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Die wachsende Welt

Fritz Habekuß

/ 8 Minuten zu lesen

Trotz sinkender Fertilitätsrate: Szenarien der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Weltbevölkerung auch in diesem Jahrhundert weiter stark anwachsen wird. Weltweit steigt die Lebenserwartung und vielerorts bekommen Frauen nach wie vor viele Kinder.

Demografie weltweit (© Martin Brombacher )

1798 schrieb der englische Pfarrer Thomas Robert Malthus in seinem Buch Das Bevölkerungsgesetz, dass das Wachstum der Bevölkerung auf diesem Globus nicht so weiter gehen könne, da die Lebensmittelproduktion nicht mit ihm Schritt halten würde. Rund sechs Jahre später, im Jahr 1804, überschritt die Weltbevölkerung erstmals die Grenze zur Milliarde. Weitere 120 Jahre dauerte es, bis die zweite Milliarde dazu kam, dann nur noch 30, bis sich drei Milliarden Menschen unseren Planeten teilten. Zwischen der Geburt des siebt- und des achtmilliardsten Erdenbürgers werden nicht mehr als vierzehn Jahre vergehen.

Dass es heute überhaupt möglich ist, 7,5 Milliarden Menschen zu ernähren, ist Revolutionen in Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie, Hygiene und Gesundheitsversorgung zu verdanken. Die unangenehme Wahrheit dahinter ist aber auch, dass die Chancen auf ein langes und gesundes Leben auf der Welt höchst unterschiedlich verteilt sind. Schaut man sich an, wo wie viele Menschen leben und wie alt sie werden, erfährt man nicht nur eine Menge über globale Ungleichgewichte, sondern auch über Wertvorstellungen, Bildung und weltweite Gerechtigkeit.

Die Geburtenrate fällt konstant

Überall auf der Welt vollziehen sich stets und ständig demografische Veränderungen. Und auch wenn sie überall unterschiedlich verlaufen und einige Staaten kaum oder nur verspätet von den Fortschritten in Medizin, Hygiene und Landwirtschaft profitieren, sind in den vergangenen Jahrzehnten einige globale Trends offensichtlich geworden. Überall auf der Welt gibt es mehr alte Menschen. Das ist in erster Linie eine Folge verbesserter Lebensbedingungen. Immer mehr Menschen haben Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung, sozialen Sicherungssystemen und ausreichender Ernährung. Das führt dazu, dass die Lebenserwartung weltweit steigt, in Europa im Durchschnitt um drei Monate pro Jahr. Grund dafür sind vor allem Fortschritte in der Medizin, aber auch steigender Wohlstand, bessere Arbeits- und Hygienebedingungen, gesündere Ernährung und geringerer körperlicher Verschleiß.

Lag die durchschnittliche Lebenserwartung 1800 in Westeuropa noch bei 40 und stieg erst nach 1900 auf 50 Jahre, gewannen im 20. Jahrhundert westliche Bewohner von Industriestaaten fast 30 Jahre hinzu. Zwischen 1950 und 1955 hatten Norwegen (72,7 Jahre), Island (72,1) und die Niederlande (71,9) die höchste Lebenserwartung, der heutige Spitzenreiter Japan lag damals bei 62,1. Fünfzig Jahre später war Japans Lebenserwartung bereits auf 81,8 Jahre geklettert, Island (80,6) und Hong Kong (81,3) erzielten ebenfalls hohe Werte. Deutschland war mit 78,6 unter dem westeuropäischen Durchschnitt, der bei 78,9 Jahren lag. 2014 führten Hong Kong mit 84, Japan mit 83,6 und Spanien mit 83,1 Jahren das weltweite Ranking an. Forschungen des Max-Planck-Instituts für Demografie legen nahe, dass dieser Trend noch lange anhalten wird, da keine exakte Grenze existiere, die bestimmt, wie alt ein Mensch maximal werden kann.

Neben den Trends der Alterung von Gesellschaften und der Steigerung des maximalen Lebensalters lässt sich auch ein Wandel traditioneller Werte beobachten, vor allem in industrialisierten Ländern. In einigen Ländern Europas wie Norwegen, Finnland, Deutschland und Frankreich heiraten die Menschen im Schnitt mit über 30 Jahren. In vielen Ländern ist das Heiratsalter in den vergangenen Jahrzehnten kräftig geklettert. Zum Beispiel in Frankreich von 23 (1977) auf 32,8 im Jahr 2012. Leichter zugelegt haben auch Kamerun (von 22,6 im Jahr 1976 auf 25 im Jahr 2011) und Sierra Leone (von 23,8 im Jahr 1992 auf 24,3 im Jahr 2013). Frauen heiraten in der Regel in einem jüngeren Alter als Männer, wobei der Altersunterschied in ärmeren Ländern tendenziell größer ist. Generell geht die Zahl der Ehen zurück, und gleichzeitig sind immer mehr Frauen berufstätig. In den OECD-Staaten hat sich die Frauenerwerbsquote zwischen 2005 und 2012 von 55,9 auf 57,2 erhöht, auch in den meisten anderen Weltregionen ist sie gestiegen. Das hat ebenfalls Einfluss auf die Fertilität, die häufig mit der so genannten zusammengefassten Geburtenziffer (TFR für total fertility rate) dargestellt wird. Demografen benutzen diese Größe, um anzugeben, wie viele Kinder eine Frau im Lauf ihres Lebens zur Welt bringt. Die TFR sinkt praktisch überall auf der Welt, liegt aber in den südlich der Sahara gelegenen Teilen Afrikas nach wie vor auf hohem Niveau. Expertinnen und Experten nehmen an, dass sinkende Fertilitätsraten eine Folge des wachsenden Wohlstands und einer sich ändernden Arbeitswelt ist: Die Zeit, die für die Betreuung und Erziehung von Kindern aufgebracht werden muss, könnte für Erwerbsarbeit genutzt werden. Außerdem sind Kinder in der heutigen Zeit nicht mehr so relevant für die Altersvorsorge.

Fast zehn Milliarden Menschen werden 2050 auf der Erde leben

Damit eine stationäre Bevölkerung entsteht, eine Population also nicht schrumpft oder wächst, muss eine Frau in entwickelten Ländern im Durchschnitt 2,1 Kinder zur Welt bringen, für Entwicklungsländer liegt dieser Wert bei rund 2,5. Der Wert ist in weniger entwickelten Ländern höher, da die Kindersterblichkeit dort höher ist als in Industrienationen. Das Bestanderhaltungsniveau entspricht dem Geburtenniveau, bei dem der Erhalt der Elterngeneration durch die Kindergeneration gesichert ist. In fast allen entwickelten Ländern liegt die Fertilitätsrate jedoch darunter, in vielen weniger entwickelten Ländern darüber. Die Folge ist dort ein stetiger Anstieg der Bevölkerungszahl.

Das Department of Economic and Social Affairs der Vereinten Nationen (UN für United Nations) hat mehrere Szenarien entwickelt, mit denen es die Bevölkerungsentwicklung in den kommenden Jahrzehnten schätzt. Blieben die Fertilitätsraten auf dem heutigen Niveau, leben bis zum Ende des 21. Jahrhunderts 28,7 Milliarden Menschen auf der Erde. Das ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Trotzdem gilt es als sicher, dass die weltweite Bevölkerungszahl durch das gesamte Jahrhundert ansteigen wird. Ein Szenario der UN von 2015 geht davon aus, dass 2050 9,7 Milliarden Menschen die Erde bevölkern werden und diese Zahl bis 2100 auf 11,2 Milliarden ansteigt. Im niedrigsten Szenario würde die Weltbevölkerung um 2080 ihren Höhepunkt erreichen und danach wieder leicht absinken, bis zum Ende des Jahrhunderts wäre sie bei 9,4 Milliarden angelangt. Im höchsten Szenario lebten 2100 über 13 Milliarden Menschen auf der Erde.

Kein Kontinent wächst so schnell wie Afrika

Afrika überholte Mitte der 1990er Jahre Europa als Kontinent mit den zweitmeisten Einwohnerinnen und Einwohnern und wird auch weiterhin am stärksten wachsen. 2009 lebten hier schon mehr als eine Milliarde Menschen, bis 2044 wird sich diese Zahl verdoppeln. In keiner anderen Weltregion bekommen die Frauen so viele Kinder, vor allem in der Region südlich der Sahara sind die Zahlen hoch. Im Zeitraum 2010-2015 lag die Fertilitätsrate bei rund 5,1 Kindern pro Frau, in 15 Jahren soll sie dann auf 4,1 fallen. Woran liegt das?

Neben verbesserten hygienischen und medizinischen Bedingungen ist Bildung für Frauen ein Schlüsselfaktor. Wo Frauen eigene Entscheidungen treffen und wirtschaftlich vom Mann unabhängig sind, gehen die Kinderzahlen zurück. Forschungen des Vienna Institute of Demography zeigen diesen Zusammenhang. Eine gute Bildungsinfrastruktur fehlt jedoch in vielen ländlichen Gegenden der Länder Afrikas oder ist nicht allen zugänglich. Hinzu kommt, dass die christlichen Kirchen, die häufig einen großen Einfluss auf die Gewohnheiten der Menschen haben, bisweilen den Einsatz von Verhütungsmitteln verbieten. So ist der Druck auf kinderlose Frauen groß. Die Frage, ob sich das Wachstum der Bevölkerung auf dem afrikanischen Kontinent stoppen oder reduzieren lässt, kann also nur gesellschaftlich, wirtschaftlich und sozial beantwortet werden.

In Asien leben die meisten Menschen

Mädchen in einem Schulbus in Indien: Die Fertilitätsrate ist in Indien im Jahr 2014 auf 2,5 gesunken. (© picture alliance / ZB)

Die Weltregion, in der heute und in Zukunft die meisten Menschen leben werden, ist Asien. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass der Kontinent weiter wachsen wird, allerdings viel langsamer als Afrika. Heute leben in Asien rund 60 Prozent der Weltbevölkerung, Afrika folgt mit 15 Prozent. 2052 soll die Bevölkerung in Asien ihren Höchststand erreicht haben.

China und Indien sind zwei Nationen der Superlative, sowohl bezüglich ihrer Fläche als auch des Wirtschaftswachstums und ihrer Bevölkerungen. Zwar ist in China seit der Einführung der Ein-Kind-Politik (die mittlerweile geändert wurde) die Geburtenziffer von 6,16 (1965) auf sehr niedrige 1,56 (2014) Kinder pro Frau gesunken, doch durch eine höhere Lebenserwartung und eine insgesamt junge Bevölkerung wächst China zunächst langsam weiter.

Das Nachbarland Indien wird China jedoch schon bald als einwohnerstärkstes Land der Welt ablösen. Schon früh hat Indien erkannt, dass ein starkes Bevölkerungswachstum das Land vor Probleme stellt. Mitte der 1940er Jahre lag die Fertilitätsrate hier bei rund sechs Kindern pro Frau, im Jahr 2014 ist sie auf 2,42 gesunken. Lange Zeit war die Zwei-Kind-Familie offizielles Ziel indischer Politik, von solchen direkten Vorgaben auf die Lebensplanung der Menschen ist die Regierung mittlerweile jedoch abgerückt, statt auf Zwang setzt der Staat auf Überzeugung durch Argumente.

Aussichten und Prognosen

Eine Folge des globalen Bevölkerungswachstums ist auch ein rasantes Wachstum der Städte, vor allem durch Zuzug von außen. In den USA lebten 2015 schon mehr als 80 Prozent aller Menschen in Städten, Deutschland hat eine Urbanisierungsrate von 75 Prozent, Staaten wie China mit 56 Prozent oder Russland mit 74 Prozent folgen diesem Trend.

In den Weltregionen Nord- und Südamerika, Europa und Ozeanien leben heute 1,7 Milliarden Menschen. Diese Zahl wird sich bis 2062 auf rund zwei Milliarden erhöhen und danach sehr langsam wieder sinken. Gehören Länder wie Deutschland oder Japan heute noch zu den wirtschaftlichen und politischen Schwergewichten, wird es für sie schwierig, diese Position in Zukunft zu verteidigen, ihre demografischen Aussichten weisen auf verschiedene Probleme hin. Das gilt auch allgemein für alle europäischen Staaten: Die Vereinten Nationen schätzen, dass die Bevölkerung hier im Jahr 2018 ihren Höhepunkt erreichen und danach langsam von 744 Millionen auf 709 Millionen (2050) und 639 Millionen (2100) sinken wird.

Etwa 2035 wird die Gruppe der heutigen Entwicklungs- die Industrieländer zahlenmäßig eingeholt haben. Während die Bevölkerung der entwickelten Regionen von 1,2 Milliarden (2011) auf lediglich 1,3 Milliarden (2100) steigt, wird sich die Einwohnerzahl in den am wenigsten entwickelten Regionen von 0,85 auf 2,7 Milliarden im gleichen Zeitraum mehr als verdreifachen. Zu letzterer Gruppe gehören die Länder mit den höchsten Zuwachsraten wie Niger (TFR: 7,6 pro Frau), Burkina Faso (TFR: 5,6) oder Afghanistan (FTR: 5,1; TFR-Daten jeweils für den Zeitraum 2010-2015).

Die Daten der UN können aber die Zukunft nicht voraussagen. Niemand weiß, welche Einflüsse Hungersnöte, Kriege oder Migration in den kommenden Jahren auf die demografische Entwicklung haben werden. Die Mütter von morgen sind heute schon geboren. Politische Veränderungen, die Einfluss auf die Demografie haben, wirken in der Regel jedoch eher langfristig. Trotzdem sind die UN-Vorausberechnungen keine in Stein gemeißelten Gesetze, sondern nur Szenarien, die helfen, in die Zukunft zu schauen. Wie die Weltbevölkerung sich in Zukunft entwickelt – und vor allem: wie wir mit den Veränderungen umgehen, liegt in unserer Hand.

Glossar

Bevölkerungsentwicklung: Setzt sich zusammen aus den Geburten- und Sterbezahlen sowie der Migration.

Fertilitätsrate: Gibt an, wie viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens zu Welt bringt.

Bevölkerungsprognose: Schätzung des zu erwartenden Bevölkerungswachstums aufgrund von Mortalität, Fertilität und Migration. Wird in der Regel in mehreren Varianten angegeben.

Weitere Inhalte

Fritz Habekuß, Jahrgang 1990, ist Redakteur im Wissenschaftsressort der ZEIT. Er wurde in Brandenburg geboren und studierte Wissenschaftsjournalismus mit Schwerpunkt Biowissenschaften und Medizin an der TU Dortmund.