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Auf den Spuren des DDR-Unrechts: Die Behörde "Salzgitter" | Hintergrund aktuell | bpb.de

Auf den Spuren des DDR-Unrechts: Die Behörde "Salzgitter"

Redaktion

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Am 24. November 1961 nimmt sie ihre Arbeit auf: die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter. Westdeutschland beginnt, Beweismittel zu sammeln: zu Tötungsfällen an der Grenze und später auch zu Opfern politischer Justiz im Nachbarstaat DDR. Nach 1989 werden die Dokumente für zahlreiche Prozesse genutzt.

Ein Justizbediensteter hält am 29.08.2007 die Akte des letzten Mauertoten, der an der ehemaligen innerdeutschen Grenze bei einem Fluchtversuch von einem Grenzsoldaten erschossen wurde, in den Händen. 40.000 Akten über regimebedingte Straftaten in der DDR wurden kurz darauf von Braunschweig ins Koblenzer Bundesarchiv gebracht. (© picture-alliance/dpa)

Wenige Tage nach dem Externer Link: Mauerbau 1961 fallen die ersten Todesschüsse auf Menschen, die von der DDR in die Bundesrepublik Deutschland fliehen wollen. Im Westen herrscht darüber große Empörung, aber auch Hilflosigkeit. Man ist sich dessen bewusst, dass man kurzfristig die Gewaltakte weder verhindern noch juristisch verfolgen kann. Der Regierende Bürgermeister von Interner Link: West-Berlin, Willy Brandt (SPD), wendet sich deswegen am 5. September 1961 an die Ministerpräsidenten der Bundesländer. Er schlägt vor, die Registrierung der Straftaten der Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen für NS-Verbrechen in Ludwigsburg zu übertragen.

Die Konferenz der Justizminister der Bundesrepublik beschließt am 27. Oktober 1961, eine Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen einzurichten. Die Aufgabe wird Niedersachsen als dem Bundesland mit der längsten Grenze zur DDR übertragen. Sitz der Zentralstelle ist Salzgitter.

Ermittlung gegen Menschenrechtsverletzungen in der DDR

Am 24. November 1961 nimmt die Behörde ihre Arbeit auf. Grundstock sind die Ermittlungsakten über 50 Gewaltakte, darunter Todesschüsse auf Flüchtende, an der Berliner Mauer.

"Salzgitter", wie die Zentrale Erfassungsstelle kurz genannt wird, registriert alle bekannt werdenden politisch motivierten Unrechtshandlungen innerhalb der DDR. Dazu gehören politische Urteile, Misshandlungen in Ermittlungsverfahren und im Interner Link: Strafvollzug sowie andere Verletzungen der Menschenrechte. Die Erfassungsstelle ist eine Vorermittlungsbehörde, die Voraussetzungen für eine künftige Strafverfolgung schaffen soll. Wenigstens theoretisch hat man so künftige Strafprozesse gegen die Verantwortlichen in der DDR im Auge.

1980: DDR verlangt Abschaffung der Erfassungsstelle

Nach der internationalen Interner Link: Anerkennung der DDR und der Aufnahme von Interner Link: Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland 1973 nehmen die polemischen Angriffe der DDR auf die Erfassungsstelle zu. Salzgitter ist in der DDR eine der meist gehassten Einrichtungen der Bundesrepublik. Ihre Auflösung ist ein Punkt der Interner Link: Geraer Forderungen, die Erich Honecker 1980 formuliert.

Allerdings verliert die innerdeutsche Grenze auch durch kleinere Korrekturen, wie den Interner Link: Abbau der Selbstschussanlagen ab 1983, nichts von ihrer Brutalität. Nach wie vor gibt es zahllose politische Urteile und andere Rechtsverletzungen. Es gibt also keine wirkliche Grundlage für die Einstellung der Datenerhebung über Unrechtshandlungen in der DDR.

1984: SPD fordert die Auflösung der Erfassungsstelle

Doch setzt man im Westen nun stärker auf Gespräche als auf Konfrontation und laute Proteste. Die Wiedervereinigung und eine Strafverfolgung der SED-Täter scheinen in weite Ferne gerückt. Die SED-Führung ist für Politiker aller Parteien zum begehrten Gesprächspartner geworden. Zur gleichen Zeit gegen die Verantwortlichen in der DDR Material für künftige Strafprozesse zu sammeln, scheint jetzt auch im Westen für viele kontraproduktiv zu sein.

Besonders SPD-Politiker sehen in der Erfassungsstelle ein Relikt des Interner Link: Kalten Kriegs. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert 1984 deren Auflösung. Seit 1988 stellen die sozialdemokratisch regierten Bundesländer und West-Berlin schrittweise die Mitarbeiter und die Finanzierung der Behörde in Salzgitter ein. Sie wird 1992 geschlossen.

Mehrere Zehntausend Gewaltakte dokumentiert – Grundlage für spätere Aufarbeitung

Dokumente über 42.000 Gewaltakte sammelte die Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter zwischen 1961 und 1992. Nach dem Zusammenbruch der DDR erweist sich das Material als sehr hilfreich für die Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Unter anderem finden sich wichtige Dokumente für die Interner Link: Mauerschützenprozesse unter den archivierten Akten.

Heutige Nutzung der Akten

Die Aktenbestände sind mittlerweile dem Interner Link: Bundesarchiv in Koblenz übergeben worden. Sie dienen nicht nur der juristischen Aufarbeitung des SED-Unrechts, sondern auch der Aufklärung von Schicksalen, bei Rehabilitationsverfahren sowie der wissenschaftlichen Forschung.

Rückblickend räumen heute auch manche Kritiker und Kritikerinnen der Zentralen Erfassungsstelle ein, dass sie eine wichtige Aufgabe bei der Interner Link: Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und bei dessen Interner Link: Überwindung gespielt hat.

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