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Kleine Landeskunde der Schweiz | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Kleine Landeskunde der Schweiz

Thomas Gerlinger Renate Reiter

/ 5 Minuten zu lesen

In diesem Teil der Lerntour erhalten Sie grundlegende Informationen zu unserem Nachbarstaat Schweiz. Die Themenbereiche sind "Politik", "Wirtschaft" und "Wohlfahrtsstaat".

Teilansicht des Berner Münsters. (Éole Wind / Flickr) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Die Schweiz ist ein Binnenstaat in Mitteleuropa. Sie grenzt im Norden an Deutschland, im Westen an Frankreich, im Süden an Italien und im Osten an Österreich und Liechtenstein. Die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz beträgt 8,08 Millionen Menschen (2013). Davon sind 24 Prozent Ausländerinnen und Ausländer - knapp zwei Millionen Menschen. Das schweizerische Staatsgebiet umfasst insgesamt 41.293 Quadratkilometer (Deutschland: 357.093 Quadratkilometer). Je Quadratkilometer leben in der Schweiz im Durchschnitt 198 Einwohner, in Deutschland sind es 226 (2014). Dabei gibt es erhebliche regionale Unterschiede in der Bevölkerungsdichte: Sie ist in den flacheren Gebieten sehr hoch, in den Alpen und im Jura außerordentlich niedrig. Die Schweizer Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. Knapp zwei Drittel der Bevölkerung sind deutschsprachig.

Politik

Grundlage des politischen Systems der Schweiz ist die Bundesverfassung. Die Schweiz ist ein republikanischer, föderaler Bundesstaat, der sich in 26 Kantone gliedert. Der Föderalismus kommt in zwei Merkmalen zum Ausdruck:

  1. Die Kantone sind an der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung auf Bundesebene stark beteiligt.

  2. Die Kantone verfügen über ein hohes Maß an politischer Autonomie. Der Bund darf nur auf solchen Gebieten tätig werden, die in der Bundesverfassung ausdrücklich genannt sind. Auf allen anderen Feldern liegt die Zuständigkeit bei den Kantonen.

Der Föderalismus ist in der Schweiz besonders stark ausgeprägt. Die Befugnisse der Kantone gehen deutlich über die der Gliedstaaten in anderen föderalen Demokratien, so zum Beispiel über die der Länder in Deutschland, hinaus. Allerdings lässt sich seit Jahren eine Tendenz zur Stärkung des Bundes zulasten der Kantone feststellen.

Neben dem ausgeprägten Föderalismus ist das politische System der Schweiz durch zwei weitere Besonderheiten gekennzeichnet:

  • Es gibt starke Elemente einer direkten Demokratie. Über die Institution der Volksabstimmung kann die Schweizer Bevölkerung die Gesetzgebung unmittelbar beeinflussen.

  • Die Schweiz ist eine Konkordanzdemokratie. Das bedeutet, dass das politische System stark auf die Herstellung von Konsens bei politischen Entscheidungen ausgerichtet ist: Alle Teile der Bevölkerung sollen in politische Entscheidungen einbezogen und bei ihnen angemessen berücksichtigt werden. Die Eigenschaften des Konkordanzsystems kommen vor allem in der direkten Demokratie, in den Mitentscheidungsrechten der Kantone bei zahlreichen Bundesangelegenheiten sowie bei der Bildung des Bundesrats (Konkordanzregierung, Kollegialitätsprinzip – siehe unten) zum Ausdruck. Für politische Entscheidungen bedeutet das Konkordanzprinzip, dass Reformvorhaben vergleichsweise leicht blockiert werden können (Immergut 1992; Obinger 1998).

Die Legislative (Bundesversammlung) besteht aus zwei Kammern, dem Nationalrat als Volksvertretung (200 Mitglieder) und dem Ständerat (46 Mitglieder) als Vertretung der Kantone. Gesetzgebungsvorhaben auf Bundesebene benötigen die Zustimmung beider Kammern des Parlaments. Die Exekutive besteht aus dem Bundesrat, dessen Aufgaben denen der deutschen Bundesregierung ähnlich sind, und der ihm unterstehenden Verwaltung. Der Bundesrat setzt sich aus sieben gleichberechtigten Mitgliedern zusammen, die je eins der Departements der Bundesverwaltung leiten. Der Bundesrat wird vom Parlament gewählt. Die Bundesversammlung wählt für jeweils ein Jahr ein Mitglied des Bundesrates zur Bundespräsidentin beziehungsweise zum Bundespräsidenten. Die wichtigsten Parteien sind die Schweizerische Volkspartei (SVP), die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP), die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) und die Christdemokratische Volkspartei (CVP). SVP, FDP und SP stellen jeweils zwei Bundesratsmitglieder, die CVP ein Bundesratsmitglied (Konkordanzregierung). Dieser Proporz ist ein wichtiges Element der Konkordanzdemokratie.

Außenpolitisch ist die Schweiz neutral. Sie zählt zu den wenigen Staaten in Mittel- und Nordeuropa, die nicht Mitglied der Europäischen Union sind. Allerdings ist sie durch zahlreiche Abkommen eng mit ihr verbunden. Die Schweiz ist aber Mitglied anderer wichtiger internationaler Organisationen, zum Beispiel der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), des Europarats, der UNO, der OSZE und der Welthandelsorganisation.

Wirtschaft

Die Schweiz zählt mit einem Bruttoinlandsprodukt von 46.430 Dollar pro Einwohner und Jahr (2013) zu den wohlhabendsten Ländern der Welt. In Deutschland beträgt dieser Wert 40.007 Dollar (Niederlande: 41.711 Dollar, Schweden: 41.188 Dollar, Großbritannien: 37.307 Dollar). (Internationaler Währungsfonds, kaufkraftbereinigt) Die Erwerbsquote, also der Anteil der Erwerbstätigen an allen Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren, ist mit 82,1 Prozent (2013) außerordentlich hoch. Im EU-Durchschnitt liegt diese Quote bei 68,4 Prozent. (Externer Link: Eurostat 2014). Zugleich ist die Arbeitslosenquote mit etwa 3,2 Prozent (2014) im internationalen Vergleich sehr niedrig (Deutschland: 4,9 Prozent)

Rund 72,5 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten im Dienstleistungssektor, 20,3 Prozent im produzierenden Gewerbe (Industrie) und 3,5 Prozent in der Landwirtschaft. Im Dienstleistungssektor dominieren der Handel, das Gesundheits- und Bildungswesen sowie Finanzdienstleistungen (Banken und Versicherungen) und der Fremdenverkehr. Zu den wichtigsten Zweigen der gewerblichen Produktion zählen der Maschinenbau, die chemische und pharmazeutische Industrie, die Nahrungsmittelproduktion sowie die Herstellung von Präzisionsinstrumenten, darunter auch von medizintechnischen Geräten. Die Wirtschaft der Schweiz ist stark exportorientiert. Wichtigster Handelspartner ist Deutschland. Dorthin geht rund ein Drittel der Exporte, und von dort kommen rund 20 Prozent der Importe.

Wohlfahrtsstaat

Der schweizerische Wohlfahrtsstaat ist überwiegend in Form eines Sozialversicherungssystems organisiert. Für die diversen Sozialversicherungen besteht zumeist eine Versicherungspflicht. Dabei sind diese Versicherungen an den Bürgerstatus gebunden, und nicht – wie in Deutschland – an den Status als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer. Die wichtigsten Sozialversicherungszweige sind:

  • die Alters- und Hinterbliebenenversicherung,

  • die Krankenversicherung (in die die Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit integriert ist),

  • die Unfallversicherung,

  • die Invalidenversicherung,

  • die Mutterschaftsversicherung.

Neben diesen Sozialversicherungsleistungen ist vor allem die bedarfsorientierte Sozialhilfe von Bedeutung.

Die Schweiz ist im Vergleich zu anderen wohlhabenden Staaten eine sozialpolitische Nachzüglerin. Noch in den 1970er- und 1980er-Jahren ließ sie sich aufgrund ihrer geringen Sozialausgaben als Vertreterin eines liberalen Wohlfahrtsstaatstyps charakterisieren und wies in der Sozialpolitik somit manche Ähnlichkeiten mit Großbritannien und den USA auf.

Ein liberales Wohlfahrtsstaatsmodell ist vor allem dadurch charakterisiert, dass es im Fall eines Risikoeintritts nur eine schmale Grundsicherung vorsieht. Wer höhere Leistungen wünscht, ist zumeist auf eine individuelle Zusatzversicherung auf einem privaten Versicherungsmarkt angewiesen. 1980 betrug die Sozialleistungsquote, also der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt, in der Schweiz lediglich 14,2 Prozent (Deutschland: 23,0 Prozent). Seit 1975 ist dieser Wert deutlich und weit stärker angestiegen als in den anderen Wohlfahrtsstaaten. Im Jahr 2011 betrug die Sozialleistungsquote in der Schweiz 24,2 Prozent (Externer Link: Bundesamt für Statistik 2013) (Deutschland: 28,3 Prozent). Sie bewegt sich damit mittlerweile auf dem Niveau anderer europäischer Wohlfahrtsstaaten. Sinkende wirtschaftliche Wachstumsraten und steigende Arbeitslosigkeit verringerten die Einnahmen und erhöhten die Ausgaben von Staat und Sozialversicherungsträgern. Gerade die Wirtschaftskrise in den 1990er-Jahren hat die Schweiz härter getroffen als alle vorangegangenen Krisen seit den 1930er-Jahren.

Seit 1975 sind alle Zweige der sozialen Sicherung in erheblichem Umfang reformiert worden. So wurde die Rentenversicherung auf ein Drei-Säulen-Modell umgestellt. Es basiert auf einer staatlichen Rentenversicherung, der beruflichen Vorsorge und einer steuerlich geförderten privaten Vorsorge. Die Schweiz hat sich mit diesen und anderen Sozialreformen in Richtung auf ein Wohlfahrtsstaatsmodell entwickelt, das sich bei den Geldleistungen (Rente, Zahlungen bei Arbeitslosigkeit) stärker an der Sicherung von Lebenslagen orientiert, also die Höhe der betreffenden Leistungen von den vorangegangenen einkommensäquivalenten Beitragszahlungen abhängig macht. Die Geldleistungen sind im Vergleich zu denen anderer Wohlfahrtsstaaten auch durchaus großzügig. Allerdings sind Elemente des liberalen Wohlfahrtsstaates nach wie vor von großer Bedeutung. Daneben hat die Familienpolitik, die lange Zeit als das Stiefkind der schweizerischen Sozialpolitik galt, in den letzten Jahren eine erhebliche Aufwertung erfahren. Dabei richtet sich das Augenmerk besonders auf das Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Quellen / Literatur

Achtermann, Wally/Berset, Christel (2006): Gesundheitspolitiken in der Schweiz – Potential für eine nationale Gesundheitspolitik, Bd. 1: Analyse und Perspektiven. Bern

Bundesamt für Sozialversicherungen (2011): Sozialversicherungen der Schweiz (Taschenstatistik 2011). Bern

Bundesamt für Statistik (2010): Arbeitslosigkeit in der Schweiz 2009. Bern
Externer Link: www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/03/22/publ.Document.133089.pdf

Bundesamt für Statistik (2012): Statistisches Lexikon der Schweiz. Tabelle „Ständige Wohnbevölkerung nach Geschlecht und Staatsangehörigkeitskategorie“
Externer Link: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/02/blank/key/bevoelkerungsstand/02.Document.141977.xls

Immergut, Ellen (1992). Health politics. Interests and institutions in Western Europe. Cambridge

Kocher, Gerhard/Oggier, Willy (Hrsg.) (2007): Gesundheitswesen Schweiz 2007 - 2009. Eine aktuelle Übersicht. Bern

Obinger, Herbert (1998): Politische Institutionen und Sozialpolitik in der Schweiz. Der Einfluß von Nebenregierungen auf Struktur und Entwicklungsdynamik des schweizerischen Sozialstaates, Frankfurt am Main

Rosenbrock, Rolf/Gerlinger, Thomas (2006): Gesundheitspolitik. Eine systematische Einführung, 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl. Bern

Wirthner, Adrian/Ulrich, Volker (2003): Managed Care. In: Zenger, Christoph A./Jung, Tarzis (Hrsg.): Management im Gesundheitswesen und in der Gesundheitspolitik. Kontext – Normen – Perspektiven, Bern u. a., S. 255 - 267

Fussnoten

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie.

Dr. Renate Reiter, Institut für Politikwissenschaft der FernUniversität in Hagen