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Urteilsverkündung: "BKA-Gesetz"

Redaktion

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Am 20. April 2016 hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil in der Verhandlung über Bestimmungen des Gesetzes zum Bundeskriminalamt verkündet. Das Gesetz ist in Teilen verfassungswidrig und muss bis Juni 2018 nachgebessert werden.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe eröffnet am 07.07.2015 die mündliche Verhandlung zum BKA-Gesetz. (© dpa)

Am 4. Juni 2008 beschloss der Deutsche Bundestag den Entwurf für die Gesetzesnovelle zum Bundeskriminalamt (BKA). Der Entwurf zur Neufassung des Gesetzes wurde von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie der Bundesregierung dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt. Als Ziel der Novelle wird im Externer Link: Gesetzesentwurf "die Verbesserung der Möglichkeiten bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt" genannt.

Der Gesetzesnovelle "zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt" stimmten 375 Abgeordnete zu, 168 dagegen, sechs enthielten sich. Zustimmung erhielt die Novelle vor allem aus der CDU/CSU-Fraktion und dem Großteil der SPD-Abgeordneten. Gegen die Gesetzesänderung stimmten die Abgeordneten von Bündnis90/Die Grünen, der Linken und FDP sowie fraktionslose Abgeordnete. Nach der Zustimmung des Bundesrats Externer Link: traten die Regelungen der Gesetzesnovelle am 1. Januar 2009 in Kraft.

Die gesetzliche Grundlage für die Arbeit des BKA bildet das Bundeskriminalamtgesetz ("BKA-Gesetz") vom 7. Juli 1997, das die Aufgaben und Befugnisse der Behörde regelt. Mit der Gesetzesnovelle vom 1. Januar 2009 ist es dem BKA erstmals erlaubt, zur Gefahrenabwehr des internationalen Terrorismus vorbeugend tätig zu werden. Zuvor waren die Aufgaben des BKA auf die Strafverfolgung beschränkt.

Neue Befugnisse seit 2009

Die Änderungen des BKA-Gesetzes ermöglichen der Behörde seit Inkrafttreten eine Reihe von neuen Arbeitsmöglichkeiten. So erlaubt etwa Paragraf 20j die Rasterfahndung, also den computertechnischen Vergleich eines großen Personenkreises hinsichtlich bestimmter Daten und Merkmale mit anderen Datenbeständen. Mehrere Paragrafen betreffen die Überwachung im Internet, von Telekommunikation und Handys. So darf auf richterliche Anordnung etwa eine heimliche Online-Durchsuchung an Computern von Verdächtigen durchgeführt werden oder der Standort von Handys geortet werden.

Ebenso ermöglicht die BKA-Novelle dem Bundeskriminalamt Abhörmaßnahmen und die Wohnraumüberwachung von Unverdächtigen, etwa von Verwandten und Bekannten eines Verdächtigen. Das BKA darf auch präventive Ermittlungen durchführen, also ohne konkreten Tatverdacht und ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft. Solche sogenannten Vorfeldermittlungen waren bis dato allein Angelegenheit der Staatsanwaltschaft.

Verfassungsbeschwerde

Gegen das neue BKA-Gesetz wurden zwei Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Das Verfahren 1 BvR 966/09 wurde von sechs Personen angestrengt, darunter unter anderem der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), der ehemalige Staatsminister und ehemalige Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit" Michael Naumann und der Präsident des Deutschen Anwaltvereins Ulrich Schellenberg.

In ihrer Verfassungsbeschwerde machen sie unter anderem geltend, dass im neuen BKA-Gesetz die Befugnisse zur Wohnraumüberwachung und Auskundschaftung von Computern zu weitreichend seien. Die Privat- und Intimsphäre würden nicht ausreichend geschützt, sodass die Gefahr bestehe, dass umfangreiche Persönlichkeitsprofile angelegt werden. Bemängelt wird auch, dass vom Bundeskriminalamt erhobene Daten für neue Zwecke von dem BKA und anderen Behörden im In- und Ausland weiter genutzt werden dürften. Ein weiterer Beschwerdepunkt ist der vermeintlich unzureichende Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie Geistlichen, Abgeordneten, Verteidigern und Journalisten. Ebenso fehle es an Regelungen zum Schutz des Vertrauensverhältnisses von Patienten und Mandanten zu ihren Ärzten, Rechtsanwälten und Psychologen.

Das Verfahren 1 BvR 1140/09 wurde von neun aktuellen und ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Partei Bündnis90/Die Grünen angestrengt. Sie stellen die Befugnis des Bundes für gesetzliche Regelungen, die Straftaten im Vorfeld von konkreten Gefahren verhüten sollen, in Frage. Ihre Kritik gilt unter anderem der pauschalen Bezugnahme auf den Begriff "internationaler Terrorismus", durch den das Gesetz in zahlreichen Punkten unbestimmt bleibe. Da dieser Terminus nicht klar definiert sei, könne das BKA im Zweifel selbst entscheiden, wann es tätig werde.

Verhandlung

Am 7. Juli 2015 kam es zur mündlichen Verhandlung. Darin verteidigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière das Gesetz. Er argumentierte, dass die Terrorgefahr seit Inkrafttreten des Gesetzes durch islamistischen Terror zugenommen habe und deshalb die neuen Überwachungsmöglichkeiten gebraucht würden. De Maizière sagte, dass auch das BKA-Gesetz dazu beigetragen habe, mehrere Terroranschläge in Deutschland zu verhindern.

Im Laufe der Verhandlung wurden die verschiedenen neuen Befugnisse besprochen, die das BKA-Gesetz geschaffen hat. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, beschrieb es als Aufgabe des Gerichtes, in dieser Verhandlung eine Antwort auf die Frage zu finden: "Wie viel an Datenschatz darf der Verfassungsstaat den Ermittlungsbehörden zugestehen und welchen Datenschutz schuldet er seinen Bürgern?"

Das Urteil

Am 20. April 2016 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das "BKA-Gesetz" grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar ist, aber die Ausgestaltung der polizeilichen Befugnisse nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit übereinstimmt. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, einen Ausgleich zwischen der Pflicht zum Schutz der Bevölkerung und der Schwere der Grundrechtseingriffe zu schaffen. Das betrifft auf der einen Seite den Schutz der Privatsphäre, der zur Wahrung der Menschenwürde beiträgt, und auf der anderen Seite den Schutz der demokratischen und freiheitlichen Ordnung vor Terrorismus. Das Gericht bemängelt, dass die Vorschriften teilweise zu unbestimmt oder zu weit gefasst sind. So bedürfe es besonderer Schutzregelungen für Befugnisse, die in den Kernbereich privater Lebensgestaltung eindringen, und für Berufsgeheimnisträger wie Ärzte oder Juristen. Ebenso müsse es Einschränkungen geben, wenn es sich um unbeteiligte Personen aus dem Umfeld der Zielperson handelt. Das Bundesverfassungsgericht sieht hier den Gesetzgeber in der Pflicht, entsprechende Schutzvorschriften zu erlassen.

Als zu weitreichend werden auch die Befugnisse zur Weiterleitung von Informationen an Behörden im In- und Ausland eingestuft. So müsse der Gesetzgeber dafür sorgen, dass die durch das Grundgesetz geregelten Grenzen des Datenschutzes nicht überschritten werden, wenn Daten ins Ausland oder an internationale Organisationen übermittelt werden. Dasselbe gelte für den Fall, dass deutsche Behörden Daten entgegennehmen, die im Ausland unter Verletzung der Menschenrechte erhoben wurden. Die Übermittlungsbefugnisse an inländische Behörden werden als verfassungswidrig eingestuft, wenn sie ohne einen konkreten Ermittlungsansatz erfolgen. Auch die Übermittlung der Daten für eine Strafverfolgung sei unzulässig. Bei allen Übermittlungsbefugnissen sei eine effektive Kontrolle durch die Bundesdatenschutzbeauftragte nicht gewährleistet.

Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Transparenz, individuellem Rechtsschutz und behördlicher Kontrolle zu genügen, wird eine Reihe von Maßnahmen eingefordert. Demnach sollen unter anderem betroffene Personen nach Abschluss von Überwachungsmaßnahmen über diese in Kenntnis gesetzt werden. Ebenso sei die Gewährleistung richterlicher und unabhängiger Kontrolle sicherzustellen; Auch müssen Regelungen zur Löschung von gesammelten Daten getroffen werden.

Das Gericht entschied, dass die Befugnisse des „BKA-Gesetzes“ mit Einschränkungen bis zum 30. Juni 2018 weiter gelten, da die Verfassungswidrigkeit nicht den Kern der Befugnisse betreffe. Bis Ablauf der Frist muss das Gesetz nachgebessert werden.

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