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Grußwort von Dr. Caroline Hornstein-Tomic, Fachabteilungsleiterin, Bundeszentrale für politische Bildung | Aussiedlung – Beheimatung – Politische Teilhabe | bpb.de

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Grußwort von Dr. Caroline Hornstein-Tomic, Fachabteilungsleiterin, Bundeszentrale für politische Bildung

/ 5 Minuten zu lesen

Sehr geehrter Herr Koschyk,
sehr geehrter Herr Abgeordneter Zertik,
sehr geehrter Herr Eisenbraun,
sehr verehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie sehr herzlich im Namen der Bundeszentrale für politische Bildung hier im Auditorium in der Friedrichstraße zu unserer Fachtagung 'Aussiedlung – Beheimatung – politische Teilhabe’ begrüßen. Ich bin Fachabteilungsleiterin der Bundeszentrale für politische Bildung und vertrete heute Nachmittag Thomas Krüger, den Präsidenten der bpb; er wird später zu uns stoßen und freut sich auf die Gespräche mit Ihnen. Noch einmal herzlich willkommen an alle, die hier nach Berlin, ins Auditorium in der Friedrichstraße gekommen sind.

Diese Fachtagung stößt, wie Sie sehen, auf ein besonderes Interesse, wir haben über 250 Anmeldungen erhalten - weit mehr als wir erwartet haben. Eine Resonanz, die unsere Erwartungen deutlich übertroffen hat! Gut, dass die Nachfrage nach politischer Bildung in Zeiten wie diesen offensichtlich zunimmt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
welche Ziele und Erwartungen verbinden wir, die Bundeszentrale für politische Bildung, mit dieser Fachtagung? Warum haben wir den Dreiklang der Themen 'Aussiedlung – Beheimatung – politische Teilhabe’ gewählt?

Hierzu drei Anmerkungen und Anregungen für die Diskussion heute und morgen:

Fangen wir mit unserem wichtigsten Anliegen an:
Wir wollen mit dieser Tagung vor allem das Gespräch mit Ihnen suchen, wir wollen Ihnen das Wort geben. Dabei hoffen wir auf ein konstruktives und ergebnisoffenes Gespräch, in dem Sie Ihre Erfahrungen und Wissen weitergeben, aber auch Neues mitnehmen können.

Denn genau das ist die Aufgabe politischer Bildung in der Demokratie: Bürgerinnen und Bürger ermutigen und befähigen, sich in Politik und Gesellschaft 'einzumischen’, sich mit ihren Meinungen, Interessen und Fähigkeiten sichtbar und hörbar zu machen.

Dazu brauchen wir einen Raum der Demokratie, einen Raum, in dem die Grund- und Menschenrechte gewahrt und verteidigt werden. Nur so können viele zu Wort kommen, aber auch viele einander zuhören. Dabei ist eins klar:

Auch hier im Auditorium, unserem ganz konkreten 'Raum der Demokratie’ heute und morgen werden wir nur selten alle derselben Meinung sein.

Umso wichtiger ist, dass wir das gemeinsame Fundament von Demokratie pflegen, aber die Auseinandersetzung über Ideen, Optionen, Alternativen nicht scheuen, ganz im Sinne unseres neuen Bundespräsidenten Steinmeier, der dazu in seiner Antrittsrede ausdrücklich aufgerufen hat.

Lassen Sie uns also gemeinsam die Chancen dieser Tagung wahrnehmen und nutzen.

Meine Damen und Herren, die zweite Anmerkung betrifft Thema und Zielgruppen unserer Tagung:
Unsere Fachtagung hat sich viel vorgenommen, wir werden unbekanntes, komplexes und sicher auch kontroverses Terrain erkunden:
Der etwas sperrige Titel zeigt es schon:
'Aussiedlung – Beheimatung – politische Teilhabe’: Deutsche aus Russland in Wechselwirkung mit russischsprachigen Gruppen in Deutschland’

Wir wissen, dass einige der hier genutzten Begriffe schon im Vorfeld der Tagung kontroverse Debatten ausgelöst haben: Was, wurde gefragt, haben denn die 'Deutschen aus Russland’ mit den 'russischsprachigen Gruppen’ in Deutschland zu tun? Werden damit nicht Vorurteile der deutschen Mehrheitsgesellschaft bestätigt, (Spät-) Aussiedler aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion als "Russen" oder gar als "fünfte Kolonne Putins" abzustempeln?

Andere Vorbehalte betrafen den Begriff 'russischsprachige Gruppen’: Werden damit nicht Diskurse bestätigt, so der Einwand, die diese Gruppen als 'Landsleute’ der Russländischen Föderation betrachten? Und ist es richtig, darunter etwa auch die über 200.000 jüdischen Kontingentflüchtlinge, viele von ihnen aus der Ukraine, zu fassen?

Kann man dieser vielfältigen 'Diaspora’ – auch dies nur ein Hilfsbegriff in Anführungszeichen – in einer Tagung wie dieser gerecht werden? Also den über zwei Millionen Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion, die in Deutschland leben, den Deutschen aus Russland als einer der größten Einwanderergruppen der bundesdeutschen Gesellschaft, den Menschen jüdischer Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion, all ihren oft anderen Nationalitäten zugehörigen Familienmitgliedern und nicht zuletzt ihren schon in Deutschland geborenen Nachkommen. All diese Fragen sind wichtig, meine sehr verehrten Damen und Herren, und wir stellen sie zur Diskussion in den unterschiedlichen Podien und Workshops. Wir wollen aber heute und morgen zumindest versuchen, die vielfältigen Perspektiven auf die sogenannte 'postsowjetische Diaspora’ mit ihren gewichtigen Unterschieden, aber auch ihren offensichtlichen (auch familiären) Wechselwirkungen und Gemeinsamkeiten, einmal in einem Raum, ich wiederhole, einem 'Raum der Demokratie’ zusammenzubringen.

Dazu haben uns nicht zuletzt auch Wissenschaftler wie Professor Panagiotidis und andere Kollegen nachdrücklich ermuntert. Last but not least – und dies soll meine dritte Anmerkung sein – wollen wir Sie zu einem weiteren Ausflug in schwieriges Terrain einladen: Identitäten in der Demokratie, Identitäten, Beheimatung und politische Teilhabe; das sind die zentralen Themen unserer Podien und Workshops heute und morgen. Wir wissen, dass sich 'heimatlich’ oder 'fremd fühlen’ sehr stark auch mit den Teilhabechancen in dieser Gesellschaft zu tun hat. Wir wissen auch, dass es hier viele Erfolgsgeschichten, aber ebenso auch noch ungenutzte Potentiale gibt. Ein Blick zurück in die Debatten der letzten 10 Jahre um 'Integration, Zuwanderung und Identität’ in Deutschland aber auch in Europa und in den USA, zeigt, wie belastet und spannungsgeladen dieses Feld ist, gerade auch für die politische Bildung.

Denn hier geht es um emotionale Dimensionen, um Subjektivitäten, um Projektionen, es geht um Anerkennung und Ausgrenzung, alles Themen, die für unsere Tagung einschlägig sind.

'Identität ist ein gefährliches Wort’, so der jüdisch-britisch- amerikanische Historiker Tony Judt in einem seiner letzten Essays. Er warnte vor einer Welle ausgrenzender, exklusiver und homogenisierender Identitätsansprüche in den globalisierten Gesellschaften des Westens.

Auch hierzulande sind Fragen nach angemessener Teilhabe und letztlich nach Heimat, Identität aber auch Loyalität im Umfeld der Russlanddeutschen und russischsprachiger Gruppen in den letzten Jahren neu und virulent verhandelt worden.

Allzu oft ging dies mit pauschalisierenden und verzerrten Darstellungen in den Medien einher - wie im Fall Lisa. Hier gibt es noch viel zu tun.

Ich finde es zum Beispiel sinnvoll, zwischen dem, was Forscher 'gelebte Transnationalität’ nennen und den Bemühungen um eine Vereinnahmung der russischsprachiger Diaspora durch staatliche Medien Russlands, zu unterscheiden.

In einer offenen Gesellschaft können wir es uns nicht leisten, grenzüberschreitende Verbindungen, multiple Identitäten und multilingualen Medienkonsum unter Generalverdacht zu stellen.

Umso wichtiger ist es, das wir auf dieser Tagung diesen problematischen Diskursen etwas entgegenstellen, einen anderen, besseren Weg, sich mit Identitäten, Zuwanderung und Teilhabe auseinanderzusetzen. Ich freue mich daher besonders, dass sich der aus der Ukraine stammende deutsch-jüdische Autor Dmitri Belkin und Ernst Strohmaier, der stellvertretende Vorsitzende der Landsmannschaften der Deutschen aus Russland in einem Workshop über ihren eigenen Blick auf 'Identitäten in der Demokratie’ diskutieren werden.

Aber die Frage nach Heimat, nach Identitäten in der unruhigen Welt des 21. Jahrhunderts richtet sich auch an die ganze deutsche Gesellschaft und ihre politischen Institutionen: es ist ja kein Zufall, dass der 'Begriff' Heimat und auch die Frage 'Was ist deutsch?' wieder Konjunktur hat.

Auch hier stehen wir noch am Anfang eines Weges, den wir nur gemeinsam beschreiten können. Vielleicht gelingt es uns ja, den Beginn einer 'optimistischen Migrationsgeschichte’ im Sinne Jan Plampers zu schreiben. Er wird seine Ideen dazu morgen erläutern. Ganz zum Schluss möchte ich mich bei Ihnen, Herr Koschyk, herzlich bedanken, für Anregungen und Hilfestellungen bei der Konzeption und Organisation der Tagung, ebenso wie Herrn Praxenthaler, Herrn Panagiotidis und vielen anderen, die uns, vor allem meinem Kollegen Christoph Müller-Hofstede, der die Tagungsvorbereitung koordinierte, mit Rat und Tat zur Seite standen. Ich freue mich sehr auf unsere Gespräche, danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und übergebe das Wort an Herrn Koschyk.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten