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Interview mit Marianne Haug | bpb.de

Interview mit Marianne Haug 11. Bensberger Gespräche 2013 - Energiepolitik am Scheideweg

Dank neuer Technologien wird die Importabhängigkeit der USA von Öl und Gas in den kommenden Jahren sinken, sagt Marianne Haug. Zugleich drohen neue Gefahren durch Cyber-Attacken auf die Netzinfrastruktur.

Inhalt

Schiefergas, Ölsande, Tiefseebohrungen: Verhelfen neue Förderungstechnologien den USA zu einer Autarkie in ihrer Energieversorgung?

Man kann davon ausgehen, dass die USA, auch in der Öl- und in der Gasversorgung, unabhängiger werden. Ob es wirklich zur Autarkie oder zur Energieunabhängigkeit kommt, ist eine ganz andere Frage. Erstens kommt es darauf an, wie man eigentlich Kanada- und Mexiko-Importe mit einbezieht. Zweitens kann man doch davon ausgehen, dass auch die USA in der Zukunft noch Öl-Importe haben werden. Aber der Prozentsatz wird erheblich geringer sein als in der Vergangenheit. Also keine Rückkehr mehr zu der vierzig- bis fünfzig-prozentigen Importabhängigkeit für Gas und Öl.

Wie bewerten die USA die Umweltrisiken der Schiefergasgewinnung (Fracking)?

Die USA haben das Fracking über fast dreißig Jahre mit Forschungs- und Entwicklungssubventionen gefördert; aber eben auch mit industriefreundlichen Regulierungen und der Aussetzung des Clean-Water-Acts. Außerdem hängen natürlich auch die Regulierungen von Ländern und Kommunen ab. Das bedeutet, es gab in den USA eine gewisse Regulatory Leniency [regulatorische Nachsichtigkeit] dem Fracking gegenüber. Das wird jetzt nachgeholt, man kann also davon ausgehen, dass sowohl die technischen Bergwerksmöglichkeiten besser ausgenutzt werden. Aber eben auch das Umweltvorschriften im Wasserbereich, im gesamten Förderungsbereich, stärker eingesetzt werden und damit die Umweltprobleme in den Griff zu bekommen sind. Also ich sehe das technisch möglich durch bessere Regulierung in der Zukunft.

Die Energiepreise in den USA sinken. Sinkt damit auch der Anreiz in Energieeffizienz zu investieren?

Nein, nicht unbedingt. Die letzte Obama-Regierung hat zum ersten Mal die sogenannten CAFE-Standards verbessert. Auch in den USA wird Energieeffizienz, wie in allen anderen IEA-Ländern, sehr wichtig werden. Ölpreise sind im Augenblick nicht besonders wettbewerbsfähig. Man hat also noch die Abhängigkeit von Öl im Mobilitätssektor. Aber dadurch, dass die Gaspreise ja doch erstaunlich gesunken sind, sieht man doch ein Umschwenken auch im Transportsektor auf Erdgas. Und, man sieht enorme Investitionen, vor allem in den USA in Biokraftstoffe der zweiten Generation, die mittelfristig auf die Ölnachfrage drücken werden.

Welche Gefahr geht von Cyber-Attacken auf die Netzinfrastruktur aus?

Durch die Digitalisierung der gesamten Stromversorgung, des Bankensektors, sind Internetvirusangriffe eigentlich eine Möglichkeit des Terrorismus und der Kriegsführung. Wir müssen dieses Problem ernst nehmen. Das bedeutet die Zukunft ist eben nicht nur Kriegsführung in dem alten Stil des ersten und zweiten Weltkriegs, es ist nicht nur Terrorismus, wie wir das jetzt in Algerien erfahren haben, oder Drohnenattacken, wo man am Küchentisch sitzen kann und entsprechende Drohnenattacken vornehmen kann, sondern eben auch Virusattacken im Internet. Das ist eine ganz neue Kriegsführungsart, und es ist besonders in diesem Bereich, wo wir in Europa auch mit unseren transatlantischen Partnern ganz stark zusammenarbeiten müssen, um diese Gefahr in die Hand zu bekommen. Ich sehe das eigentlich als eine der wichtigsten Prioritäten der transatlantischen Zusammenarbeit in den nächsten Jahren.

Wie hoch ist die Gefahr von Blackouts?

Der große Blackout vor ein paar Jahren in Italien kam, weil ein Baum auf eine Verbindungslinie in Schweden gefallen war. Sie haben also Blackouts aus ganz unterschiedlichen Gründen. Sie hatten jetzt in den USA bei dem Super Bowl 35 Minuten Blackout. In Deutschland haben wir im Durchschnitt weniger als 20 Minuten Blackout im Jahr – der niedrigste Bereich. Blackouts sind praktisch unakzeptabel hier. In den USA, in Bereichen wo sie Hurrikane habe, wo sie Wetterverhältnisse haben, dann kann auch mal – wie jetzt bei Hurrikan Sandy – in Manhattan fünf Tage keine Energie da sein. Das wäre unvorstellbar hier in Deutschland. Deshalb muss man wirklich unterscheiden bei einem Blackout: was sind die Gründe, und wie viel will man eigentlich an einem gewissen Standort in diese Stromsicherung investieren. Und diese Kurve geht natürlich exponentiell in die Höhe, und da muss man eben die Bevölkerung auch vorbereiten. Was kostet das? Macht das wirklich so viel aus, wenn wir am europäischen Durchschnitt liegen, nämlich bei drei bis vier Stunden? Brauchen wir wirklich zwanzig Minuten? Und das wird ja wahrscheinlich in der Zukunft kommen, wenn wir mehr variable Energien einspeisen. Also hier muss man eben auch durch Kommunikation die Erwartungshaltung an die internationale Norm anpassen. Das ist ein ganz anderes Problem des Blackouts, nämlich die Kosten von drei Stunden, anstatt nur zwanzig Minuten. Und zweitens, was sind die Fehlleistungen dann in der Industrie. Und deshalb: Blackout, was wirklich industrielle Probleme schafft, oder Blackout, weil man dann den iPod nicht laden kann, das sind die Unterschiede, die man wirtschaftlich erst einmal berechnen muss.

Marianne Haug ist Professorin für Energy Policy and Sustainable Development an der Universität Hohenheim, Stuttgart, und ehemalige Direktorin bei der Internationalen Energieagentur (IEA) und der Weltbank.

Mehr Informationen

  • Schnitt: Oleg Stepanov

  • Redaktion: Hendrik Hoffmann

  • Produktion: 05.02.2013

  • Spieldauer: 8 Min.

  • hrsg. von: Bundeszentrale für politische Bildung

  • Verfügbar bis: 31.12.2035

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