Arbeitnehmer über diesen an betrieblichen Entscheidungen beteiligt. Arbeitgeber und Betriebsrat sind verpflichtet, vertrauensvoll zum Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebes zusammenzuarbeiten.

QuellentextPartner oder Störenfried

[...] Nur knapp elf Prozent aller Betriebe in Deutschland haben einen Betriebsrat, die Abneigung vieler Arbeitgeber gegen die Mitarbeitervertretung nach dem Betriebsverfassungsgesetz ist nach wie vor groß. Bekannte Beispiele für Unternehmen ohne Betriebsrat sind Aldi-Süd oder Air Berlin. Beim Discounter Lidl haben fünf von knapp 2400 Filialen einen Betriebsrat. Der Chef des Reiseunternehmens Alltours, Willi Verhuven, sagt offen: "Ein Betriebsrat bedeutet einen höheren Verwaltungsaufwand und damit höhere Kosten."
Doch Widerstand ist zwecklos: Ob ein Betriebsrat gewählt wird, hängt nur von den Mitarbeitern ab. "Die Arbeitgeber können ihn nicht verhindern, auch nicht durch eine ausländische Gesellschaftsform. Sobald sie ihren Sitz in Deutschland haben, unterliegen sie dem Betriebsverfassungsgesetz", sagt Professor Manfred Löwisch, Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft für das Recht der Arbeit und der Sozialen Sicherheit.
Nach dem Betriebsverfassungsgesetz können schon fünf ständige Arbeitnehmer einen Betriebsrat wählen. Allerdings muss erst eine Betriebsversammlung einen Wahlvorstand einsetzen. Findet sich dafür unter den Mitarbeitern keine Mehrheit, kann das Arbeitsgericht den Wahlvorstand einsetzen - dafür genügt ein Antrag von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft. "Vertreten" sei diese schon dann im Betrieb, wenn ihr nur ein Arbeitnehmer als Mitglied angehöre, hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (BAG 7 ABR 19/04). Im Extremfall kann also auch eine Minderheit in der Belegschaft Betriebsratswahlen gegen den Willen der Mehrheit durchsetzen, wie dies beim Softwarekonzern SAP in diesem Sommer geschehen ist. Hier hatten sich in einer Abstimmung knapp 90 Prozent der Mitarbeiter gegen eine Wahl ausgesprochen. Bevor das Arbeitsgericht entscheiden konnte, zog der Konzern die Notbremse: Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat organisierten die Wahl selbst. [...] Viele Unternehmen wollen die Mitarbeiter zwar mitreden lassen, aber nicht nach den als zu starr empfundenen Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes. Sie suchen eigene Modelle. Das von SAP sah vor, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zugleich die Aufgaben von Betriebsräten übernahmen, auf der Grundlage eines Vertrags mit dem Vorstand. Inhaltlich entsprach der Vertrag weitgehend dem Gesetz, was ihm fehlte, war der normative Charakter - jederzeit konnte eine Partei kündigen. Und im Streitfall sollte nur der Aufsichtsratsvorsitzende als Schlichter auftreten, während echte Betriebsräte diese Aufgaben im gleichen Umfang wahrnehmen können. Der Vorstand blickt denn auch etwas wehmütig auf die Vergangenheit zurück. "Die Lösung war vorher auf die Bedürfnisse von SAP abgestimmt", sagt ein Sprecher.
Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum zeigt, dass alternative Vertretungsorgane bei den kleinen Querelen des Alltags oder beim Thema Weiterbildung und Motivation gute Ergebnisse erzielen. Kommt es aber zum direkten Konflikt zwischen Mitarbeiter- und Unternehmensinteressen, etwa wenn Entlassungen anstehen, fehlen die gesetzlichen Mechanismen zur Krisenbewältigung. Bestimmte Rechte gewährt das Arbeitsrecht nur dem Betriebsrat: Nur er kann bei Personalabbau über das Ob und Wie der Entlassungen verhandeln und die Kollegen mit dem Abschluss eines Sozialplans vor den Folgen schützen. Solche Vereinbarungen binden die Arbeitgeber, Abkommen mit informellen Vertretern nicht. [...]

Henning Zander, "Nicht ohne meinen Betriebsrat", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. Oktober 2006

Je nach Art der Entscheidung und Anzahl der Beschäftigten hat der Betriebsrat abgestufte Mitwirkungsrechte:

  • Volle Mitbestimmungsrechte kommen ihm allein bei sozialen Angelegenheiten zu, dabei handelt es sich beispielsweise um die Lage der Arbeitszeit, Urlaubsgrundsätze und soziale Einrichtungen. Solche Entscheidungen können nur vom Betriebsrat und dem Arbeitgeber gemeinsam getroffen werden.

  • Falls in Unternehmen mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt sind, hat der Betriebsrat bei personellen Angelegenheiten Zustimmungs- und Widerspruchsrechte. Dies betrifft beispielsweise die Gestaltung des Personalfragebogens, die Festlegung von Beurteilungsgrundsätzen und Richtlinien für die personelle Auswahl bei Einstellungen. Bei Kündigungen ist er anzuhören.

  • Ab 20 Arbeitnehmern ist er über wirtschaftliche Entscheidungen zu informieren.

  • Ab fünf Arbeitnehmern unter 18 Jahren ist eine Jugendvertretung zu wählen.

QuellentextAufsichtsräte und Mitbestimmung

[...] Frankfurter Rundschau: In großen Unternehmen haben Arbeitnehmer seit 1976 Anspruch auf die Hälfte der Aufsichtsratsposten. [...] Was hat das Management davon, Mitarbeiter zu beteiligen?
Schmoldt: Ein Unternehmen ist auf Dauer nur dann erfolgreich, wenn die Beschäftigten mitdenken und verantwortungsbewusst sind. Diese Leute lassen sich nicht gängeln und autoritär führen, sie wollen einbezogen werden.
FR: Kritiker sagen aber, manche ausländische Firmen würden nicht in Deutschland investieren, weil sie die Mitbestimmung abschreckt?
Schmoldt: Diese Behauptung ist durch die Praxis längst widerlegt. Es ist also auch nicht überraschend, dass mehrere Studien zu demselben Ergebnis kommen. Die Uni München ist zum Beispiel zu dem Schluss gekommen, dass bei Investitionsentscheidungen harte Standortfaktoren wie Infrastruktur, Steuern und Absatzmärkte den Ausschlag geben. [...]
FR: Aufsichtsräte sind häufig zur Verschwiegenheit verpflichtet. Wie ist da eine Rückkoppelung mit der Belegschaft möglich?
Schmoldt: Es ist mitunter schwierig. Wir müssen den Beschäftigten zumindest in groben Zügen vermitteln, was im Aufsichtsrat diskutiert wird. Tun wir das nicht, schwinden die Akzeptanz und das Vertrauen in das Gremium. Es ist immer eine Gratwanderung zu entscheiden, was man sagen kann und was nicht.
FR: Was haben eigentlich Gewerkschafter in Aufsichtsräten zu suchen?
Schmoldt: Sie repräsentieren die gesellschaftlichen Interessen, die über das unmittelbare Unternehmensinteresse hinausgehen. [...]
FR: In Deutschland gibt es nicht nur Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, sondern auch noch Betriebsräte. Warum ist beides nötig?
Schmoldt: Aufsichtsräte sind für den gesamten Konzern zuständig. Sie können beispielsweise bei wichtigen Investitionen mitentscheiden. Betriebsräte kümmern sich intensiver um die konkreten Arbeitsbedingungen der Menschen in den einzelnen Betrieben.
FR: Manche Arbeitnehmer fühlen sich von ihrem Betriebsrat nicht gut vertreten. Sollten die einzelnen Beschäftigten stärker an Entscheidungen beteiligt werden?
Schmoldt: Laut Gesetz können Betriebsräte so genannte sachkundige Arbeitnehmer zur Bewältigung ihrer Aufgaben hinzuziehen. Dahinter steckt der Gedanke, dass die Beschäftigten selbst am besten wissen, welche Arbeitsläufe sinnvoll sind. Diese Idee propagieren wir schon lange: Die Menschen sind Experten in eigener Sache, und wir sollten ihren Sachverstand nutzen. [...] In Deutschland ist die Gründung eines Betriebsrats freiwillig. Das ist nicht überall so. In Italien und Frankreich ist das gesetzlich vorgeschrieben. Wenn Unternehmen Betriebswahlen behindern, könnten wir auf die Idee kommen, eine gesetzliche Regelung zu fordern. [...]
FR: Was sollte aus Ihrer Sicht geändert werden bei der Mitbestimmung?
Schmoldt: Wir müssen zuallererst aufpassen, dass diese erfolgreiche Form der Unternehmenskultur nicht durch europäische Einflüsse ausgehöhlt wird. Damit dies gelingt, sollten wir über Reformen nachdenken. Es geht etwa darum, wie man europäische Betriebsräte auf den Weg bringt. Oder wie man den Aufsichtsrat für Beschäftigte öffnet, die in ausländischen Werken arbeiten. Zurzeit sind dort nur Arbeitnehmer aus Deutschland vertreten. Das sollten wir ändern.

"Die Leute lassen sich nicht gängeln", Interview von Eva Roth mit Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der IG BCE (Bergbau, Chemie, Energie) und Mitglied in mehreren Aufsichtsräten, in: Frankfurter Rundschau vom 15. März 2006

[...] Seit 30 Jahren (1. Juli 1976 - Anm. der Red.) sind in großen Unternehmen mit mindestens 2000 Mitarbeitern neben den Anteilseignern auch Arbeitnehmervertreter - Mitarbeiter des Unternehmens und externe Gewerkschafter - im Aufsichtsrat vertreten. Inzwischen haben rund 750 Unternehmen in Deutschland ein solches mitbestimmtes Kontrollgremium. Die Gewerkschaften leisteten damals erbitterten Widerstand, weil sie eine paritätische Stimmenverteilung durchsetzen wollten. In der Montanmitbestimmung aus dem Jahr 1951 für Unternehmen im Bergbau, der eisen- und stahlerzeugenden Industrie war dies noch gelungen. Doch in der Unternehmensmitbestimmung von 1976 besetzen Arbeitnehmervertreter zwar die Hälfte der Sitze, doch die Kapitalseite hat mit dem doppelten Stimmrecht des Vorsitzenden die Mehrheit. Auch die Arbeitgeberseite tobte nach der Verabschiedung des Gesetzes: Sie sah in der Mitbestimmung einen Eingriff in die Eigentumsrechte und zog dagegen vor das Bundesverfassungsgericht. Erst als die Karlsruher Richter 1979 das Mitbestimmungsgesetz für verfassungsgemäß erklärten, kehrte etwas Ruhe ein.
Es waren bewegte 30 Jahre, und immer noch ist die Mitbestimmung so umstritten wie zuvor. [...]
In keinem anderen europäischen Land sei die Mitbestimmung derart ausgeprägt wie in Deutschland, führen die Arbeitgeber gerne ins Feld. Die Unternehmen haben inzwischen eine Reihe von Ausweichmöglichkeiten, nachdem der Europäische Gerichtshof Gesellschaftsformen ohne Mitbestimmung aus anderen EU-Mitgliedstaaten für die deutschen Unternehmen geöffnet hat. [...]
Dietmar Hexel, Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), zieht eine positive Bilanz der vergangenen 30 Jahre. Den Erfolg der Mitbestimmung könne man daran erkennen, daß industrielle Konflikte in der Vergangenheit "hervorragend" gelöst worden seien. Deutschland läge im europäischen Vergleich mit der Streikquote ganz unten. Außerdem trage die Mitbestimmung in Krisenzeiten, wie zum Beispiel während der Restrukturierung der Automobil- und der Textilindustrie, entscheidend dazu bei, daß diese Konflikte weitgehend sozialverträglich und friedlich gelöst werden könnten. [...] Statt einer Aushöhlung der Mitbestimmung fordert er einen weiteren Ausbau: Mehr zustimmungspflichtige Geschäfte im Aufsichtsrat, eine deutliche Absenkung des Schwellenwerts und die Beteiligung von ausländischen Mitarbeitern müßten in der Zukunft durchgesetzt werden.
Auch die Arbeitgeberseite fordert Änderungen, nur sollen die naturgemäß anders aussehen: "Die Mitbestimmung muß sich an die europäischen Gegebenheiten anpassen, oder sie wird faktisch an Bedeutung verlieren", sagt Roland Wolf, Leiter der Abteilung Arbeitsrecht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), voraus. Er kritisiert besonders die Arbeitnehmerbeteiligung an der Bestellung des Vorstandes, weil sie zu einer Vorauswahl führe. Zu den von den Gewerkschaften angeführten Erfolgen merkt Wolf an, daß sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eher der betrieblichen Mitbestimmung - also der Arbeit der Betriebsräte - geschuldet seien. Die Vorschläge der Kritiker zu einer Umgestaltung der Mitbestimmung sind zahlreich. Sie reichen vom Umbau der Arbeitnehmervertretung hin zu einem reinen "Konsultationsrat" bis zur Abschaffung des gesetzlichen Zwangs. [...]
So vielschichtig die Kritik, so unterschiedlich sind auch die Visionen für die kommenden 30 Jahre. Nur eine Prognose wollen selbst die Arbeitgeber nicht wagen: daß es die Mitbestimmung 2036 nicht mehr geben wird.

cbu., Arbeitgeberschreck oder Quelle des Betriebsfriedens?", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Juli 2006

Unternehmensmitbestimmung

Aus der Sicht einer freien Marktwirtschaft erscheint das gesetzliche Mitwirkungsrecht der Arbeitnehmer systemfremd. Die Leitungsbefugnis des Unternehmens gilt als legitimiert über das Eigentumsrecht und das freie Vertragsrecht. Da die Unternehmen durch den Marktmechanismus gezwungen sind, sich den Wünschen der Kunden anzupassen, machen diese Kunden über ihre Nachfrage ihr Mitwirkungsrecht geltend. Die Mitwirkung der Arbeitnehmer an wirtschaftlichen Entscheidungen scheint dabei flexible Marktanpassungen eher zu verzögern oder zu behindern. Indem die Arbeitskräfte mit den Unternehmen Arbeitsverträge abschließen, unterstellen sie sich freiwillig den Weisungen und werden im Gegenzug dafür entlohnt. Zwar sind sowohl Kapitaleigner als auch Arbeitnehmer daran interessiert, Einkommen zu erzielen. Die Einkommen der Arbeitnehmer sind aber vertraglich fixiert (Kontrakteinkommen), während die Einkommen der Kapitaleigner ungewiss sind (Residualeinkommen) und erst dann ausgezahlt werden, wenn dievertraglich erforderlichen Kontrakteinkommen bezahlt sind. Insofern tragen die Residualeinkommensbezieher ein höheres Einkommensrisiko. Damit sie dazu weiterhin bereit sind, müssten ihre Interessen auch entsprechend gesichert werden.

Von den Gewerkschaften wird der Kampf um die Mitbestimmung auf Unternehmensebene mit der Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit begründet. Auch wird die Einschätzung der Risikoverteilung nicht geteilt, da für die Arbeitnehmer Arbeitsplatzverluste durch Managementfehler weitaus existenzbedrohender sein können als der Einlageverlust für beschränkt haftende Kapitaleigner. Deshalb sollen Arbeitnehmer ebenso wie Eigentümer bzw. Anteilseigner über wirtschaftliche Entscheidungen mitbestimmen können. Gefordert wird also die paritätische bzw. qualifizierte Mitbestimmung. Wenngleich die Arbeitgebervertreter die Mitwirkung der Arbeitnehmer selten grundsätzlich ablehnen, sehen sie doch ihr Verfügungsrecht über das von ihnen investierte Kapital als eingeschränkt und die Funktionsfähigkeit des Unternehmens durch unflexible Entscheidungen bei kurzfristigen Markterfordernissen als gefährdet.

1951 wurde für Kapitalgesellschaften mit mehr als 1000 Arbeitnehmern im Bereich des Bergbaus sowie der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie nach Androhung eines Generalstreiks durch die Gewerkschaften das Montan-Mitbestimmungsgesetz beschlossen. Es legte fest, dass der Aufsichtsrat zu gleichen Teilen aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern zusammengesetzt wird, während der Vorsitzende besondere Bedingungen der Unabhängigkeit erfüllen und von beiden Seiten gewählt werden muss. Dem Vorstand muss zudem ein Arbeitsdirektor angehören, der nicht gegen den Willen der Mehrheit der Arbeitnehmervertreter bestellt oder abberufen werden darf.

Eine solch weite Mitbestimmung der Arbeitnehmer war im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 nicht vorgesehen. Danach hatten die Arbeitnehmer lediglich das Recht, ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder zu wählen. Nach heftigen Auseinandersetzungen wurde im Mitbestimmungsgesetz von 1976 den Arbeitnehmern in Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Beschäftigten das Recht zugestanden, die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrates zu wählen. Im Gegensatz zur Montanmitbestimmung musste die Mehrheit der gewählten Arbeitnehmervertreter dem Unternehmen angehören und die unterschiedlichen Gruppen der Arbeiter, Angestellten und Leitenden Angestellten mussten repräsentiert werden. Auch nach diesem Gesetz ist ein Arbeitsdirektor vorgesehen, der aber nicht mehr dem Vetorecht der Arbeitnehmer unterliegt.

Mitbestimmung in Unternehmen

Der Konflikt um die qualifizierte Unternehmensmitbestimmung wurde vor dem Bundesverfassungsgericht ausgetragen. Für das Gericht war das verfassungsmäßige Verfügungsrecht über das Eigentum gewährleistet, da das Letztentscheidungsrecht bei den Anteilseignern blieb. Gleichzeitig wurde auch eine Einschränkung der alleinigen Verfügungsrechte der Anteilseigner als verfassungskonform angesehen. Denn schließlich steht in Art. 14, Abs. 2 GG: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."

Lohngestaltung zwischen Effizienz und Gerechtigkeit

Tariflöhne am unteren Ende

Als unbestrittener Grundsatz gilt, dass Löhne gerecht sein sollen. Umstritten ist aber, was unter Gerechtigkeit verstanden wird. In seiner "Theorie der Lohnstruktur" ging der Betriebswirt Erich Kosiol (1899-1990) vom Grundsatz der Äquivalenz von Lohn und Leistung aus. Nach dieser Auffassung ist Gerechtigkeit vor allem Leistungsgerechtigkeit. Wenngleich dies auch auf den ersten Blick ein wichtiges Kriterium zu sein scheint, stellt sich doch die Frage, wie eindeutig die Leistung des Einzelnen zum gemeinsam erwirtschafteten Ergebnis des Unternehmens bestimmt werden kann. Dies gilt vor allem unter den Bedingungen der teilautomatisierten Produktion, in der die individuelle Leistung kaum noch angemessen dem Ergebnis zugerechnet werden kann.

Lohnunterschiede

Karikatur: Ihr könnt es schaffen!

Die Unterschiede in der Entlohnung sind erheblich. Handarbeit wird schlechter bezahlt als Kopfarbeit, obwohl die Arbeitsanforderungen häufig wesentlich belastender erscheinen. Manch einer mag auch den Standpunkt vertreten, dass die geringeren Möglichkeiten zur Selbstentfaltung bei rein sich wiederholender Tätigkeit einer höheren Kompensation bedürfen. Frauen verdienen für gleiche Arbeiten durchschnittlich weniger als Männer, jüngere Menschen weniger als ältere, obwohl erstere häufig besser ausgebildet sind, während ältere mehr Erfahrung haben. Erhebliche Unterschiede existieren zwischen den Einkommen der Mitarbeiter, die lediglich ausführende Tätigkeiten durchführen, und jenen, die Entscheidungen treffen, also dispositiv tätig sind. So erhalten Spitzenmanager heute das Zweihundert- bis Dreihundertfache des Jahreseinkommens eines durchschnittlichen gewerblichen Angestellten. Beispielsweise verdient der Vorstandschef der Deutschen Bank Josef Ackermann jährlichfast 15 bis 20 Millionen Euro brutto, für Normalsterbliche unvorstellbar, während Ackermann gegenüber seinen amerikanischen Kollegen, die jährlich über 30 Millionen Dollar erhalten, fast ärmlich wirkt. Diese unglaubliche Diskrepanz wird vor allem mit dem internationalen Wettbewerb um Spitzenkräfte begründet.

Gerechtigkeitskriterien

Betriebliche Lohngestaltung

Nach rein einzelwirtschaftlichen Kriterien soll die betriebliche Lohngestaltung vor allem anforderungsgerecht den Schwierigkeiten und Anforderungen der Stelle Rechnung tragen und leistungsgerecht die Leistung des Einzelnen honorieren. Dabei hängt aber die Bestimmung des gerechten Lohns stark vom subjektiven Urteil ab: Wie können die Anforderungen einer Stelle mit einer anderen verglichen, die Leistung des Einzelnen zum Gesamtergebnis adäquat abgegrenzt werden. Während früher vor allem nach der erforderlichen Ausbildung in ungelernt, angelernt und ausgebildet unterschieden wurde, treten bei der betrieblichen Arbeitsbewertung auch körperliche und geistige Anforderungen, äußere Einflüsse, Verantwortung und Arbeitsbedingungen hinzu, die zudem gewichtet werden müssen. Bei dieser Art der Bewertung werden auch gesellschaftliche Maßstäbe einbezogen.

Neben der so genannten Leistungsgerechtigkeit wirken sich weitere "Gerechtigkeitskriterien" auf die Lohngestaltung aus, die das subjektive Urteil beeinflussen. Die Qualifikationsgerechtigkeit resultiert daraus, dass der Erwerb neuer Qualifikationen für das Individuum zunächst mit einem Verzicht auf Einkommen und mit höheren Kosten einhergeht. Warum sollten Menschen zu solchem Verzicht und höheren Aufwendungen bereit sein, wenn sie dafür nicht auf lange Sicht eine gewisse Entschädigung - etwa in Form höherer Löhne - erhalten? Da aber gleiche formale Abschlüsse nicht unbedingt gleich- hohe Einkommen bedeuten, müssen weitere Merkmale eine Rolle spielen. Dazu zählen Kriterien sozialer Gerechtigkeit, denn die Lohnbemessung erfolgt auch nach Alter und Familienstand. Gewährt werden freiwillige und gesetzliche Sozialleistungen.

Vernachlässigt ein Unternehmen das Kriterium der Marktgerechtigkeit, indem es beispielsweise den Marktwert der Mitarbeiter auf bestimmten Positionen unterschätzt, besteht die Gefahr, dass diese von der Konkurrenz abgeworben werden. So besitzen Arbeitnehmer mit besonderen Fähigkeiten auch Marktmacht, solange diese Fähigkeiten knapp sind und der Markt sie benötigt. Andererseits kann die marktgerechte Bezahlung besonderer Berufssparten innerbetrieblich zu erheblichen Spannungen führen, da sich die anderen Mitarbeiter nach ihren Maßstäben für Leistung oder Qualifikation ungerecht behandelt fühlen. Dennoch werden die Leistungs- und Anforderungskriterien der Lohnfindung durch das Kriterium der Marktgerechtigkeit korrigiert.

Das einzelne Individuum möchte seine Leistung "gerecht" bewertet wissen - nach dem Wert seiner Leistung sowie im Vergleich zu anderen. Nach gängigen Vorstellungen werden Lohnunterschiede vor allem durch Unterschiede in Leistungen und Belastungen sowie Ausbildungsarten und -zeiten begründet. Dass sich der Lohn als Preis für die Arbeitskraft aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage ergibt, wird vor allem auch am Vergleich körperlicher und geistiger Arbeit deutlich. So ist un- und angelernte körperliche Arbeit trotz hoher Belastung auf dem Markt alles andere als knapp. Zum einen besteht die Konkurrenz unter inländischen Arbeitnehmern, zum anderen kann der Produktionsfaktor Arbeit durch Kapital ersetzt oder auch durch günstigere ausländische Arbeitskräfte ersetzt werden. Auch der Vergleich unterschiedlicher Ausbildungsberufe mit gleicher Ausbildungszeit und -art - etwa als Ausbildung im dualen System oder als akademische Ausbildung - geht mit erheblichen Vergütungsunterschieden einher, die abhängig vom Verhältnis von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage sind. Die monopolartigen Einkommen von Spitzensportlern, Film- und Popstars lassen sich ebenfalls so erklären.

Lohnmechanismus und Beschäftigung

Nach klassischen Vorstellungen sorgt der Lohnmechanismus für den Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Die Konkurrenz unter Arbeitslosen führt danach bei Arbeitslosigkeit zur Senkung des Lohnsatzes, bis Vollbeschäftigung erreicht ist. Keynes stellte heraus, dass der Lohn nach unten nicht flexibel ist. Bei einer bestimmten Höhe der Leistungen, die anstelle eines Einkommens gezahlt werden, erscheint ein Arbeitsangebot nicht vernünftig. Ist der Lohn zu niedrig, reizt er die Beschäftigten auch nicht zu höherer Leistung während der Arbeit, ebenso wenig fördert er das Bedürfnis nach zusätzlicher Ausbildung, denn schließlich soll der Einkommensverzicht während der Ausbildung kompensiert werden. Darüber hinaus existiert das Problem, dass bei sinkenden Löhnen bzw. Lohnverzicht die einzelnen Arbeitskräfte - die nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben - gezwungen sein können, sich sogar noch weitere Arbeit zu suchen, um den Ausfall auszugleichen.

Das Extra beim Lohn

Die Lohnhöhe ist abhängig von den durch das Arbeitsangebot erbrachten Leistungen auf den Gütermärkten. Der private Konsum wiederum ist abhängig von der Höhe des Volkseinkommens und steigt mit dem Einkommen. Die Auslastung der Produktion über die Konsumnachfrage beeinflusst die Investitionen zur Erweiterung oder Einschränkung der Produktion. Da Unternehmer eine bestimmte nachgefragte Gütermenge nicht unabhängig von ihrer Kosten-Ertragsrelation anbieten, werden sie Arbeitskräfte auch nur dann einstellen, wenn die dadurch entstehenden, zusätzlichen Kosten - also der Lohn des zuletzt eingestellten Arbeitnehmers - kleiner sind als der zusätzlich produzierte Wert seiner Arbeit. Dabei ist der Lohn aufgrund von Arbeitsverträgen unabhängig von der Ertragslage zu zahlen. Für den Unternehmer ist allerdings nicht allein das Bruttogehalt entscheidend, hinzu kommen Sozialversicherungsbeiträge sowie die Vergütung arbeitsfreier Tage wie Urlaub, bezahlte Feiertage, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld, Vermögensbildung und die betriebliche Altersversorgung.

QuellentextArbeiter sind keine Artischocken

"Arbeiter sind nicht anders als Artischocken. Oder Autos. Oder Brötchen. Sie sind eine Ware. Auch sie unterliegen den Marktkräften. Auch für sie gilt das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Jeder Politiker, jeder Gewerkschafter, der sich dieser unangenehmen Wahrheit verschließt, ist mit schuld am größten Problem der Bundesrepublik Deutschland: der Arbeitslosigkeit. So oder ähnlich argumentiert die Mehrzahl der deutschen Wirtschaftswissenschaftler. Klingt ja auch logisch: Wenn es auf dem Gemüsemarkt zu viele Artischocken gibt, muss der Preis sinken, dann verschwindet das Überangebot. Wenn auf dem Arbeitsmarkt ein Überangebot besteht, muss der Lohn sinken. Dann verschwindet die Arbeitslosigkeit. [...]
Wenn der Preis eines bestimmten Produkts höher liegt, als es den Marktkräften entspräche, wird es zwar von vielen Leuten angeboten, aber nur von wenigen nachgefragt. Die Bäcker und Gemüsehändler bleiben dann auf ihrer Ware sitzen. Erst wenn der Preis des Produktes sinkt, nimmt die Zahl der Anbieter ab, die Zahl der Käufer steigt, der Markt gelangt wieder ins Gleichgewicht. Diese Theorie entspricht durchaus der Realität. Allerdings nur, wenn es um Artischocken oder Brötchen geht. Denn Gemüse hat keinen Stolz. Es will sich nicht selbst ernähren. Es muss auch keine Familie ernähren. Auf dem Arbeitsmarkt aber spielen solche Dinge eine wichtige Rolle. Vor allem, wenn es um die Frage geht, wie viele Leute eine Arbeit suchen. [...] Ein Facharbeiter, der plötzlich kein Weihnachtsgeld mehr bekommt, müsste gemäß der ökonomischen Theorie weniger arbeiten, nach dem Motto: "Es lohnt sich ja nicht mehr so wie früher." In der Realität aber hat der Arbeiter eine Frau und vielleicht zwei oder drei Kinder. Er wird deshalb nicht weniger, sondern sogar noch mehr arbeiten als früher, um den Verdienstausfall auszugleichen. Er wird sich zum Beispiel bei einer Wachfirma für einen Nebenjob bewerben und dort so machen Ungelernten verdrängen, der dann auf der Straße steht. Lohnzurückhaltung kann also das Arbeitsangebot und damit die Arbeitslosigkeit noch erhöhen, statt sie zu senken.
Ähnlich verzwickt verhält es sich mit der Arbeitsnachfrage. Einerseits möchte jedes Unternehmen seinen Mitarbeitern möglichst wenig bezahlen. Andererseits ist es den meisten Unternehmen bewusst, dass sie Menschen beschäftigen und kein Gemüse. Sie wissen: Während es der Artischocke egal ist, wie viel sie kostet, hat der Mensch ein Gespür für Gerechtigkeit und Fairness. Hält ein Mitarbeiter sein Gehalt für unverschämt niedrig, bringt er weniger Leistung. Er wird unproduktiv, das Unternehmen verliert Einnahmen. Also zahlt es lieber etwas höhere Löhne. [...]
Arbeit ist eben anders als alle anderen Waren, und das simple Drehen an der Lohnschraube hilft nicht weiter, auch wenn viele hiesige Ökonomen das nicht wahrhaben wollen. Vielleicht sollten sie auf einen ihrer amerikanischen Kollegen hören: den Nobelpreisträger Robert Solow. [...] Er drückte es so aus: "Arbeiter sind keine Artischocken."

Wolfgang Uchatius, "Warum die Lohndebatte an der Realität vorbeiläuft", in: Die Zeit Nr. 2 vom 5. Januar 2006

Tarifauseinandersetzungen

Eine angemessene Entlohnung ist für die Motivation und Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer von großer Bedeutung. Für die Unternehmen stellen Löhne aber vor allem einen Kostenfaktor dar, der sich auf die Preise und damit auch auf die Kaufkraft der Haushalte auswirkt. Selbst wenn der Lohn erhöht wird (Nominallohnerhöhung), kann es sich real um eine Senkung handeln (Reallohnsenkung), wenn nämlich parallel das Preisniveau steigt, und so die Kaufkraft sinkt. Auch Vereinbarungen über die Erhöhung der Tariflöhne müssen sich nicht zwangsläufig in einem erhöhten Grund- oder Effektivlohn niederschlagen. Der Grundlohn wird zwischen Arbeitnehmer und Vorgesetzten ausgehandelt und setzt sich aus dem Tariflohn und einer übertariflichen Zulage zusammen. In den Effektivlohn gehen darüber hinaus Leistungszulagen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie vermögenswirksame Leistungen ein. Somit können bei Tariflohnsteigerungen die anderen Lohnbestandteile gesenkt werden. Währendsich der Unternehmenserfolg zunächst einmal im Gewinn niederschlägt, der den Anteilseignern zufließt, streiten selbstverständlich auch die Arbeitnehmer um ihren Anteil. Orientieren sich Lohnerhöhungen am gestiegenen Preisniveau oder einer ungleichen Einkommensverteilung, kann sich dies zwar positiv auf die Nominallöhne auswirken, es ist aber ungünstig für die Reallöhne. Deshalb sollten sich - nach Ansicht vieler Ökonomen - Lohnerhöhungen im Rahmen der Produktivitätssteigerungen bewegen oder gar darunter bleiben, um kostenneutral zu sein. Volkswirtschaftlich betrachtet sind die Einkommen wiederum Voraussetzungen für den Absatz der Produkte.

Die Auseinandersetzung um Löhne erfolgt neben individuellen Arbeitsverträgen vor allem durch die Tarifparteien. Das Grundgesetz garantiert in Art. 9, Absatz 3 Vereinigungsfreiheit "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen". Auf dieser Basis können durch das Tarifvertragsgesetz unabhängige Tarifvertragsparteien für bestimmte Branchen und Regionen Tarifverträge vereinbaren, die dann bindend für die Mitglieder der vertragschließenden Parteien sind.

Verhandlungsgegenstände

Die Frage der Entlohnung ist ein wichtiger Verhandlungsgegenstand von Tarifverhandlungen. Die Tarifvertragsparteien regeln die Entgeltsätze nach unterschiedlichen Lohn- und Gehaltsgruppen, die Leistungsentgelte wie Akkord- und Prämienlohn, und sie vereinbaren Zuschläge für Nacht-, Wochenend-, Feiertags- und Mehrarbeit, Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Neben der Entlohnung sind auch Arbeitszeiten und Freistellungen Gegenstand der Auseinandersetzung. Dabei geht es nicht allein um die wöchentliche Arbeitszeit, sondern auch um Rahmenbedingungen für Altersteilzeit, Gleitzeit, Probezeiten sowie den Ausgleich von Überstunden, die Urlaubsgewährung und Freistellungen etwa zur Geburt, zur Eheschließung, zu Begräbnissen und zur Betreuung kranker Kinder. Auch Rationalisierungsschutz und Abfindungen, Maßnahmen zur Arbeitssicherheit, zur Qualifizierung und Weiterbildung sind Gegenstand von tarifvertraglichen Vereinbarungen.

Arbeitnehmerorganisationen in Deutschland

Wenn die Gewerkschaften ihre Lohnforderungen stellen, orientieren sie sich dabei vor allem an drei Richtgrößen. Dies sind die Entwicklungen der Produktivität, des Preisniveaus und der Einkommensverteilung. Für die Arbeitgeberverbände stellt vor allem die Produktivitätsentwicklung den Verteilungsspielraum dar. Das Ergebnis der Verhandlungen wird zudem von den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen beeinflusst. Dazu gehören die Entwicklungen des Arbeits- und Absatzmarktes, die Zukunftserwartungen der Branche sowie die Entwicklungen der Produktionstechnik. Gesellschaftlich bedeutsam sind aber auch die realen Machtverhältnisse zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, ihre Konfliktfähigkeit und -bereitschaft sowie ihr Verhandlungsgewicht. Entscheidendist ebenfalls, inwiefern es gelingt, die Öffentlichkeit von der Berechtigung der Forderungen und Angebote überzeugen zu können.

Tarifverträge haben vor allem Schutzfunktion gegen unwürdige Arbeitsbedingungen. Sie sichern zunächst allein Mindestbedingungen, an die sich die tarifvertraglich gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer halten müssen. Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Bundesarbeitsgerichts gelten die Vereinbarungen allerdings auch für Nichtorganisierte. Es darf nur zugunsten der Arbeitnehmer von ihnen abgewichen werden. Diese dürfen auch nicht auf ihre Rechte verzichten, es sei denn, die Gewerkschaften billigen dies oder Öffnungs- und Härteklauseln für Unternehmen in der Krise oder für bestimmte Beschäftigungsgruppen gestatten es. Tarifverträge ordnen auch die Arbeitsbedingungen in der jeweiligen Branche und sorgen durch die Friedenspflicht dafür, dass das ausgehandelte Ergebnis für die Beteiligten verlässlich ist, denn in Zeiten bestehender Tarifverträge sind Arbeitskämpfe verboten. So verstoßen beispielsweise Arbeitnehmer, die sich während der Laufzeit des Tarifvertrags an Warnstreiks beteiligen, gegen ihre Arbeitsvertragspflicht und müssen mit entsprechenden Konsequenzen - etwa Kündigung oder Schadenersatzforderungen - rechnen.

Arbeitskämpfe als kollektive Arbeitsniederlegung sind das Druckmittel der Gewerkschaften, um ihren Forderungen Gewicht zu verleihen. Für die Arbeitgeber haben sie Produktionsausfälle zur Folge und bergen die Gefahr, dass die Kunden zur Konkurrenz abwandern. Arbeitskämpfe schwächen aber auch die Existenzgrundlage der Gewerkschaften, da Lohneinbußen der Arbeitnehmer sowie Beitragsausfälle zur sozialen Sicherung aus der Streikkasse ausgeglichen werden. Für die Streikenden bedeuten sie ein geringeres Einkommen, dadie Streikkasse den Einkommensausfall nicht voll ausgleicht. Das Druckmittel der Arbeitgeber ist die Aussperrung, das heißt, die nicht am Streik beteiligten Arbeitnehmer werden vorübergehend von der Arbeit ausgeschlossen, und ihre Lohnzahlungen werden ausgesetzt. In Deutschland verlaufen die Tarifauseinandersetzungen im Vergleich zu anderen Ländern eher friedlich. Nach Untersuchungen des Instituts der deutschen Wirtschaft gingen in Deutschland in den 1990er Jahren pro 1000 Beschäftigten nur 13 Tage durch Streik verloren, in Spanien und Griechenland waren es über 300 Tage, selbst in den USA waren es dreimal so viel.

Im deutschen System kollektiver Lohnverhandlungen existiert ein Konfliktlösungsmechanismus zur Verhinderung von Arbeitskämpfen. Wenn ein Tarifvertrag gekündigt wird, werden Verhandlungen geführt, die entweder in einem neuen Tarifvertrag enden oder scheitern. Falls sie scheitern, wird nach Einigung beider Parteien auf einen neutralen Schlichter ein Schlichtungsverfahren durchgeführt, dessen Ergebnis wiederum ein neuer Tarifvertrag sein kann. Scheitern auch diese, kommt es erst zu einem Streik, wenn 75 Prozent der organisierten Arbeitnehmer in einer Urabstimmung für Streik votieren. Doch auch während der Arbeitskämpfe werden die Verhandlungen solange weitergeführt, bis in einer erneuten Urabstimmung 25 Prozent das Verhandlungsergebnis annehmen wollen.

Tarifbindung 2004

Tarifverträge sind prinzipiell nur gegenseitig bindend für Mitglieder der Tarifvertragsparteien, also für den Arbeitgeber im Vertrag schließenden Arbeitgeberverband sowie für die Arbeitnehmer in der Vertrag schließenden Gewerkschaft. Schon aus wohlverstandenem Eigeninteresse gewähren vertraglich gebundene Arbeitgeber Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern die gleichen Bedingungen wie den Gewerkschaftsmitgliedern. Falls sie mit der Verbandspolitik nicht einverstanden sind, besteht die Möglichkeit aus dem Arbeitgeberverband auszutreten. In diesem Falle können die Gewerkschaften mit den einzelnen Arbeitgebern dennoch Firmen- bzw. Haustarifverträge schließen. Auch der einzelne Arbeitgeber ist prinzipiell tariffähig. Um für die Arbeitnehmer gewisse Mindestbedingungen in einer Branche zu gewährleisten, aber auch um Lohndumping zu mindern, kann der Bundesarbeitsminister Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären. Als Grundvoraussetzung dafür gilt, dass tarifgebundene Arbeitgeber mindestens 50 Prozent der Arbeitnehmer beschäftigen und die Allgemeinverbindlichkeit im öffentlichen Interesse ist. Durchschnittlich 500 Tarifverträge über Arbeitsbedingungen wurden so in unterschiedlichen Branchen für allgemeinverbindlich erklärt. Es gibt sie für einen Mindestlohn aber nur im Baugewerbe und Dachdeckerhandwerk.

QuellentextNeue Wege im betrieblichen Alltag

[...] Die Zeiten sind vorbei, in denen die Gewerkschaft alle Kraft in die bundesweiten Tarifrunden steckte und dazwischen Luft holen konnte. Die tägliche Arbeit in den Betrieben ist wichtiger geworden. Viele Funktionäre betrachten das nicht mehr als lästiges Übel, sondern packen zusammen mit ihren Mitgliedern die Probleme an.
Beispiel Tarifflucht: Seit Jahren schrumpft die Zahl der Firmen, die ordentliches Mitglied im Arbeitgeberverband sind und sich damit verpflichten, Tariflöhne zu zahlen. Heute arbeitet schätzungsweise gut die Hälfte der Metall-Beschäftigten in Firmen, die sich an den Flächentarifvertrag halten. Anfang der 90er Jahre waren es noch 70 Prozent. Früher hat die IG Metall diese Entwicklung beklagt, heute tut sie was dagegen.
Wie das funktioniert, erklärt Herbert Lauf, Gewerkschaftschef in Recklinghausen: Vor drei Jahren trat die Bottroper Firma Rothrist aus dem Arbeitgeberverband aus. Fortan erhielten die Beschäftigten keine tariflichen Lohnzuschläge mehr. Die IG Metall verhandelte mit der Firmenleitung - vergeblich. Die Belegschaft verweigerte Überstunden - das Management blieb hart. "Irgendwann sagten unsere Mitglieder, jetzt muss auch mal der Hammer fallen", erzählt Lauf. Zunächst legten die Beschäftigen spontan die Arbeit nieder, dann organisierte die Gewerkschaft Warnstreiks. Das wirkte. Der Hersteller von Präzisionsrohren ist seit Anfang des Jahres wieder im Arbeitgeberverband, und die Beschäftigten erhalten seit Januar 3,5 Prozent mehr Geld.
Rothrist ist kein Einzelfall. Vor einem Jahr startete die IG Metall in Nordrhein-Westfalen die Kampagne "Tarif aktiv". Sie schrieb mehr als 200 000 Mitglieder an und bat sie zu klären, ob ihr Betrieb noch tarifgebunden ist. Dabei wurden etliche Tarifflüchtlinge entdeckt. Der Gewerkschaft gelang es mit den Belegschaften, 30 Unternehmen zur Rückkehr in die Tarifbindung zu bewegen.
Das heißt nicht, dass die IG Metall allen Unternehmen die gleichen starren Regeln aufzwängen will oder kann. Denn auch tarifgebundene Firmen dürfen die Arbeitszeit verlängern oder Löhne kürzen - und das nicht nur im Krisenfall. Betriebe können auch dann von Tarifstandards abweichen, wenn sie große Investitionen planen und so Jobs erhalten oder schaffen. Darauf haben sich Gewerkschaft und Arbeitgeberverband im Februar 2004 in Pforzheim verständigt. Der Abschluss wirkt: Inzwischen gibt es für rund 600 Firmen Sondervereinbarungen. Die vielen kleinen Tarifrunden in Unternehmen haben die IG Metall zuerst überfordert: "Am Anfang ging alles drunter und drüber", erzählt ein hochrangiger Funktionär. Inzwischen seien die Erfahrungen aber überwiegend positiv, heißt es aus der Gewerkschaftszentrale. Manche sehen den Abschluss sogar als Chance, um neue Mitglieder zu gewinnen.
Bei der Firma Bridon hat das geklappt. Der Konzern mit Sitz in Großbritannien dachte laut darüber nach, die Produktion von Brücken-Seilen von Gelsenkirchen nach England zu verlagern, berichtet der örtliche Geschäftsführer der IG Metall Alfred Schleu. Mehr als 80 Jobs waren in Gefahr. Also wurde eine betriebliche Tarifkommission gebildet, in der Schleu und sieben Bridon-Beschäftigte saßen. Sie verhandelten mit dem Management und akzeptierten schließlich 2,5 Stunden unbezahlte Mehrarbeit pro Woche für drei Jahre. Im Gegenzug versprach Bridon, 2,4 Millionen Euro in das Werk zu investieren, niemandem betriebsbedingt zu kündigen und 20 neue Leute einzustellen. Die Belegschaft war offenbar mit der Gewerkschaft zufrieden: "Wir haben acht, neun Leute zusätzlich gewonnen", sagt Schleu.
Natürlich läuft nicht immer alles rund. Selbst Funktionäre, die ihre Organisation sehr kritisch sehen, stellen aber fest: Die IG-Metall-Politik wird pragmatischer - und ein "neues Selbstbewusstsein" macht sich breit.

Eva Roth, "Trillerpfeifen und leise Töne", in: Frankfurter Rundschau vom 30. März 2006

Arbeitnehmer unter Druck?

Ob es um betriebliche oder Unternehmensmitbestimmung oder ob es um Tarifverhandlungen geht, die Arbeitnehmer und ihre Vertreter scheinen angesichts der hohen Arbeitslosigkeit sowie der drohenden Verlagerung von Produktionsanlagen in Länder mit günstigeren unternehmerischen Rahmenbedingungen massiv unter Druck, sich den Forderungen der Unternehmen zu unterwerfen. Angesichts der Mobilität des Kapitals und der Immobilität der Arbeit erscheint die Verhandlungsposition der Arbeitgeber gegenwärtig günstiger zu sein. Gleichzeitig sinkt die Zahl der organisierten Gewerkschaftsmitglieder. Im Zeitraum von 2001 bis 2005 sank sie beispielsweise bei Ver.di von 2,81 auf 2,36 Millionen, bei der IG Metall von 2,71 auf 2,38 Millionen. Aber auch die Unternehmensmanager selbst sind Getriebene des flüchtigen Finanzkapitals, dessen Fondsmanager ihren privaten Anlegern eine ordentliche Rendite bescheren müssen. Konnten sich die Unternehmensmanager früher Fehler leisten, die dann unter Vermeidung von Entlassungen korrigiert wurden, drohen heute die Kapitaleigner ihre Papiere zu verkaufen, wenn aus unrentablen Geschäftsbereichen keine Konsequenzen gezogen werden, so dass eine Orientierung an den Interessen der Anteilseigner schon zugunsten eines funktionierenden Kapitalmarktes geboten erscheint.

Karikatur: Allzeit bereit

Obwohl sich die Gewinne der Kapitalgesellschaften auf Rekordniveau halten, sind die Bruttolöhne und -gewinne in den letzten zehn Jahren nahezu gleich geblieben. Auf Lohnerhöhungen wird verzichtet, die Arbeitszeiten werden ohne Lohnausgleich erhöht oder gesenkt, die Pausen und das Weihnachtsgeld gekürzt, Überstunden und Zuschläge nicht mehr bezahlt. Inwiefern die steigende Machtlosigkeit der Arbeitnehmer durch internationale Zusammenschlüsse einerseits oder durch ihre Konsumenten- oder Kapitalmacht andererseits kompensiert werden könnte, erscheint eher fraglich.

Gegenwärtig stehen vor allem die Flächentarifverträge in der Kritik. Sie würden die Flexibilisierungsanforderungen der globalisierten dynamischen Weltwirtschaft zu wenig berücksichtigen und den unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedingungen in der jeweiligen Branche zu wenig Aufmerksamkeit widmen. Die Regeln würden vor allem die Arbeitsplatzbesitzer - die so genannten Insider - durch Lohnvereinbarungen, Kündigungsschutzrechte und Abfindungen schützen, während die Arbeitslosen - die Outsider - benachteiligt würden. Angelastet wird dies vor allem den Gewerkschaften, obwohl Tarifverträge von den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden gemeinsam geschlossen werden. Aber auch den Arbeitgeberverbänden wird vorgeworfen, dass sie die Interessen der klein- und mittelständischen Unternehmen zu wenig berücksichtigen. Da größere Unternehmen eher Mitarbeiter für die Mitwirkung in den Verbänden freistellen können, wäre ihre Einsicht in die Probleme der kleinerenUnternehmen begrenzt, so dass auch die gemeinsam mit den Arbeitnehmerverbänden geschlossenen Verträge sich eher an den Interessen der großen Unternehmen orientierten.

Bei solchen Urteilen wird oft übersehen, dass die Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern schon wesentlich flexibler geworden sind. So einigte sich die gleiche Gewerkschaft mit unterschiedlichen Arbeitgebern auf gegensätzliche Maßnahmen zur Rettung von Arbeitsplätzen durch Kostensenkung. In einem Fall wurde vereinbart, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich zu erhöhen, im anderen Fall eine Verkürzung beschlossen. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes ermittelte 2006, dass sich ein Drittel der deutschen Firmen nicht mehr an die vertraglich vereinbarten Vorgaben hält, während Betriebsräte und Management mit Zustimmung der örtlichen Gewerkschaftsfunktionäre vielfältige flexible Modelle sowohl für Sanierungsfälle als auch für Zukunftsinvestitionen als Bündnisse für Arbeit entwickelten. Gäbe es keinen existierenden Tarifvertrag, wären die örtlichen Gewerkschaftsvertreter kaum in der Lage, ihre Forderungen zu stellen, denn der Tarifvertrag gilt so lange, bis eine Einigung zustande kommt. Die Betriebsräte profitieren zudem vom Wissen der Gewerkschaften, die sich professionell mit dem Interessenausgleich von Arbeit und Kapital zugunsten einer langfristigen Existenzsicherung des Unternehmens beschäftigen.

Würden Flächentarifverträge allein zugunsten betrieblicher Bündnisse ersetzt, wären folgende Szenarien denkbar: Die Konflikte könnten sich auf die betriebliche Ebene verlagern, womit die bislang geltende Erfordernis zur friedlichen Zusammenarbeit problematisch würde. Um den Arbeitnehmern überhaupt die Möglichkeit zu qualifizierten Verhandlungen zu geben, müssten die Unternehmensleitungen sie in höherem Maße über ihre wirtschaftliche Situation informieren, gleichermaßen müssten die Arbeitnehmervertreter in der Lage sein, diese zu beurteilen und Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Dies könnte zur Folge haben, dass sie sich zum Schutz und zur Hilfe in höherem Maße als bisher gewerkschaftlich organisieren.

Da viele Betriebe heute gar nicht mehr an Tarifverträge gebunden sind, fordern viele Arbeitnehmervertreter eine gesetzliche Festlegung vor allem für ein existenzsicherndes Mindesteinkommen. Das Dilemma ergibt sich bei der Entscheidung darüber, wie hoch die Mindestlöhne sein sollen: Sind sie zu niedrig, ist der Arbeitsanreiz gering. Sie können dann kaum zur Armutsbekämpfung beitragen. Sind sie zu hoch, wirken sie sich negativ auf die Einstellung neuer Beschäftigter aus. Befürchtet wird aber auch, dass es durch Mindestlöhne zu einer flächendeckenden Senkung der Löhne in Richtung des Mindestniveaus kommt. Eine andere Möglichkeit, die den Marktmechanismus nicht beeinträchtigt, wäre die Befreiung der Arbeitgeber im Niedriglohnbereich von den Sozialabgaben oder die Subventionierung durch Lohnzuschüsse. Dabei ist aber zum einen die Gefahr von Mitnahmeeffekten gegeben, zum anderen stellt sich die Frage der Finanzierbarkeit. Ein anderes Modell sieht die direkte Unterstützung der Geringverdiener über Steuermittel vor, so dass ihr Verdienst das Sozialhilfeniveau übersteigt.

QuellentextPro und Contra Mindestlohn

Unter Mindestlohn versteht man eine gesetzlich festgelegte Mindestbezahlung von Arbeitnehmern, die von Unternehmen nicht unterschritten werden darf. Der Staat gibt einen solchen Mindestlohn vor, um Beschäftigten ihr Existenzminimum zu sichern. In Europa sind derzeit in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Spanien, Portugal, Griechenland, Großbritannien und Irland Mindestlöhne per Gesetz fixiert. Die Höhe dieser Mindestlöhne ist in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich, in der Regel richten sie sich nach den dortigen Lebenshaltungskosten.
In Deutschland gibt es durch das so genannte Arbeitnehmer-Entsendegesetz eine dem Mindestlohn vergleichbare Regelung, die allerdings nur für die Bauindustrie und seit kurzem auch für Gebäudereiniger gilt: In dem Gesetz sind nicht nur Mindestlöhne festgeschrieben, sondern es garantiert zudem, dass diese auch für ausländische Arbeiter gelten. Damit soll verhindert werden, dass die Unternehmen Billig-Arbeiter aus Osteuropa einstellen (Lohndumping).
Ein genereller Mindestlohn wird hierzulande zwar immer wieder diskutiert; allerdings ist es quer über die Parteigrenzen hinweg umstritten, ob dies ein Mittel sein könnte, um Lohndumping tatsächlich zu verhindern. Hintergrund ist vor allem die Tarifautonomie, die in Deutschland gesetzlich garantiert ist: Über Löhne und Gehälter, Arbeitszeiten und weitere Arbeitsbedingungen entscheiden Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften weitgehend allein. Sowohl für Unternehmer als auch Arbeitnehmer ist die Mitgliedschaft in einem solchen Verband freiwillig. Ausgehandelte Tarifverträge gelten daher zunächst für Gewerkschaftsmitglieder und für die Unternehmen des beteiligten Arbeitgeberverbandes. Viele Arbeitgeber wenden jedoch diese Vereinbarungen freiwillig für ihre Beschäftigten an, auch wenn sie selbst nicht organisiert sind. Unter bestimmten Voraussetzungen und auf Antrag kann der zuständige Bundesminister einen Tarifvertrag allerdings auch für allgemein verbindlich erklären, sodass dieser in jedem Fall für alle Arbeitnehmer der betroffenen Branche gilt.
Auch das Gewerkschaftslager ist in Sachen Mindestlohn gespalten: Einige Gewerkschaften fordern seit Jahren den gesetzlichen Mindestlohn - dies vor allem, da es in Branchen wie dem Einzelhandel und der Gastronomie in vielen Betrieben gar keine allgemein verbindlichen Tarifverträge mehr gibt. Andere Gewerkschaften dagegen, die für ihre Mitglieder bislang innerhalb der Tarifverträge einiges erstreiten konnten, wenden sich gegen gesetzliche Mindestlöhne und bewerten dies als gefährlichen Eingriff in die Tarifautonomie. Die Argumente, die vor allem aus der Wirtschaft vorgebracht werden, sind eher beschäftigungspolitischer Natur: Ein Mindestlohn etwa in Höhe von 7,50 Euro fördere die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland und auch die Schwarzarbeit. Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns verweisen außerdem darauf, dass es mit dem Arbeitslosengeld II in Deutschland bereits einen faktischen Mindestlohn gibt. Studien von Wirtschaftsforschungsinstituten jedoch fanden heraus, dass für bestimmte Tätigkeiten in Deutschland Löhne unterhalb dieser staatlichen Unterstützung gezahlt werden.
In der Politik werden daher derzeit zwischen den großen Parteien SPD und CDU/CSU mehrere vorstellbare Kompromisse diskutiert: Im Gegenzug zu einer möglichen gesetzlichen Festlegung eines Mindestlohns wird vorgeschlagen, den Kündigungsschutz zu lockern - eine Lösung, die bei den Sozialdemokraten bislang kaum auf Zustimmung stößt. Einige Politiker sprechen sich dafür aus, so genannte Kombilohn-Modelle einzuführen: Mit staatlichen Zuschüssen sollen diejenigen, die aufgrund mangelnder Ausbildung nur geringe Löhne erzielen können (und für die es sich daher nicht lohnt zu arbeiten), motiviert werden, auch eine gering entlohnte Arbeit aufzunehmen. Eine Lösung, die ebenfalls nicht unumstritten ist, da sie in einigen Regionen bereits gescheitert ist. Die derzeit wahrscheinlichste Möglichkeit dürfte darin bestehen, weitere branchenspezifische Mindestlöhne festzulegen - und damit die mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz eingeschlagene Richtung fortzuführen.

Constanze Hacke

Dr. phil., Jahrgang 1959, vertritt gegenwärtig die Professur für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld. Sie war von 1989 bis 2006 tätig im Bereich Wirtschaftswissenschaft und Didaktik der Wirtschaftslehre an der Universität Siegen.Dort leitete sie ein Projekt zur Förderung der unternehmerischen Selbstständigkeit in der Lehrerausbildung (2000 - 2002) als Geschäftsführerin im Zentrum für Lehrerbildung. Als stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung hat sie die Entwicklung von Bildungsstandards für die ökonomische Bildung mit vorangetrieben. Ihre fachlichen Schwerpunkte sind neben grundsätzlichen Fragen der Didaktik der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften vor allem Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit, Umweltökonomie sowie Fragen des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft.

Kontakt:birgit.weber@uni-bielefeld.de ;birgit.weber@uni-siegen.de