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Vor 225 Jahren: Frankreichs erste Verfassung | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor 225 Jahren: Frankreichs erste Verfassung

Redaktion

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Im Jahr 1789 haben Missernten in Frankreich die wirtschaftliche Lage verschlechtert. Und auch um die Staatsfinanzen steht es angesichts der Beteiligung am Unabhängigkeitskrieg in Nordamerika schlecht. Überall im Land kommt es zu Unruhen, bis schließlich die Französische Revolution ausbricht. 1791 bekommt Frankreich erstmals eine Verfassung, die dem Volk Souveränität zuspricht.

Das Ölgemälde von Jean-Baptiste Lallemand zeigt den Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789. (© picture-alliance/dpa)

20. Juni 1789: Ballhausschwur

Seit Anfang der 1780er Jahre steht Frankreich kurz vor dem Staatsbankrott. Ein vom Finanzminister Calonne vorgelegter Plan zur Sanierung der Staatsfinanzen im Jahre 1787 wird abgelehnt. Daraufhin fordern Angehörige aller Stände die Zusammenkunft der Generalstände. Um den drohenden Staatsbankrott zu vermeiden, ruft König Ludwig XVI. alle Vertreter des Adels, des Klerus und der restlichen Bevölkerung (3. Stand, bestehend aus Besitz- und Bildungsbürgertum sowie Bauern und Handwerker) zusammen. Sie treffen sich im Mai 1789 in Versailles – erstmals wieder seit 1614.

Weil man sich nicht auf einen neuen Abstimmungsmodus einigen kann, scheitert dieses Treffen. Der dritte Stand beruft in der Folge eine eigene Interner Link: Nationalversammlung ein. Als ihre Abgeordneten im Juni nicht mehr in ihren Versammlungssaal gelassen werden, weichen sie kurzerhand in die Ballspielhalle des Königs aus. Dort schwören sie am 20. Juni, dass sie nicht mehr auseinandergehen werden, bis sie Frankreich eine Verfassung gegeben haben. Das Ereignis geht als "Ballhausschwur" (französisch: Serment du Jeu de Paume) in die Geschichte ein.

Eine kolorierte Lithographie zeigt den Ballhausschwur in Versailles am 20. Juni 1789. (© picture-alliance/dpa)

9. Juli 1789: Verfassunggebende Nationalversammlung trifft sich

Der König beugt sich den Forderungen des Dritten Standes und erkennt die Nationalversammlung an. Außerdem drängt er die Vertreter des Adels und des Klerus dazu, sich ihr wieder anzuschließen. Die Nationalversammlung kommt am 9. Juli zusammen und nennt sich von nun an die Verfassunggebende Nationalversammlung (Assemblée nationale constituante). Mit der Ausrufung der Nationalversammlung soll nicht mehr nach Ständen, sondern nach der tatsächlichen Zahl der Abgeordneten abgestimmt werden. Die Abgeordneten verstehen sich überdies nicht mehr als Teil des Ancien Régime.

Der König lässt das Militär um Paris herum zusammenkommen und entlässt den beim Volk beliebten Finanzminister Necker. Es folgen Proteste und Demonstration.

Ein Sammelbildchen der Firma 'Chocolat Guérin-Boutron' zeigt eine Farblithographie, darauf die Debatte in der Assemblée Nationale am 9. Juli 1789. (© picture-alliance/dpa)

14. Juli 1789: Sturm auf die Bastille

Tausende aufgebrachte bewaffnete Pariser Bürgerinnen und Bürger, darunter auch sympathisierende Soldaten, stürmen die Bastille, ein berüchtigtes Gefängnis und Symbol der Tyrannei der französischen Monarchie. Während die Menge anfänglich noch Waffen und Munitionsvorräte fordert, eskaliert die Situation, nachdem auf die Menge geschossen wird und dabei mehrere Menschen sterben. Bei der darauffolgenden Belagerung und Erstürmung der Bastille sterben fast 100 Aufständische. Auch einige der Wachen und der Gouverneur de Launay werden ermordet und ihre Köpfe auf Lanzen zur Schau gestellt. Aus der Bastille werden die letzten sieben Gefangenen befreit. Der Tag gilt als Beginn der Interner Link: Französischen Revolution.

Das Ölgemälde von Jean-Baptiste Lallemand zeigt den Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789. (© picture-alliance/dpa)

Ludwig XVI. lässt das Militär wieder abziehen und zeigt sich drei Tage später der Pariser Öffentlichkeit. Er erkennt die wenige Tage zuvor gegründete Nationalgarde an. In dieser trägt jeder Soldat eine rot-blaue Kokarde – als Symbol für die Farben von Paris.

14. Juli 1789 Lafayette mit Kokarde vor Ludwig XVI. (© picture-alliance/dpa)

Zusammen mit der weißen Kokarde der Monarchie wurden daraus die Farben der Trikolore: blau, weiß, rot, als Nationalsymbol für die Entstehung eines neuen Frankreich.

Auch in den anderen Städten und den französischen Provinzen erhebt sich das Volk. In zahlreichen Gemeinden übernehmen Volksvertretungen die Macht. Auf dem Land weigern sich Bauern, weiter Abgaben zu zahlen. Sie wollen das Feudalsystem abschaffen. Paris selbst bekommt eine provisorische Stadtregierung, die "Commune", die eine Verfassung für die Hauptstadt ausarbeiten soll.

4. August 1789: Opfernacht der Privilegierten

Die Verfassunggebende Nationalversammlung tagt bis spät in der Nacht und hebt sämtliche Privilegien des Adels und des Klerus auf. Auch das Feudalsystem wird abgeschafft. Die Bauern müssen keine Fron und keinen Kirchenzehnter mehr an den Adel und die Kirche zahlen. Da adelige und geistliche Vertreter der Nationalversammlung dem selbst zustimmen, geht das Treffen als "Opfernacht der Privilegierten" in die Geschichte ein.

Auf einer kolorierten Lithographie ist die Opfernacht der Privilegierten am 4. August 1789 abgebildet. (© picture-alliance/dpa)

26. August 1789: Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

In 17 Artikeln verabschiedet die Verfassunggebende Nationalversammlung eine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Sie wird zwei Jahre später der ersten französischen Verfassung vorangestellt und beginnt mit den Worten "Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits": Die Menschen [Männer] sind und bleiben von Geburt an frei und gleich an Rechten. Vorbild ist die Interner Link: amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776.

Die Menschenrechtserklärung beruht auf dem Naturrecht und sichert vorerst nur den männlichen Bürgern das Recht auf Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und auf Widerstand gegen Unterdrückung, auch freie Gedanken- und Meinungsfreiheit werden garantiert. Die Souveränität liegt nun beim Volk und nicht mehr beim König. Dieser erhält allerdings ein königliches Vetorecht auf Gesetzesvorschläge der Nationalversammlung.

Ludwig XVI. weigert sich zunächst, die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte anzuerkennen. Doch im Oktober zieht das Volk – es waren hauptsächlich Frauen – auch noch zum Schloss Versailles, dem Regierungssitz des Königs. Die Demonstrierenden wollen, dass der König die Lebensmittelversorgung verbessert. Von diesem Ereignis überrannt, erkennt er die Erklärung schließlich an.

QuellentextErklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 (Auszug)

Präambel
Die als Nationalversammlung eingesetzten Vertreter des französischen Volkes haben in der Erwägung, dass die Unkenntnis, das Vergessen oder Verachten der Menschenrechte die alleinigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Korruption der Regierungen sind, beschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte des Menschen darzulegen, damit diese Erklärung allen Mitgliedern der Gesellschaft stetig vor Augen steht, und sie unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert; damit die Handlungen der legislativen und der exekutiven Gewalt zu jeder Zeit mit dem Zweck jeder politischen Einrichtung verglichen werden können und dadurch entsprechend geachtet werden; damit die Ansprüche der Bürger von heute an auf einfachen und unbestreitbaren Grundsätzen beruhen und immer auf die Erhaltung der Verfassung und das Glück aller hinzielen. Demzufolge anerkennt und erklärt die Nationalversammlung in Gegenwart und unter dem Schutz desHöchsten Wesens nachstehende Menschen- und Bürgerrechte.
Artikel I: Die Menschen sind und bleiben von Geburt an frei und gleich an Rechten. Soziale Unterschiede dürfen nur im allgemeinen Nutzen begründet sein.
Artikel II: Das Ziel einer jeden politischen Vereinigung besteht in der Erhaltung der natürlichen und unantastbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind Freiheit, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung.[...]
Artikel IV: Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was dem anderen nicht schadet. [...]
Artikel VI: Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willlens [...]. Ob es schützt oder straft: es muss für alle gleich sein [...]
Artikel VII: Kein Mensch kann anders als in den gesetzlich verfügten Fällen und den vorgeschriebenen Formen angeklagt, verhaftet und gefangengenommen werden. [...]
Artikel XI: Freie Gedanken- und Meinungsfreiheit ist eines der kostbarsten Menschenrechte. [...]
Artikel XVII: Da das Eigentum ein unverletzliches und heiliges Recht ist, kann es niemandem genommen werden, außer im Falle öffentlicher Notwendigkeit unter der Bedingung einer gerechten und vorherigen Entschädigung.

Ein Gemälde zeigt die Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte durch die Nationalversammlung am 26. August 1789. (© picture-alliance/dpa)

3. September 1791: Frankreich bekommt eine Verfassung

1791 verabschiedet die Verfassunggebende Nationalversammlung Frankreichs erste Verfassung. Lange haben die Abgeordneten darüber diskutiert, ob die Verfassung eine Republik oder eine konstitutionelle Monarchie festschreiben solle. Schließlich setzten sich die Anhänger eines Königtums durch. Der Monarch bleibt Regent des Landes, aber er ist nur noch an der Spitze der Exekutive. Die Legislative wird von einer Volksvertretung übernommen.

Die Verfassung regelt außerdem die Trennung von Kirche und Staat sowie ein Interner Link: Zensuswahlrecht. Das bedeutet: Nur Männer über 25 Jahren mit einer Steuerleistung von mindestens drei Arbeitstagen (grob zwei Livres), dürfen wählen. Und auch die Abgeordneten werden nicht direkt, sondern über Wahlmänner gewählt, die eine noch höhere Steuerleistung vorweisen müssen. Insgesamt schließt das Zensuswahlrecht weite Teile der Bevölkerung aus.

Eine Radierung zur Übergabe der 1791 von der Nationalversammlung verabschiedeten Verfassung an Ludwig XVI. (© picture-alliance/dpa)

1. Oktober 1791: Gesetzgebende Nationalversammlung trifft sich

Die Gesetzgebende Nationalversammlung (Assemblée Nationale Législative) wird gewählt und tritt erstmals zusammen, und zwar im Reitstall des Tuilerien-Schlosses. Sie ersetzt damit die Verfassungsgebende Nationalversammlung.

Die Abgeordneten müssen vor allem eine Lösung für die Spaltung der Kirche durch Befürworter und Gegner der Revolution finden, das Land aus der Finanzkrise führen sowie die neue konstitutionelle Monarchie stabilisieren.

Der König hat mittlerweile weiterhin an Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Schon Ende Juni 1791 versuchte er aus Paris zu fliehen. Doch die Flucht misslang, in Begleitung der Nationalgarde musste er nach Paris zurückkehren.

Auf einer zeitgenössischen kolorierten Radierung ist die Flucht der königlichen Familie in der Nacht vom 20. zum 21. Juni 1791 zu sehen. (© picture-alliance/dpa)

10. August 1792: Sturm auf die Tuilerien

In Paris werden die Forderungen immer lauter, den König abzusetzen; Kritik entzündet sich besonders an den königlichen Veto-Rechten sowie seinen Verbindungen ins Ausland.

Jacques Bertauxs Gemälde zeigt, wie Ludwig XVI. genötigt wird, die rote Mütze der Revolution aufzusetzen. (© picture-alliance/dpa)

Am 20. Juni 1792 dringt eine bewaffnete Menschenmenge in den Palast ein, um ihn zur Rücknahme eines Vetos zu zwingen, der König jedoch kann sie durch Aufsetzen der Jakobinermütze besänftigen. Die Lage verschärft sich weiter, als am 1. August 1792 ein Manifest bekannt wird, in dem Karl II. Wilhelm Ferdinand von Braunschweig zur Unterwerfung französischer Truppen und Befreiung des Königs aufruft.

Am Morgen des 10. August stürmen Tausende unter der Führung französischer Arbeiter, den sogenannten Sansculotten, das Tuilerien-Schloss, den Wohnsitz des Königs, und nehmen es ein. Im Kampf zwischen der Schweizer Garde, die den König bewachte, Nationalgarde, die auf beiden Seiten kämpfte, und der französischen Bevölkerung sterben auf beiden Seiten Hunderte Menschen. Der König, der bereits unter Hausarrest stand und bei der Gesetzgebende Nationalversammlung an jenem Tag Schutz gesucht hatte, wird abgesetzt und mit seiner Familie ins Gefängnis im Temple gebracht. Die Gesetzgebende Nationalversammlung beschließt einen Tag später Neuwahlen und bestimmt, dass der gewählte Nationalkonvent als ihr Nachfolger eine neue Verfassung, dieses Mal für ein republikanisches Frankreich, ausarbeiten soll.

Eine Farblithographie beschreibt den Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792. (© picture-alliance/dpa)

21. September 1792: Frankreich wird eine Republik

Der Anfang September – erstmals nach allgemeinem Wahlrecht statt Zensuswahlrecht – gewählte Nationalkonvent schafft die Monarchie ab und ruft die erste französische Republik aus. Gleichzeitig nehmen aber Gewalt und Terror zu. Frankreich befindet sich zu dieser Zeit mit zahlreichen europäischen Staaten im Krieg. Und auch im Land selbst brodelt es immer wieder. Erst Anfang September haben die Sansculotten beim Septembermassaker Gefängnisse vor allem in Paris gestürmt und mehr als 1.000 Gefangene getötet.

Aufgrund der Kriegssituation übernimmt der Nationalkonvent nun nicht nur die Legislative, sondern auch die Exekutive. Damit ist die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt.

Eine aquarellierte Zeichnung zeigt das Wappen der französischen Republik. (© picture-alliance/dpa)

21. Januar 1793: Hinrichtung Ludwig XVI. und Ausarbeitung einer neuen Verfassung

Nachdem Ludwig XVI. Mitte Januar zum Tode verurteilt wurde – wegen Verschwörung gegen die Freiheit der Nation und des Anschlags gegen die allgemeine Sicherheit –, wird der König am 21. Januar mit der Guillotine öffentlich hingerichtet.

Der Prozess gegen ihn war im Dezember 1792 eröffnet worden. In einem Versteck in seinem Tuilerien-Schloss sind Dokumente mit gegenrevolutionären Absichten gefunden worden, die ihm zum Verhängnis werden sollten.

In den folgenden Monaten arbeitet der Nationalkonvent eine neue Verfassung für die Republik Frankreich aus. Sie wird allerdings nie in Kraft treten. Stattdessen haben ab Herbst 1793 Terror und Despotismus das Land im Griff: Die Schreckensherrschaft der Jakobiner beginnt und dauert bis zum Ende der ersten französischen Republik im November 1799 an.

Ein Farbdruck nach Aquarell zeigt Ludwig XVI., wie er zu seiner Hinrichtung geführt wird. (© picture-alliance/dpa)

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