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Familienpolitik als Carepolitik für Ältere

Nancy Ehlert

/ 11 Minuten zu lesen

Die Lebenserwartung in Deutschland steigt. Zugleich bleibt die Geburtenrate auf einem niedrigen Niveau. Der demographische Wandel der Gesellschaft stellt auch an die Familienpolitik Herausforderungen sowie Chancen. Familienpolitik muss dabei neben Kindern, auch die Älteren im Fokus haben und das Thema der Pflege. Solidarische Generationsbeziehungen sind dafür entscheidend, sagt Nancy Ehlert. Die Sozialwissenschaftlerin erklärt die Grundzüge der Carepolitik und die Anforderungen.

Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt, wobei viele der Pflegenden berufstätig sind. Damit wird die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu einem wichtigen Thema der Familienpolitik. (© picture-alliance, ZB)

Der 'Care'-Begriff wurde aus einer feministischen Debatte heraus entwickelt und beschreibt bezahlte und unbezahlte Arbeit für die Fürsorge abhängiger Personen. Hierzu gehört die Kinderbetreuung und Altenpflege, auch die Nachbarschaftshilfe oder Unterstützung bei der Hausarbeit.

Bei der Altenbetreuung ist bisher nur ein vorsichtiger Ausbau verstetigt. Außerdem sind hier große Unterschiede in Bezug der Fürsorgeleistungen für ältere Menschen zwischen den europäischen Staaten zu beobachten. Zugleich besteht ganz allgemein die Notwendigkeit einer Debatte um Carepolitik für Ältere, also um die politischen Rahmenbedingungen einer Fürsorge für Ältere. Der altersstrukturelle Wandel der Gesellschaft macht solch eine Diskussion erforderlich.

Altersstruktureller Wandel der Gesellschaft

Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der verringerten Geburtenraten zeigt sich eine veränderte Altersstruktur der Gesellschaft. Diese Tendenz ist in allen europäischen Ländern ersichtlich. Der Rückgang der Geburtenzahlen – wenn auch mit deutlichen Unterschieden – bedeutet einen Rückgang der für Pflegeleistungen zur Verfügung stehenden Jüngeren. Auch die finanzielle Absicherung älterer Menschen spielt eine Rolle. Zudem kommen geburtenstarke Jahrgänge in das Alter, in dem die Wahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigkeit wächst.

Eine Rolle für den altersstrukturellen Wandel spielen auch die sinkende Zahl an Mehrgenerationenhaushalten und die wachsende Zahl Alleinlebender. Diese Faktoren haben jedoch keinen Einfluss auf die weiterhin hohe Kontakthäufigkeit zwischen den Generationen.

Dabei offenbart der demographische Wandel Herausforderungen wie auch Chancen. Eine Chance ist, dass mit der Verlängerung der Lebenserwartung auch länger anhaltende Beziehungen zwischen den Generationen möglich sind und damit eine stark zunehmende gemeinsame Lebenszeit der Generationen. Herausforderungen sind die Versorgung der wachsenden Zahl von hilfsbedürftigen Älteren sowie die mögliche Überlastung der erwerbstätigen Erwachsenen, die familiäre Fürsorge zu übernehmen. Der demografische Wandel bedeutet auch eine steigende Zahl an Leistungsempfängern und eine abnehmende Zahl der Beitragszahlenden, was mit Lücken der öffentlich finanzierten Alterssicherung einhergeht – zum Beispiel in Deutschland.

Vereinbarkeit von Pflege und Beruf

Derzeit beziehen 2,7 Millionen Menschen in Deutschland Leistungen aus der Pflegeversicherung (siehe hierzu auch den Text "Die Pflegeversicherung – Überblick"). Für 2020 wird eine Erhöhung auf rund drei Millionen Menschen und für 2050 auf knapp fünf Millionen Menschen erwartet. Es wird angenommen, dass der Pflegebedarf pro Person zunimmt und die Zahl sehr alter Menschen wächst. Dennoch wird kein linearer Anstieg des durchschnittlichen Beginns der Pflegebedürftigkeit prognostiziert (Szydlik 2008): Das heißt, die Menschen werden nicht später im Alter pflegebedürftig sondern eher länger.

Die Pflege wird überwiegend privat geleistet: Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Dabei sind viele Pflegende berufstätig. Gut drei Viertel (78 Prozent) der 40- bis 59-jährigen Frauen, die einen Angehörigen pflegen, sind auch berufstätig; davon 30 Prozent in Vollzeit. Der größte Teil der häuslichen Pflege wird von Frauen geleistet, etwa ein Viertel (in 2010) von Männern. Für Männer wie Frauen besteht das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege: Es kommt zur doppelten Belastung. Dabei ist die mittlere Familiengeneration besonders angestrengt, also Männer und Frauen mit Kindern und pflegebedürftigen Eltern.

Es lässt sich die These aufstellen, dass familiale Hilfe- und Pflegeleistungen für ältere Angehörige zunehmend prekär werden (Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina 2009). Dafür gibt es verschiedene Gründe: Der Betreuungsbedarf nimmt zu, doch die Betreuungsmöglichkeiten nehmen ab; die wachsende Flexibilisierung der Arbeit; die zunehmende Frauenerwerbsbeteiligung; steigende Mobilität, die Wohnungsentfernungen von Familienmitgliedern größer werden lässt und auch die abnehmende Geschwisterzahl, die sich die Betreuung der Eltern teilen könnten.

In der Diskussion steht deshalb die Unterstützung der Familien durch die Solidargemeinschaft, um gesamtgesellschaftliche Folgekosten durch die Überlastung der Familien zu verhindern (Szydlik 2008). Notwendig erscheinen die Flexibilisierung der Arbeitszeit für Pflegende und Betreuende, um einen mehrjährigen Ausstieg aus der Berufstätigkeit zu vermeiden (BMFSFJ 2006). Um mehr Anreize für die Nutzung professioneller Dienstleistungen zu setzen, wird über eine Erleichterung der Vernetzung familiärer und öffentlicher Angebote nachgedacht (Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina 2009).

Solidarität der Generationen als Bereitschaft für Fürsorgeleistungen

In der Familie liegt die Basis lebenslanger Generationensolidarität und die Bereitschaft Fürsorge für andere zu übernehmen. Solidarität zeigt sich innerhalb der Familie sowie zwischen den Generationen auf gesellschaftlicher Ebene. Ein Indikator für solidarische Generationenbeziehungen ist ein hoher Anteil an häuslichen Pflegearrangements oder die Möglichkeit eines Pflegemix mit gemeinsamer Verantwortung für die Pflege mit der Familie, ambulanten Pflegediensten und sozialen Diensten. Auch der Grad an Kontakten zwischen den Generationen indiziert die Qualität von Generationenbeziehungen (Pohlmann 2001).

Quellentext

"Generationensolidarität ist einerseits ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Verbundenheit, andererseits spezifische Handlungen, die auf die jeweils andere Generation bezogen sind. Die Verbundenheit zeigt sich durch die vielfältige persönlich Hilfe (emotionaler Beistand, Enkelbetreuung, Haushaltshilfe, Pflege). Die familiäre Pflegesituation gilt dabei als besonders ausgeprägte Form der Generationensolidarität mit zeitlicher, körperlicher, finanzieller, sozialer und psychischer Belastung (BMFSFJ 2006)."

In Bezug auf die Generationenverhältnisse werden die Zielvorstellungen bezüglich des Verhältnisses zwischen den Generationen diskutiert. Eine hohe Akzeptanz erfährt das Umlageverfahren der Alterssicherung. Kern des Umlageverfahrens ist, dass die laufenden Zahlungen an die Rentenbezieher aus den laufenden Einnahmen finanziert werden. Generationenverhältnisse müssen dabei immer die verschiedenen Aspekte der Gerechtigkeit des Umverteilungsarrangements im Blick behalten (Pohlmann 2001). Es gibt auch Vertreter des Kapitaldeckungsverfahrens mit privatwirtschaftlicher Altersversicherung. Diese verläuft ohne Solidarverpflichtung, da es sich um einen individuellen Vertrag handelt. Die Versicherten legen während ihrer Erwerbstätigkeit einen Kapitalstock an, der sich möglichst durch Wert- und Kurssteigerungen auf den internationalen Kapitalmärkten vermehrt. Es existieren auch Mischformen beider Finanzierungsformen der Alterssicherung (siehe hierzu auch "Pro und Contra – Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren").

Quellentext

"Während Generationenbeziehungen die persönlichen, konkreten Beziehungen zwischen Angehörigen verschiedener Abstammungsgenerationen innerhalb einer Familie (z.B. Großeltern, Eltern und Kinder) umfassen, liegen Generationenverhältnisse auf der gesellschaftlichen Ebene und betreffen das unpersönliche Verhältnis zwischen Altersgruppen einer Bevölkerung (z.B. Beitragsempfänger und Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung) (Pohlmann 2001)."

Der Generationen- und Altersforscher Martin Kohli schreibt dazu: "Der ‚Generationenbegriff’ ist die wichtigste und umstrittenste Dimension zeitgenössischer Wohlfahrtsstaaten. Er bildet den Kern der Probleme, die durch das Altern der Bevölkerung aufgeworfen werden: die Alten zu sichern und in die Jungen zu investieren und dabei das Gleichgewicht zwischen finanzieller Nachhaltigkeit und den Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und Fairness zu wahren." (Kohli 2009: 92).

Zum Verhältnis von familiärer und staatlicher Pflege

Die Rollen, die dem Staat beziehungsweise der Familie zugesprochen werden, sind in den Industrieländern sehr unterschiedlich kombiniert. Entscheidend für dieses Verhältnis sind die Aufteilung der Fürsorgearbeit zwischen öffentlichen und privaten Wohlfahrtsanbietern, der Wert der Familienarbeit sowie die Verteilung von Pflege- und Betreuungsarbeit innerhalb der Familie und im Wohlfahrtsdreieck, das die Bereiche Privatwirtschaft, Staat und Familie umfasst.

Die Auswirkungen der Organisation von Wohlfahrtsstaaten auf die intergenerationale Familiensolidarität und die Inanspruchnahme formeller Dienste lassen sich dabei anhand von drei Hypothesen darstellen, die den Zusammenhang informeller und formeller Unterstützung aufgreifen.

  • Die Substitutionshypothese meint die Verdrängung der Familie durch den Staat und den Rückzug der Familien von den Pflegeaufgaben aufgrund staatlicher Leistungen (Szydlik 2008). Staatliche Leistungen, Versicherungs- und Krankenkassensysteme lassen die ältere Bevölkerung nicht mehr auf die materielle Hilfe gegenüber ihren Kindern angewiesen sein (Nave-Herz 2011). Die Beziehungen zwischen den Generationen würden hypothetisch nachlassen.

  • Die Anregungshypothese wiederum beinhaltet, dass wohlfahrtsstaatliche Leistungen die Generationensolidarität verstärken beziehungsweise diese anregen, weil sie die Familien von einigen Versorgungsaufgaben entlasten. Die Familien können sich dann auf besonders geeignete Aufgaben der Pflege konzentrieren. Damit wird die Stärkung des Familienzusammenhalts angenommen. Anregungs- als auch Substitutionshypothese zeigen deutliche Verbindungen zwischen wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen und Generationsbeziehungen in der Familie (Szydlik 2008).

  • Die These gemischter Verantwortlichkeit versucht die Formulierung einer Kombination von formeller und informeller Unterstützung mit Hilfe der Spezialisierung der Familie auf besonders geeignete Aufgaben. Hier wird angenommen, dass sowohl staatliche Leistungen wie auch familiäre Netzwerkarbeit sichergestellt werden sollten. Für den Zusammenhang zwischen öffentlichen und privaten Transfers würden sich damit sowohl Substituierung wie auch Anregung anbieten (Tesch-Römer, Motel-Klingebiel, v. Kondratowitz 2008).

Es bleibt allerdings zu beobachten, ob die wachsenden Finanzierungsprobleme der öffentlichen Haushalte mit einem Rückzug des Sozialstaats einhergehen, wobei die Hilfe- und Pflegeaufgaben generell auf die Familie verlagert würden.

Europäische Altenpflegeregime – Variablen und vergleichende Analyse

Die Sicherung der Pflegebedürftigkeit ist weltweit höchst unterschiedlich geregelt – und oft allein den Familien überlassen. Es ist noch keine internationale und internationalrechtliche Tradition institutionalisiert wie zum Beispiel bei Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfall und so weiter. Es fehlen auch internationale Abkommen für Risiken der Pflegebedürftigkeit. Auch innerhalb der EU gibt es noch kein Modell für den Schutz von Menschen mit Pflegebedarf, an das sich die EU-Mitgliedsstaaten mit Reformbedarf bei der Sicherung im Pflegefall anlehnen können (Igl 2008).

Folgend werden die Variablen europäischer Altenpflegeregime beschrieben. Regime meint hier das System, um die Altenpflege zu regeln und umfasst die Aufgaben und geltenden Normen, Entscheidungsverfahren sowie die beteiligten Akteure. Europäische Altenpflegeregime lassen sich nach der Risikoprivatisierung (Menschen müssen individuell für ihre Pflegebedürftigkeit vorsorgen), der Höhe der familiären Pflegelasten, der Höhe der Heimplatzquote sowie den Netzwerken vor Ort differenzieren. Des Weiteren unterscheidet sich die Geschlechtsspezifik des Verpflichtungszusammenhangs (ob sich zum Beispiel Töchter eher verpflichtet sehen ihre Eltern zu pflegen als Söhne); die Höhe der Sozialleistungsquote, vor allem der Grad der öffentlichen Finanzierung und Sicherstellung ambulanter und stationärer Dienste sowie die fachlich fundierte Qualitätssicherstellung und Regulierungsdichte.

Im internationalen Vergleich werden auch Variablen wie die räumliche Nähe der Generationen beziehungsweise soziale Netzwerke, die Wohnbedingungen und Wohnumgebungen, die Siedlungsstrukturen, die Wohnmobilität sowie die Zugangschancen zu sozialen Diensten und deren Finanzierbarkeit herangezogen. Für die international vergleichende Forschung der Altenpflegesysteme ist letztlich ein Gesellschaftsvergleich notwendig, denn entscheidend sind auch der soziale Wandel, die praktische Sozialpolitik sowie die Altenpflegepolitik als Generationengefügepolitik (Schulz-Nieswandt 2006).

Beim Vergleich verschiedener Länder bezüglich der wohlfahrtsstaatlichen Unterstützung und Infrastruktur von Diensten lässt sich ein deutlicher Einfluss der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf Art und Ausmaß familiärer Unterstützung beobachten. Für einen Vergleich bietet sich unter anderem das international vergleichende Forschungsprojekt "OASIS-Old Age and Autonomy: The Role of Service Systems an Intergenerational Family Solidarity" an. Dieses wird durch die Europäische Kommission im "Fifth Framework Research and Development Programme Quality of Life" finanziert. Das Projekt erfasst neben soziodemographischen Merkmalen auch die subjektiv empfundene Gesundheit, die familiären Strukturen und Beziehungen, Normen und Präferenzen sowie die subjektiv empfundene Lebensqualität (Tesch-Römer, Motel-Klingebiel, v. Kondratowitz 2008).

Es wurden fünf Länder mit unterschiedlichen Wohlfahrtsregimen und mit verschiedenen Formen von Serviceinfrastrukturen, politischen Kulturen und familienpolitischen Koordinaten ausgewählt: Deutschland, Norwegen, Spanien, Großbritannien und Israel. Einzelne Ergebnisse waren:

  • Die Verfügbarkeit von Diensten für ältere Menschen zum Beispiel ist in Norwegen und Israel hoch, in Großbritannien und Deutschland mittel ausgeprägt und in Spanien gering.

  • Bei der gesetzlichen Verpflichtung zur familiären Unterstützung Älterer ist wiederum festzustellen, dass es diese in Norwegen und Großbritannien nicht gibt, in Deutschland und Israel ist sie in Form einer Pflegeversicherung vorhanden und in Spanien werden Überlegungen zur Pflegeabsicherung getroffen.

Bei der Analyse des OASIS-Datensatzes wird deutlich, dass eine hohe wohlfahrtsstaatliche Infrastruktur zu einem Verantwortungsmix zwischen Familie und Diensten führt. Dies bietet einen Beleg für die zuvor diskutierte These der gemischten Verantwortlichkeiten (Tesch-Römer, Motel-Klingebiel, v. Kondratowitz 2008). Formelle Dienste führen also nicht dazu, dass sich die Familien aus der Pflege zurückziehen.

Aktuelle Debatten um Carepolitik

Es wird in Deutschland vermehrt angemahnt, die Pflege älterer Bürger als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anzugehen. Das betrifft auch die Finanzierung der Pflegeversicherung, die von Kritikern als nicht ausreichend wahrgenommen wird. Im Fokus der Debatte stehen vor allem die Aufwertung der Pflegearbeit und die soziale Absicherung Pflegender.

Bei dem 2009 eingeführten Familienpflegegesetz wird häufig kritisiert, dass es zu starr ist. In der Diskussion wird unter anderem der Vorschlag eröffnet, eher ein Zeitbudget mit einem Rechtsanspruch einzuführen und die Nutzung je nach entsprechender Notwendigkeit der Pflegesituation sowie mit finanzieller Absicherung der Freistellungen für Pflege zu gestalten (Stiegler 2011). Mit dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf, das seit Januar 2015 gilt, wurden erste Verbesserungen unternommen.

Pflege erscheint immer mehr als Thema in der Arbeitswelt. Angebote zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf stehen dabei zur Debatte, hierbei vor allem die Schaffung von familienfreundlichen Arbeitsstrukturen mit möglichst weitreichender Arbeitszeitflexibilisierung. Letztlich wird die Notwendigkeit eines flexiblen Pflegemix mit gut zugänglichen und quantitativ hochwertigen Pflegedienstleistungen diskutiert, ein Netzwerk aus Tagespflegeeinrichtungen, ambulanten Diensten sowie auch aus Ehrenamtlichen, Freunden, Nachbarn und Verwandten wird dabei mehrfach gefordert.

Auch wird debattiert, dass geschlechtergerechte Ansätze in der häuslichen Pflege fehlen. Die Fürsorgeverpflichtung liegt zumeist noch bei den Frauen, also bei den Partnerinnen, Töchtern und Schwiegertöchtern. Die im Durchschnitt 50 bis 60 Jahre alten pflegenden Frauen sind häufig noch berufstätig. Zirka ein Viertel von ihnen stellt die Erwerbstätigkeit für die Pflege ein, ein weiteres Viertel vermindert die Erwerbszeiten. Hieraus wird häufig eine finanzielle Abhängigkeit durch die Einbringung der Pflegeleistungen von Frauen beobachtet. Pflegende Männer sind im Durchschnitt 80 Jahre alt und haben dieses Vereinbarkeitsproblem nicht mehr.

Literatur

BMFSFJ (2006): Siebter Familienbericht. Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. Perspektiven für eine lebensverlaufsbezogene Familienpolitik. Berlin. Online unter: Externer Link: http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/familienbericht/haupt.html

Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina (2009): Gewonnene Jahre. Empfehlungen der Akademiengruppe. Altern in Deutschland. In: Nova Acta Leopoldina NF 107, Nr. 371 (2009). Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH.

Igl, G. (2008): Rechts- und Strukturfragen der Versorgung mit Leistungen der Langzeitpflege in Europa. In: Zank, S.; Hedtke-Becker, A. (Hrsg.): Generationen in Familie und Gesellschaft im demographischen Wandel. Europäische Perspektiven. Verlag W. Kohlhammer, S. 36-51.

Kohli, M. (2009): Familiale Generationenbeziehungen im Wohlfahrtsstaat. In: Nova Acta Leopoldina NF 106, Nr. 370, 91-113 (2009), Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH.

Nave-Herz, R. (2011): Die Familie in Europa "Fürsorgeinstitution" für ihre älteren Mitglieder – Historischer Rückblick und zukünftige Perspektiven. In: Bertram, H., Ehlert, N. (Hrsg.): Familie, Bindung und Fürsorge. Familiärer Wandel in einer vielfältigen Moderne. Verlag Barbara Budrich, S. 281-298.

Pohlmann, S. (2001): Das Altern der Gesellschaft als globale Herausforderung – Deutsche Impulse. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Verlag W. Kohlhammer.

Schulz-Nieswandt, F. (2006): Sozialpolitik und Alter. Verlag W. Kohlhammer.

Stiegler, B. (2011): Nicht hoch im Kurs: die Pflege. In: Informationen für Einelternfamilien, Nr. 4 Oktober, November, Dezember 2011, Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e.V.

Szydlik, M. (2008): Demographischer Wandel im Wohlfahrtsstaat: Perspektiven für Politik und Forschung. In: Zank, S.; Hedtke-Becker, A. (Hrsg.): Generationen in Familie und Gesellschaft im demographischen Wandel. Europäische Perspektiven. Verlag W. Kohlhammer, S. 13-22.

Tesch-Römer, C.; Motel-Klingebiel, A.; Kondratowitz von, H.-J. (2008): Kultur- und gesellschaftsvergleichende Forschungserträge für die Gerontologie: Das europäische Forschungsprojekt. In: Zank, S.; Hedtke-Becker, A. (Hrsg.): Generationen in Familie und Gesellschaft im demographischen Wandel. Europäische Perspektiven. Verlag W. Kohlhammer, S. 99-116.

Nancy Ehlert ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin. Sie war viele Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Mikrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zudem war sie freiberuflich wissenschaftlich für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie für das Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie im Land Brandenburg tätig. Seit 2014 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V.