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2. Tag: Donnerstag, 8.11.2018 | Kind. Kegel. Kalifat. Frauen und Kinder: blinde Flecken in der Salafismusprävention? | bpb.de

Kind. Kegel. Kalifat. Frauen und Kinder: blinde Flecken in der Salafismusprävention? 1. Tag: Mittwoch, 7.11.2018 2. Tag: Donnerstag, 8.11.2018

2. Tag: Donnerstag, 8.11.2018

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Bildergalerie: Impressionen der Tagung

Bildergalerie

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Jana Kärgel, Referentin im Fachbereich "Extremismus" der Bundeszentrale für politische Bildung führte in den zweiten Tag der Veranstaltung ein. Mithilfe einer Reihe von Bildanalysen verdeutlichte sie, dass unsere Wahrnehmungen und Vorurteile über "den Islam" auch unsere Handlungen strukturieren und bestimmen. Dies geschieht nicht zuletzt durch Bilder, die beispielsweise in den Medien verwendet werden, um Geschichten über Islam und Islamismus gleichermaßen zu illustrieren. So ist die Darstellung von Frauen und Kindern mit Blick auf Salafismus meist von klischeebehafteten Bildern geprägt: Frauen in Niqab werden schnell als Salafistinnen verurteilt, Bilder von verschleierten Frauen und Polizisten lösen Debatten über öffentliche Sicherheit aus, Kinder auf dem Arm ihrer vollverschleierten Mütter wirken ängstlich und verstört. Kärgel appellierte im Sinne einer gelingenden Salafismusprävention daran, diese gängigen Assoziationen von Frauen und Kindern im Salafismus zu hinterfragen. Sie betonte, dass diese kritische (Selbst-)Reflexion Ziel der Tageseinführung und letztlich ein Ziel der gesamten Tagung darstelle. Ein reflektierter Umgang mit dem Thema Salafismus erfordere das Bewusstmachen von Vorurteilen.

Auf die Einführung folgte für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, zwischen zahlreichen Vertiefungsmodulen des "Wissen vertieft"-Angebotes zu wählen. Diese wurden jeweils zwei Mal angeboten, sodass maximal zwei der sieben zur Auswahl stehenden Module besucht werden konnten.

Diskriminierung und Radikalisierung – zwei Seiten einer Medaille?

  • Stefan E. Hößl, Universität zu Köln

  • Silke Baer, cultures interactive e. V., Berlin

  • Moderation: Linda Kelch, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn

Im Modul "Diskriminierung und Radikalisierung – zwei Seiten einer Medaille?" unternahm Stefan Hößl eine detailliertere Analyse des Begriffs der Radikalisierung, der im vorliegenden Zusammenhang synonym verwendet werde mit der Hinwendung zum Salafismus oder Islamismus. Radikalisierung, so Hößl, sei ein Prozess, der mit oder ohne einen Fokus auf Gewalt ablaufen kann, jedoch immer eine hiesige Ordnung verändern soll. Sie verlaufe immer individuell, oftmals ausgelöst durch eine Krise. Folglich ließe sich die Frage ableiten, wie Radikalisierung und Diskriminierung zusammenhängen. Als Diskriminierung definierte Hößl Äußerungen und Handlungen, die sich in herabsetzender Weise auf ein Individuum oder eine Gruppe beziehen. Durch den Fokus auf radikale Differenzen (sobald also ausschließlich auf Abgrenzungsmöglichkeiten gegenüber anderen geblickt werde), zumeist im Kontext tatsächlicher oder zugeschriebener Zugehörigkeiten wie Religion, Geschlecht oder Kultur, entstünden Feindbilder. Die radikale Differenz zu "dem Islam" oder "den Muslimen" habe antimuslimischen Rassismus zur Folge. Vermeintliche Muslime werden "identifiziert" und bewertet und auf dieser Basis diskriminiert. "Totale Identifizierungen", also das Zuschreiben von Handlungen, die ausschließlich durch die Zugehörigkeit zu einer vorgestellten Gemeinschaft motiviert sein sollen, haben immer das Potenzial für Diskriminierung, so Hößl. Die Frage nach den (Diskriminierungs-)Erfahrungen des Menschen sei für dessen Radikalisierung äußerst zentral. Studien würden auf eine Wechselwirkung zwischen Rassismus und Radikalisierung verweisen. Somit können radikale Differenzerfahrungen für die Radikalisierung zentral sein. In diesem Fall bieten radikale Gruppen Attraktivitätsmomente, da sie Zugehörigkeit und Geborgenheit bieten.

Silke Baer betrachtete die Hinwendungsmotive von Mädchen und Frauen zum Islamismus. Der Genderaspekt sei zentraler Gegenstand der Debatte, denn Jugendkulturen seien häufig "Jungenkulturen". Frauen und Mädchen wenden sich dem religiös begründeten Extremismus nicht trotz klassischer Geschlechterrollen zu, sondern gerade weil jede und jeder ihren und seinen Platz innerhalb der Ideologie habe. Somit herrsche zwar eine Gleichwertigkeit unter den Geschlechtern, aber keine Gleichberechtigung. Auch mit Blick auf die Gesamtgesellschaft verwies Baer auf die noch immer fehlende Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen gegenüber Männern. Mit Blick auf die Ausführungen von Hößl ergänzte sie, dass muslimische Frauen eine doppelte Diskriminierung erfahren würden: eine rassistische Ausgrenzung, der Frauen beispielsweise aufgrund des Tragens eines Kopftuches oder der Verhüllung (wodurch sie als Musliminnen identifiziert werden) schneller ausgesetzt sind als Männer, und die Ausgrenzung aufgrund ihres Geschlechts. Für sie wird die Radikalisierung dann zu einer doppelten Loslösung von der Mehrheitsgesellschaft. Aus diesen Beobachtungen heraus betonte Baer die Bedeutung von geschlechterspezifischer und phänomenübergreifender Prävention.

Die anschließende Diskussion nahm Fragen nach Möglichkeiten des Empowerments für Mädchen in den Fokus. Silke Baer forderte eine offene Diskussion kritischer Themen und das Einlösen gesellschaftlicher Versprechen in Bezug auf eine geschlechtliche Gleichberechtigung. Als Beispiele nannte sie etwa das Fehlen von Beteiligungsformen und Selbstwirksamkeitserfahrungen für junge Mädchen. Vielfach sei die Lebensrealität junger Frauen, insbesondere junger Musliminnen, nicht ausreichend in unserer Gesellschaft berücksichtigt. Aufgrund der Möglichkeit einer geschlechterspezifischen Diskriminierung sei die dezidierte Mädchenarbeit ihrer Ansicht nach ein zentraler Bestandteil der Prävention: Die Arbeit in Mädchengruppen gibt jungen Frauen beispielsweise Raum, um über ihre Erfahrungen, Ängste und Wünsche zu sprechen. Somit kann auch einem Rechtfertigungsdruck entgegengesteuert werden, den Mädchen in der Gesamtgesellschaft aufgrund von noch immer weit verbreitetem Sexismus auf eine viel intensivere Weise erfahren als Jungen und Männer. Darüber hinaus warfen die Modulteilnehmenden nochmals einen kritischen Blick auf den Begriff der Radikalisierung, da er bereits Stigmatisierung beinhalte. Der aktuelle Radikalisierungsdiskurs sei zu ausschließend. Es müssten Gespräche mit den mündigen Subjekten gesucht werden, bevor diese als "manipulierte Objekte" nur noch Gegenstand der Diskussion seien.

Frauen in der extremen Rechten und im islamistischen Extremismus – Motive, biografische Hintergründe und Erfahrungen

  • Michaela Glaser, Deutsches Jugendinstitut Halle/Saale

  • Moderation: Laura Dickmann, Doktorandin der Religionswissenschaften an der Universität Bremen

Der Vortrag von Michaela Glaser, Referentin am Deutschen Jugendinstitut Halle/Saale, thematisierte Hinwendungsmotive und Erfahrungen von Frauen im islamistischen Extremismus. Eingangs stellte Glaser den Forschungsstand zu Ausreisemotiven dar (gemeint ist die Ausreise nach Syrien und in den Irak, die mit dem Erstarken des "IS" einsetzte) und stellte die Ausreisemotive von Frauen und Männern einander gegenüber. Auffällig sei, dass weibliche Motive für eine Ausreise vielfach mit der Entscheidung des Ehemannes in Verbindung gebracht werden. Somit werde nicht berücksichtigt, dass auch Frauen die entsprechende Ideologie verinnerlichen und ihre Ausreise selbst planen. Vielmehr seien die Motive von Frauen und Männern meist ähnlich: das Gemeinschaftsversprechen extremistischer Gruppen, die Erfahrung von Diskriminierung im Alltag, die Wahrnehmung des Leidens der Musliminnen und Muslime in Krisenregionen im Nahen Osten und die religiöse Pflicht zum Aufbau des Kalifats.
Als explizit "weibliches Motiv" nannte Michaela Glaser die Sehnsucht nach einem "idealen" Ehemann. Ein männliches Motiv sei hingegen die Faszination des Kampfes, der Gewalt und des propagierten Heldentums. Im zweiten Teil ihres Vortrags erörterte Glaser biografische Faktoren, die eine Radikalisierung begünstigen können. Diese Faktoren entstammen der Biografieforschung, die sich jedoch größtenteils mit den Biografien von Männern befasst, da die Daten aus Prozessakten stammen und strafrechtlich relevante Taten im Bereich des Islamismus meist von Männern verübt werden (siehe hierzu auch den Auftaktvortrag von Dr. Gerwin Moldenhauer zur strafrechtlichen Verfolgung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern). Die sozioökonomischen Hintergründe der sich radikalisierenden Personen seien vielfältig, es handele sich etwa um Menschen, die gesellschaftlich marginalisiert sind, aber auch um Menschen mit einem hohen Bildungsniveau, so Glaser. Dennoch seien Krisen und biografische Brüche in den meisten Fällen relevante Faktoren, beispielsweise persönliche Verluste, Gefängnisaufenthalte, abgebrochene Ausbildungen und Arbeitslosigkeit. Personen, die sich dem Islamismus zuwenden, seien meist junge Menschen, die Diskriminierung erfahren haben. Vor dem Hintergrund biografischer Faktoren ging Glaser auch kurz auf Erkenntnisse aus der Rechtsextremismusforschung ein. Daraus ließen sich Parallelen im Hinblick auf Radikalisierungsgründe aufzeigen. Hinwendungen zu extremistischen Strömungen würden weder im Rechtsextremismus noch im Islamismus aus primär ideologischen Motiven erfolgen. Vielmehr sei zu beobachten, dass Krisen- oder Desintegrationserfahrungen, defizitäre Beziehungen oder soziale Kälte in der Kindheit und Jugend die Hinwendung zum Extremismus begünstigen. Während Außenseitererfahrungen in Peer-Kontexten als Hinwendungsmotiv zum Rechtsextremismus erkennbar sind, werden im Kontext des islamistischen Extremismus herkunfts- und religionsbezogene Diskriminierungserlebnisse problematisiert. Auch wenn eine empirische Absicherung von Zusammenhängen bisher fehlt, schreibt ein Großteil der Forschung Diskriminierungserfahrungen eine hohe Erklärungskraft für die Attraktivität des Islamismus in westlichen Einwanderungsgesellschaften zu. Sowohl für den Rechtsextremismus als auch für den Islamismus gelten außerdem biografische Krisen, z. B. der Tod eines Elternteils, der Verlust eines Partners oder ein Gefängnisaufenthalt, als äußerst relevant für individuelle Hinwendungsprozesse, so Glaser. Darüber hinaus stellt die Jugendphase als Zeitpunkt der Hinwendung für beide Strömungen ein übergreifendes Charakteristikum dar. Diese ist oftmals geprägt von fundamentalen Umorientierungen primärer sozialer Bezüge, der Erweiterung von Aktionsräumen und Fragen zur eigenen Identität. Sowohl Rechtsextremismus als auch Islamismus können in dieser Phase attraktiv wirken, weil sie Gemeinschaft und Zugehörigkeit versprechen und damit identitätsstiftend wirken können.

Salafismusprävention in der Kommune – Chancen und Herausforderungen

  • Diana Schubert, Kommunaler Präventionsrat der Stadt Augsburg

  • Christian Kromberg, Beigeordneter der Stadt Essen

  • Moderation: David Yuzva Clement, M.A., Universität Erfurt

Diana Schubert schilderte zu Beginn des Moduls die Entstehung des Netzwerkes zur Prävention von Radikalisierung in Augsburg. Prävention sei nicht nur ein Problem der Großstädte, aber in Kommunen fehlten Netzwerke. Schubert berichtete von der Situation in Augsburg, wo es eine kleine salafistische Szene gibt. Der Kommunale Präventionsrat in Augsburg besteht seit 2007 und wurde zur stadtweiten und ressortübergreifenden Kriminalprävention in Augsburg gegründet. Gemeinsam mit der Stadt installierte er 2016 das Augsburger Netzwerk zur Prävention von Salafismus. Beim Büro für kommunale Prävention wurde eine (hauptamtliche!) Stelle geschaffen, die Netzwerke in den Stadtteilen aufbauen und die Zusammenarbeit mit religiösen Einrichtungen und Migrantenorganisationen fördern soll. Hauptziele sind das Bündeln von Maßnahmen zur Bekämpfung von demokratiefeindlichen Grundhaltungen, die Aufklärung und Sensibilisierung von Netzwerkpartnern und Multiplikatoren zum Phänomen des Salafismus allgemein sowie zum frühzeitigen Erkennen von Radikalisierungstendenzen und die Einbindung von Communities und Migrantenorganisationen. Außerdem ist die Stadt Augsburg international vernetzt, im Externer Link: "Radicalisation Awareness Network" (über die Arbeit im RAN berichtet der Österreicher Werner Prinzjakowitsch im Interner Link: Interview mit dem Infodienst), im Externer Link: "Strong Cities Network" und im Externer Link: "European Forum for Urban Security" (EFUS). Schubert empfahl das Nutzen vorhandener Strukturen in den jeweiligen Kommunen und akzentuierte die Bedeutung der großen Bandbreite diverser Partner: Schulen, Büros für Interkulturelles, Migrantenselbstorganisationen, Gleichstellungsbeauftragte, Träger der Jugendhilfe, Mädchenprojekte, überregionale Organisationen etc. Sie alle tragen im Augsburger Netzwerk zur Prävention bei.

Im Anschluss an das Augsburger Beispiel ermöglichte Christian Kromberg mit seiner Vorstellung der Netzwerkarbeit in der Stadt Essen den unmittelbaren Vergleich zwischen unterschiedlichen kommunalen Herangehensweisen. In Essen gab ein konkretes Ereignis Anlass zu einer stärkeren Vernetzung auf kommunaler Basis. Infolge des Anschlags auf den örtlichen Sikh Tempel im April 2016 durch zwei jugendliche Täter entstand beispielsweise ein enger Kontakt zum Netzwerk der Sikh Gemeinde. Aber auch andere Schnittstellen der Stadt, die mit den Themen Radikalisierung und Salafismus Berührung hatten und haben, seien in Folge dieser Sicherheitsbedrohung näher zusammengerückt. In Nordrhein-Westfalen leben circa 350 sogenannte Gefährderinnen und Gefährder und die salafistische Szene in NRW sei keineswegs zu unterschätzen, führte der Beigeordnete Kromberg aus. Die Kommunen hätten also eine neue Aufgabe im Bereich der Gefahrenabwehr, die nicht mehr nur alleine von der Polizei geleistet werden könne, so Kromberg. Er forderte einen 360 Grad-Blick, der vor allem durch die umfangreiche Kooperation vieler Institutionen erreicht werden könne. Da Institutionen eigene "Organisationskulturen" aufweisen, müssten Bemühungen stattfinden, diese "Kulturunterschiede" nicht nur wahrzunehmen, sondern auch zu überwinden. Ziel sei es, Menschen aus diversen Institutionen und auf allen institutionellen Ebenen zusammenzubringen und zu vernetzen. Darüber hinaus sollen Schnittstellen geschaffen werden, die den Akteuren im Bereich der Prävention für ihre Arbeit einen gemeinsamen Fokus liefern. Kromberg forderte außerdem, dass Verwaltungsebenen an einem Strang ziehen und miteinander kommunizieren. Kommunikation sei ein essenzielles Instrument der Netzwerkarbeit: Akteure müssten einander, falls nötig, stets aufs Neue erklären, warum sie welche Arbeit leisten. Um Kommunikation und gegenseitiges Verständnis zu fördern, wurden in Essen Hospitationstage eingerichtet, bei denen Beschäftigte einer Behörde den Arbeitsalltag und die Organisationsstruktur eines anderen Netzwerkpartners kennenlernen können. Außerdem wurden Aus- und Weiterbildungen entwickelt, um alle Akteure in die Präventionstage einzubeziehen und zu sensibilisieren. Um die Präventionsarbeit auf eine breite Basis zu stellen und das Know-How kontinuierlich zu erweitern, ist die Stadt Essen Teil der Netzwerke Externer Link: "Deutsch-Europäisches Forum für Urbane Sicherheit" (DEFUS) und "European Forum for Urban Security" (EFUS).

In der anschließenden Diskussion äußerte sich Christian Kromberg zu der kritischen Nachfrage, ob die Betonung des Sicherheitsaspektes in Essen nicht dazu führe, jungen, vermeintlich radikalisierungsgefährdeten Menschen vorschnell Straftaten zu unterstellen. Kromberg betonte, dass die Arbeit in der Stadt der Verhinderung von Straftaten diene, dennoch solle die Prävention vermeiden, dass die Verbindung von Radikalisierung und Straffälligkeit sofort hergestellt werde. Nichtsdestotrotz müsse Prävention den Sicherheitsaspekt grundsätzlich mitdenken, insbesondere dann, wenn andere präventive Maßnahmen nicht greifen.

Kommunale Strategien gegen gewaltbereiten Salafismus und radikal-islamistische Ideologien

Im Podcast stellt Claudia Hennen verschiedene Ansätze zur kommunalen Salafismusprävention vor und geht dabei besonders auf die Beispiele aus Augsburg und Essen ein.

"The kids are alright" – Are they? Kinder salafistischer Eltern

  • Tobias Meilicke, PROvention, Türkische Gemeinde in Schleswig-Holstein e.V., Kiel

  • Kim Lisa Becker, PROvention, Türkische Gemeinde in Schleswig-Holstein e.V., Kiel

  • Moderation: Martin Langebach, Bundeszentrale für politische Bildung

Dieses Modul befasste sich mit den Sozialisationsbedingungen von Kindern salafistischer Eltern und thematisierte die zentrale Frage, wie Fachkräfte, beispielsweise in Kindergärten, Schulen oder Jugendeinrichtungen erkennen können, ob Kinder zuhause religiös indoktriniert werden. Input und Diskussionsgrundlage boten Kim Lisa Becker und Thomas Meilicke von PROvention Schleswig-Holstein. Als Präventions- und Beratungsstelle gegen religiös begründeten Extremismus arbeitet PROvention in drei Arbeitsgruppen, die sich jeweils mit den Themen Recht, Sozialisationsbedingungen und dem Netzwerk aus Jugendamt und Schule auseinandersetzen. Den beiden Mitarbeitenden von PROvention gelang der thematische Einstieg in das Modul über die Beschreibung der Lebenswelten von Kindern in salafistischen Kontexten: Kinder, im besten Falle viele Kinder, gehörten in salafistischen Familien zu einem Idealbild. Die Kindererziehung habe im Salafismus einen wichtigen Stellenwert. Die in der salafistischen Lebensweise vorherrschende Abwertung von vermeintlich "Ungläubigen" (Anders- oder Nichtgläubigen) sei jedoch sehr problematisch: Kinder werden zu intoleranten Menschen erzogen und erfahren außerdem die Abschottung und Isolation von der Gesamtgesellschaft. Folglich lernen sie schon früh, dass sie nicht zu dieser Gesellschaft gehören. Die daraus resultierenden Konflikte können dazu führen, dass Kinder im Kindergarten auffallen: Sie tätigen religiöse Aussprachen, isolieren sich von der Gruppe der anderen Kinder und werden zu Außenseitern. Da Kinder jedoch auch über die Fähigkeit der Anpassung verfügen, sei es auch möglich, so die Referenten, dass sie zunächst kein auffälliges Verhalten zeigen. Kim-Lisa Becker richtete anschließend den Blick auf die Zahlen der aus Deutschland nach Syrien und in den Irak Ausgereisten und folglich auch der möglichen Rückkehrerinnen und Rückkehrer. Der Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit bleibt ihnen erhalten. Diesen Anspruch haben auch die im Ausland geborenen Kinder deutscher Eltern. Sicherheitsorgane sprechen von 100 bis 300 Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit in den Kriegsgebieten in Syrien und dem Irak, ungeachtet der vermutlich höheren Dunkelziffer. Daher sei davon auszugehen, dass die Anzahl von Kindern aus salafistischen Elternhäusern in deutschen Schulen und Kindergärten mit der Rückkehr nach und nach steigen wird. Allerdings sollten diese Kinder nicht stigmatisiert oder pathologisiert werden. Das salafistische Spektrum sei vielfältig. Demnach könne weder von einer einheitlichen salafistischen Erziehung (Familie als geschlossenes Glaubenssystem, Isolation von der Umwelt, Feindbildkonstruktionen, Ablehnung eines kreativen kindlichen Denkens, unterfüttert mit Angstvorstellungen durch Dämonen, Höllendrohungen und -beschreibungen, totalitäre Machtverhältnisse, erzieherische Fremdbestimmung beispielsweise durch Prediger, Frage nach religiösen Regeln statt nach den Bedürfnissen des Kindes), noch von einer per se zugrunde liegenden Kindeswohlgefährdung gesprochen werden. Liegen allerdings Kriterien der Kindeswohlgefährdung vor (seelische Gewalt, beispielsweise durch Vernachlässigung, gesundheitliche Gefährdung durch übertriebenes Fasten, Autonomiekonflikte wie Verbote von Freunden oder das Verbot zu singen oder zu malen, Aufforderungen zu kriminellem Verhalten wie Propagandaarbeit oder die Verhinderung von Schulbesuchen, besonders vom Schwimm- oder Musikunterricht), so sind staatliche Institutionen dazu verpflichtet, einzugreifen. Die salafistische Erziehung dürfe nicht verharmlost werden. Sie müsse in den Fokus der Diskurse der Radikalisierungsprävention gerückt werden, um konkrete Risikofaktoren zu identifizieren und angemessene Beratungs- und Unterstützungsangebote für pädagogische Fachkräfte bieten zu können. Gerade im Hinblick auf die steigende Anzahl der Betroffenen in diesem Phänomenbereich sei dies essentiell.

Wenn Kinder vom "IS" zurückkehren

Seit Monaten wird in den Medien verstärkt über Frauen berichtet, die nach dem Fall des sogenannten Islamischen Staates nach Deutschland zurückkehren. Manche kommen mit Kindern zurück, die im Kriegsgebiet geboren wurden. Andere bringen ihre Kinder hier Deutschland auf die Welt. Ist das Wohl dieser Kinder gefährdet, wenn sie bei ihren Müttern bleiben? Und wer kümmert sich um die Kinder, wenn die Mütter in Haft landen? Joseph Röhmel ist diesen Fragen nachgegangen.

Salafistische Kindererziehung

Im folgenden Podcast setzt sich Joseph Röhmel mit Fragen der salafistischen Kindererziehung auseinander – Fragen, die längst nicht nur relevant für Rückkehrerinnen aus Syrien und dem Irak und deren Kinder sind. Auch in Deutschland leben salafistisch geprägte Familien mit ihren Kindern.

Salafismus 2.0: Frauen und Kinder im Netz – Propaganda und Prävention

  • Nava Zarabian, jugendschutz.net, Mainz

  • Sindyan Qasem, Zentrum für Islamische Theologie, Universität Münster

  • Moderation: Farah Bouamar, Mitbegründerin der "Datteltäter", Berlin

In ihrem Impulsvortrag thematisierte Nava Zarabian die von islamistischen Akteuren zielgruppengerecht aufbereitete Internetpropaganda für Frauen und für Kinder. Dabei beinhalte die Propaganda für Frauen niedrigschwellige bis militante Angebote. Ein wiederkehrendes Narrativ sei das Versprechen, Teil einer neuen Weltordnung sein zu können und einer göttlichen Bestimmung zu folgen. Die Ansprache von Frauen verlaufe häufig über Angebote, deren Botschaft leicht und schnell erfassbar ist und die unmittelbar an die Lebenswelt der jungen Rezipientinnen anknüpfen. Sie verläuft meist über die sozialen Medien mit einem Fokus auf Bilder und Texte, weniger auf Videos. Darüber hinaus spielen Messengerdienste eine wichtige Rolle in der Ansprache von Frauen. In den privaten Gruppenchats von Messengerdiensten (z. B. Telegram) werde meist Alltägliches, aber auch Intimes wie z. B. Sexualität verhandelt. Die Propaganda postuliere ein Gegenkonzept zur "westlichen" Frau und zum Feminismus: Gleichwertigkeit werde darin behauptet, dass Frau und Mann vor Gott und in der göttlichen Aufgabe gleichgestellt sind. Anders als im "westlichen" Rollenbild gelten im Salafismus sämtliche Pflichten und Verhaltenseinschränkungen für beide Geschlechter, was durchaus dazu führen kann, dass Frauen sich in der radikalen Auslebung der Religion befreit fühlen, so die Logik sich radikalisierender Frauen. Die Rezipientin der Propaganda solle sich als "Schwester im Islam" sehen, als Mitglied einer elitären und exklusiven Gruppe, charakterisiert durch Verbundenheit und Zusammenhalt und unverzichtbar für den Aufbau des Kalifats bzw. der muslimischen Gemeinschaft, der Ummah. Für die Propaganda sei auch das Opfernarrativ, als Muslima zu einer verfolgten Minderheit zu gehören, äußerst bedeutend, so Zarabian.

Auch Kinder seien Adressaten islamistischer Propaganda: Für sie werden spezifische Angebote entwickelt, z. B. Apps. Sie werden außerdem als Akteure, als Kämpfer und als Henker inszeniert. Ziel sei dabei auch das Senden eines Signals an die Erwachsenen, vor allem an die männlichen Rezipienten – das Töten soll sprichwörtlich "kinderleicht” wirken. Als einen Aspekt einer mehrdimensionalen Gegenstrategie schlägt Zarabian vor, Verstöße zu ahnden und Hassbeiträge zu löschen. Dies betreffe die Strafverfolgung und die Verantwortung der Seitenbetreiber. Eine Kooperation müsse auf nationaler und internationaler Ebene erfolgen, da die Zusammenarbeit relevanter Akteure Sicherheitsrisiken reduzieren kann. Außerdem forderte sie pädagogische Prävention.

Bevor das Plenum in eine Diskussion einstieg, ergänzte Sindyan Qasem vom Zentrum für Islamische Theologie in Münster den Input seiner Vorrednerin um Möglichkeiten einer Präventionsarbeit mit dem Fokus auf Gender. Der Islamismusprävention lägen verschiedene Annahmen zugrunde, so Qasem: Eine schwerwiegende Annahme sei beispielsweise das Dilemma, Zielgruppen formulieren zu müssen, bei denen angenommen werde, sie seien (potenziell) gefährdet. Problematisch sei ferner, dass eine "Unterwürfigkeit" der Islamismusprävention unter strukturellen Rassismus und Sexismus zu beobachten sei. So werde zwar häufig über Kopftuch und Niqab debattiert, nicht jedoch über Sexismus in und durch die "Mehrheitsgesellschaft": Die eigene Gesellschaft werde häufig (im Kontrast zum islamischen "Anderen”) als rassismus- und sexismusfrei imaginiert. Qasem betonte, dass es keine Notwendigkeit gäbe, in der Präventionsarbeit Geschlechterrollen zu reproduzieren. Er plädierte für eine fokussierte anstelle einer universellen Präventionsarbeit.

Frauen im Salafismus: Beratungsfall, Sicherheitsrisiko – oder beides?

  • Julia Hoffmann, Wegweiser, Dortmund

  • Hazim Fouad, Landesamt für Verfassungsschutz, Bremen

  • Moderation: Stella Covaci, Bundeszentrale für politische Bildung

Der Fokus des Moduls lag auf der Frage nach dem Umgang der deutschen Öffentlichkeit mit Frauen im Salafismus. Julia Hoffmann gab einen Überblick über ihre Arbeit bei der Beratungsstelle Wegweiser, die größtenteils Mädchen und junge Frauen ab 16 Jahren begleitet. Ihr Input betrachtete sogenannte Push- und Pull-Faktoren der Radikalisierung, die sie anhand von Beispielen erörterte: Eine junge Frau steht nach einem sehr gut bestandenen Abitur an einem katholischen Gymnasium weiterhin unter großem familiären Leistungsdruck. Sie radikalisiert sich durch die Beziehung zu einem neuen Freund. Hoffmann bezeichnet hier die als restriktiv empfundene Schule und die Familienverhältnisse als Push-Faktoren, den Wunsch nach Liebe und Ausbruch aus dem bisherigen Alltag als Pull-Faktoren. Ein weiteres Beispiel handelte von einer jungen arbeitslosen Frau mit halbseitiger Gesichtslähmung. Sie erfährt von ihrer Umwelt wenig soziale Wärme – ein Push-Faktor, der sie von der hiesigen Gesellschaft wegstößt. Pull-Faktoren, die sie in die Szene "hineinziehen", seien ihr Wunsch, Hausfrau und Mutter zu sein, die Möglichkeit der Vollverschleierung und nach der Zugehörigkeit zu einem Schwesternnetzwerk. Weitere Push-Faktoren seien ein romantisches Weltbild (Sehnsucht nach "Helden"), der Wunsch nach Abgrenzung, die Suche nach Aufgaben und sozialer Wärme und Diskriminierungserfahrungen. Als Pull-Faktoren gelten der Wunsch nach einem klaren Weltbild und einer Tagesstruktur, die Möglichkeit zum Protest und zur Zugehörigkeit zu einer Subkultur. Ein genderspezifischer Aspekt der Beratung sei vor allem die Tatsache, dass gleichgeschlechtliche Beratungen meist besser angenommen werden, so Hoffmann mit Blick auf das Thema des Vertiefungsmoduls. Die Referentin bezog sich außerdem auf den Aspekt der Emotionen, der hinsichtlich der Radikalisierung für Frauen meist einen höheren Stellenwert einnimmt als für Männer. Dementsprechend müsse auch die Beratungsarbeit auf diesen Unterschied reagieren und ihr Angebot genderspezifisch anpassen. Hazim Fouad ergänzte die Beratungserfahrung von Julia Hoffmann mit einem Überblick über die wissenschaftliche und sicherheitsbehördliche Perspektive auf Frauen im Salafismus. Der weibliche Islamismus sei als Phänomen mittlerweile beinahe 100 Jahre alt, dennoch gäbe es nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse. Zu Frauen im nicht-militanten Salafismus seien vor allem die Ergebnisse einer britischen Studie bekannt, laut der sich Frauen eigenständig dem Salafismus zuwandten, nachdem sie sich zuvor mit verschiedenen religiösen Strömungen beschäftigt hatten. Der deutsche Verfassungsschutz gehe nicht davon aus, dass das Geschlecht einen Einfluss auf den Grad der Radikalisierung hat. Vor allem bei Frauen werde jedoch eine intensive Auseinandersetzung mit der Ideologie beobachtet. Auch wenn von Frauen keine akute Anschlagsgefahr ausgehe, verbreiten sie eine demokratiefeindliche Ideologie, sodass die Sicherheitsbehörden handeln müssen. Geschlechtsspezifische Handlungsempfehlungen gäbe es allerdings von Seiten der Verfassungsschutzämter nicht, so Fouad. Im Anschluss an die beiden Inputs wurde im Plenum die Frage erörtert, welche Ziele die Beratungsarbeit verfolgen muss und wo ihre Grenzen liegen. Die Teilnehmenden kamen zu dem Schluss, dass Frauen, die sich dem Salafismus zuwenden, konkrete Bedürfnisse nach Religiosität oder einer konservativen Lebensführung haben. Diese Bedürfnisse könnten aber auch demokratisch befriedigt werden. Somit müsse es die Aufgabe der Beratungs- und Präventionsarbeit sein, Betroffene in der Artikulation ihrer Bedürfnisse zu unterstützen und ihnen demokratische Alternativen aufzuzeigen. In der Auseinandersetzung mit religiösen Inhalten sei es wichtig, eine wissenschaftliche und theologische Diskussionsbasis zu schaffen, um radikalisierungsgefährdete Personen aufzuklären.

Psychische Faktoren in der (De-)Radikalisierung: Pathologisierung oder vielversprechendes Erklärungsmuster?

  • Dr. Katharina Seewald, Kriminologischer Dienst für den Berliner Justizvollzug und die Sozialen Dienste der Justiz, Berlin

  • Prof. Dr. Herbert Scheithauer, Freie Universität Berlin

  • Moderation: Lobna Jamal, Bundeszentrale für politische Bildung

Das Modul "Psychische Faktoren in der (De-)Radikalisierung: Pathologisierung oder vielversprechendes Erklärungsmuster?" befasste sich mit möglichen psychischen Einflussfaktoren bei Radikalisierungsprozessen. Eröffnet wurde mit der Frage, wann die Erkenntnisse der Psychologie als Disziplin in Radikalisierungsprozessen und der Radikalisierungsprävention einbezogen werden müsse, und ob in dem Kontext nicht die Gefahr einer Pathologisierung bestünde. Katharina Seewald vertrat die Annahme, dass alleine die Berücksichtigung psychischer Faktoren den Radikalisierungsprozess keineswegs pathologisiere. Außerdem sei ein Zusammenhang zwischen krankhaften psychischen Zuständen und Radikalisierungsprozessen nicht empirisch belegt, was aber nicht zuletzt einem Mangel an Langzeitstudien geschuldet sei. Klar sei jedoch, dass bestimmte psychische Vulnerabilitäten und individuelle psychologische Bedürfnisse Radikalisierungs- und Hinwendungsprozesse begünstigen können. So könnten beispielsweise sozialisationsbedingte Einflüsse und biographische Krisenerfahrungen Auslöser für eine Radikalisierung sein. Häufig gründe die Motivation für die Hinwendung zu extremistischen Ideologien in einem unsicheren Selbst. Die eigenen Bewältigungsmechanismen reichen nicht aus, um die Unsicherheiten über die eigene Wahrnehmung, Einstellung und Wertesysteme zu überwinden. An diesem Punkt schaffen extremistische Einstellungen Abhilfe und Sicherheit. Festzuhalten sei aber auch, dass eine "terroristische Persönlichkeit" in keinem Fall existiere. Vielmehr seien die Distanzierung von gesellschaftlichen Normen, das sensation-seeking behaviour sowie die hohe Gewaltbereitschaft – individuelle Faktoren, die man mit Terrorismus in Verbindung bringen würde – als Formen einer Dissozialität zu betrachten.

Professor Scheithauer schloss mit der Frage an, welchen Nutzen die Präventionsarbeit aus den Erkenntnissen der Psychologie mit Blick auf Radikalisierungsprozesse ziehen kann. Dabei richtete er den Fokus auf das Handlungsfeld Schule. Insbesondere durch eine Häufung medialer Beiträge steige die subjektive Wahrnehmung von Gewalttaten mit Radikalisierungshintergrund und damit auch die Unsicherheit des Schulpersonals im Umgang mit möglichen Verhaltensindikatoren. Mit der Vorstellung von "Netwave" (Interdisciplinary NETWorks Against Radicalisation and Violent Extremism), einem sich im Aufbau befindenden Modellprojekt für den schulischen Umgang mit extremistischen Ideologien und Radikalisierungsprozessen, wurden entsprechende Möglichkeiten aufgezeigt, Schulpersonal zu unterstützen. Ziel dieses Projektes sei es, gemeinsam mit dem Schulpersonal mögliche Radikalisierungsverläufe oder problematische Verhaltensweisen frühzeitig zu erkennen und somit früh in den Radikalisierungsprozess einzugreifen. Weiterhin soll Netwave zu einer "Entmystifizierung" beitragen und dem Lehrpersonal Wissen über kulturelle Besonderheiten und Radikalisierungsverläufe vermitteln. Das Schulpersonal soll befähigt werden, religiös begründete Ausgrenzungs- und Abwertungserfahrungen sowie "Missionierungsverhalten" zu erkennen und beurteilen, sodass erwägt werden kann, ob pädagogische Maßnahmen zu ergreifen sind oder ob ein Verhalten gar strafrechtlich relevant ist.

Zum Abschluss der Tagung kamen die Teilnehmenden nochmals im Plenum zusammen. Nach der intensiveren Arbeit in kleineren Modulgruppen durften sie erneut einen Vortrag hören, der diesmal einen vergleichenden Blick auf die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Rechtsextremismusprävention warf.

Frauen und Kinder in der Extremismusprävention – Lessons learned

  • Prof. Dr. Esther Lehnert, Alice Salomon Hochschule Berlin

Einen abschließenden Blick über den Tellerrand wagte Prof. Dr. Esther Lehnert. Was können wir aus der langjährigen Erfahrung der Rechtsextremismusprävention lernen und für die Salafismusprävention übernehmen? Auch wenn diese Frage nur schwer zu beantworten und die wissenschaftliche Forschung diesbezüglich äußerst auf- und ausbaufähig sei, setzte Lehnert an der Kategorie "Gender" an. Diese Kategorie ernst zu nehmen, bedeute, sich nicht nur auf die Betrachtung von Frauen zu konzentrieren, denn auch für Männer sei "Gender" eine relevante Kategorie. Es gehe also sowohl um Weiblichkeits-, als auch um Männlichkeitsbilder und -konstruktionen. Es reiche nicht aus, zu sagen, wir nehmen Frauen stärker in den Fokus der Prävention. Nach wie vor hätten wir es jedoch mit einer "doppelten Unsichtbarkeit" zu tun: Frauen und Mädchen werde ein politisches Bewusstsein weniger zugetraut, sie werden weniger wahrgenommen und wenn, dann nicht als Akteurinnen im Extremismus. Dementsprechend würden sie sich in extremistischen Szenen vielfach unterhalb des Radars der öffentlichen Wahrnehmung bewegen. Der Rechtsextremismus gelte deshalb vielen nach wie vor als ein zunächst männliches Phänomen. Auch sei es an der Zeit, autoritäre Erziehungsstile phänomenübergreifend in den Blick zu nehmen, so Lehnert weiter. Wünschenswert sei die Auseinandersetzung mit Müttern und die Reflektion ihrer zentralen Rolle, etwa bei der Weitergabe der Ideologie an die nächste Generation. Das sei im Rechtsextremismus nicht anders als im Islamismus, so Lehnert. Sie warnte aber auch davor, die Gesellschaft aus der Verantwortung zu entlassen: Es dürfe nicht zu einer Externalisierung, zu einem Postulat "wir gegen die anderen" kommen, sondern die vermeintlich "Anderen" (mutmaßlich extremistische bzw. radikalisierte Personen), müssten als Teil des "Wirs" (unsere Gesellschaft) anerkannt werden, damit die Präventionsarbeit gelingen kann. Für eine erfolgreiche Prävention müsse die Gesamtgesellschaft radikalisierungsgefährdeten Personen Alternativen zum Extremismus aufzeigen können, statt zu stigmatisieren oder auszugrenzen.

Was tun gegen Salafismus? - Prävention und Ausblick

Im letzten Podcast fragt Joseph Röhmel, wohin die salafistische Szene nach dem Zusammenbruch des sogenannten Kalifats steuert und was Prävention nicht zuletzt mit einem besonderen Blick auf Frauen tun muss, um dem Phänomen nachhaltig zu begegnen.

Fussnoten