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Schöne neue Arbeitswelt? - die Zukunft der Arbeit

Birgit Weber

/ 9 Minuten zu lesen

China als Zukunftsmarkt der Arbeit? Chinesinnen arbeiten am Fließband in einer Fabrik. (© picture-alliance/AP)

Einleitung

Die Arbeitswelt verändert sich heute mit beschleunigtem Tempo vor allem durch den Einsatz neuer Technologien und die Globalisierung. Dieser Wandel birgt erhebliche Unsicherheiten. Von den Erwerbstätigen fordert er lebenslanges Lernen, da ihre Qualifikationen und Erfahrungen schnell veralten und wertlos werden können. Er erschwert aber auch die Wahl des Berufes, da Berufseinsteiger sich bei der Ausbildung letztlich immer nur für einen Erstberuf entscheiden können. Es kommt zu vielfältigen Brüchen in den Erwerbsbiographien. Phasen abhängiger Beschäftigung können durch Phasen selbstständiger Beschäftigung oder auch durch Arbeitslosigkeit abgelöst werden.

Der Wandel der Arbeitswelt ist allerdings nicht allein ein Merkmal moderner Gesellschaften, wie folgendes Zitat nahe legt. "Unsere Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen, wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen", so Johann Wolfgang von Goethe 1808 in den "Wahlverwandtschaften". Dennoch stellt sich die Frage, ob in Zukunft genug bezahlbare Arbeit für alle da ist.

Merkmale des Strukturwandels

Karikatur: Produktionshalle

Die Sorge, um ein ausreichendes Arbeitsplatzangebot, hat vielerlei Ursachen:

  • Immer weniger Arbeitszeit wird benötigt, um die gleiche Menge Güter herzustellen. So erwirtschafteten in Deutschland 1991 neun Millionen Industriebeschäftigte einen Umsatz von circa 225 Millionen DM, fünf Jahre später trugen zwei Drittel (6,6 Millionen) der Beschäftigten zum anderthalbfachen Umsatz (320 Millionen DM) bei.

  • Eine Beschäftigung schaffende Ausweitung des Produktionsvolumens über die derzeitige Produktivitätssteigerung hinaus erscheint vielen kaum vorstellbar, da sie sich das Leistungspotenzial neuer innovativer Schlüsseltechnologien kaum vorstellen können und angesichts der guten Ausstattung mit langlebigen Gebrauchsgütern auch gewisse Sättigungseffekte angenommen werden.

  • Die vergleichsweise geringen Arbeitskosten der internationalen Wettbewerber sowie die technologischen Entwicklungen und Bildungsanstrengungen auch in den Schwellenländern erwecken die Sorge, dass die Industrieländer auch bei der Fertigung qualitativ hochwertiger Güter, ihrer bisherigen Stärke, an Boden verlieren.

Wirtschaftsstruktur im Wandel

Solche Befürchtungen sind in der Regel dadurch bedingt, dass gegenwärtige Entwicklungen in die Zukunft fortgeschrieben werden. Dabei wirdübersehen, dass auch in der Vergangenheit die wirtschaftliche Entwicklung immer wieder erheblichen Veränderungen unterlag. Knappe Ressourcen und sich wandelnde Bedürfnisse, neue Produkte und veränderte Produktionsprozesse bedingen einen Strukturwandel, der neue Qualifikationen der Arbeitskräfte erfordert, aber auch neue Arbeitsformen und Beschäftigungsverhältnisse mit sich bringt. Der Strukturwandel wird mit der Drei-Sektoren-Hypothese charakterisiert. Danach hat der sekundäre, industrielle Wirtschaftssektor in Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts den primären, vor allem landwirtschaftlichen Wirtschaftssektor zurückgedrängt, während der industrielle Sektor selbst zugunsten des tertiären Sektors, des Dienstleistungssektors, schrumpfte. Während 1882 noch jeder zweite Erwerbstätige in der Landwirtschaft arbeitete, giltdas heute nur für jeden 40. Erwerbstätigen bzw. weniger als eine Million Menschen. Waren noch vor circa 35 Jahren fast die Hälfte der Beschäftigten im industriellen Sektor tätig, sind es heute nur noch knapp ein Drittel.

Für diese Entwicklung wurde zum einen die Arbeitsproduktivität verantwortlich gemacht, die im Agrar- und Industriesektor rascher stieg als im Dienstleistungsbereich. Von Bedeutung war aber auch die Veränderung der Nachfrage bei steigendem Einkommen, die bei Nahrungsmitteln kaum noch, bei langlebigen Konsumgütern begrenzt, aber bei Dienstleistungen stark zunimmt.

Neben diesen beobachtbaren Entwicklungen wirken sich besonders die internationale Arbeitsteilung und die Fortschritte der Technik auf die Wirtschaftsstrukturen aus. Beide werden häufig einseitig als Ursache von Arbeitslosigkeit gebrandmarkt, wobei ihre Ambivalenz verkannt wird. Die internationale Öffnung der Märkte und der Abbau von Zollschranken, die geringeren Kosten für Information, Kommunikation und Transport haben die Wirtschaft beschleunigt und den Wettbewerb verschärft. Die internationale Arbeitsteilung hat das Wirtschaftswachstum gesteigert, die Konsumenten profitieren von einer Ausweitung des Güterangebots zu günstigeren Preisen. So erfordert die traditionelle ökonomische Theorie, dass sich die Länder auf solche Produktionen spezialisieren sollen, bei denen sie die größten "komparativen" Vorteile haben, um für alle Wohlstandsgewinne zu erzielen. Bei hohen Arbeitskosten im eigenen Land liegt es nahe, arbeitsintensive Produktionen in Länder mit günstigeren Arbeitskosten zu verlagern. Auf diese Weise wird allerdings die einheimische Beschäftigung in weniger produktiven Bereichen beeinträchtigt und gering qualifizierte Arbeit verdrängt. Gleichzeitig wird aber auch die Benachteiligung der Entwicklungsländer als vorwiegende Anbieter gering qualifizierter Arbeit gegenüber den Industrieländern zementiert.

In jüngster Zeit gelingt es aber einer Reihe von Schwellenländern, wie Indien, China, den asiatischen Tigerstaaten und Ländern Lateinamerikas, den Status des Billiglohnlandes abzustreifen. Hier entsteht auch auf dem Sektor qualitativ hochwertiger Arbeit eine neue Konkurrenz für die hoch entwickelten Industrieländer.

Technologische Entwicklungen

Technische Entwicklungen

Auch der technische Fortschritt wird für den Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich gemacht. Produktinnovationen verdrängen herkömmliche Produkte, Prozessinnovationen steigern die Arbeitsproduktivität und Maschinen machen Arbeitskräfte überflüssig. Soweit nicht gleichzeitig eine Ausweitung des Produktionsvolumens stattfindet, kommt es in den betroffenen Industrien entweder zur Verkürzung der Arbeitszeit oder zur Entlassung von Arbeitskräften. Genauso gut wäre es aber auch denkbar, dass durch die Kostensenkung für das günstiger hergestellte Produkt der Absatz und in der Folge auch die Produktionsmenge ggf. sogar die Beschäftigung ausgeweitet wird. Auch die neuen Technologien selbst müssen hergestellt werden. Insofern ist der technische Fortschritt ebenso ambivalent wie die internationale Arbeitsteilung. Beide bergen sowohl Möglichkeiten der Wohlstandssteigerung als auch negative Auswirkungen für betroffene Branchen. Eine Dämpfung des technischen Fortschritts oder eine Minderung der internationalen Arbeitsteilung würde sich aber nicht positiv auf die Beschäftigung auswirken, sondern wäre durch die Auswirkungen auf die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit eher negativ.

Entwicklung der Erwerbstätigkeit nach Tätigkeitsniveau

Die Entwicklung trifft vor allem die gering qualifizierten Arbeitskräfte. So betrug 2003 der Anteil der Arbeitslosen ohne abgeschlossene Berufsausbildung 34 Prozent, während Fachhochschul- oder Hochschulabsolventen nur 6,1 Prozent der Arbeitslosen stellten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erwartet, dass im Jahre 2010 40 Prozent der Erwerbstätigen hochqualifizierte Tätigkeiten sowie Fachtätigkeiten mit Führungsaufgaben ausüben gegenüber nur 33 Prozent im Jahre 1991, aber nur noch circa 16 Prozent Hilfstätigkeiten gegenüber 20 Prozent 1991.

Wandel der Arbeitsformen

Vom Schmuddelkind zum Erfolgsmodell

In den ersten Jahrzehnten der jungen Bundesrepublik Deutschland galt es - vor allem für den männlichen Teil der Bevölkerung - als normal, dass der klassische Arbeitnehmer in einem unbefristeten, auf Dauer angelegten Arbeitsverhältnis Vollzeit arbeitete. Diese abhängige Erwerbsarbeit war in der Regel die einzige Versorgungs- und Einkommensquelle, ihre Fortdauer verband sich mit einer kontinuierlichen Verbesserung des sozialen Status und der sozialen Sicherung. Mit der beginnenden Massenarbeitslosigkeit in den 1980er Jahren begann dieses (männliche) Normalarbeitsverhältnis zu "erodieren". Seitdem nehmen Beschäftigungsverhältnisse zu, die weder ein existenzsicherndes Einkommen noch stabile Zukunftsaussichten oder eine adäquate soziale Absicherung bieten. Das Normalarbeitsverhältnis ist aber derzeit immer noch vorherrschend. 2000 waren circa 60 Prozent der Berufstätigen vollzeit- und unbefristet beschäftigt, für immerhin 40 Prozent galten jedoch andere Arbeitsformen wie etwa Selbstständigkeit, befristete Beschäftigung, geringfügige Beschäftigung, Teilzeitarbeit oder Leiharbeit.

QuellentextLeiharbeit

[...] Zeitarbeit - die Kritiker sprechen lieber von Leiharbeit - boomt in Deutschland. Die Anbieter heißen zum Beispiel Manpower, Randstad oder Adecco und sind seit einigen Jahren die größten Arbeitsplatzbeschaffer der Republik. 1996 waren erst 149 000 Menschen in der Branche beschäftigt, bis Ende 2005 hat sich die Zahl auf 465 000 mehr als verdreifacht. Mitte dieses Jahres ist die halbe Million bereits überschritten worden, und Ende 2006 dürften sich nach Schätzungen des Bundesverbands Zeitarbeit (BZA) dann 550 000 Beschäftigte bei den 4500 deutschen Zeitarbeitsunternehmen für Einsätze in immer wieder wechselnden Unternehmen verdingen. [...]
Der Einsatz von Zeitarbeitskräften hilft Unternehmen, Auftragsspitzen abzufedern oder Projekte abzuwickeln, soweit die eigenen Arbeitskapazitäten nicht ausreichen. Dennoch nutzen gerade einmal drei Prozent der 3,2 Millionen Unternehmen in Deutschland dieses Instrument, vor allem Produktionsbetriebe, so die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Trotz ihres beispiellosen Aufschwungs ist die Zeitarbeitsbranche in Deutschland aber immer noch vergleichsweise unterentwickelt. Zur Zeit sind es gerade einmal 1,4 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die bei einer Zeitarbeitsfirma ihren Lebensunterhalt verdienen. [...]
So langsam beginnt die Zeitarbeit in Deutschland ihr traditionelles Schmuddelimage abzustreifen. Bis 1957 war Zeitarbeit hier sogar verboten, danach galt sie jahrzehntelang bei Gewerkschaften als so verabscheuungswürdig, dass sie einen weiten Bogen um diesen Verleih von Arbeitskräften machten. Aber die Zeiten, da Zeitarbeit gleich gesetzt wurde mit Billigarbeit zu schlechten Bedingungen, neigen sich dem Ende zu. Der Boom der Branche ist vor allem auf die Hartz-Reformen vor drei Jahren zurückzuführen. Vor 2004 hemmten eine Reihe von Verboten die Entwicklung der Zeitarbeitsfirmen. Das Befristungsverbot etwa schrieb vor, dass Zeitarbeiter grundsätzlich unbefristet bei der Zeitarbeitsfirma eingestellt werden mussten. Das Wiedereinstellungsverbot untersagte, dass die Zeitarbeitsfirma den Arbeitnehmer drei Monate nach der Kündigung erneut einstellt. Und das Synchronisationsverbot forderte, dass ein Arbeitnehmer bei der Zeitarbeitsfirma länger angestellt sein musste als beim Unternehmen, an daser ausgeliehen wurde. Diese Verbote sind seit 2004 gefallen. Außerdem handelten der BZA und der Interessenverband Zeitarbeit mit dem DGB einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag aus, der einen Einstiegslohn von 7,20 Euro vorschreibt. Damit wollten die Tarifparteien dem weit verbreiteten Vorwurf, Zeitarbeit sei Lohndumping, die Spitze nehmen. [...]
Ein Drittel der Leiharbeiter sind Ungelernte, die Hälfte der Vermittelten war vor ihrer Anstellung bei der Zeitarbeitsfirma bis zu einem Jahr lang arbeitslos. Allerdings steigt auch im Gewerbe der Arbeitskräfteverleiher der Trend zur Höherqualifizierung. Nach BZA-Angaben lag der Anteil der Zeitarbeitnehmer mit Berufsausbildung 2005 bei 66 Prozent, immerhin elf Prozentpunkte mehr als ein Jahr zuvor. Zunehmend übertragen Unternehmen auch hochspezialisierte Aufgaben wie Finanzbuchhaltung oder Ingenieurleistungen an Zeitarbeiter. [...]

Dagmar Deckstein, "Das deutsche Jobwunder", in: Süddeutsche Zeitung vom 16./17. Dezember 2006

Nach den Daten der Bundesagentur für Arbeit waren im Juni 2006 von circa 39 Millionen Erwerbstätigen 26,35 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Davon arbeiteten 21,8 Millionen Vollzeit und 4,5 Millionen Teilzeit, 85 Prozent davon waren Frauen. 6,75 Millionen Menschen galten als geringfügig beschäftigt, 4,85 Millionen waren das ausschließlich. 4,39 Millionen Menschen waren selbstständig beschäftigt.

Mit einem insgesamt steigenden Bildungsniveau wuchsen auch die Ansprüche der Beschäftigten nach Entfaltung und Selbstbestimmung. Der zulasten des industriellen Sektors expandierende Dienstleistungssektor hat die Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse auch unabhängig von festgelegten Zeiten und Orten freier zu gestalten. Diese Entwicklung wurde durch die Informations- und Kommunikationstechnologien begünstigt, die erstmals Formen der Telearbeit ermöglichten.

Das neue "Normalarbeitsverhältnis" prognostiziert der Arbeitsmarkt- und Berufsforscher Gerhard Kleinhenz wie folgt: Bei sinkender Normalarbeitszeit kann die Jahres- und Lebensarbeitszeit flexibler verteilt werden, wobei die künftige Berufstätigkeit keine dauernde Anwesenheit im Unternehmen mehr erfordert. Beschäftigungsverhältnisse sind häufiger befristet - vor allem bei Eintritt in die Erwerbstätigkeit. Die Erwerbsarbeit wandelt sich von abhängiger Tätigkeit zunehmend zu selbstständiger Tätigkeit mit höherer Selbstverantwortlichkeit im oder außerhalb des Unternehmens.

Eine Zunahme selbstständiger Tätigkeit unabhängig von einem vorbestimmtem Raum oder einer festgelegten Zeit wird auch durch die mit der Informatisierung bedingten sinkenden Arbeitsplatzkosten möglich. Die vergleichsweise geringen Entwicklungs- und Investitionskosten im Dienstleistungsbereich begünstigen ebenfalls die Selbstständigkeit, die noch dadurch forciert wird, dass der Staat angesichts leerer Kassen Dienste privatisiert und der Bedarf an Dienstleistungen bezogen auf Beratung, Bildung und haushaltsnahe Regeneration, zum Beispiel private Pflege, wächst. Vor allem im Arbeitsmarktsegment der höher qualifiziert Beschäftigten mag ein höheres Interesse an Selbstverwirklichung das Interesse an Selbstständigkeit steigern, während der zurückgehende Bedarf an gering qualifizierten Arbeitskräften jene möglicherweise aus einer "Ökonomie der Not" in die Selbstständigkeit der Ich-AGs führt.

Zukunftsmodelle

Die Soziologen Günter Voß und Hans Pongratz (1998) gehen davon aus, dass der verberuflichte Arbeitnehmer abgelöst wird durch den Typus des Arbeitskraftunternehmers. Dieser verkaufe nicht mehr sein latentes Arbeitsvermögen, sondern wird Auftragnehmer für Arbeitsleistungen. Damit trägt der Arbeitskraftunternehmer alle Risiken, muss sich sowohl selbst organisieren, kontrollieren und sein eigenes Arbeitsvermögen immer wieder neu herstellen. Seine tägliche Lebensführung muss er verbetrieblichen und alle individuell verwertbaren Potenziale nutzen, wie etwa das Geldvermögen, die sozialen Netze, die eigene Alltagstechnik, den Wohnraum sowie auch die Arbeitsleistung weiterer Personen.

Gifford Pinchot sieht die Zukunft eher im Intrapreneur, dem unternehmerisch handelnden Mitarbeiter im Unternehmen, als im Entrepreneur, dem Gründer eines neuen Unternehmens. Durch die Nutzung des Innovationspotenzials der Mitarbeiter im Unternehmen soll vor allem die Wettbewerbsfähigkeit in Großunternehmen verbessert werden. Solche Intrapreneure seien "Träumer, die handeln". Sie sollen als Schöpfer und Erfinder gewinnbringender Ideen die Verantwortung für die Umsetzung der Innovation übernehmen. Solche Überlegungen sind nicht nur "Träumereien" oder Zukunftsvisionen. In die Führungsgrundsätze vieler Unternehmen haben Forderungen nach dem Arbeitnehmer als Mitunternehmer Eingang gefunden.

Wenn allerdings selbst zunehmende Innovationen und eine Ausweitung der Selbstständigkeit, verbesserte Wachstumsbedingungen und eine Ausweitung des Produktionsvolumens den Produktivitätsanstieg nicht kompensieren und nicht zu mehr Beschäftigung führen, wäre eine Verringerung des Arbeitsangebots bzw. eine neue Verteilung der Arbeit eine denkbare Alternative. In ihrem Bericht an den Club of Rome mit dem Titel "Wie wir arbeiten werden" gehen Orio Giarini und Patrick Liedtke davon aus, dass die produktive Tätigkeit, die den Menschen ausmacht, weit über die Erwerbsarbeit hinausgeht. Würde dies allgemein anerkannt, wäre aus ihrer Sicht die Minderung des bezahlten Arbeitsvolumens nicht tragisch, da sich die Selbst- und Fremdachtung des Wertes eines Menschen nach der Nützlichkeit für die Gesellschaft richten würde. Sie schlagen ein Mehrschichten-Modell der Arbeit vor, in dem ein monetarisierter Bereich die klassische Erwerbsarbeit umfasst. Daneben tritt ein Bereich, in dem Tauschwerte wie wohltätige, haushälterische und pflegerische Arbeiten erzeugt werden, die mit der herkömmlichen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht erfasst werden. Dazu kommt ein nichtmonetarisierter Bereich mit Tätigkeiten, die vorrangig der Eigenproduktion und dem Eigenkonsum dienen, wie zum Beispiel Selbststudium, Selbstbehandlung bei Krankheiten und selbst durchgeführte Reparaturen. Wenn die Erwerbsarbeit nicht mehr überbetont werde, könne das Stellenangebot in diesem Arbeitsbereich sinken und die notwendige Arbeit nach individuellen Bedürfnissen flexibilisiert und einer größeren Vielfalt von Lebensstilen angepasst werden. Bildung während aller Lebensphasen gilt allerdings als unabdingbares Muss.

Die Vorstellungen der bayerisch-sächsischen Kommission für Zukunftsfragen sind ähnlich. Auch sie gehen davon aus, dass durch die Förderung von Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung und die Senkung der Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit mehr Menschen Arbeit finden, wenn die Ausweitung der Beschäftigung freiwillig und kostenneutral erfolgt. Sie wollen durch gemeinwohlorientierte Bürgerarbeit die Erwerbsarbeit ergänzen. Diese solle nach Ansicht der Kommission allerdings nur dann durch ein Bürgergeld entlohnt werden, wenn sie zur Absicherung der Existenz erforderlich ist.

Weiterbildung im Betrieb

Der Philosoph Frithjof Bergmann möchte ebenfalls die Arbeit in drei Einheiten teilen. An zwei Tagen in der Woche soll regulär gearbeitet werden, an den beiden folgenden Tagen widmen sich die Menschen der Selbstversorgung auf hohem, technischem Niveau und an den beiden weiteren Tagen tun sie das, was sie immer schon wollten. Bergmann hofft, dass auf diese Weise dreimal so viele Menschen reguläre Arbeit erhalten. Durch die Einbeziehung der High-Tech-Selbstversorgung werde es möglich, mit wenig Arbeitseinsatz siebzig bis achtzig Prozent der Dinge herzustellen, die man zum Leben braucht, so dass auf diese Weise der Einkommensverlust kompensiert werden könne. Auf diese Weise soll das "Gold in den Köpfen" gehoben werden, da die Arbeit phantasievoller, kreativer, persönlicher und sinnvoller werden kann, selbst wenn Arbeitsplätze wegfallen.

Sicher ist nur dies: Die Gegenwart lässt sich nicht fortschreiben und die Zukunft ist unsicher. Sie ist aber auch offen und gestaltbar.

QuellentextWeiterbildung hilft den Job behalten

[...] Die Lebenserwartung steigt, die Bundesbürger bleiben länger gesund, sie könnten mehr Jahre arbeiten und trotzdem noch einen längeren Ruhestand genießen als ihre Eltern und Großeltern. Zudem wird die Tatkraft der Älteren dringend gebraucht. Ohne sie lässt sich die immer größer werdende Zahl der Rentner und ihr immer länger dauernder Lebensabend gar nicht finanzieren. Doch dort, wo sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse einbringen könnten, da will sie niemand haben: am Arbeitsplatz. Zwei von fünf Betrieben beschäftigen gar keinen Mitarbeiter mehr, der mehr als 50 Jahre auf dem Buckel hat. Jedes siebte Unternehmen hierzulande gibt in Umfragen offen zu, grundsätzlich keine Älteren einzustellen. Irgendwo liegt eine unsichtbare Grenze - bei 45, 50 oder 55 -, ab der man als zu alt gilt für volle Leistung. [...] Auf knapp drei Viertel aller Stellenausschreibungen gehen gar keine Bewerbungen von über 50-Jährigen mehr ein, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Untersuchung festgestellt. Dort jedoch, wo die Älteren ihren Hut in den Ring werfen, bekommen sie in der Hälfte aller Fälle den Job. Lutz Bellmann, einer der Verfasser der Studie, glaubt, dass es die Konzerne sind, die das negative öffentliche Bild prägen. Denn sie beschäftigen besonders wenig Ältere. Bei den vielen kleinen und mittleren Betrieben aber hätten sie deutlich bessere Chancen.
Es sind nicht allein die Lebensjahre, die entscheiden, wann jemand aus dem Arbeitsleben herausfällt. Viel wichtiger scheinen andere Faktoren: die Ausbildung, das Geschlecht, die Branche. Ältere Akademiker, berechnete das IAB im vergangenen Jahr, sind sogar die Gruppe mit der geringsten Arbeitslosenquote überhaupt: gerade mal 3,5 Prozent. Die höchste Arbeitslosenrate wiesen 35- bis 54-jährige Ungelernte auf - mit katastrophalen 26 Prozent. "Allein diese Fakten", folgern die IAB-Forscher, "widerlegen das Vorurteil, ältere Arbeitnehmer seien in toto Problemgruppen am Arbeitsmarkt."
Die Feststellung passt auch zu dem, was Experten über die Leistungsfähigkeit Älterer wissen. "Mehr als hundert Studien", so der britische Psychologe Peter Warr, "haben ergeben, dass es keine signifikanten Unterschiede in der Arbeitsleistung Älterer und Jüngerer gibt." Regelmäßig zeige sich, dass das Leistungsgefälle innerhalb einer Altersgruppe weit größer sei als zwischen den Generationen.
Die Ursachen des Jugendwahns sind politischer Natur. Jahrzehntelang hat der Staat mit viel Geld die Ausmusterung Älterer gefördert. [...] Die Kultur der Frühverrentung speiste sich aus dem Glauben, man müsse die Alten nur heimschicken, dann würden ihre Arbeitsplätze für Jüngere frei. Doch so einfach funktioniert es nicht. Länder, in denen sich besonders viele Ältere in Büros und Fabriken tummeln, glänzen oft auch im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Dänemark, Großbritannien, Norwegen oder Australien haben in den vergangenen zehn Jahren die Arbeitslosigkeit der Älteren und der Jugendlichen gesenkt. "In Deutschland wird häufig übersehen", warnt Jens Prager, Arbeitsmarktexperte bei der Bertelsmann Stiftung, "dass es Wachstum kostet, wenn man das Wissen und Können der Älteren vorzeitig stilllegt." Außerdem erhöhe eine Frühverrentungspolitik die Sozialausgaben, die dann wiederum auf den Arbeitsplätzen lasteten.
Immerhin: Ganz langsam wird auch hierzulande umgedacht. Die vorgezogene Rente gibt es heute nicht mehr ohne Abschläge, das Arbeitslosengeld für Ältere nur noch maximal 18 statt 32 Monate lang. Und tatsächlich sind inzwischen schon mehr 55- bis 64-Jährige erwerbstätig als früher: Rund 45 Prozent waren es im vergangenen Jahr, nur 38 Prozent im Jahr 2000. [...]
Wie sich die Chancen für Ältere verbessern lassen, zeigt Finnland. Dort war die Situation Mitte der neunziger Jahre noch schlimmer als in Deutschland. Nur jeder dritte Finne im Alter von 55 bis 64 Jahren war erwerbstätig. Doch innerhalb von zehn Jahren wendeten die Skandinavier das Blatt. Heute hat mehr als jeder Zweite dieser Altersgruppe einen Job. [...]
Das Erfolgsgeheimnis der Finnen beruht nicht auf einem radikalen Schritt, sondern auf geschickt kombinierten Maßnahmen. Einerseits bauten sie Brücken in den Ruhestand ab - sie erhöhten die Altersgrenze für die Arbeitslosenrente (die bald ganz abgeschafft wird), führten Abschläge für Frühverrentungen und Zuschläge für längere Berufstätigkeit ein. Andererseits wurde mit Dutzenden Projekten die Beschäftigungsfähigkeit Älterer verbessert - durch Weiterbildungs- und Qualifizierungsprogramme, durch die gesundheitsschonende Umgestaltung von Arbeitsplätzen. Und nicht zuletzt durch Kampagnen mit der Botschaft: Ältere sind leistungsfähig, auch eine alternde Gesellschaft kann hochproduktiv sein. Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeber zogen dabei an einem Strang. So gelang es, eine Kultur der Frühverrentung in eine Kultur des längeren Erwerbslebens umzuwandeln. [...]
Weiterbildung ist der Schlüssel zur längeren Erwerbstätigkeit schlechthin. Und zwar nicht erst durch Schulungen, wenn jemand arbeitslos geworden ist - Hilfe, die hier ansetzt, kommt oft zu spät und bewirkt wenig. Den größten Erfolg verspricht das fortlaufende Training der 40-Jährigen, die mitten im Beruf stehen. Die Verantwortung dafür, dass sie ihr Wissen frisch halten, liegt vor allem bei den Betrieben, bei den Tarifparteien - in der Chemieindustrie gibt es schon tarifliche Regeln zur Fortbildung - und bei den Beschäftigten selbst. [...]
Dennoch werden auch weiterhin Hilfen für Arbeitslose benötigt. Nur raten Experten dabei zu Regeln, die altersneutral sind. Denn sonst verstärken sie womöglich das Stigma der Leistungsschwäche und Gebrechlichkeit. [...]

Kolja Rudzio, "Bin ich zu alt?", in: Die Zeit vom 14. September 2006

Dr. phil., Jahrgang 1959, vertritt gegenwärtig die Professur für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld. Sie war von 1989 bis 2006 tätig im Bereich Wirtschaftswissenschaft und Didaktik der Wirtschaftslehre an der Universität Siegen.Dort leitete sie ein Projekt zur Förderung der unternehmerischen Selbstständigkeit in der Lehrerausbildung (2000 - 2002) als Geschäftsführerin im Zentrum für Lehrerbildung. Als stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung hat sie die Entwicklung von Bildungsstandards für die ökonomische Bildung mit vorangetrieben. Ihre fachlichen Schwerpunkte sind neben grundsätzlichen Fragen der Didaktik der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften vor allem Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit, Umweltökonomie sowie Fragen des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft.

Kontakt:birgit.weber@uni-bielefeld.de ;birgit.weber@uni-siegen.de