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"In der Klimapolitik verschwimmen Grenzen" | Hintergrund aktuell | bpb.de

"In der Klimapolitik verschwimmen Grenzen" Interview zu europäischen Klimaschutzzielen

Severin Fischer

/ 6 Minuten zu lesen

Vor zehn Jahren, im Januar 2008, hat die Europäische Kommission zum ersten Mal europaweite Klimaschutzziele formuliert. Wie sich die europäische Klimapolitik seitdem entwickelt hat und welche Instrumente sinnvoll sind, erklärt der Politikwissenschaftler und Klimaexperte Severin Fischer im Interview.

Hinter dem Kohlekraftwerk Mehrum geht die Sonne auf. 2016 lag der Anteil von Braun- und Steinkohle an der deutschen Bruttostromerzeugung bei rund 40,3 Prozent. (© picture-alliance/dpa)

Am 22. Januar 2008 einigten sich die EU-Mitgliedstaaten unter anderem darauf, den Energieverbrauch und den Ausstoß von Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent zu reduzieren. Diese Emissionen sind auch gesunken, im Vergleich zum Ausgangsjahr der Berechnungen, 1990, sogar um 22 Prozent. War das Ziel zu niedrig gesetzt oder hat die EU mehr für den Klimaschutz getan als geplant?

Schon 2008 war klar, dass dieses Ziel nicht allzu schwierig zu erreichen sein würde. Dass es übertroffen wurde, hat mehrere Gründe, da spielte die Interner Link: Wirtschaftskrise und die Interner Link: Globalisierung mit rein, und die Tatsache, dass der Anteil an erneuerbaren Energien viel schneller erhöht wurde als erwartet. Die Leistung von 2008 war auch weniger die Zielsetzung an sich, sondern die Tatsache, dass alle europäischen Staaten mit ins Boot gekommen sind und Ziele gesetzt haben, mit denen man auch international zeigen kann: Europa leistet seinen Beitrag und ist beim Klimaschutz vorn dabei.

Was sind die wichtigsten Instrumente der europäischen Klimapolitik?

Die Mitgliedstaaten wurden mit dem europäischen Klimapaket von 2008 verpflichtet, erneuerbare Energien auszubauen und Maßnahmen zur Energieeffizienz zu treffen. Jeder Mitgliedstaat hat sich, je nach Fähigkeiten und Möglichkeiten, ein individuelles Ziel gesetzt wichtiges Instrument war die Einführung des europäischen Emissionshandels. Dadurch bekamen Treibhausgas-Emission einen einheitlichen europäischen Preis und wurden auf eine Gesamtmenge reduziert. So benötigen Unternehmen seitdem Emissionzertifikate, die sie dazu berechtigen Interner Link: CO2 auszustoßen. Zur Steuerung des einheitlichen europäischen Marktes für Emissionshandel wurde der europäische Zertifikatepool eingeführt.
Leider ist die Lenkungswirkung dieser Maßnahme aktuell gering. Da das europäische Klimaziel nicht sehr ambitioniert ist, ist die Nachfrage nach den Zertifikaten niedrig geblieben und damit auch der Preis. Es gibt einfach zu viele Zertifikate. Der Emissionshandel wird deshalb gerade reformiert, die EU-Kommission arbeitet an einem Instrument, um den Überschuss an Zertifikaten zu korrigieren. Über eine Reserve soll zum Beispiel eine künstliche Nachfrage erzeugt werden. So steigt der Preis und das Signal des Emissionshandels kommt bei den Konsumenten an. Man hat wieder die gewünschte Steuerungswirkung.

"Deutschland exportiert 15 Prozent der nationalen Stromerzeugung. In den Staaten, die diese Mengen importieren, wird dadurch weniger Strom produziert, es werden so auch weniger Emissionen erzeugt."

Severin Fischer

Die Bundesregierung hat gerade angekündigt, dass Deutschland sein eigenes Klimaziel bis 2020 nicht erreicht. Wie steht Deutschland mit Blick auf die europäischen Zielvorgaben da?

Deutschland wird einer der Staaten sein, die am Ende mehr CO2 ausgestoßen haben als prognostiziert war, während Länder wie Spanien, Griechenland und einige mittelosteuropäische Länder unter den Schätzungen bleiben. Interessanterweise liegt Deutschland mit 18 Prozent auch beim Anteil der erneuerbaren Energien unter dem europaweiten Schnitt der EU für 2020. Grund dafür ist aber vor allem, dass in Deutschland vergleichsweise wenig erneuerbare Energien im Verkehrs- und Wärmesektor zu finden sind und wir insgesamt von einem niedrigen Level gestartet sind. Was wir bei der Betrachtung der Klimapolitik in den vergangenen zehn Jahren aber vor allem lernen können: Zum einen haben Emissionen von Treibhausgas noch immer sehr viel mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun. Und zum anderen: In der Klimapolitik verschwimmen Grenzen. Europa ist ein gemeinsamer Markt, in dem hier mehr und da weniger erzeugt, verkauft, gehandelt und konsumiert wird. Deutschland exportiert zum Beispiel 15 Prozent der nationalen Stromerzeugung. In den Staaten, die diese Mengen importieren, wird dadurch weniger Strom produziert, es werden so auch weniger Emissionen erzeugt. Auch der Emissionshandel kennt keine nationalen Grenzen mehr, die Zertifikate werden quer durch ganz Europa gehandelt, es zählt nur das EU-Gesamtziel. Man muss sich die EU wie einen See vorstellen: Wenn das Wasser in einem Teil des Sees niedriger sein soll, steigt es woanders, denn die Gesamtmenge an Wasser bleibt immer gleich. Ob Deutschland das nationale Klimaziel erreicht oder nicht, ist deshalb für das EU-weite Ziel relativ egal. Das ist europäische Integration, die gibt es eben auch in der Klimapolitik.

Was ist von nationalen Klimaschutzzielen zu halten?

Seit es europäische Klimaziele gibt, ist es nicht nur schwerer, nationale Ziele zu verfolgen. Nationale Zielsetzungen sind dadurch auch fragwürdig geworden. Um das eigene Klimaziel zu erreichen, hätte die Bundesregierung den Stromexport reduzieren müssen. Die anderen Länder hätten ihren Interner Link: Strom dann aus einem anderen Land bezogen oder selbst produziert und damit mehr Emissionen erzeugt. Nationale Ziele sind also nicht mehr ganz so wichtig, wie es in der Öffentlichkeit manchmal erscheint. Interessant sind aber die Instrumente, mit denen einzelne Mitgliedstaaten ihre klimapolitischen Ziele verfolgen. Die deutsche Energiewende zum Beispiel hat einen sehr interessanten Weg aufgezeigt und bewiesen, dass eine industrialisierte Wirtschaft in der Lage ist, auf erneuerbare Energien umzusteigen und auf Kernenergie zu verzichten. Jetzt ist klar: Erneuerbare Energien sind sehr viel günstiger als andere Optionen, denn die Preise für Solar- und Windenergie fallen mit der Umstellung. Diese Botschaft ist in Europa angekommen und wird auch in vielen Staaten kopiert. Auch wenn also unmittelbar kaum Emissionen reduziert wurden, ist der Ausstrahlungseffekt enorm.

Welche nationalen Maßnahmen haben in anderen Ländern gut funktioniert?

In Großbritannien hat die Regierung ähnlich wie in Deutschland ambitionierte Klimaziele. Dort geht man aber völlig andere Wege, um sie zu erreichen. Dort wurde zum Beispiel ein nationaler Mindestpreis für den CO2-Ausschuss eingeführt, aber auch auf die Atomenergie gesetzt. In Polen und in einigen anderen mittel- und osteuropäischen Staaten ist Umweltschutz hingegen kaum ein prioritäres Thema, es gibt keine spezifischen nationalen Maßnahmen. Vielleicht ändert sich das in Zukunft, wenn wir anfangen auch im Verkehrssektor Klimapolitik zu betreiben und Staaten damit beginnen, in die Elektromobilität oder alternative Technologien zu investieren.

"Ein Ziel macht nur Sinn, wenn man auch Maßnahmen ergreifen kann, um es zu erreichen."

Severin Fischer

Was ist generell von Klimazielen zu halten?

Es hängt davon ab, auf welcher Ebene man Ziele formuliert, und welche Instrumente vorhanden sind, um diese auch zu erreichen. Ein Ziel macht also nur Sinn, wenn man auch Maßnahmen ergreifen kann, um es zu erreichen und das eine Wirkung hat. Auf EU-Ebene sind Ziele sehr sinnvoll, weil die EU die Mitgliedstaaten international bei den Klimaverhandlungen vertritt. Außerdem hat die EU mit dem Emissionshandel und den Vorgaben für die Mitgliedsstaaten zur Emissionsminderung auch Instrumente, um eine Wirkung zu erzielen. Eine ernste Debatte über nationale Ziele würde ich mir vor allem im Bereich Verkehr und Wärme wünschen. Da hat der Nationalstaat viel mehr Möglichkeiten und ein großes Potenzial, Emissionsminderungen zu erreichen.

Die Europäische Kommission hat schon das nächste Klimaziel angekündigt. Bis zum Jahr 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent gesenkt werden.

Dieses Ziel ist wesentlich ambitionierter. Über die Umsetzung wird gerade diskutiert. Neben der Korrektur im Emissionshandel wird es neue Regeln für die erneuerbaren Energien geben, neue Energieeffizienzvorgaben. Bis 2030 sollen mindestens 27 Prozent der Energie in der EU aus regenerativen Quellen kommen. Die größte Veränderung aber ist, dass die europäischen Ziele nicht mehr auf nationale Ziele umgemünzt werden. Die Mitgliedstaaten sind nicht mehr auf nationale Ziele verpflichtet. Beim letzten Maßnahmenpaket war das noch anders.

"Es ist nicht zeitgemäß, in einem integrierten Strommarkt nationale Ziele zu setzen."

Severin Fischer

Ist das ein sinnvoller Schritt?

Viele fürchten, dass der Anreiz fehlt, Interner Link: erneuerbare Energien zu fördern. Aber wir haben nun mal einen zunehmend integrierten Strommarkt, in dem nicht mehr klar zuzuordnen ist, wer wie viel Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt. Es wird sehr viel Strom über die Grenzen gehandelt. Es ist nicht zeitgemäß, in einem integrierten Strommarkt nationale Ziele zu setzen. Man muss europaweit Anreize liefern und Marktmechanismen finden, wie man das erreichen kann.

Reicht das neue europäische Klimaziel, um die internationalen Zielvorgaben zu erfüllen?

Glaubt man dem Weltklimarat IPCC und dem, was Wissenschaftler sagen, dann sind die 40 Prozent nicht ausreichend. Aber dann muss man sich natürlich fragen: Wer macht vergleichbar viel? Welche Staaten wollen ebenfalls bis 2030 vierzig Prozent der Emissionen gegenüber 1990 einsparen? Global gesehen, gibt es nicht viele, die ähnliches planen. Die Vereinigten Staaten oder Japan schneiden da im Vergleich deutlich schlechter ab. Es lässt sich also sehr unterschiedlich auf dieses neue Ziel schauen. Und wenn man fragt, wer in den vergangenen fünf Jahren am meisten Mittel in erneuerbare Energien investiert hat, dann ist Europa nicht ganz vorn, sondern China. Eine ganz objektive Antwort ist hier also schwer zu finden.

Das Interview führte Veronica Frenzel.

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Dr. Severin Fischer ist Politikwissenschaftler und arbeitet an der Externer Link: ETH Zürich als Senior Researcher im Global Security Team des "Center for Security Studies".