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Migrationspolitik – Oktober/November 2023 | Migrationspolitik – Monatsrückblick | bpb.de

Migrationspolitik – Oktober/November 2023

Vera Hanewinkel

/ 14 Minuten zu lesen

Infolge des Kriegs zwischen Israel und der Hamas sind hunderttausende Menschen auf der Flucht, vor allem im Gazastreifen. In Deutschland haben sich Bund und Länder auf asylpolitische Maßnahmen geeinigt.

Schätzungsweise 1,9 Millionen Menschen sind Mitte Dezember im Gazastreifen auf der Flucht. 1,2 Millionen von ihnen haben Zuflucht in Einrichtungen des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge gesucht – etwa in dieser Schule im Deir al-Balah Gouvernement (Aufnahmedatum: 19. Dezember 2023). (© picture-alliance, Majdi Fathi)

Krieg in Gaza: Hunderttausende Menschen auf der Flucht

Im Gazastreifen sind hunderttausende Menschen auf der Flucht. Hintergrund ist die israelische Militäroffensive in Reaktion auf den Interner Link: brutalen Überfall der Interner Link: islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Schätzungen der Vereinten Nationen gingen Mitte Dezember davon aus, dass Externer Link: etwa 1,9 der mehr als zwei Millionen in Gaza lebenden Menschen vertrieben wurden, insbesondere vom Norden in den Süden des dicht besiedelten Gazastreifens. Israels Militär hatte die Zivilbevölkerung zunächst aufgefordert, den nördlichen Teil des Gazastreifens zu verlassen. Dieser war wegen der dort vermuteten Hamas-Stützpunkte Hauptziel der israelischen Offensive. Anfang Dezember weitete Israel seine Militäroperation auf Hamas-Stellungen im gesamten Gazastreifen aus. Für die fliehende Zivilbevölkerung wurde es dadurch zunehmend schwieriger, sich vor den Kämpfen in Sicherheit zu bringen. Nach Angaben des israelischen Militärs hat die Hamas ihre Kommandozentralen in Wohngebieten, Krankenhäusern, Schulen und Moscheen eingerichtet. Das Risiko, mit Angriffen auf Hamas-Ziele auch Zivilistinnen und Zivilisten zu treffen, ist entsprechend hoch.

Die Vereinten Nationen sprechen von einer „katastrophalen humanitären Situation“ im Gazastreifen. Rund 1,2 Millionen Binnenvertriebene sollen bis Anfang Dezember in mehr als 150 Einrichtungen des Interner Link: UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) Externer Link: Zuflucht gesucht haben; die meisten in rund 90 UNRWA-Einrichtungen im Süden des Gazastreifens. Die Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen konnte durch die anhaltenden Kampfhandlungen und Sicherheitsbedenken Israels zunächst kaum erfolgen, auch weil Ägypten den Grenzübergang Rafah über Wochen geschlossen hielt. Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen forderten humanitäre Feuerpausen, um die Zivilbevölkerung mit Nahrung, Wasser und Medizin versorgen zu können.

Ende November einigte sich Israel mit der Hamas auf eine mehrtägige Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln der Hamas im Gegenzug für die Freilassung von verurteilten palästinensischen Häftlingen in Israel. Zwar konnten während der Feuerpause mehr Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gelangen, jedoch nicht genug, um den Bedarf zu decken. Die UN-Nothilfekoordinatorin in den palästinensischen Gebieten, Lynn Hastings, mahnt indessen an, dass durch die Kämpfe zentrale Versorgungsstraßen beschädigt und die Möglichkeiten der humanitären Versorgung der Bevölkerung immer weiter schwinden würden.

Eine Flucht aus dem Gazastreifen ist kaum möglich, da Ägypten den einzigen nicht-israelischen Grenzübergang geschlossen hält und keine palästinensischen Flüchtlinge aufnehmen möchte. Lediglich ausländische Staatsangehörige und Palästinenser:innen mit ausländischem Pass durften bisher den Grenzübergang Rafah passieren, vereinzelt auch Verwundete. Nach Angaben des ägyptischen Außenministeriums warteten Anfang November etwa 7.000 ausländische Staatsangehörige und Palästinenser:innen mit doppelter Staatsangehörigkeit aus 60 Ländern darauf, ausreisen zu können. Wie viele davon bislang ausreisen konnten, ist unklar.

In Folge des Konflikts sind auch im Südlibanon bis Anfang November rund 30.000 Menschen aus dem von der radikal-schiitischen Hisbollah-Miliz kontrollierten Gebiet nahe der israelischen Grenze ins Landesinnere geflohen. Nach dem Hamas-Überfall hatte die Hisbollah unter anderem Raketen auf die nördlichen israelischen Grenzgebiete abgefeuert. Israel hat darauf vor allem mit Luft- und Artillerieangriffen reagiert. Auch auf israelischer Seite haben infolge der Kampfhandlungen Hunderttausende Menschen die Region nahe der Grenze zum Gazastreifen und zum Libanon verlassen oder wurden aus den Gefahrenzonen evakuiert.

Bei dem Überfall der Hamas auf Israel Anfang Oktober 2023 wurden nach Angaben der israelischen Behörden mehr als 1.200 Menschen ermordet, Tausende weitere verletzt und rund 240 Personen als Geiseln genommen. Laut dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) sind in den Kampfhandlungen in Gaza bislang rund 100 israelische Soldat:innen und auf palästinensischer Seite nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza rund 18.000 Menschen getötet worden (Stand: 10.12.2023). Die Regierungen zahlreicher Länder bekräftigten Israels Recht, sich gegen den Terrorismus zu verteidigen, forderten gleichzeitig aber die Einhaltung des humanitären Völkerrechts, einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung. Indessen hat sich die Externer Link: Generalversammlung der Vereinten Nationen am 12. Dezember für einen sofortigen humanitären Waffenstillstand in Gaza ausgesprochen. Einige Externer Link: europäische Staaten, darunter Deutschland, enthielten sich; die USA stimmten gegen die rechtlich nicht bindende Resolution, weil sie keinen Hinweis auf den Überfall der Hamas enthält.

Als Reaktion auf den Terrorangriff der Hamas und die militärische Reaktion Israels kam es weltweit sowohl zu Kundgebungen der Solidarität mit Israel als auch zu pro-palästinensischen Demonstrationen. Viele Länder beobachten infolge des Konflikts einen wachsenden Antisemitismus in ihren Gesellschaften. In Deutschland wird in diesem Kontext wieder stärker über die Integration von Menschen mit Migrationsgeschichte diskutiert, beispielsweise im Kontext der Interner Link: von der Bundesregierung angestrebten Einbürgerungsreform.

Flüchtlingsaufnahme: Bund will Länder und Kommunen entlasten

Nach monatelangem Streit um die Finanzierung der Aufnahme und Versorgung von Schutzsuchenden, haben Bund und Länder Anfang November Externer Link: eine Einigung erzielt. Demnach sollen die Bundesländer ab 2024 eine Pauschale in Höhe von 7.500 Euro pro asylantragstellende Person vom Bund erhalten. Damit kommt die Bundesregierung den Forderungen der Länder nach einem „atmenden System“ der Finanzierung entgegen, welches sich dynamisch an die Anzahl der Schutzsuchenden anpassen kann.

Zu den weiteren zentralen Ergebnissen der Einigung zählt die Verlängerung des Zeitraums, in dem Interner Link: Asylbewerberleistungen gezahlt werden, bevor Asylbewerber:innen Leistungen entsprechend der Sozialhilfe erhalten (Analogleistungen). Statt wie bislang nach 18 Monaten sollen Asylbewerber:innen zukünftig erst nach 36 Monaten diese höheren Leistungen erhalten. Sie sollen zudem in Zukunft seltener als Barauszahlungen erfolgen. Stattdessen wollen Bund und Länder daran arbeiten, eine bundesweit einheitliche Bezahlkarte einzuführen.

Zu den weiteren Punkten der Einigung zählen:

  • Asylverfahren von Schutzsuchenden aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von unter fünf Prozent sollen innerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden.

  • Insbesondere Ausländerbehörden sollen durch den Ausbau der Digitalisierung und eine Entbürokratisierung im Migrationsbereich entlastet werden.

  • Bau- und vergaberechtliche Regelungen sollen für die Unterbringung von Geflüchteten erleichtert werden.

Darüber hinaus formulieren die Bundesregierung und die Länder das gemeinsame Ziel, die Fluchtmigration nach Deutschland „deutlich und nachhaltig“ zu reduzieren. So will sich die Bundesregierung weiterhin für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen und mehr Solidarität innerhalb der EU bei der Flüchtlingsaufnahme einsetzen. Außerdem sollen Migrationsabkommen mit wichtigen Herkunftsländern vorangetrieben werden, um die Rückführung von abgelehnten Asylbewerber:innen zu erleichtern. Die im Oktober eingeführten Kontrollen an den Grenzen zur Schweiz, zu Polen und Tschechien ebenso wie die bereits seit 2015 erfolgenden Kontrollen an der Grenze mit Österreich sollen fortgeführt werden. Sie sollen unerlaubte Einreisen verhindern und Schleusungskriminalität bekämpfen. Schließlich will die Bundesregierung auch prüfen, ob Asylverfahren unter Achtung der Interner Link: Genfer Flüchtlingskonvention und der Interner Link: Europäischen Menschenrechtskonvention in Transit- oder Drittstaaten durchgeführt werden könnten.

Rekordankünfte auf kanarischen Inseln

Im laufenden Jahr hat die Zahl der Migrant:innen, die in kleinen Booten von der Westküste Afrikas die Kanarischen Inseln erreichen, einen neuen Höchststand erreicht. Insbesondere im Oktober war die Externer Link: Zahl der Ankünfte ungewöhnlich hoch. Insgesamt sind nach Angaben des spanischen Innenministeriums zwischen Anfang Januar und Ende November dieses Jahres 35.410 Personen über den Seeweg auf die Kanaren gelangt und damit mehr als im Jahr 2006 – dem Jahr der sogenannten „Cayuco-Krise“. Damals waren 31.678 Personen in kleinen traditionellen Fischerbooten (Cayucos) auf den Kanarischen Inseln angekommen. Diese Zahl war bislang nicht wieder erreicht worden.

Die Kanarischen Inseln gehören zu Spanien und liegen zwischen 100 und 500 Kilometer vor der Nordwestküste Afrikas. Der Weg über den Atlantik ist gefährlich: Von Anfang Januar bis zum 6. Dezember 2023 sollen Externer Link: nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 504 Migrant:innen bei dem Versuch der Überfahrt auf die Kanarischen Inseln ums Leben gekommen sein.

Die spanischen Behörden beobachteten im laufenden Jahr eine Verschiebung der Migrationsroute: Eine steigende Zahl von Booten steuerte direkt die kleine Insel El Hierro mit seinen 11.400 Einwohner:innen an, anstatt die größeren Inseln Lanzarote, Gran Canaria, Teneriffa und Fuerteventura, die bislang vorrangiges Ziel der Migrationsbewegungen waren. Der Grund hierfür liegt u.a. darin, dass die Migrant:innen auf diese Weise versuchen, Kontrollen vor der mauretanischen und marokkanischen Küste zu umgehen. Spanien kooperiert insbesondere mit Marokko, um irreguläre Migration zu stoppen.

Hintergrund des aktuellen Anstiegs der Ankünfte auf den Kanaren ist unter anderem eine politische und soziale Krise im Senegal. Laut Externer Link: Daten der Weltbank leben fast 40 Prozent der Bevölkerung in dem westafrikanischen Staat unterhalb der Armutsgrenze. Zudem kam es nach der Inhaftierung des Oppositionsführers Ousmane Sonko im Juni zu gewalttätigen Protesten. Sonko ist v.a. bei Senegals Jugend beliebt. Die auf den Kanarischen Inseln ankommenden senegalesischen Jugendlichen berichten neben wirtschaftlicher Not auch von Repressionen durch die Sicherheitskräfte in ihrem Heimatland.

Italien schließt Migrationsabkommen mit Albanien

Italien und Albanien wollen in Migrationsfragen Externer Link: zusammenarbeiten. Das sieht eine Absichtserklärung zwischen beiden Ländern vor. Demnach sollen in Albanien zwei von Italien betriebene Aufnahmezentren für Schutzsuchende und Migrant:innen eingerichtet werden. Medienberichten zufolge sollen dorthin Migrant:innen umgeleitet werden, die auf dem Weg über das Mittelmeer nach Italien von italienischen Schiffen aus Seenot gerettet werden. Minderjährige und schwangere Frauen seien davon ausgenommen, betonte Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bei einer Pressekonferenz. In den geplanten Zentren können ihren Angaben zufolge bis zu 3.000 Menschen gleichzeitig untergebracht werden.

Insgesamt könnten jährlich rund 36.000 Asylsuchende von Italien nach Albanien überführt werden. In den Zentren, die voraussichtlich im Frühjahr 2024 den Betrieb aufnehmen, sollen die Asylanträge nach italienischem Recht geprüft werden. Abgelehnte Asylsuchende könnten dann direkt aus Albanien in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Wie dies in großem Umfang gelingen soll, solange es keine entsprechenden Abkommen mit den Herkunftsländern gibt, die Rückführungen erleichtern, blieb offen. In Albanien riefen Oppositionspolitiker:innen zu Protest auf, da das Abkommen nicht mit dem Parlament abgestimmt wurde.

Die EU war in die Verhandlungen mit Albanien nicht eingebunden. Ylva Johansson, EU-Kommissarin für Inneres, betonte, dass die Absichtserklärung EU-Recht wohl nicht verletzte, da das Abkommen außerhalb dieses Rechts stehe. Die EU-Kommission hatte sich 2018 selbst um ein Migrationsabkommen mit Albanien bemüht, war damals aber gescheitert.

Albanien verspricht sich Beobachter:innen zufolge von der strategischen Partnerschaft mit Italien Zugeständnisse europäischer Partner und mehr Gehör auf EU-Ebene: Seit Juli 2022 führt das Land Beitrittsgespräche mit der EU. Italien erhofft sich, die Zahl irregulärer Ankünfte von Schutzsuchenden zu reduzieren. Im laufenden Jahr sind bereits rund Externer Link: 153.000 Menschen über das Mittelmeer nach Italien gekommen (Stand: 10.12.2023) – deutlich mehr als in den Vorjahren (Externer Link: Gesamtjahr 2022: ca. 105.000 Ankünfte, 2021: ca. 67.500 Ankünfte).

Oberstes britisches Gericht untersagt Abschiebungen nach Ruanda

Das oberste britische Gericht, der Supreme Court, hat den Plan der britischen Regierung, Asylsuchende nach Ruanda abzuschieben, für rechtswidrig erklärt. Einstimmig hoben die Richter:innen damit eine Entscheidung des Berufungsgerichts auf, welches die Ruanda-Politik für rechtmäßig erklärt hatte. Sie wiesen darauf hin, dass das kleine ostafrikanische Land für Asylsuchende nicht als sicher gelten könne. Es bestünde die Gefahr, dass auch schutzberechtigte Flüchtlinge von dort in Länder zurückgeführt werden könnten, in denen ihnen unmenschliche Behandlung droht. Das wäre ein Verstoß gegen das Interner Link: Non-Refoulement-Gebot.

Trotz des Urteils hält die britische Regierung an ihren Abschiebeplänen fest und hat im Dezember im Parlament erfolgreich ein Externer Link: Gesetz zur Abstimmung gebracht, welches Ruanda als sicheres Land festlegt. Premierminister Rishi Sunak kündigte zudem an, er sei „bereit, aus der Interner Link: Europäischen Menschenrechtskonvention auszutreten“, sollte der Interner Link: Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der die Einhaltung dieser Konvention überwacht, intervenieren. Anfang Dezember hat die britische Regierung zudem ein Externer Link: neues Abkommen mit Ruanda geschlossen, welches ebenso wie das „Safety of Rwanda“-Gesetz darauf zielt, das Urteil des Supreme Court zu umgehen. Darin sichert Ruanda zu, sich an das Non-Refoulement-Gebot zu halten und Schutzsuchende nicht in Länder abzuschieben, in denen ihr Leben und ihre Freiheit bedroht sind.

Die britische Regierung verspricht seit Jahren, die Migration ins Vereinigte Königreich zu senken. Tatsächlich erreichte die Nettomigration (Zuwanderung minus Abwanderung) 2022 einen neuen Rekordwert: Externer Link: Im November veröffentlichten Zahlen zufolge belief sie sich auf 745.000 Personen. Insbesondere in der Externer Link: hohen Zahl irregulärer Ankünfte über den Ärmelkanal sieht die Regierung ein gravierendes Problem. Das Migrationsabkommen mit Ruanda ist ein zentraler Teil des Vorhabens von Premier Sunak, die Überfahrten über den Ärmelkanal zu stoppen („stop the boats“).

Finnland schließt Grenze zu Russland

Finnland hat Ende November alle Externer Link: Grenzübergänge zu Russland vorerst geschlossen. Als Grund dafür nannte die Regierung in Helsinki steigende Zahlen Asylsuchender aus dem Nahen Osten und Afrika, die in den vergangenen Monaten über Russland nach Finnland eingereist sind. Im November sollen rund 900 Menschen die gemeinsame Grenze passiert haben, zuvor sei im Schnitt täglich nur eine Person illegal über diese Grenze nach Finnland eingereist. Auf Wunsch Finnlands wird die Interner Link: EU-Grenzschutzagentur Frontex Grenzschutzpersonal an die finnisch-russische Grenze schicken.

Die finnische Regierung wirft Russland vor, Schutzsuchende bewusst an die Grenze zu schleusen, um Finnland zu destabilisieren. Die gemeinsame Landgrenze zwischen Russland und Finnland ist mehr als 1.300 Kilometer lang. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern haben sich seit dem Beginn des russischen Angriffs auf das gesamte Gebiet der Ukraine im Februar 2022 deutlich verschlechtert. Im Interner Link: April 2023 war Finnland dem Militärbündnis NATO beigetreten und hatte damit seine jahrzehntelange Neutralität aufgegeben. Moskau hatte diesen Schritt als „Angriff“ auf Russlands Sicherheit gewertet und Gegenmaßnahmen angekündigt.

Finnlands Regierung ist nicht die erste, die Russland eine Instrumentalisierung von Migration als Form der „hybriden Bedrohung“ vorwirft. Im Interner Link: Herbst 2021 war es an der Grenze von Polen und Belarus zu einer Krise gekommen, als eine steigende Zahl von Menschen aus Kriegs- und Krisenländern dort in die EU einreisten. Damals hatte Polen Belarus, einem engen Verbündeten Russlands, vorgeworfen, Schutzsuchende gezielt an die Grenze zu bringen, um Polen – und letztlich auch die EU – unter Druck zu setzen.

Zehntausende Afghaninnen und Afghanen verlassen Pakistan

Externer Link: Vom 15. September bis zum 2. Dezember 2023 haben rund 438.000 Afghaninnen und Afghanen Pakistan verlassen. Hintergrund ist die Ankündigung der pakistanischen Regierung, ausländische Staatsangehörige ohne Aufenthaltserlaubnis abzuschieben oder festzunehmen, sollten sie das Land nicht freiwillig bis Ende Oktober verlassen haben. Diese Entscheidung wurde mit der wachsenden Zahl an Selbstmordanschlägen in Pakistan begründet. Seit Januar 2023 hat es nach Angaben von Pakistans Innenminister Sarfraz Bugti 24 solcher Anschläge gegeben, darunter 14, die von Afghanen verübt worden seien. Die pakistanische Regierung geht davon aus, dass die Terroranschläge von Afghanistan aus organisiert werden.

In Pakistan lebten vor Oktober 2023 nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) Externer Link: rund 3,7 Millionen Menschen aus Afghanistan, von denen 600.000 seit der Machtübernahme durch die Interner Link: radikal-islamischen Taliban im August 2021 ins Land gekommen seien. Schätzungsweise Externer Link: mehr als 1,4 Millionen Afghaninnen und Afghanen hatte keine Aufenthaltserlaubnis. Die pakistanische Polizei hat damit begonnen, Menschen ohne Papiere festzunehmen und abzuschieben. In mehreren Regionen wurden neue Abschiebezentren eingerichtet; pakistanische Behörden ließen erste Lager für afghanische Geflüchtete räumen und abreißen. Bis Anfang Dezember wurden Externer Link: fast 28.000 Afghaninnen und Afghanen festgenommen; rund 26.300 wurden abgeschoben.

Viele Menschen aus Afghanistan, die nun von Abschiebung bedroht sind, leben seit Jahrzehnten in Pakistan, sind zum Teil dort geboren worden und haben keinen Ort, an den sie in Afghanistan zurückkehren könnten. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, Externer Link: rief Pakistans Regierung auf, die Rückführungen solange auszusetzen, bis Verfahren zur individuellen Beurteilung der Gefährdungslage und andere nach internationalem Recht erforderliche Schutzmaßnahmen eingeführt seien. Pakistan müsse sicherstellen, dass der Grundsatz der Nichtzurückweisung gewahrt und Schutz für Personen gewährleistet werde, denen in Afghanistan schwere Menschenrechtsverletzungen durch das islamistische Taliban-Regime drohten.

Niger entkriminalisiert Transport von Migrantinnen und Migranten

In Niger steht der Transport von Migrant:innen auf Migrationsrouten in Richtung Europa nicht länger unter Strafe. Das hat die Militärregierung des westafrikanischen Landes entschieden, die nach einem Interner Link: Putsch im Juli 2023 an die Macht gekommen war. Ende November hob sie ein entsprechendes Externer Link: Gesetz von 2015 auf, welches in Verhandlungen mit der EU zustande gekommen war und darauf zielte, den Transit von Migrant:innen aus Subsahara-Afrika durch Niger zu erschweren und damit Interner Link: irreguläre Migration in Richtung EU zu unterbinden. Die EU hatte Niger im Gegenzug umfangreiche finanzielle Unterstützung gewährt.

Infolge des Gesetzes war die Zahl der Festnahmen und Verurteilungen wegen Menschenschmuggel sowie die Zahl der beschlagnahmten Fahrzeuge für den Transport von Migrant:innen gestiegen. Viele Menschen, die zuvor ihr Geld mit Dienstleistungen für Migrant:innen verdient hatten, verloren ihre Einnahmequelle.

Nach dem Putsch hatte die EU die Zusammenarbeit mit Niger eingefroren. Die Transitmigration durch Niger könnte mit der Aufhebung der Migrationsvereinbarung wieder zunehmen – auch, weil Russland seinen Einfluss in Niger vergrößert hat und die Militärregierung dazu bewegen könnte, mehr Migration in Richtung Europa zuzulassen, um die EU weiter unter Druck zu setzen.

Fast zeitgleich zur Aufhebung der Kriminalisierung des Transport von Migrant:innen kündigte Niger auch die Zusammenarbeit mit der EU bei zwei Missionen auf: der zivilen Mission EUCAP (Ausbildung und Beratung von nigrischen Sicherheitskräften) und der Militärmission EUMPM (Aufbau der Kapazitäten der nigrischen Streitkräfte mit dem Ziel der Interner Link: Stabilisierung der Sahel-Region). Beide Missionen zielten sowohl auf die Bekämpfung von Terrorismus als auch darauf, Migration in Richtung Europa einzudämmen.

Was von Oktober und November übrig blieb…

Die Externer Link: Bundesregierung hat Regelungen beschlossen, um das Arbeitsverbot für Asylbewerber:innen zu lockern. Asylantragstellende, die in Erstaufnahmeeinrichtungen leben, sollen zukünftig bereits nach sechs statt wie bislang nach neun Monaten arbeiten dürfen. Das gilt aber nicht für Personen aus „Interner Link: sicheren Herkunftsländern“ und Asylsuchende, die bereits rechtskräftig abgelehnt sind oder die Klärung ihrer Identität behindert oder verweigert haben. Die Beschlüsse sind Teil eines Interner Link: Migrationspakets, welches auch höhere Strafen für die Schleusung von Migrant:innen vorsieht sowie Externer Link: mehr und schnellere Rückführungen von abgelehnten Asylbewerber:innen. Der ebenfalls vorgesehenen Interner Link: Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten um Georgien und Moldau haben Bundestag und Bundesrat bereits zugestimmt.

Tunesien hat 60 Millionen Euro Haushaltshilfe an die EU zurückgezahlt, die dem Land im Rahmen der im Interner Link: Juli 2023 geschlossenen Absichtserklärung zur Zusammenarbeit in Migrationsfragen gewährt worden waren. Tunesiens Präsident Kais Said sagte zur Begründung, dass sein Land nichts annehme „was Gnaden oder Almosen ähnelt“. Die Finanzmittel der EU sollten in Tunesien in den Ausbau von Migrationskontrollen, Maßnahmen gegen Schleuser und Rückführungen fließen. Tunesien zählt zu den wichtigsten Transitstaaten für Migrant:innen und Schutzsuchende, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen.

Die Zahl der Menschen, die weltweit vor Krieg, Gewalt und Verfolgung aus ihren Heimatorten geflohen sind, hat einen neuen Höchststand erreicht. Nach Externer Link: im Oktober veröffentlichten Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) gab es Ende September 2023 weltweit 114 Millionen Geflüchtete. Das waren vier Millionen mehr als Externer Link: Ende Juni 2023 (110 Millionen Geflüchtete) und 5,6 Millionen mehr als zum Jahresende Externer Link: 2022 (108,4 Millionen). Mehr als die Hälfte der geflüchteten Menschen sind Interner Link: Binnenvertriebene, hatten also ihre Herkunftsstaaten nicht verlassen. Die Fluchtbewegungen im Zuge des Kriegs in Gaza sind in den Zahlen noch nicht enthalten.

Im Osten der Demokratischen Republik Kongo sind Externer Link: nach UN-Angaben innerhalb von nur sechs Wochen rund 450.000 Menschen aus ihren Wohnorten vertrieben worden. Hintergrund ist der eskalierende Interner Link: Konflikt zwischen Regierungsstreitkräften und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen. Insgesamt hat die Zahl der Interner Link: Binnenvertriebenen in der DR Kongo mit Externer Link: 6,9 Millionen einen neuen Höchststand erreicht. Betroffen sind insbesondere die Regionen im Osten des Landes: North Kivu, South Kivu, Ituri und Tanganyika.

Australien will Menschen aus dem Inselstaat Tuvalu aufnehmen, der wegen des klimawandelbedingten Anstiegs des Meeresspiegels zunehmend unbewohnbar wird. Im November schlossen beide Pazifikstaaten ein Externer Link: Sicherheitsabkommen zur Gründung der sogenannten Falepili-Union. Australien erklärt sich darin bereit, Bürgerinnen und Bürgern von Tuvalu die Einwanderung nach Australien zu ermöglichen – zunächst bis zu 280 Personen pro Jahr. Im Gegenzug sichert Tuvalu Australien Mitsprache bei vielen Sicherheitsfragen zu, etwa Verteidigung, Grenzschutz, Cybersicherheit und kritische Infrastruktur.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Zahlen zu Todesopfern im Gazastreifen stammen vom dortigen Gesundheitsministerium, das von der Hamas kontrolliert wird. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen, werden aber von den Vereinten Nationen verwendet. Israel zweifelt die Zahlen an.

  2. Die Weltbank zieht die Armutsgrenze für Staaten mit einem niedrigen mittleren Einkommen („lower middle income“) bei 3,65 US-Dollar (Kaufkraft) pro Kopf und Tag. Senegal fällt laut Weltbank in diese Kategorie. Die absolute Armutsgrenze liegt bei 2,15 US-Dollar (Kaufkraft) pro Kopf und Tag. Von dieser extremen Armut waren Externer Link: 2018 rund 9,2 Prozent der Bevölkerung im Senegal betroffen.

  3. Im Abkommen heißt es: „Der Begriff ‚Falepili‘ steht für die traditionellen Werte der guten Nachbarschaft, der Fürsorgepflicht und des gegenseitigen Respekts.“ (Englisches Original: „the concept of Falepili (…) connotes the traditional values of good neighbourliness, duty of care and mutual respect”)

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Vera Hanewinkel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.
E-Mail: E-Mail Link: vera.hanewinkel@uni-osnabrueck.de