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Ist Vollbeschäftigung für Männer und Frauen möglich? | Vollbeschäftigung? | bpb.de

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Ist Vollbeschäftigung für Männer und Frauen möglich?

Friederike Maier

/ 15 Minuten zu lesen

Die 1960er Jahre als Jahre der Vollbeschäftigung zu bezeichnen bedeutet, sich allein auf Männer zu beziehen. Heute müssen beide Geschlechter berücksichtigt und ungesicherte Beschäftigung für Frauen eingedämmt werden.

Einleitung

Mitten in der schärfsten Wirtschaftskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges geschieht in der Bundesrepublik Deutschland Bemerkenswertes: Die Zahl der Beschäftigten ist unerwartet hoch, so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr, die registrierte Arbeitslosigkeit geht zurück und liegt mit einer Arbeitslosenquote von 7,5% für Männer und 7,0% für Frauen im Januar 2012 auf einem niedrigeren Niveau als vor der Krise 2009. Im internationalen Vergleich ist Deutschland heute von einem Land mit relativ hoher Arbeitslosigkeit zu dem Land mit der viertniedrigsten Arbeitslosenquote geworden, noch besser war die Lage nur noch in Österreich, Luxemburg und den Niederlanden. Regional gibt es große Unterschiede in der Arbeitsmarktentwicklung, in manchen Regionen Deutschlands sind die Arbeitslosenquoten auf Werte von unter 5% gesunken. So verwundert es nicht, dass das Thema Vollbeschäftigung wieder diskutiert wird. Schon im Jahre 2010 publizierten Wirtschaftsforschungsinstitute wie das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) Prognosen, wonach schon bald Vollbeschäftigung erreicht sein könnte. Thomas Straubhaar, Direktor des HWWI, schreibt: "Wer noch vor kurzem behauptet hätte, dass in Deutschland Vollbeschäftigung möglich ist, wäre für verrückt erklärt worden. Aber nun kann das für viele schon zur Utopie gewordene Ziel der Vollbeschäftigung sogar bereits bis zum Jahr 2015 Wirklichkeit werden." Und er führt aus, was aus seiner Sicht Vollbeschäftigung ist: eine Arbeitslosenquote von 2 bis 5% aller Erwerbsfähigen. Davon seien wir zwar noch weit entfernt, aber die Zeichen stünden auf Vollbeschäftigung, auch aufgrund des demografischen Wandels. Um Vollbeschäftigung zu erreichen, müsste jedoch noch einiges getan werden: Straubhaar verweist darauf, dass die Arbeitslosigkeit und die Erwerbschancen sehr ungleich verteilt seien: "Damit Vollbeschäftigung tatsächlich erreicht wird, ist noch einiges zu tun. Ältere müssen so gut wie Jüngere, Frauen so gut wie Männer und Menschen mit Migrationshintergrund so gut wie Menschen ohne Migrationshintergrund in das Erwerbsleben integriert werden. Gelingt das, dann gelingt auch Vollbeschäftigung."

Der Hinweis auf geschlechtsspezifische Unterschiede in den Arbeitsmarktchancen ist - gemessen an anderen wissenschaftlichen und politischen Diskussionen um Vollbeschäftigung - bemerkenswert und zeigt, dass die soziale Realität in der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2012 doch eine andere ist als in den 1960er Jahren, als schon einmal die Verwirklichung der Vollbeschäftigung ausgerufen wurde. Heute ist den Beteiligten durchaus bewusst, dass Männer und Frauen gleichermaßen zu den (Erwerbs-)Arbeitskräften der Gesellschaft gehören und Vollbeschäftigung beide Geschlechter einbeziehen muss.

1960er Jahre: Vollbeschäftigung nur für Männer

Das war in den "goldenen" 1960er Jahren in Westdeutschland anders, Frauenbeschäftigung war nur am Rande ein Thema. Unmittelbar nach dem Krieg bis zur Währungsreform war eine große Zahl an Frauen beschäftigt, teils sogar auf Arbeitsplätzen, die noch während der Nazi-Zeit für Frauen als ungeeignet galten. Danach setzte eine Verdrängung der Frauen aus dem Arbeitsmarkt ein: So wurden beispielsweise Beschäftigungsverbote für Frauen in den Bauberufen und im Landverkehr wieder in Kraft gesetzt, bei den verheirateten Beamtinnen wurde eine "Zölibatsklausel" eingeführt, die eine Kündigung der Frauen dann erlaubte, wenn auch der Ehemann im öffentlichen Dienst beschäftigt war. Anfang der 1950er Jahre waren knapp 35% der Erwerbstätigen weiblich, die Erwerbstätigenquote, das heißt der Anteil der erwerbstätigen Frauen an allen Frauen zwischen 15 und 65 Jahren, betrug 46%, die Arbeitslosenquote der Frauen lag mit 11,5% deutlich über der der Männer mit 8,8%.

Ende der 1960er Jahre lag der Frauenanteil an den Erwerbstätigen bei 37%, die Erwerbstätigenquote war auf den historischen Tiefststand von 45% gesunken. Allerdings war die Arbeitslosigkeit ebenfalls gesunken und betrug über die gesamten 1960er Jahre weniger als 2% sowohl für Männer als auch für Frauen.

Hatten wir also bei den Frauen Vollbeschäftigung erreicht? Gemessen an der Zahl der registrierten Arbeitslosen ja, gemessen an der Zahl der Erwerbstätigen dagegen nein. Was drückt sich in der Arbeitslosenquote aus? Zunächst einmal, dass sich nur wenige Frauen in diesen Jahren bei den Arbeitsämtern als arbeitslos registrieren ließen. Bedeutet sie aber auch, dass die anderen, die nicht erwerbstätigen Frauen, die ja die Mehrheit der Frauen in der Altersgruppe der 15- bis 65-Jährigen waren, keine Erwerbstätigkeit suchten, sich selbst nicht als arbeitslos sahen oder vielleicht auch keinen Anreiz hatten, sich bei den Arbeitsämtern zu melden? Wurden sie von den Umständen auf dem Arbeitsmarkt, in der Familienpolitik und in der Ideologie daran gehindert, erwerbstätig sein zu wollen oder zu können? Ist es also angemessen, von einer niedrigen Arbeitslosigkeit auf den Zustand Vollbeschäftigung zu schließen?

Wenn man Vollbeschäftigung als Abwesenheit von registrierter Arbeitslosigkeit definiert, dann waren die 1960er Jahre eine Verwirklichung der Utopie: Arbeitslosenquoten von Männer und Frauen von weit unter 2%. Hinzu kommt, dass die Erwerbstätigenquote der Männer bis Anfang der 1970er Jahre bei über 87% lag, das heißt Männer im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert waren. Das entsprach der herrschenden Ideologie der westdeutschen Gesellschaft: Wichtig war, dass der männliche Ernährer zu einem ausreichend hohen Lohn voll beschäftigt war, so dass nur junge und/oder unverheiratete oder geschiedene Frauen arbeiten "mussten". Das Ideal dieser Zeit war die Hausfrau mit alleinverdienendem Ehemann. Dies war zwar eine Fiktion, denn schon damals gab es Frauen, die keine Ehemänner mit ausreichendem Einkommen hatten und "gezwungen" waren, arbeiten zu gehen, die Ernährerehe war jedoch rechtlich lange Zeit abgesichert und wirkt in manchen Bereichen (zum Beispiel Ehegattensplitting) bis heute nach.

In der Entwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen in Westdeutschland lässt sich nachvollziehen, dass die Hausfrauen-/Ernährerfamilie lange Zeit vom Staat explizit unterstützt und propagiert wurde. Das Familienwohl stand über dem individuellen Wohl der Frau. Bis 1953 konnte der Mann alles im Haushalt entscheiden und damit auch über Wohnort, Wohnung sowie die Erwerbstätigkeit der Frau bestimmen. Ab 1958 durfte die Frau immerhin erwerbstätig sein "soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist" (Paragraf 1356 BGB alt). Erst seit 1977 ist die Gleichstellung in der Familie erreicht worden: "Beide Ehegatten sind berechtigt (Hervorhebung F.M.), erwerbstätig zu sein" (Paragraf 1355 BGB). Ihre ungeschmälerte Berufs- und Arbeitsvertragsfreiheit erlangten Ehefrauen erst 1977.

Wenn also in den 1960er Jahren von Vollbeschäftigung die Rede war, dann war damit in erster Linie die Beschäftigungssituation von Männern gemeint. Für sie sollte "ein hoher Beschäftigungsstand" erreicht werden. Die Feststellung, dass Vollbeschäftigung herrschte, ignorierte also, dass die Erwerbstätigenquote der Frauen unter 46% lag. Über die Hälfte der Frauen im erwerbsfähigen Alter war nicht in die marktvermittelte Erwerbsarbeit integriert. Obwohl die Erwerbstätigenquote der Frauen so gering war, gerieten inländische Frauen als Arbeitskraftreserven nur sehr eingeschränkt ins Blickfeld von Wirtschaft und Politik. Als im neu reformierten Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von 1969 verankert wurde, dass "Frauen, deren Unterbringung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erschwert ist, weil sie verheiratet oder aus anderen Gründen durch häusliche Pflichten gebunden sind oder waren, beruflich eingegliedert werden" sollen (AFG, Paragraf 2,5), rief dies sofort die Wahrer(innen) der Hausfrauenehe auf den Plan. Ein zeitgenössischer Kommentar zum AFG versicherte deswegen auch: "Die Vorschrift darf aber keineswegs als Aufforderung zu uferloser Werbung von Frauen für die Aufnahme beruflicher Arbeit um jeden Preis verstanden werden. Der Schutz der Ehe und Familie, wie er durch Art. 6 GG gewährleistet ist, bleibt hiervon unberührt, ebenso natürlich der Schutz der Frau selbst unter Wahrung ihrer Eigenart i.S. des Art. 22 GG."

Wandel der Arbeitsmarktintegration der Frauen

Das Zurückdrängen der Frauen in die Familie war aber nicht auf Dauer durchzuhalten, drohte es doch zu einer kontrazyklischen Bremse marktvermittelten ökonomischen Wachstums zu werden. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft veränderten sich allmählich und die Hausfrauenehe wandelte sich zu einem Erwerbsmuster von Ernährer und Zu-Verdienerin als Regelfall. Wir beobachten also seit Beginn der 1970er Jahre einen kontinuierlichen Anstieg der Erwerbstätigenquoten der Frauen, parallel geht die Erwerbstätigenquote der Männer seit dieser Zeit kontinuierlich zurück (vgl. Abbildung 1 in der PDF-Version).

Durch diese Entwicklung ist der Gender Gap, das heißt der Unterschied in der Erwerbstätigkeit der Männer und Frauen, der 1969 bei 43 Prozentpunkten lag (Männer 88%, Frauen 45%) in 1989, dem letzten Wert für Westdeutschland, auf 27 Prozentpunkte (Männer 77%, Frauen 50%) gesunken. Durch die Wiedervereinigung stieg die Erwerbstätigenquote der Frauen mit einem Schlag um 4 Prozentpunkte an, für die folgenden Jahre sehen wir dann zunächst einen leichten Rückgang. Jedoch folgt ab 1995 ein kontinuierlicher Anstieg bei den Frauen, so dass der Gender Gap in der Erwerbstätigenquote nunmehr auf 9 Prozentpunkte im Jahr 2010 gesunken ist (Männer 75%, Frauen 66%). Es lässt sich somit für 2010 konstatieren, dass wir für Frauen einen wesentlich höheren Beschäftigungsstand messen als dies in den Vollbeschäftigungsjahren im Westdeutschland der 1960er Jahre der Fall war.

Gemessen am Kriterium Arbeitslosigkeit haben weder Westdeutschland noch das vereinigte Deutschland einen Zustand der Vollbeschäftigung erreicht - aber ist die registrierte Arbeitslosigkeit oder die in Abbildung 2 (vgl. Abbildung 2 in der PDF-Version) dargestellte Erwerbslosigkeit tatsächlich ein Maß für Vollbeschäftigung?

Erwerbstätigkeit als Maßstab für Vollbeschäftigung

Die Definition eines Vollbeschäftigungszustandes über die Festlegung einer Arbeitslosenquote, die dies ausdrücken soll (wenn 2 bis 5% aller Erwerbsfähigen arbeitslos sind, wäre dies laut Straubhaar Vollbeschäftigung gleichzusetzen), ist relativ willkürlich (warum 2 bis 5% und nicht 3 bis 4%?) und wenig aussagekräftig: Folgt man einer rein ökonomischen Definition, dann bedeutet Vollbeschäftigung die Integration aller verfügbaren Produktionsfaktoren, darunter auch Arbeitskräfte, in die Erwerbsarbeit (marktvermittelte Produktion). So gesehen müsste man Vollbeschäftigung nicht an der Arbeitslosigkeit messen, sondern an der Erwerbsquote (Erwerbstätige und Arbeitslose) oder noch präziser an der Erwerbstätigenquote. Denn diese Quote allein sagt aus, welche Anteile der Personen im erwerbsfähigen Alter tatsächlich am Markt arbeiten und aus dieser Tätigkeit auch ein Einkommen erzielen. Wie hoch diese Quote ist, hängt von vielen Faktoren ab: auf der Nachfrageseite, das heißt der Seite der privaten und öffentlichen Unternehmen, primär von deren ökonomischer Situation und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (konjunkturelle und strukturelle Auf- und Abschwünge). Auf der Angebotsseite, das heißt der Seite der Arbeitskräfte, hängt sie ab von der Organisation zum Beispiel des Bildungswesens (Verweildauer im Bildungssystem, Lernphasen im Lebensverlauf) und den Regeln der sozialen Sicherheit (soziale Sicherung bei Arbeitslosigkeit, im Alter). Quer zu diesen Faktoren liegen die Normen und Werte in einer Gesellschaft hinsichtlich der Rollen von Männern und Frauen im Allgemeinen und von Vätern und Müttern im Speziellen. Werden Frauen, insbesondere Mütter, überhaupt als Teil der erwerbsfähigen Menschen angesehen und wenn ja, was unternehmen Gesellschaft und Wirtschaft, damit Frauen erwerbstätig sein können? Hier kommt ins Spiel, wie die institutionellen Regelungen einer Gesellschaft sind: Orientieren sie sich am Individuum, das eine Chance auf Erwerbsarbeit zur Sicherung des Lebensunterhalts bekommen muss und falls dies - aufgrund einer Nachfrageschwäche - nicht möglich ist, in die Lage versetzt werden muss, existenzsichernde Lohnersatzleistungen zu bekommen? Oder gehen sie davon aus, dass es für Frauen, insbesondere Mütter, nur zweitrangig ist, Erwerbsarbeit zu haben, da sich ihre Absicherung primär nicht über eigene Erwerbsarbeit, sondern über den Familienernährer ergibt? Ist Ersteres der Fall, das heißt, Frauen wie Männer sollen in die Erwerbsarbeit integriert werden und ihren Lebensunterhalt darüber sichern, dann hat das Folgen zum Beispiel für die Kinderbetreuung, die Prinzipien des Bildungssystems (Vollzeit oder Teilzeit), die Teilung der Hausarbeit.

In Westdeutschland wurde eine präzisere Festlegung, was ein "hoher Beschäftigungsstand" für Männer und für Frauen sein soll, nie getroffen, obwohl es natürlich denkbar ist, eine Zielgröße zum Beispiel für eine angestrebte Erwerbsbeteiligung zu formulieren. In Bezug auf die Frage, wie und für wen Vollbeschäftigung erreicht werden soll, gingen andere Länder, an ihrer Spitze Schweden, in den 1960er Jahren einen anderen Weg: Sie suchten und fanden Wege für eine Vollbeschäftigungspolitik, die alle erwerbsfähigen Männer wie Frauen einschloss und die sich an der Zielvorstellung orientierte, dass jede und jeder ihren und seinen eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit sichern soll. Das erklärte Ziel der schwedischen Arbeitsmarktpolitik ist dabei Vollbeschäftigung, die als erreicht gilt, wenn 80% der 20- bis 64-Jährigen erwerbstätig sind. Um dieses Ziel erreichen zu können, sind dann Maßnahmen und institutionelle Regelungen in vielen Feldern notwendig; bezogen auf die Geschlechterdimension ist insbesondere die Frage der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Elternschaft zu lösen. In anderen Ländern wurden dazu über einen Zeitraum von nun mehr als 40 Jahren (die aktive schwedische Gleichstellungspolitik beginnt in den frühen 1970er Jahren) Politiken entwickelt, die es Eltern erlauben, Erwerbsarbeit und Kinder zu vereinbaren, ohne die Erwerbsarbeit lange unterbrechen zu müssen, ohne zwangsweise in Teilzeitarbeit gehen zu müssen, ohne große Einkommenseinbußen in der Phase aktiver Elternschaft hinnehmen zu müssen. Die Bundesrepublik Deutschland blieb in dieser Hinsicht weit hinter anderen Ländern zurück und hat diesen Rückstand bis heute nicht aufgeholt.

Trotz aller Gleichstellungspolitiken ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Frauenthema geblieben, da es Männern in der Regel gut gelingt, Erwerbsarbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen. Insofern ist Thomas Straubhaar zuzustimmen, dass eine steigende Erwerbstätigkeit von Frauen, und damit Vollbeschäftigung auch für Frauen, mit den Rahmenbedingungen zusammenhängen: Es "bleibt die Forderung nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie - beispielsweise durch verbesserte Angebote zur Kinderbetreuung aber auch durch vermehrte Teilzeitstellen - ganz oben auf der arbeitspolitischen Agenda. Vor allem Alleinerziehende müssen im Fokus stehen, weil sie ganz besonders von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind".

Vollbeschäftigung für beide Geschlechter als politisches Ziel

Obwohl es in Deutschland bis heute keine Verständigung darüber gibt, was ein hoher Beschäftigungsstand denn sein könnte, ist man in Europa weiter. Schon in der sogenannten Lissabon-Strategie zur Koordinierung der Beschäftigungspolitik wurde eine Zielvorstellung formuliert: 60% der Frauen zwischen 15 und 64 Jahren sollten erwerbstätig sein, bei den Männern sollte diese Quote bei 70% liegen. Dieses in der EU-Beschäftigungsstrategie gesetzte Ziel hat Deutschland bereits seit dem Jahr 2005 erreicht. Inzwischen (2010) wird für Deutschland ein Wert von 66% für die Erwerbstätigenquote von Frauen und 75% für Männer ausgewiesen.

Die europäische Kommission hat mittlerweile gemeinsam mit dem Mitgliedsländern eine neue Strategie verabredet: "Europa 2020 - eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum im nächsten Jahrzehnt". Im beschäftigungspolitischen Teil ist festgehalten, dass bis 2020 eine Beschäftigungsquote von 75% der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter zwischen 20 und 64 Jahren erreicht werden soll. Die Begrenzung des erwerbsfähigen Alters auf 20 bis 64 Jahre reflektiert, dass die Länder unterschiedliche Bildungssysteme haben. Dadurch ist eine Erwerbstätigenquote, die auch die Altersgruppen der unter 20-Jährigen einbezieht, nicht präzise genug ist: Eine niedrige Erwerbstätigkeit von jungen Menschen kann auch das Ergebnis einer gewünschten höheren und längeren Bildungsbeteiligung sein. Das Ziel von 75% kann nur erreicht werden, wenn es in den Mitgliedsländern gelingt, mehr Frauen in das Beschäftigungssystem zu integrieren.

Wie die Tabelle (vgl. Tabelle in der PDF-Version) zeigt, hat von 33 Ländern nur ein kleine Minderheit diese Zielgrößen bereits jetzt erreicht und es sind die Länder, in denen wir es erwartet haben: Schweden, Island und Norwegen. Schon Finnland hat - zwar für beide Geschlechter gleichermaßen - eine Erwerbstätigenquote, die unter 75% liegt. Insgesamt ist die Beschäftigungssituation in einer Mehrheit der europäischen Länder für beide Geschlechter noch weit von der Zielmarke entfernt. Es gibt eine große Zahl von Ländern, in denen weder 70% der Männer noch 70% der Frauen erwerbstätig sind, darunter viele süd- und osteuropäische Länder.

Keineswegs erstaunlich ist, dass sich Deutschland in der Gruppe wiederfindet, in der zwar die Quote der Männer schon über der Zielmarke liegt, aber noch nicht bei den Frauen. Dennoch ist die Position Deutschlands in diesem Feld nicht mehr so schlecht wie noch vor zehn Jahren und dies ist darauf zurückzuführen, dass die Erwerbstätigkeit der Frauen kontinuierlich gestiegen ist.

Existenzsichernde Erwerbstätigkeit für beide Geschlechter

Bemerkenswert an der Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland ist allerdings die Tatsache, dass die Erhöhung der Zahl und des Anteils erwerbstätiger Frauen kaum mit einer Ausweitung des von Frauen geleisteten gesamtgesellschaftlichen Arbeitsvolumens einhergegangen ist.

Abbildung 3 (vgl. Abbildung 3 in der PDF-Version) ist zu entnehmen, dass das Arbeitszeitvolumen insgesamt in Deutschland seit 1991 stark zurückgegangen ist und erst in jüngster Zeit mit 48 Millionen Stunden pro Jahr wieder ein Niveau wie vor 2002 erreicht hat. Der Anteil der Frauen am Arbeitsvolumen ist in der Zeit zwischen 1991 und 2010 von 38% auf 42,9% gestiegen, ihr Anteil an den Beschäftigten im gleichen Zeitraum ist von 44% auf 49,8% gestiegen. Das bedeutet, dass die Zahl der Frauen im Beschäftigungssystem höher ist als ihr Anteil am Arbeitsvolumen, das heißt, das von Frauen geleistete Volumen an Erwerbsarbeitsstunden verteilt sich heute auf mehr (weibliche) Schultern.

Rechnet man das auf Frauen und Männer entfallende Arbeitsvolumen in sogenannte Vollzeitäquivalente (VZÄ) um, dann wird deutlich, dass der Gender Gap in der Erwerbstätigenquote noch sehr groß ist: Nach Angaben des Europäischen Statistischen Amts Eurostat betrug die vollzeitäquivalente Erwerbstätigenquote der Männer 2009 72,2%, die der Frauen nur 50,7%, das heißt der Gender Gap beträgt noch 22 Prozentpunkte (gegenüber 9 Prozentpunkten ohne Berücksichtigung der Arbeitszeiten). Mit dieser Entwicklung nimmt Deutschland in Europa - sieht man von wenigen Ländern wie beispielsweise den Niederlanden ab - eine Sonderstellung ein. In Vollzeitäquivalenten gerechnet liegt Deutschland bei der Frauenerwerbstätigkeit nur noch knapp über dem Durchschnitt in Europa.

Im Bericht des Sachverständigengutachtens für den ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung wird darauf hingewiesen, dass die Form der Erwerbstätigkeit erhebliche Folgen für die eigenständige Existenzsicherung hat: "Da die Möglichkeiten für eine eigenständige Existenzsicherung über Erwerbseinkommen und (vielfach an dieses gekoppelte) Leistungen der sozialen Sicherungssysteme maßgeblich über den Erwerbsumfang bestimmt werden, vermag die VZÄ-Quote die Performanz des Beschäftigungssystems sehr viel besser zu beschreiben als die Erwerbstätigenquote."

Auffällig ist an der Entwicklung, dass der Anstieg der Erwerbstätigkeit der Frauen vor allem über eine Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung, darunter auch über die sogenannten Mini-Jobs erfolgt ist. Die Vollzeitbeschäftigung ist dagegen bei Frauen wie Männern rückläufig. Die starke Zunahme bei der Teilzeitbeschäftigung (seit 1991 fast verdoppelt) verteilt sich etwa gleich auf reguläre Teilzeit und Mini-Jobs: "Neben sozialversicherungspflichtiger Teilzeit hat sich die geringfügige Beschäftigung (insbesondere Mini-Jobs) in den vergangenen Jahren zu einer immer weiter um sich greifenden Erwerbsform vor allem für weibliche Beschäftigte entwickelt; gerade für Frauen handelt es sich dabei häufig um das einzige Erwerbseinkommen. Allein zwischen 2001 und 2006 stieg die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten um 1,13 Millionen Personen an, 715000 von ihnen (63 Prozent) waren Frauen. Gleichzeitig gingen 1,63 Millionen Vollzeitarbeitsplätze verloren - 670.000 von Frauen (41 Prozent) (...)." Auch immer mehr Männer arbeiten in Teilzeit, größtenteils in Mini-Jobs. Der Anteil der Männer an allen Teilzeitbeschäftigten betrug 2010 rund 25% (1991: 14%).

Aus Sicht der Gleichstellungspolitik ist die starke Expansion der Teilzeit eher ambivalent zu bewerten: Einerseits trägt ihre Ausweitung zur Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit bei, andererseits verbergen sich heute hinter dem Begriff Teilzeitarbeit viele unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse, angefangen bei den sozialversicherungsfreien Mini-Jobs bis hin zu Teilzeit in qualifizierten Angestelltenberufen mit Arbeitszeiten nahe der Vollzeitschwelle von 36 Stunden. Nur ein geringer Teil dieser Beschäftigungsverhältnisse bringt ein Einkommen mit sich, das eine eigenständige Existenzsicherung erlaubt.

Thomas Straubhaar ist deswegen in seiner pauschalen Forderung nach mehr Teilzeitbeschäftigung zu widersprechen: Alle Arbeitsmarktexpertinnen sind sich einig, dass eine Ausweitung der vollzeitnahen, in alle Sozialversicherungen integrierten Teilzeit sinnvoll, eine weitere Ausweitung der ungesicherten Beschäftigungsverhältnisse, insbesondere der Mini-Jobs, dagegen gesetzlich einzudämmen ist. Diese frauen- und gleichstellungspolitische Sackgasse des deutschen Beschäftigungswunders gehört wieder gesperrt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland, Monatsbericht Januar 2012, online: http://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Monatsbericht-Arbeits-Ausbildungsmarkt-Deutschland/Monatsberichte/Generische-Publikationen/Monatsbericht-201201.pdf (15.2.2012).

  2. Thomas Straubhaar, Vollbeschäftigung ist möglich - Arbeitgeber, denkt um!, in: Süddeutsche Zeitung vom 5.5.2011, online: www.sueddeutsche.de/karriere/vollbeschaeftigung-ist-moeglich-arbeitgeber-denkt-um-1.1093115 (15.2.2012).

  3. Ebd.; vgl. auch den Beitrag desselben in dieser Ausgabe.

  4. Ich konzentriere mich in der Darstellung zunächst auf Westdeutschland - in der DDR haben sich Erwerbsarbeit und Geschlechterverhältnis anders entwickelt: Die vollzeitbeschäftigte Frau und Mutter war dort das gesellschaftliche und politische Leitbild, an dem sich auch die entsprechenden sozialpolitischen Regelungen orientierten. Durch die Vereinigung wurden die meisten Regelungen der alten Bundesländer auch auf die neuen Bundesländer übertragen, allerdings hat sich die Erwerbsorientierung der Frauen kaum an die westdeutschen Leitbilder angepasst. Vgl. Elke Holst/Jürgen Schupp, Situation und Erwartungen auf dem Arbeitsmarkt, in: Statistisches Bundesamt/Wissenschaftszentrum Berlin (Hrsg.), Datenreport 2011, S. 109ff. Vgl. zur Beschäftigung in der DDR auch den Beitrag von Toni Pierenkemper in dieser Ausgabe.

  5. Vgl. Friederike Maier, Zwischen Arbeitsmarkt und Familie - Frauenarbeit in den alten Bundesländern, in: Gisela Helwig/Hildegard Maria Nickel (Hrsg.), Frauen in Deutschland 1945-1989, Berlin 1993, S. 259.

  6. Erwin Schönefelder/Günter Kranz/Richard Wanka, Arbeitsförderungsgesetz (AFG), Kommentare, Kohlhammer, August 1972, RN 47 zu Paragraph 2, Nr. 5 .

  7. Vgl. Hanne Martinek, Schweden: Vorbild für die Förderung individueller Existenzsicherung von Frauen, Berlin 2006, online: http://web.fu-berlin.de/ernaehrermodell/2_WorkingP_Hanne_1206-2.pdf (21.2.2012).

  8. Vgl. Mechthild Veil, Kinderbetreuungskulturen in Europa: Schweden, Frankreich, Deutschland, in: APuZ, (2003) 44, S. 12-22.

  9. T. Straubhaar (Anm. 2).

  10. Vgl. Friederike Maier, Die wirtschaftspolitischen Leitlinien der Europäischen Union - eine feministische Kritik, in: Christine Bauhardt/Gülay Caglar (Hrsg.), Gender and Economics. Feministische Kritik der politischen Ökonomie, Wiesbaden 2010, S. 233-257; dies., Gleichstellungspolitische Fortschritte durch Europäische Beschäftigungsstrategie und Gender Mainstreaming?, in: dies./Angela Fiedler (Hrsg.), Gender Matters - Feministische Analysen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, Berlin 2002, S. 61-88.

  11. Vgl. Eurostat, Indicators for monitoring the Employment Guidelines including indicators for additional employment analysis, 2010 compendium, online: http://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=4093&langId=en (21.2.2012).

  12. Gutachten der Sachverständigenkommission, in: Erster Gleichstellungsbericht. Neue Wege - Gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf, Bundestagsdrucksache 17/6240, online: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/062/1706240.pdf (21.2.2012), S. 111.

  13. Susanne Wanger, Ungenutzte Potentiale in der Teilzeit - Viele Frauen würden gerne länger arbeiten, IAB-Kurzbericht 9/2011.

  14. Vgl. ebd.; Gutachten der Sachverständigenkommission (Anm. 13); WSI-Mitteilungen, (2012) 1, zum Schwerpunktthema Mini-Jobs.

Dr. rer. pol.; Professorin für Volkswirtschaftslehre, Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin; Direktorin des Harriet Taylor Mill-Instituts für Ökonomie und Geschlechterforschung der HWR Berlin, Badensche Straße 52, 10825 Berlin. E-Mail Link: friemaie@hwr-berlin.de