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Vorgezogene Wahlen in Bulgarien

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Nach tagelangen Massendemonstrationen gegen hohe Strompreise entschloss sich die bulgarische Regierung am 20. Februar überraschend zum Rücktritt. Nun hat Bulgariens Präsident einen Termin für Neuwahlen angesetzt. Doch die Proteste halten an.

Demonstration in der bulgarischen Stadt Sofia am 24. Februar. (© picture-alliance/dpa)

"Gebt uns unseren Staat zurück" lautet die Forderung der bulgarischen Demonstrant/-innen. Seit mehr als 20 Tagen demonstrieren die Menschen in dem südosteuropäischen Land, unterstützt von der parlamentarischen Opposition. Viele der Protestierenden fordern neben regulierten Strompreisen und höheren Mindestlöhnen inzwischen auch einen grundlegenden Wandel des politischen Systems.

Während der Demonstrationen kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei, im Rahmen der Proteste sogar zu drei Selbstverbrennungen. Ein Mann erlag seinen Verletzungen. Der 26-Jährige verstarb im Krankenhaus.

Am 20. Februar, schon wenige Tage nach Beginn der Proteste, trat die Mitte-Rechts-Regierung um Ministerpräsident Boiko Borissow zurück. Borissow sagte, er wolle nicht Premier einer Regierung sein, deren Polizei Menschen verprügelt. Er wolle dadurch eine Eskalation vermeiden. Noch am Tag zuvor hatte der Ministerpräsident einen Rücktritt kategorisch ausgeschlossen. Zuvor hatten die Massenproteste bereits Finanzminister Simeon Djankow, Symbolfigur des radikalen Sparkurses der Regierung, zum Rücktritt veranlasst.

Nach dem Rücktritt der Regierung hat zunächst Präsident Rossen Plewneliew die Amtsgeschäfte übernommen. Für eine Übergangsregierung will Borissow nicht zur Verfügung stehen.

Hintergrund der Proteste

Hauptgrund für die Proteste ist vor allem die Armut der bulgarischen Bevölkerung, die sich in Folge des Sparkurses der Regierung während der europäischen Schuldenkrise noch verschlimmert hat.

Die Protestbewegung kritisiert besonders die hohen Strompreise, die viele Bürger/-innen von ihren niedrigen Gehältern kaum bezahlen können. Die Strom-Monopole der ausländischen Firmen müssten abgeschafft werden, so eine Hauptforderung der Demonstrant/-innen. Zudem protestieren sie gegen die Korrumpierbarkeit der politischen Elite in ihrem Land.

Neben Rumänien ist Bulgarien das ärmste Land der EU. Die Einkommen sind mit durchschnittlich circa 4000 Euro brutto im Jahr extrem niedrig, viele Renten liegen zwischen 100 und 150 Euro im Monat. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 12 Prozent, 52 Prozent der bulgarischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. 1,5 Millionen Bulgar/-innen verließen in den letzten Jahren ihr Land in Richtung der anderen EU-Staaten.

Geeint wird die außerparlamentarische Opposition durch ihr Misstrauen gegenüber der gesamten bulgarischen Politik. Die Organisation der Protestaktionen läuft über das Internet.

Niedrige Staatsverschuldung und bittere Armut

Die bulgarische Staatsverschuldung und das Haushaltsdefizit des Landes sind niedrig. Mit einer Verschuldung von 16,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (2011, Eurostat) erfüllt das Land die Maastricht-Kriterien und liegt EU-weit an zweiter Stelle hinter Estland. Seine niedrige Staatsverschuldung verdankt das Land vor allem dem strikten Sparkurs der Regierung Borissow.

Im "Fortschrittsbericht Bulgarien" hatte die EU das Land im Juli 2012 für seine erfolgreiche Korruptionsbekämpfung und den Aufbau einer unabhängigen Justiz gelobt. Bulgarien zeige "einen nachdrücklichen politischen Willen" zu dauerhaften Reformen.

Meglena Kunewa, frühere EU-Kommissarin und heutige Oppositionspolitikerin der Partei "Bulgarien für Bürger", hat gegenüber der Zeitung Der Standard die Regierung Borissow allerdings scharf kritisiert. Die wirtschaftliche Lage der bulgarischen Bevölkerung sei "unerträglich". Viele Menschen hätten Schwierigkeiten, Geld für Lebensmittel aufzubringen. Zudem hätten 400.000 Menschen in den vergangenen Jahren ihren Arbeitsplatz verloren.

Kommende Parlamentswahlen

Nachdem am 22. Februar Beratungen über die Bildung einer neuen Koalition scheiterten, wurden die Parlamentswahlen, die regulär für Juli 2013 angesetzt waren, um zwei Monate auf den 12. Mai vorgezogen. Präsident Rossen Plewneliew will in Kürze das Parlament auflösen und eine Interimsregierung aus Expert/-innen bestimmen. Zusätzlich kündigte er an, internationale Beobachter/-innen zu den Wahlen einzuladen.

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