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Kolumbiens Friedensvertrag scheitert

Redaktion

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Es hätte ein historischer Tag für Kolumbien werden können: Am 2. Oktober stimmte das Land in einem Referendum über einen Friedensvertrag mit der linken Guerillaorganisation FARC ab. Der Vertrag wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt. Wäre der Vertrag angenommen worden, hätte ein mehr als fünfzigjähriger Konflikt enden können.

Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos auf dem Weg zum Kongress in Bogota (Kolumbien) - mit dem Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC am 25. August 2016. (© picture-alliance/AP)

Nach fast vierjährigen Verhandlungen hatte sich die kolumbianische Regierung mit den Rebellen der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) auf einen Friedensvertrag geeinigt. Über seine Umsetzung entschied am 2. Oktober die kolumbianische Bevölkerung in einer Interner Link: Volksabstimmung. Eine knappe Mehrheit von 50,23 Prozent stimmte gegen den Friedensvertrag, 49,76 Prozent votierten dafür. Die Wahlbeteiligung war gering: Nur 37,4 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme bei dem Referendum ab. Hätte sich die Mehrheit für den Vertrag entschieden, hätte ein 52-jähriger Guerillakrieg in dem lateinamerikanischen Land enden können.

Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos sagte, er werde sich bis zum letzten Tag seiner Amtszeit um den Frieden bemühen. Auch FARC-Kommandeur Rodrigo Londoño erklärte, dass die FARC an ihrer Bereitschaft zum Frieden mit friedlichen Mitteln festhalte.

Die FARC, die sich selbst als marxistisch-leninistisch bezeichnet, begann 1964 ihren bewaffneten Kampf. Sie entstand aus einer Bewegung zur Selbstverwaltung ländlicher Gemeinden, die sich aus Schutz vor Angriffen der kolumbianischen Armee zusammengeschlossen hatten. Die zunächst rein defensiv ausgerichtete FARC entwickelte sich im Zuge einer wachsenden Verarmung der Landbevölkerung, einer extrem ungleichen Verteilung von Landbesitz und zunehmenden politischen Protesten, die mit Gewalt durch Armee und Militär beantwortet wurden, zu einer revolutionären Guerilla-Bewegung. Gegen diese war die kolumbianische Regierung militärisch vorgegangen. Es folgte ein 52-jähriger Guerilla-Kampf, zu dem Ermordungen, Entführungen und Drogengeschäfte gehörten. In den 1980er und 1990er Jahren wurden viele Anhänger und Anhängerinnen der FARC sowie anderer linker Gruppierungen von im Auftrag von Grundbesitzern agierenden rechten paramilitärischen Organisationen und Drogenkartellen ermordet.

Seit dem 29. August 2016 herrscht zwischen der FARC und der kolumbianischen Regierung ein Waffenstillstand.

Ausführliche Hintergründe zur aktuellen Konfliktsituation, den Ursachen und möglichen Lösungsansätzen finden Sie in Interner Link: unserem Konfliktportrait Kolumbien.

Ergebnis des Referendums überraschend

Umfragen zufolge war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Mehrheit für den Friedensvertrag stimmte. Laut einer Externer Link: Prognose des Meinungsforschungsinstituts Polimétrica vom August wollten 62 Prozent der Wahlberechtigten dem Friedensvertrag zustimmen, 28 Prozent waren dagegen, 10 Prozent hatten sich noch nicht entschieden.

Bereits im Frühjahr 2016 hatte Santos gesagt, Interner Link: Kolumbien brauche die Fähigkeit, zu verzeihen und zu versöhnen. Er selbst ging im September dieses Jahres auf die FARC zu, als er öffentlich eingestand, dass der kolumbianische Staat die Ermordung zahlreicher Mitglieder der Unión Patriótica in den 1980er und 1990er Jahren nicht verhindert hatte. Die sozialistische Partei wurde in den 1980er Jahren von einigen FARC-Mitgliedern mitgegründet.

Wäre der Friedensvertrag in Kraft getreten, hätten die über 7.000 FARC-Rebellen innerhalb von 180 Tagen alle Waffen niederlegen müssen.

Inhalte des Friedensvertrages waren umstritten

Ein wesentlicher Teil des Friedensvertrags regelte den Umgang mit den Opfern des jahrzehntelangen Konflikts. So sollten eine Wahrheitskommission und ein Sondertribunal für Frieden errichtet werden. Ehemaligen Rebellen wurde eine mildere Strafe in Aussicht gestellt, sollten sie ihre Taten einräumen und dazu beitragen, die Wahrheit aufzuklären. Bei Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Genozid hätte es keine Amnestie gegeben.

Santos warnte davor, den Friedensvertrag abzulehnen, es gebe keinen Plan B für diesen Fall. Abgelehnt wurde der Friedensvertrag bereits vor dem Referendum zum Beispiel von Álvaro Uribe und seiner Partei, dem Demokratischen Zentrum. Uribe, der von 2002 bis 2010 selbst Präsident von Kolumbien war, erwartete sich von dem Vertrag keinen Frieden, sondern neue Konflikte. Der Mangel an Gerechtigkeit und an Bestrafung würde nur Anreize für neue kriminelle Taten schaffen, sagte er.

Umstritten war eine weitere Abmachung: Bei den nächsten zwei folgenden Wahlen 2018 und 2022 hätte die FARC automatisch mindestens fünf Abgeordnetensitze sowohl im Senat als auch im Unterhaus bekommen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Unión Patriótica (UP) wurde in den 80er Jahren unter Mitwirkung der FARC als linke Oppositionspartei gegründet und von der Regierung anerkannt. Nachdem die UP durch die systematische Ermordung vieler UP-Mitglieder durch rechtsgerichtete Paramilitärs und Drogenbanden bedeutungslos geworden war, wurde die FARC politisch wieder aktiver. Von nun an sollte der Konflikt wieder militärisch geführt werden.

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