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Salafistische Online-Propaganda aus Sicht des Jugendschutzes Darstellungen von Gewalt, Leid und Opfern

Patrick Frankenberger

/ 13 Minuten zu lesen

Salafistische Gruppierungen nutzen Internetplattformen wie Facebook, YouTube und Twitter, um Bilder und Videos brutalster Szenen zu verbreiten. Die Propaganda verbreitet das Narrativ vom "Kampf des Westens gegen den Islam". Gräueldarstellungen sollen die eigene Opferrolle belegen und dazu dienen, neue Anhänger zu rekrutieren.

Salafistische Gruppierungen nutzen Internetplattformen wie Facebook, YouTube und Twitter, um Bilder und Videos brutalster Szenen zu verbreiten. (© picture-alliance, ZB)

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Einleitung

Schwer verwundete, leidende oder tote Menschen sind häufig Bestandteil salafistischer Internet-Propaganda. Bilder und Videos brutalster Szenen werden von salafistischen Gruppierungen im Social Web via YouTube, Facebook und Twitter eingesetzt, um bei Rezipienten starke Emotionen hervorzurufen. Die Darstellungen sind oft äußerst grausam und schockierend. Insbesondere auf junge Menschen können sie negativ wirken und zum Beispiel Ängste auslösen beziehungsweise eine emotionale Überbelastung erzeugen. Maßgeblich ist der Kontext, in den sie eingebettet sind: Indem die visuellen Eindrücke von extremistischen Narrativen flankiert werden, sollen die Zuschauer für die salafistische Ideologie empfänglich werden.

Welchen Einfluss dies haben kann, veranschaulicht ein Beispiel aus dem Jahr 2011. Ein damals 21 Jahre alter Kosovare tötete am Flughafen in Frankfurt am Main zwei amerikanische Soldaten. Vor Gericht gab er an, der Auslöser für seine Tat sei eine Szene in dem deutschsprachigen Online-Video einer Al-Qaida-nahen Gruppe gewesen. Darin wird die Vergewaltigung einer Frau durch amerikanische Soldaten gezeigt; die Szene wurde einem Spielfilm entnommen.

In dem dschihadistischen Propagandavideo wird die Szene mit dem Narrativ vom Kampf des Westens gegen den Islam und die Muslime im Allgemeinen verwoben. Die drastische Darstellung der Vergewaltigung wirkt authentisch. Sie dient als visueller Beweis für die Behauptung, der Westen vergewaltige systematisch Frauen, woraus sich eine Pflicht zum Handeln ergebe. Der wahrhaft Gläubige solle die Muslima rächen und amerikanische Soldaten töten, egal wo. Bei Arid Uka, dem Attentäter vom Frankfurter Flughafen, fiel die Botschaft auf fruchtbaren Boden, und er schritt zur Tat. Die Online-Radikalisierung Arid Ukas ohne weitergehende Kontakte zu anderen Salafisten ist eher untypisch. Jedoch gibt es mehrere Fälle, in denen das Internet eine entscheidende Rolle im Radikalisierungsprozess spielte. Fachleute wie Guido Steinberg von der SWP erwarten in Zukunft weitere solcher Fälle und bezeichnen das Phänomen als "führerlosen Dschihad". Der vorliegende Beitrag wirft ein Schlaglicht auf ein viel genutztes Propagandamittel der Salafisten: Gräueldarstellungen, die einen "Opfermythos" begründen sollen. Aus der Perspektive des Jugendschutzes stellt diese Form der Agitation im Internet ein großes Problem dar, da sie Radikalisierungsprozesse verstärken kann.

Islamismus, Salafismus - Begriffsbestimmung

Salafismus ist vom arabischen Begriff Salafiyya abgeleitet. Bei der Salafiyya-Bewegung handelt es sich um eine sunnitische Ausrichtung des Islams, die auf Ideen aus dem 9. Jahrhundert zurückgeht. Sie umfasst verschiedene Strömungen. Gemeinsam ist ihnen das Ziel, eine Gesellschaft zu errichten, die sich ganz nach dem göttlichen Willen richtet. Dabei beharren sie auf einer wörtlichen Auslegung des Korans und anderer grundlegender Texte des Islam. Zudem beanspruchen sie, das einzig wahre Verständnis des Islam zu besitzen. Der heutige Salafismus lässt sich grob in drei Strömungen unterteilen: eine puristische, eine politische und eine dschihadistische. Puristen geht es vor allem um ein gottgefälliges Leben in ursprünglicher Frömmigkeit, nicht um aktive politische Betätigung. Politische Salafisten verfolgen aktiv politische Ziele und fordern einen Staat, der ihrer Interpretation des Islam entspricht. Sie lehnen in der Regel Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele ab. Jedoch halten auch viele politische Salafisten unter bestimmten Bedingungen Gewalt für legitim, zum Beispiel in muslimischen Ländern, die von Nicht-Muslimen beherrscht werden. Für dschihadistische Salafisten steht der sogenannte "heilige Krieg" (arabisch: Dschihad) im Mittelpunkt ihres Denken und Handelns. Nicht alle Dschihadisten sind jedoch Salafisten. Alle salafistischen Strömungen können dem Islamismus zugerechnet werden. Dieser Begriff dient als "eine Sammelbezeichnung für alle politischen Auffassungen und Handlungen, die im Namen des Islam die Errichtung einer allein religiös legitimierten Gesellschafts- und Staatsordnung anstreben". Für diesen Beitrag sind nur der politische und dschihadistische Teil des Spektrums salafistischer Strömungen relevant. Beide nutzen für ihre Agitation Gräueldarstellungen. Gleichwohl sind sie nicht die einzigen extremistischen Gruppierungen, welche die hier besprochene Propaganda-Methode anwenden.

Darstellungen von Gewalt und deren Folgen im Sinne des "Opfer"-Narrativs

In den meisten Fällen von Gräueldarstellungen, die jugendschutz.net in den vergangenen Jahren im islamistischen Kontext dokumentierte, fanden die Gewalthandlungen in Konfliktgebieten wie Syrien oder dem Irak statt. Zum Einsatz kommt die komplette Bandbreite medialer Elemente: Bilder und Screenshots, kurze Videosequenzen bis hin zu aufwändig produzierten Filmen mit Schnitt, Special Effects und eigener Dramaturgie.

Für eine genauere Betrachtung der Effekte, welche die Verbreitung der Darstellungen im Internet hat, muss zunächst zwischen folgenden Kategorien unterschieden werden: Zum einen Gewalt, die salafistische Gruppierungen selbst gegen Feinde richten, zum anderen Gewalt, die von äußeren Feinden gegen Mitglieder der eigenen Gruppe ausgeübt wird. Als zugehörig zur eigenen Gruppe vereinnahmen Salafisten alle sunnitischen Muslime.

Darstellungen von Gewalt gegen Feinde werden zum Beispiel in großer Zahl von der terroristischen Organisation "Islamischer Staat" (IS) veröffentlicht. In Bildern und Videos inszeniert und verherrlicht der IS die Gewalt der eigenen Gruppe gegen ihre Feinde, zum Beispiel Exekutionen von gegnerischen Soldaten, Spionen, "Verrätern", mutmaßlichen Fahnenflüchtigen oder Journalisten. Das Ziel ist unter anderem, einzuschüchtern, zu demoralisieren und abzuschrecken. Diese Kategorie sei der Vollständigkeit halber erwähnt, ist jedoch nicht Gegenstand dieses Artikels.

Im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags steht die zweite Kategorie: Darstellungen von Gewalt gegen Mitglieder der eigenen Gruppe. Diese Form der Gewalt wird von außen ausgeübt. Solche Gewaltdarstellungen sind vor allem ein häufig verwendetes Mittel, mit dem salafistische Gruppen versuchen, neue Anhänger zu rekrutieren. Alle sunnitischen Muslime werden in dieser Art der Propaganda von den Salafisten vereinnahmt. Sie behaupten, im Namen der Sunniten zu sprechen und zu handeln.

In dieser Form der Gewaltpropaganda wird das Narrativ einer "Opferrolle" bedient. Die eigene Gruppe, im vorliegenden Fall Salafisten, grenzt sich so gegenüber einer als feindlich definierten Umwelt ab, die es nicht nur in Konfliktregionen gebe, sondern auch in westlichen Gesellschaften. Dabei handelt es sich sowohl um Bilder und Videos der Gewalthandlungen selbst als auch um Darstellungen, welche die Folgen von Gewalt detailliert zeigen. Zu sehen sind unter anderem schwerste Verletzungen, Leichen, häufig auch Kinder. Es ist zu vermuten, dass Gräueldarstellungen im Sinne dieses "Opfermythos" als Faktor in Radikalisierungsprozessen stärker ins Gewicht fallen als bisher angenommen.

Wichtig ist, dass der Konsum solcher Medieninhalte niemals alleiniger Grund für die Radikalisierung von Individuen ist; hierfür müssen immer auch weitere Faktoren hinzukommen. Gewaltdarstellungen können jedoch eine Art Trigger- oder Katalysatorfunktion haben, die Radikalisierungsprozesse auslösen oder verstärken kann.

Salafisten schüren "Opfermythos" mittels Gräueldarstellungen

Um die Opferrolle der eigenen Gruppe zu etablieren und zu betonen, verbreiten Salafisten die Gräuelpropaganda immer mit einer Beschreibung, aus der eindeutig hervorgeht, wer Täter ist und wer Opfer. Dabei ist nicht wichtig, ob das Gezeigte tatsächlich dem behaupteten Kontext entspricht. Was zählt ist, dass die Rezipienten es für wahr und authentisch halten.

jugendschutz.net dokumentiert immer wieder Fälle, bei denen Gräueldarstellungen aus dem eigentlichen zeitlichen und örtlichen Kontext gerissen und in einen anderen eingebettet werden. Beispielsweise kursierten auf salafistischen Facebook-Profilen mehrere Bilder, die Berge von Leichen asiatischer Menschen zeigten, neben denen buddhistische Mönche stehen. Behauptet wurde, dass es sich bei den Toten um Angehörige einer muslimischen Minderheit in Burma handele, die massenweise von Buddhisten abgeschlachtet worden seien. In den Kommentaren unter diesen Facebook-Beiträgen äußerten sich viele User in volksverhetzender Weise über Buddhisten, auch Jugendliche waren beteiligt. Tatsächlich sind Opfer eines Erdbebens in Tibet abgebildet und die buddhistischen Mönche hatten geholfen, die Leichen zu bergen.

Bei politischen und dschihadistischen Salafisten ist das Narrativ vom weltweiten Kampf gegen den Islam und damit gegen alle Muslime von zentraler Bedeutung. Sie behaupten, es gebe eine Verschwörung und einen Krieg gegen die Gemeinschaft der Muslime, die mit dem arabischen Begriff "Umma" bezeichnet wird. Sie thematisieren in der Regel Krisen und Konflikte, an denen Muslime beteiligt sind. Brutale Darstellungen in Bildern und Videos von Tötungen, Folter, Vergewaltigung oder schweren Verwundungen sollen das Narrativ visuell belegen. Die Opfer seien einzig ausgewählt worden, weil sie Muslime sind.

Mit der Verbreitung solcher Inhalte wollen salafistische Propagandisten das Gefühl einer existentiell bedrohten Gemeinschaft erzeugen. Als Opfer schlimmster Gewalttaten müsse die Gemeinschaft gegen äußere Feinde zusammenstehen. Je stärker sich der Einzelne mit den Opfern identifiziert, desto stärker kann auch die emotionale Wirkung der grausamen Darstellungen sein. Salafisten nutzen diesen Effekt, um Rezipienten von ihren Vorstellungen von Freund und Feind, Gut und Böse zu überzeugen.

Grundstein für Legitimation von Hass und Gewalt gegen "Feinde"

Die Darstellung tatsächlicher oder vermeintlicher physischer Gewalt durch Menschen an Menschen erzeugt bei den Betrachtern regelmäßig Wut, wie sich in Online-Kommentaren unter derartigen Beiträgen ablesen lässt. Kanalisiert wird diese Wut durch Benennung einer vermeintlichen Tätergruppe. Vorurteile gegen alle Mitglieder dieser Gruppe, zum Beispiel Amerikaner, Juden, Schiiten oder "Ungläubige", werden hervorgerufen oder verstärkt.

Bei Individuen mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl kann so ein Verlangen nach Vergeltung erzeugt werden. Vor allem dschihadistische Salafisten rufen im Zusammenhang mit der Verbreitung der Gräueldarstellungen direkt oder indirekt zu Gewalt auf. Es sei legitim, gegen jede Person der mutmaßlichen Tätergruppe Gewalt anzuwenden, wird behauptet. Außerdem gelte es, die eigenen Glaubensgeschwister zu rächen oder zu beschützen.

Mit der kriegerischen Eskalation in Syrien 2011 verbreiteten sich auf salafistischen Facebook-Profilen zunehmend Gräueldarstellungen, in denen Soldaten des syrischen Regimes Menschen foltern und hinrichten. Gleichzeitig zirkulierten etliche Bilder zerfetzter Leichen von Kindern, die angeblich durch Bomben oder Granaten des syrischen Regimes getötet wurden. Die Täterschaft wurde nicht nur dem syrischen Präsidenten Assad und seinen Soldaten angelastet, sondern generell der alawitischen Minderheit in Syrien und den schiitischen Unterstützern des Regimes.

In Verbindung mit den Gräueldarstellungen appellierten Salafisten an einen vermuteten Beschützerinstinkt der Rezipienten. Man solle helfen, wo man könne. Das dschihadistische Spektrum propagierte zusätzlich einen "gerechten Krieg", um die Glaubensgeschwister vor Tod, Folter und Vergewaltigung des tyrannischen Regimes zu verteidigen. Die Dschihadisten machen den Rezipienten der Gräueldarstellungen das Angebot, sich einer "heiligen Sache" anzuschließen, die sinnstiftend ist. Die Mission kann orientierungslosen Jugendlichen eine Bedeutung im Leben geben und sie aufwerten.

Massenhafte Konfrontation durch salafistische Profile im Social Web

Vor allem Online-Plattformen wie Facebook oder Twitter eröffnen die Möglichkeit, mit geringen Kosten und geringem Aufwand Inhalte einem Massenpublikum zugänglich zu machen. Extremisten jeglicher Art nutzen die sozialen Medien, um ihre Propaganda möglichst weit zu verbreiten. jugendschutz.net dokumentierte in den vergangenen Jahren Hunderte salafistische Facebook-Profile mit teils enormer Reichweite – einige hatten über 100.000 Likes.

Die wichtigsten sind so genannte Fan-Seiten, die zu einer Organisation oder einer in der Öffentlichkeit bekannten Person gehören. Dazu kommen die Profile privater Personen, die als Knotenpunkte und Multiplikatoren fungieren. Um eine schnelle Identifikation mit den Angeboten zu ermöglichen, tragen viele salafistische Profile Begriffe wie "Islam" oder "Muslim" im Titel. Usern soll so eine Unterscheidung zu nicht-extremistischen islamischen Angeboten erschwert werden. Alles zusammen stellt sicher, dass Salafisten von der Zielgruppe auf Facebook leicht gefunden werden können.

Viele junge Muslime identifizieren sich mit ihrer Religion und zeigen das über ihre Facebook-Profile. Sie liken Angebote, die diesem Bedürfnis entsprechen. Neben Filmen, Musikern und Videospielen mögen sie zum Beispiel auch Facebook-Seiten mit Titeln wie "Die wahre Religion". Sie vernetzen sich virtuell mit Menschen, von denen sie vermuten, ähnlich zu denken und zu handeln wie sie selbst. Dadurch erhoffen sich Jugendliche Anerkennung und somit eine Stärkung der eigenen Identität.

Sobald Jugendliche ein Profil mit "gefällt mir" gekennzeichnet oder sich "befreundet" haben, können sie dessen Beiträge in ihrer Timeline verfolgen, in welcher der Strom der Nachrichten und Aktivitäten aus ihrem Facebook-Freundeskreis angezeigt wird. Erfahrungsgemäß kommt es bei aktuellen Ereignissen wie zum Beispiel einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Israel und der palästinensischen Hamas im Gazastreifen zu einem erhöhten Aufkommen an Gräueldarstellungen in den sozialen Netzwerken. Über salafistische Facebook-Profile werden dann Bilder toter und schwer verwundeter Kinder verbreitet – oftmals sind die Darstellungen aus einem gänzlich anderen Kontext gerissen.

Während Opfer oder unabhängige Berichterstatter mit solchen Bildern versuchen, die Gewalt zu dokumentieren und die Welt auf das Geschehen aufmerksam zu machen, werden die Darstellungen von salafistischen Gruppierungen für deren eigene Zwecke missbraucht.

Hat ein User mehrere salafistische Profile mit "gefällt mir" markiert, werden für die Dauer des Konflikts diese Bilder samt salafistischer Kommentierung in seinen Facebook-Nachrichtenstrom eingespielt. Es ist möglich, dass Jugendliche auf diese Weise in kurzer Zeit mit einer großen Menge schlimmster Darstellungen konfrontiert werden. Im Sinne salafistischer Propaganda werden die Ereignisse als Beweise für einen "Kampf gegen den Islam" gewertet und als Beispiele für "jüdische Gewalt" dargestellt. Dass sich daraus zum Beispiel eine Abneigung gegenüber Juden im Allgemeinen ergeben kann, ist nicht abwegig.

Ein 2014 bekannt gewordenes Experiment, das unter Mitwirkung des Unternehmens Facebook mit fast 700.000 Mitgliedern des sozialen Netzwerks durchgeführt wurde, gibt einen Hinweis auf die mögliche Wirkung. Die Ergebnisse zeigen, dass User, die vermehrt negative Inhalte in ihren Timelines zu sehen bekommen, auch selbst mehr Beiträge mit einer negativen Stimmung produzierten. Das lässt darauf schließen, dass durch die weite Verbreitung von Gräueldarstellungen die Stimmung von Facebook-Usern so beeinflusst werden könnte, dass sie für extremistisches Gedankengut empfänglicher werden.

In den vergangenen Jahren war der Syrien-Konflikt das dominierende Thema salafistischer Gräuelpropaganda. Ein solches Ausmaß – sowohl in Bezug auf die Menge als auch auf die Drastik der Darstellungen sowie die Dynamik, die diese über das Social Web entfalten – dürfte es bisher in keinem anderen Zusammenhang gegeben haben. Es ist davon auszugehen, dass niemals so viele öffentlich zugängliche visuelle "Zeugnisse" ein ähnliches Bedrohungsszenario für sunnitische Muslime in einem Krisengebiet zeichneten. Daher ist nicht auszuschließen, dass die Masse an Gräueldarstellungen auf salafistischen Facebook-Profilen ein Teil der Erklärung sein könnte, warum sich so viele Personen aus Westeuropa sunnitisch-dschihadistischen Rebellengruppen in Syrien und dem Irak angeschlossen haben. Fachleute schätzen, dass deren Zahl im Januar 2015 auf ungefähr 5.000 gewachsen war, darunter 500 bis 600 Personen aus Deutschland.

Jugendschutzrechtliche Einschätzung von Gewaltdarstellungen

Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist rechtliche Grundlage für die Bewertung potentiell jugendgefährdender Inhalte im Internet. Als schwerste Fälle gelten demnach Online-Angebote, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen. Solche Inhalte unterliegen einem absoluten Verbreitungsverbot. In diese Kategorie fallen beispielsweise Videos, die explizit Hinrichtungen und Folter zeigen.

Ebenso unzulässig sind Online-Angebote, wenn sie gegen die Menschenwürde verstoßen. Das ist der Fall, wenn sie Menschen darstellen, die sterben oder schweren körperlichen und seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren. Dabei muss ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben werden, und es darf kein berechtigtes Interesse für diese Form der Darstellung oder Berichterstattung vorliegen. Die Würde des Menschen endet nicht mit dem Tod, sie reicht darüber hinaus. Wenn also Bilder toter und verstümmelter Leichen in salafistischer Propaganda instrumentalisiert werden, liegt sehr häufig ein Verstoß gegen die Menschenwürde vor.

Der Jugendmedienschutz geht von mehreren Wirkungsvermutungen aus, mit denen sich eine Jugendgefährdung begründen lässt. Insbesondere spielt der oben geschilderte propagandistische Kontext, in dem die Gräueldarstellungen im Internet verbreitet werden, eine wichtige Rolle. Zunächst wird davon ausgegangen, dass reale Gewaltdarstellungen inklusive der Folgen von Gewalt ein hohes Beeinträchtigungspotenzial haben. Werden sie gehäuft konsumiert, können sie das Gefühl einer strukturellen Bedrohung begünstigen. Erscheint wiederum eine Situation struktureller Gewalt als ausweglos, könnte eine emotionale Überbelastung dahingehend wirken, dass das Verhältnis des Individuums zur Gemeinschaft mit dauerhaften Ängsten besetzt wird - für Salafisten ein gewünschtes Ergebnis ihrer Propaganda.

Auch die Zielgruppe des zu bewertenden Inhalts wird berücksichtigt. Im Falle salafistischer Propaganda besteht diese hauptsächlich aus sunnitisch-muslimischen Jugendlichen. Grundsätzlich erhöhen nämlich starke Identifikationsprozesse die emotionale Anteilnahme. Bei salafistischer Gewaltpropaganda dürfte die Identifikation mit dem Überbringer der Nachricht – dem Facebook-Freund oder der mit "gefällt mir" markierten Seite – und den abgebildeten, mutmaßlich sunnitisch-muslimischen Opfern hoch sein. Zugleich wird den vermeintlichen Tätern verstärkt Antipathie entgegengebracht und Gewalt gegen sie potentiell als gerecht empfunden.

Damit können Gewaltdarstellungen im Sinne des Opfer-Narrativs auch verrohend auf Jugendliche wirken, besonders dann, wenn die Darstellungen zu Gewalttätigkeit, Rassenhass und Selbstjustiz anregen. Auch ein Verlangen nach physischer Vergeltung gegen Mitglieder der angenommenen Tätergruppe, zum Beispiel Schiiten, Juden oder "Ungläubige", kann durch diese Art der Propaganda ausgelöst werden. Das heißt nicht, dass der Konsum solcher Inhalte zwingend zu Gewalttätigkeit führen muss. Aber Inhalte, bei denen die genannten Attribute festgestellt werden, sind zumindest dazu geeignet, ein solches Verhalten zu fördern und die Entwicklung von Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden.

Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Gewaltdarstellungen im Sinne eines "Opfer"-Narrativs liegen nur rudimentär vor. Eine Studie des Bundeskriminalamtes von 2013 untersuchte unter anderem die Wirkung islamistischer Propagandavideos auf deren Rezipienten. Ein Ergebnis war, dass besonders Propaganda-Filme, die leidende Kinder zeigen, die Probanden berührten und sowohl Ablehnung als auch Interesse auslösten. Es erscheint dringend notwendig, empirisch weiter zu erforschen, welche Effekte Bilder und Videos auf Jugendliche haben, die auf grausame Weise die eigene Gruppe als unschuldige Opfer darstellen.

Fazit: Mehrdimensionale Gegenstrategie erforderlich

Aus Sicht des Jugendmedienschutzes ist wichtig, dass die Veröffentlichung und Verbreitung salafistischer Gräuelpropaganda effektiv eingedämmt wird. Betreiber von Plattformen, auf denen die Darstellungen einem Massenpublikum und damit auch vielen Jugendlichen zugänglich gemacht werden, müssen unzulässige Inhalte konsequent löschen und auch vorsorgliche Schutzmaßnahmen ergreifen, damit Minderjährige nicht mit verstörenden und zum Hass anstachelnden Beiträgen konfrontiert werden.

Eine wichtige Aufgabe der Prävention in diesem Bereich ist es, die Befähigung Jugendlicher zu stärken, Propaganda als solche zu erkennen und nicht den Manipulationsversuchen der Salafisten zu erliegen. Politische Bildung kann hier zum Beispiel Jugendliche für das Phänomen sensibilisieren helfen und ihnen ermöglichen, einen kritischen Umgang mit den entsprechenden Inhalten zu erlernen. Allerdings setzen die wenigsten jugendaffinen, salafistischen Angebote auf der Ebene des Verstandes an. Prävention muss sich daher vor allem die Frage stellen, welche geeigneten Modelle sie der emotional wirkenden, lebensweltorientierten und auf Identitätsentwicklung abzielenden Propaganda von Salafisten entgegensetzen kann.

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Patrick Frankenberger ist Mitarbeiter von jugendschutz.net, die zentrale Meldestelle der Bundesländer für Jugendschutzverstöße im Internet. Zu den Arbeitsgebieten von jugendschutz.net gehört politischer Extremismus. In diesem Rahmen recherchiert jugendschutz.net auch islamistische Angebote im Netz.