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Ohne Strukturreformen ist alles nichts | Europäische Wirtschaftspolitik | bpb.de

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Die Leiden des lusitanischen Musterschülers Sparen unvermeidbar Zeigen Spanien, Irland und Portugal, dass die angebotsorientierte Politik sich auszahlt? Es schmerzt, aber die Reformen wirken Crash-Kurs mit jeder Menge Kollateralschäden Ist Spanien über den Berg? Von Gesundung kann keine Rede sein Rückkehr zum Normalzustand Hat die Sparpolitik Irland aus der Krise geholfen? Via Dolorosa ohne Alternative Die Generation der stillen Verzweiflung Hat die Politik der Troika Griechenland genutzt? Die Schrumpfpolitik ist gescheitert Griechenland hat alle Möglichkeiten Zur Rolle Deutschlands in der Schuldenkrise (2014) Ist Deutschland ein Modell für Europa? Die Mär vom gesunden Staat Marktkonform und doch sozial gerecht Hat Deutschlands Bilanzüberschuss die Krise beschleunigt? Die Eurokrise ist eine Zahlungsbilanzkrise Europa braucht Deutschland, Deutschland braucht Europa Bedrohen unterschiedliche Lohnkosten die Stabilität der Eurozone? Löhne und Produktivität müssen sich gleich entwickeln Konsum und Löhne in Deutschland müssen anziehen Videos: 6x6 Fragen zur Euro-Krise (2015) Hat die Eurozone in ihrer derzeitigen Form eine Zukunft? Sparen oder Investieren - wie sollte die Schuldenkrise überwunden werden? Wie kann Deutschland dazu beitragen, die Euro-Krise zu beenden? Handelt die EZB ohne demokratische Legitimation? In welchen Ländern lauern neue Gefahren für den Euro? Wie kann die Eurozone künftig Krisen besser vermeiden? 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Ohne Strukturreformen ist alles nichts

Alexander Kritikos

/ 4 Minuten zu lesen

Etat und Arbeitsmarkt sind nahezu saniert, griechische Waren wieder relativ preisgünstig, lobt Alexander Kritikos. Allerdings ist dem Wirtschaftsprofessor der Staatsapparat noch zu ineffizient, außerdem bemängelt er überregulierte Produktmärkte und geringe Forschungsausgaben in Griechenland.

Alexander Kritikos (© DIW)

Als der Euro 2002 als Zahlungsmittel eingeführt wurde, stoppte der zuvor unter der sozialdemokratischen Regierung von Konstantinos Simitis begonnene Reformprozess. So blieben Produkt- und Arbeitsmärkte überreguliert, die grassierende Korruption erschwerte Investitionen, Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit verschlechterte sich. Die Lohnstückkosten stiegen überproportional an, der Export lahmte. Und dennoch wuchs Griechenlands Wirtschaft. Das gelang mit einer expansiven Fiskalpolitik, also hohen staatliche Ausgaben, die mit ausländischem Kapital finanziert waren – griechische Staatsanleihen galten damals noch als sicher. Das Geld wurde allerdings nicht produktiv investiert, sondern floss in einen immer aufgeblähteren Apparat – die Zahl der Staatsangestellten nahm unter der konservativen Regierung von Kostas Karamanlis besonders stark zu.

In einem Bild: Die griechische Wirtschaft wuchs, angetrieben von einer Art Hilfsmotor, dem starken Anstieg kreditfinanzierter Staatsausgaben, der Konsum und Immobiliensektor befeuerte. Mit dem Einsetzen der Finanzkrise kam dieser Hilfsmotor ins Stottern. Ausländisches Kapital zur Finanzierung des Staats, also das Benzin zum Antrieb des Hilfsmotors, blieb aus. Zur Rettung des griechischen Etats mussten bis heute drei milliardenschwere Hilfspakete geschnürt werden.

Was ist seit Beginn der Krise passiert? Die sogenannte Troika hat mehrfach versucht, den griechischen Staatshaushalt zu sanieren. Dazu sollten einerseits die Einnahmen erhöht, aber vor allem die Ausgaben massiv gekürzt werden. Staatliche Löhne wurden um 30 Prozent gesenkt, die Zahl der Staatsangestellten, Renten und Sozialleistungen reduziert. Zudem wurden die Arbeitsmärkte stark reformiert - sie gehören heute zu den flexibelsten in Europa. In dieser Hinsicht wurden die Vorgaben der Troika nahezu vollständig umgesetzt.

Als Folge befindet sich die griechische Ökonomie nun seit sieben Jahren im Krisenmodus. Seit 2009 ist die Wirtschaftsleistung um knapp 30 Prozent zurückgegangen, jeder vierte Grieche ist arbeitslos.

"Innovative Industrien mit hoher Wertschöpfung, die die Chance auf nachhaltiges Wachstum bieten, gibt es viel zu wenig, um von Kostensenkungen allein zu profitieren."

Da auch die Lohnstückkosten sanken, ist die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der griechischen Wirtschaft auf der Kostenseite größtenteils beseitigt. Die Tourismuszahlen zogen nach 2013 stark an und befanden sich im Jahr 2015 mit über 20 Millionen Besuchern auf nie gekanntem hohem Niveau. Etwa 800 000 Menschen, das sind etwa 21 Prozent der Erwerbstätigen - arbeiten inzwischen in diesem Sektor, mehr als für den Staat. Auch die häufig zitierten griechischen Tomaten sind so günstig wie schon lange nicht mehr. Griechenland hat kein Kostenproblem mehr, der Arbeitsmarkt ist reformiert, die Etats saniert – doch warum springt die Wirtschaft nicht an?

Griechenland: Ökonomische Schlüsseldaten

Ein Blick auf die Struktur der Exporte zeigt das Problem. Griechenlands Spezialisierung konzentriert sich auf Handel, Tourismus, Agrarprodukte und einige mineralische Erzeugnisse. Es gibt kaum weitere Produkte, die allein durch Kostensenkungen exportfähiger würden. Innovative Industrien mit hoher Wertschöpfung, die die Chance auf nachhaltiges Wachstum bieten, gibt es viel zu wenig, um von Kostensenkungen allein zu profitieren.

Gleichzeitig verfügt Griechenland theoretisch über alle Voraussetzungen, um innovative Industrien aufzubauen. Es ist gesegnet mit herausragenden Forschern, einer Vielzahl von ideenreichen Unternehmern und sehr gut ausgebildeten Fachkräften. Allerdings haben diese in den letzten Jahren massiv das Land verlassen, man spricht von über 200 000.

"Die Produktmärkte sind immer noch überreguliert, der Staatsapparat ineffizient, die Bürokratie überbordend."

Warum das Land gerade für Unternehmer unattraktiv ist, liegt auf der Hand: Die Produktmärkte sind immer noch überreguliert, der Staatsapparat ineffizient, die Bürokratie überbordend. Es gibt zahllose, sich teils widersprechende Vorschriften – und beinahe monatlich neue Steuergesetze. Das hält viele Unternehmen und Investoren davon ab, ihre Ideen in Griechenland in Produkte umzuwandeln. Verstärkt werden diese Nachteile durch die seit Sommer 2015 bestehenden Kapitalverkehrskontrollen und ein abschreckendes Justizsystem, das mehr als vier Jahre braucht, um Vertragsvereinbarungen gerichtlich durchzusetzen. Es fehlt also am institutionellen Umfeld, das innovatives Unternehmertum unterstützt. Vieles davon hätte im Rahmen der drei Reformpakete zum Besseren gewendet werden können. Leider ist es nicht passiert.

Dementsprechend befindet sich die griechische Ökonomie nun seit sieben Jahren im Krisenmodus. Seit 2009 ist die Wirtschaftsleistung um knapp 30 Prozent zurückgegangen, jeder vierte Grieche ist arbeitslos.

Um im Bild zu bleiben: Die Regierungen haben zwar den zuvor überhitzten Hilfsmotor ausgebaut, aber bis heute zu wenig getan, um den eigentlichen Wirtschaftsmotor ins Laufen zu bringen. Die bittere Wahrheit ist: Wären die Strukturreformen in der Vergangenheit mit dem gleichen Schwung angegangenen worden wie Etatkürzungen und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, es hätte – die baltischen Ländern und Polen zeigen das eindrucksvoll – eine viel positivere Ausstrahlung auf die griechische Wirtschaft gehabt.

Das Land braucht dafür eine koordinierte Strategie, die die privaten Wirtschaftskräfte im Lande stärkt. Was dafür notwendig ist: Struktur- und Justizreformen zur Beseitigung der zuvor genannten Defizite. Und mehr Verlässlichkeit in der Wirtschaftspolitik. Neben dem Abbau der Überregulierung muss das Forschungspotenzial erhöht werden. Seit Jahren gibt das Land nur 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung (F&E) aus, andere Euroländer investieren drei Prozent. Ohne Schließung dieser Investitionslücke wird Griechenland nie nachhaltig wachsen können. Die zum Teil staatlich zu finanzierenden Investitionen in F&E müssen in Abstimmung mit der EU und einzelnen Partnerländern drastisch erhöht werden. Griechenland braucht mehr Sprit für den Wirtschaftsmotor, nämlich Investitionen in das Innovationssystem.

Andrew Watt (© Hans-Böckler-Stiftung)

Standpunkt Andrew Watt:

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Prof. Dr. Alexander Kritikos, Jahrgang 1965, ist Forschungsdirektor der Querschnittsgruppe "Entrepreneurship" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er hat eine Professur für Industrie- und Institutionenökonomie an der Universität Potsdam und ist Research Fellow am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).