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Offener Umgang mit geheimer Geschichte

Bodo Hechelhammer

/ 14 Minuten zu lesen

Die Bundesregierung benötigt als unverzichtbare Entscheidungsgrundlage für ihr politisches Handeln ein allumfassendes und präzises Lagebild. Sie hat dementsprechend einen großen Informationsbedarf. Dabei greift sie auch auf Erkenntnisse zurück, die nicht offen und allgemein zugänglich sind, ohne die aber mitunter ein Lagebild unvollständig oder sogar falsch sein kann. Erst zusätzlich beschaffte, geheime Informationen ermöglichen eine Bestätigung, eine Ergänzung oder unter Umständen eine notwendige Korrektur vorhandenen Wissens. Bezogen auf den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik ist die Bundesregierung auf möglichst frühzeitige, genaue und zuverlässige Nachrichten über Entwicklungen in anderen Staaten und über internationale Zusammenhänge angewiesen. Sie hat daher ein vitales politisches Interesse an objektiver Nachrichtengewinnung und Berichterstattung über das Ausland. Diese Informationen erhält sie durch den damit gesetzlich beauftragten zuarbeitenden Bereich der öffentlichen Verwaltung, durch den Bundesnachrichtendienst (BND), der mit seinen spezifischen Möglichkeiten entsprechende Informationen sammelt und auswertet. Der BND ist somit ein zentrales Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik.

Trotz seiner heutigen Bedeutung hat die Arbeit eines geheimen Nachrichtendienstes systemimmanent und historisch bedingt einen schlechten Ruf in der deutschen Gesellschaft. Geheimdienste dienten und dienen, vor allem in Diktaturen und Regimen, als ein probates Instrument zur Repression und Unterdrückung. Die Verbrechen der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) oder des Sicherheitsdienstes (SD) des Reichsführers (SS) im Nationalsozialismus ebenso wie die des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) in der DDR sind als historische Folie bei aktuellen Themen zu nachrichtendienstlicher Tätigkeit stets präsent. Das systemimmanente Arbeiten im Geheimen wird meist negativ konnotiert. In einer modernen Demokratie, basierend auf den Grundlagen politischer Transparenz und öffentlicher Kontrolle, wird letztendlich jede Form von staatlicher Anonymität, die Grundlage jeder geheimen nachrichtendienstlichen Tätigkeit, zu einem gesellschaftlichen Reizobjekt. Denn die Öffentlichkeit will so viel wie möglich wissen: auch wie ein geheimer Nachrichtendienst arbeitet. Doch ist diese legitime Forderung eine contradictio in adiecto, ein Widerspruch zwischen nachrichtendienstlich notwendiger Geheimhaltung und geforderter maximaler öffentlicher Transparenz. Aufgrund der Schwierigkeiten, gesichert Kenntnis von seinem Auftrag, seiner Arbeit und seinem Grundwesen zu erlangen, ist das politische und historische Bild des BND vielfach unscharf.

Der BND arbeitet unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und ebenso erfolgt seine gesetzliche Kontrolle durch Regierung und Parlament, durch den Bundesrechnungshof und den Datenschutzbeauftragten geheim. Noch bis vor wenigen Jahren blieben aufgrund bestehender Geheimhaltungsvorschriften und archivischer Schutzfristen auch seine Alt-Akten der Öffentlichkeit faktisch nicht zugänglich. Im Jahr 1992 beschrieb Konrad Porzner, der damalige BND-Präsident, als zwangsläufige Folge dieses Spezifikums, dass "der Dienst (…) über seine Erfolge nicht berichten (kann), sein Handeln auch in bekanntgewordenen Einzelfällen nicht öffentlich rechtfertigen oder erklären (kann, die Medien, Anm. B.H.) sich meist nur bei Pannen mit der Arbeit der Nachrichtendienste (befassen, weshalb, Anm. B.H.) in der Öffentlichkeit oft ein unklares Bild der Arbeit des Bundesnachrichtendienstes besteht".

Dagegen fordert Gerhard Schindler, der heutige BND-Präsident, dass der BND sogar mehr Transparenz benötige, "nicht als Selbstzweck, sondern als Voraussetzung für eine breitere Vertrauensbasis in der Gesellschaft". Nur durch Transparenz könne Vertrauen geschaffen werden, und dieses sei bei einem geheimen Nachrichtendienst vor allem dort möglich, wo es um seine Geschichte geht. Der BND formuliert damit ein neues Paradigma zum Umgang mit seiner Geschichte und handelt proaktiv, nämlich zur Gewinnung eines politischen Spielraums. Die Erforschung der BND-Geschichte steht somit nicht länger in einem grundsätzlichen Gegensatz zu einem geheimen Nachrichtendienst. Die Erkenntnis, dass ein offener Umgang mit geheimer Geschichte auch einem geheimen Nachrichtendienst nutzt, war das Ergebnis eines langwierigen Prozesses.

Annäherung an die eigene Vergangenheit

Anders als Bundesministerien wie das Auswärtige Amt, hat der BND keine direkte Vorgängerorganisation und somit keine institutionelle Traditionslinie vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Der deutsche Auslandsnachrichtendienst wurde am 1. April 1956 offiziell gegründet und ist aus der sogenannten Organisation Gehlen hervorgegangen. Diese hatte sich unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs unter der Ägide der US-amerikanischen Geheimdienste, zunächst der US-Armee und ab 1949 der Central Intelligence Agency (CIA), im Geheimen entwickelt, weshalb Existenz, Auftrag und Personal über Jahre hinweg öffentlich nicht bekannt waren. Damit lag dem BND ein anderes Gründungsparadigma als etwa anderen geheimen Nachrichtendiensten zugrunde, deren Einrichtung öffentlich vollzogen wurde, wie beispielsweise die der CIA durch den National Security Act vom 18. September 1947. Nicht zuletzt dadurch wurde "um den Nachrichtendienst eine Zwielichtigkeit erzeugt". Auch wenn der BND über keine eigene unmittelbare Organisationsgeschichte vor 1945 verfügt, hatte die öffentliche Auseinandersetzung mit dem deutschen Auslandsnachrichtendienst dennoch von Beginn an eine dominante Enthüllungskomponente – mit der Intention, diesen vor allem über den geschichtswissenschaftlichen Hebel der NS-Vergangenheit, speziell über die Frage personeller Kontinuitäten, politisch und moralisch zu disqualifizieren. Der BND folgte seinem Primat der Geheimhaltung, nahm nur in Ausnahmefällen öffentlich Stellung und verfiel so im Umgang mit seiner eigenen Vergangenheit in passive Handlungsmuster.

Innerhalb des BND gab es immer wieder Phasen, in der sich die Behörde ihrer eigenen Geschichte bewusst beziehungsweise des drohenden Verlustes von Wissen darüber gewahr wurde. Es war Reinhard Gehlen selbst, der unmittelbar nach Ende seiner BND-Präsidentschaft 1968 und im Auftrag seines Amtsnachfolgers Gerhard Wessel die Entstehungsgeschichte des geheimen Nachrichtendienstes erarbeitete. Im Rahmen einer Nebenbeschäftigung schrieb er die relevanten historischen Sachverhalte auf. Auf Grundlage einer Materialsammlung zur Geschichte und zum Aufbau des deutschen Auslandsnachrichtendienstes von 1945 bis 1968 und die dabei gemachten Erfahrungen wurde methodisch zunächst ein allgemeines Aktenstudium betrieben, woraus sich dann Themenschwerpunkte entwickelt haben. Ziel war es, eine zusammenfassende Studie über die Geschichte des Dienstes bis zum Ende der Gehlen-Ära zu erstellen. Dieses wurde als notwendig erachtet, um die vorhandenen Unterlagen und verblassenden Erinnerungen in einen geordneten Kontext zu bringen.

Anfang der 1980er Jahre setzte ein Generationenwechsel im BND ein. Zudem wurde zwischen dem BND und dem Bundesarchiv eine erste Verwaltungsvereinbarung über die Archivierung von BND-Schriftgut geschlossen und am 1. April 1983 eine eigene Organisationseinheit Archivwesen im BND eingerichtet. Ehemalige Mitarbeiter der ersten Stunde wurden nun hinsichtlich ihrer Erinnerungen zur Entstehungs- und Gründungsgeschichte des BND befragt, um die Lücken der eigenen Überlieferung zu schließen oder inzwischen unverständliche Sachverhalte einordnen zu können. Letztlich arbeitete ein BND-Mitarbeiter Mitte der 1980er Jahre im Auftrag der Behörde einzelne historische Studien zu zentralen Ereignissen, beispielsweise zum Volksaufstand in der DDR im Jahr 1953, zur Kuba-Krise im Jahr 1962 oder zum Prager Frühling im Jahr 1968, aus.

Der Umgang mit der eigenen Geschichte vollzog sich aber noch jenseits der Öffentlichkeit und war mehr eine interne Dokumentation als etwa eine wissenschaftliche Erforschung. Eine Änderung dieser Grundhaltung im Umgang mit seiner Vergangenheit setzte erst im Verlauf der 1990er Jahre ein und führte dazu, dass im BND erstmals diskutiert wurde, unter welchen Voraussetzungen eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte im Rahmen eines Forschungsauftrages stattfinden könnte.

Der Hintergrund für diesen neuen Umgang mit der eigenen Vergangenheit lag nicht etwa in der Behörde selbst oder im Innenpolitischen begründet, sondern wurde von einer politischen Entscheidung der US-amerikanischen Regierung hin zu mehr Transparenz beeinflusst. Ende der 1990er Jahre vollzog Washington unter Präsident Bill Clinton eine archivische Tauwetter-Politik, die auch beim BND zur Kenntnis genommen wurde. Diese Politik der Transparenz ermöglichte die Einsichtnahme in geheim- beziehungsweise nachrichtendienstliche Alt-Akten, die indirekt auch den BND betrafen. Beginnend mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Offenlegung relevanter Quellenbestände zur NS-Vergangenheit, dem Nazi War Crimes Disclosure Act von 1998, wurde erstmals eine gesetzliche Grundlage zur Freigabe Tausender Alt-Akten geschaffen, welche die US-Geheimdienste, aber auch die für die Amerikaner arbeitende Vorgängerorganisation des BND, die Organisation Gehlen, betrafen.

Innerhalb des BND war man sich klar darüber, dass der erstmalige freie Zugang zu CIA-Akten zur Organisation Gehlen zwangsläufig auch verstärkt Anfragen nach Aktenbeständen im BND zur Folge hätte. Besonders die Frage nach personellen Kontinuitäten, der Rolle früherer Mitarbeiter während der Zeit des Nationalsozialismus, wurde hierbei als kritisch eingestuft. Dabei standen aber zunächst nur diejenigen Personen im Vordergrund, deren amerikanische Akten offengelegt werden sollten. Im Hinblick auf die drohende Offenlegung von Akten zur Vorgängerorganisation des BND wurden von der CIA die freizugebenden Akten angefordert und geprüft, ob man nicht zu diesem Themen- und Aktenkomplex einen Auftrag an eine externe Forschungseinrichtung geben könnte. Ende 2002 wurde ein Sonderstab, eine Arbeitsgruppe Historie eingesetzt, um die Realisierung eines solchen Vorhabens zu eruieren und die Abgabe der dafür relevanten eigenen Alt-Akten an das Bundesarchiv zu prüfen. Der BND kam jedoch zur Entscheidung, entsprechende Akten zunächst nicht abzugeben und verwarf eine wissenschaftliche Erforschung der eigenen Geschichte, vor allem aufgrund von organisatorischen, personellen und Sicherheitsgründen. Die Konfrontation mit der eigenen Geschichte sollte rezeptiv beobachtet, jedoch nicht aktiv betrieben werden.

2002 kam schließlich die CIA dem Gesetz zur Aktenfreigabe nach und gab ihre Unterlagen über ihre Verbindungen zur Vorgängerorganisation des BND frei. 2004 folgte die US-Armee mit der entsprechenden Offenlegung ihrer Aktenbestände. Erstmals konnte ein genaueres, weil aktenbezogenes Bild über den Beginn des deutschen Auslandsnachrichtendienstes gezeichnet werden. Die Schutzmauern, welche die Behörde zur Wahrung ihrer Dienstgeheimnisse errichtet hatte und die zwangsläufig auch die eigene Geschichte umschlossen, waren durch äußere Einflüsse löchrig geworden.

Im Vorfeld des 50-jährigen Jubiläums des BND im Jahr 2006 konkretisierte sich die Idee eines Geschichtsprojektes und die entsprechenden Überlegungen wurden öffentlich bekannt gemacht. Ab Herbst 2004 wurden Gespräche mit dem Erlanger Geschichtsprofessor Gregor Schöllgen geführt, Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes. Dieser sollte eine Behördengeschichte auf Grundlage der BND-Aktenlage nachzeichnen. Der Anstoß für diese Initiative kam von Frank-Walter Steinmeier, dem damaligen Chef des Bundeskanzleramtes, der übergeordneten Behörde des BND. Dies geschah zu einer Zeit, als die Debatte um das Auswärtige Amt und seine Vergangenheit begann und schließlich im Juli 2005 zur Berufung einer Historikerkommission durch Bundesaußenminister Joschka Fischer führte. Zuständig für den BND im Kanzleramt war zu dieser Zeit Ernst Uhrlau. Unmittelbar nachdem dieser im Jahr 2005 Präsident des BND geworden war, nahm Schöllgen Ende Dezember 2005 Kontakt auf mit dem Ziel, das Projekt der Aufarbeitung der Geschichte des BND voranzutreiben.

Zur Realisierung dieses Vorhabens ist es aber aus verschiedenen Gründen nicht gekommen, wobei sicherheitliche und archivrechtliche Fragen eine wesentliche Rolle spielten. Erschwerend für eine wissenschaftliche Forschungsarbeit an den BND-Akten war, dass sich der BND ab 2005 zeitgleich mit parlamentarischen Untersuchungen auseinandersetzen musste: 2005 mit dem "Journalisten-Skandal", wobei zur Klärung der Vorgänge durch das Parlamentarische Kontrollgremium ein Sachverständiger eingesetzt wurde. Anfang 2006 kam noch der parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Involvierung des BND in den Irakkrieg 2003 hinzu.

Über Jahre hinweg befürworteten die Bundesregierung und der BND öffentlich die systematische historische Aufarbeitung, nicht ohne bei der dafür notwendigen Offenlegung eingestufter Unterlagen auf das Problem der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an ihrer Nutzung und der damit möglicherweise einhergehenden Beeinträchtigung von Sicherheitsbelangen hinzuweisen. So antwortete die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage im Jahr 2007 zum Sachstand der Aufarbeitung, dass die Aufklärung der Gründungsgeschichte der Nachrichtendienste unter besonderer Berücksichtigung möglicher Nachwirkungen des Nationalsozialismus "in erster Linie Aufgabe der Sicherheitsbehörden selbst (sei). Die Bundesregierung (aber) deren Vorhaben mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln (unterstütze), da gerade den Sicherheitsbehörden eine besondere Verantwortung für den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zukommt."

Immer stärker wurde im öffentlichen und politischen Raum die Notwendigkeit einer Erforschung der Gründungsgeschichte des BND diskutiert. Im März 2010 konkretisierte Uhrlau die Rahmenbedingungen für eine Geschichtsaufarbeitung und nannte dabei die speziellen Freigabekriterien sowie die personellen Kapazitäten innerhalb des BND. Im April bestätigte die Bundesregierung, dass "eine systematische Aufarbeitung seiner Geschichte (…) weiterhin vom Bundesnachrichtendienst angestrebt werde".

Neben diesen skizzierten Faktoren kam noch ein weiteres Motiv hinzu, das zur Realisierung eines Geschichtsprojektes im BND führte: Nachdem die Journalistin und Publizistin Gaby Weber nach einer verwehrten Einsicht in Unterlagen im Jahr 2008 gegen den BND geklagt hatte, wurde dieser bis dahin praktizierten pauschalen Verweigerung der Nutzungen von Alt-Akten des BND 2010 durch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts widersprochen. Obwohl die vorgebrachten Sperrgründe vom Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich als tragend anerkannt wurden, wurde die vollständige Zurückhaltung der Unterlagen für rechtswidrig erklärt. Infolge der Umsetzung dieser Entscheidung war der BND nun dazu gezwungen, jede Information auf Freigabe zu prüfen.

Kulturwandel

Im Frühjahr 2010 wurde zunächst intern eine Forschungs- und Arbeitsgruppe "Geschichte des BND" eingerichtet, die von nun an für die Realisierung des Gesamtvorhabens verantwortlich war. Da eine umfassende wissenschaftliche Erforschung der BND-Geschichte pro domo personell nicht möglich und hinsichtlich der öffentlichen Forderung nach unabhängiger Aufarbeitung nicht zielführend sein konnte, wurde nach externen Experten gesucht. Am 15. Februar 2011 wurde eine Unabhängige Historikerkommission (UHK) bestehend aus vier renommierten Experten berufen: Jost Dülffer (Köln), Klaus-Dietmar Henke (Dresden), Wolfgang Krieger (München) und Rolf-Dieter Müller (Potsdam/Berlin). Die Kommission erhielt den Auftrag zur Erforschung der Geschichte des BND und seiner Vorgängerorganisation, seines Personal- und Wirkungsprofils von 1945 bis 1968 sowie des Umgangs mit dieser Vergangenheit. Für die Bewältigung des inzwischen auf fünf Jahre ausgelegten Forschungsprojektes stehen der UHK etwa zwei Millionen Euro zur Verfügung.

Die BND-interne Forschungs- und Arbeitsgruppe unterstützt die Kommission bei administrativen und organisatorischen Fragen, der Archivarbeit, der Recherche und der wissenschaftlichen Grundlagenarbeit. Da der BND dem Bundeskanzleramt nachgeordnet ist und entsprechende historische Vorgänge mit Bezug zum BND sich auch in der dortigen Registratur befinden, wurde zeitgleich ein umfassender Zugang zu dem relevanten Aktenmaterial vereinbart. Zur Unterstützung des Geschichtsprojektes berief das Bundeskanzleramt mit Hans-Josef Vorbeck zudem einen eigenen Beauftragten für das Geschichtsprojekt des BND im Bundeskanzleramt.

Jenseits der von der Politik vorgegebenen und von der Wissenschaft geforderten Norm erweist sich speziell für Sicherheitsbehörden die tatsächliche Umsetzung von Transparenz und wissenschaftlicher Forschungsfreiheit als sehr schwierig, da deren Arbeitsweise und auch ihr Nimbus systemimmanent von Geheimhaltung geprägt ist. Auch wenn der Kalte Krieg als politischer Rahmen für geheime Nachrichtendienste zu Ende gegangen ist, sind deren Methodik, Techniken und Ethik im Grundsatz dieselben geblieben. Da für Wissenschaftsprojekte die Überprüfbarkeit der Befunde und Ergebnisse als conditio sine qua non anzusehen ist, wird dieses bei der Erforschung eines aktiven geheimen Nachrichtendienstes zur Herausforderung. Es gilt letztendlich dem Gedanken Rechnung zu tragen, dass eine seriöse wissenschaftliche Erforschung aufgrund notwendiger Geheimhaltungsvorschriften immer im Spannungsfeld zwischen systemimmanentem Geheimschutz im Interesse der Funktionsfähigkeit des Nachrichtendienstes und der gewünschten maximalen Transparenz im Interesse der Öffentlichkeit stattfinden muss. So müssen bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung der BND-Geschichte die bestehende Rechtsgrundlage und die archivischen Schutzfristen beachtet werden.

Der Nennung von nachrichtendienstlichen Verbindungen des BND stehen grundsätzlich vorrangige Belange des Staatswohls (Informantenschutz) sowie deren allgemeines Persönlichkeitsrecht entgegen. Der Informantenschutz ist eines der zentralen Fundamente zur Sicherstellung der Aufgabenerfüllung des BND. Er dient nicht nur der persönlichen Sicherheit von Informanten, sondern auch dem Fortbestand nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffung. Die Zusage der Vertraulichkeit und des uneingeschränkten Identitätsschutzes ist auch heute noch ausschlaggebend dafür, dass sich der BND zur Erfüllung seiner Aufgaben eines der effektivsten Mittel der Informationsgewinnung durch Informanten bedienen kann. Sie können in begründeten Ausnahmefällen nur dann genannt werden, wenn der Informantenschutz als besondere Ausprägung des Persönlichkeitsschutzes geschwächt ist und dem Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit nachsteht. Bei der Entscheidung über eine Aktenfreigabe ist grundsätzlich die Herkunft der Information zu beachten: Wenn diese von anderen Behörden oder Nachrichtendiensten anderer Nationen stammen, können diese die Freigabe verweigern. Dies würde von dem betreffenden Nachrichtendienst als Vertrauensbruch gewertet und könnte die zukünftige Zusammenarbeit mit dem BND beeinträchtigen.

Auch wenn die Wissenschaftler der UHK umfassende Einsicht in die relevanten Akten erhalten, bleibt das zitierte Spannungsverhältnis zwischen gewünschter Transparenz und notwendiger Geheimhaltung bestehen. Daher ist einer Veröffentlichung der Ergebnisse auch der Vorbehalt der Freigabe durch den BND vorangestellt. In diesem Prozess wird geprüft, ob und gegebenenfalls inwieweit die Veröffentlichung noch Belange des Staatswohls und Persönlichkeitsrechte Dritter beeinträchtigt werden und ob im Einzelfall das öffentliche Interesse an einer Offenlegung diese Beeinträchtigung möglicherweise rechtfertigen könnte. Im Fall eines Dissenses ist die Einschaltung einer Schiedskommission zur Schlichtung vertraglich vereinbart worden.

Der BND war über Jahrzehnte hindurch unmittelbar geprägt durch die geheim- und nachrichtendienstlichen Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit sowie des Kalten Krieges. Diese tradierte Denkart verschärfte sich zudem vor dem speziellen Hintergrund des deutsch-deutschen Gegensatzes. In dieser Gedankenwelt nahmen, wie bei jedem Nachrichten- und Geheimdienst, systemimmanent der Schutz der Mitarbeiter und die Geheimhaltung deren Identität und Methodik oberste sicherheitliche Priorität ein. Dieses schloss konsequenterweise jegliche öffentliche Thematisierung der Vergangenheit aus. Nur schrittweise änderte er seinen Blick auf die eigene Vergangenheit.

Das Umdenken setzte aber einen langwierigen Prozess des Kulturwandels voraus, der die Notwendigkeit einer Geschichtsaufarbeitung erkannte und damit den Boden zum notwendigen Zugang zu den relevanten Unterlagen und deren Erforschung bereitete. Dieses Umdenken wurde dabei durch verschiedene endogene und exogene Faktoren juristisch wie auch politisch beeinflusst. Erst dadurch konnte das für ein entsprechendes Forschungsvorhaben notwendige Klima geschaffen werden. Die Erforschung und Aufarbeitung eines geheimen Nachrichtendienstes sowie der Zugang zu seinen dafür notwendigen Unterlagen stellen aber dabei eine organisatorische, politische und wissenschaftlich schwierige Herausforderung dar.

Quo vadis?

Dem BND kommt innerhalb der deutschen Sicherheitsarchitektur eine herausgehobene Verantwortung bei der Wahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu. Aus diesem Grunde muss er sich seiner Identität sicher sein. Dabei sind sowohl sein aktuelles politisches als auch sein historisches (Selbst-)Bild elementare Bestandteile der dafür notwendigen Identitätsbildung. Mit der Bewusstwerdung seiner Geschichte versichert sich der BND seiner Identität, die er für sein gegenwärtiges Agieren benötigt. Die Erforschung der eigenen Geschichte erscheint somit als politische, soziale und moralische Notwendigkeit, um zukunftsorientiert mithilfe stabiler Identitätszuschreibungen vertrauensbildend agieren zu können.

Die Einrichtung der BND-internen Forschungs- und Arbeitsgruppe "Geschichte des BND" und die Einsetzung der UHK sind erste Schritte zu einer größeren Transparenz der eigenen Historie. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet der seit rund vier Jahren praktizierte Umgang mit der eigenen Vergangenheit für den BND eine dauerhafte Verpflichtung, da dieser kein endlicher, sondern ein kontinuierlicher Prozess ist. Das öffentliche Interesse von Politik und Gesellschaft an der Tätigkeit des BND bleibt auch weiterhin bestehen. Aus diesem Grunde soll nach Beendigung der Forschungstätigkeit der UHK im Jahr 2016 ein eigenes Historisches Büro im BND eingerichtet werden, bei dem die Forschungs- und Arbeitsgruppe "Geschichte des BND" die Keimzelle bilden soll, so wie es der BND-Präsident zuletzt angekündigt hat: "Wir werden eine Art Historisches Büro einrichten, eine historische Sammlung anlegen und unsere Geschichte kontinuierlich in der Ausbildung und in der Lehre vermitteln." Für den BND ist die begonnene historische Aufarbeitung eine dauerhafte politische Notwendigkeit, die Debatte um seine geheime nachrichtendienstliche Tätigkeit zu versachlichen, ihr perspektivisch den Nährboden zur Legendenbildung fundiert zu entziehen, Misstrauen und falsche Vorstellungen in der Öffentlichkeit abzubauen, um damit für seinen aktuellen und zukünftigen Auftrag Vertrauen und politischen Handlungsspielraum zu gewinnen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Konrad Porzner, Bericht und Kritik, in: Die Verwaltung, 26 (1993), S. 17. Vgl. auch: Hans-Jörg Geiger, Wie viel Kontrolle ist möglich und nötig?, in: Wolbert K. Smidt et al. (Hrsg.), Geheimhaltung und Transparenz, Berlin 2007, S. 17.

  2. Grußwort des BND-Präsidenten Gerhard Schindler anlässlich des Kolloquiums der UHK in Berlin am 2.12.2013.

  3. Reinhard Gehlen, Der Dienst, Mainz–Wiesbaden 1971, S. 15.

  4. Vgl. Elke-Ursel Hammer, "Archivwesen" im Bundesnachrichtendienst und Bestand B 206 im Bundesarchiv, in: Bundesarchiv (Hrsg.), Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, (2004) 12, S. 42.

  5. Vgl. Astrid Eckert, Kampf um die Akten, Stuttgart 2004, S. 21f.

  6. Vgl. Bodo Hechelhammer, Möglichkeiten und Grenzen des Zugangs zu Unterlagen der Nachrichtendienste, in: Bundesarchiv (Hrsg.), Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, (2013) 1, S. 52–60.

  7. Vgl. Bundestags-Drucksache Nr. 17/2864 vom 6.9.2010.

  8. Vgl. Richard Breitmann et al. (Hrsg.), U.S. Intelligence and the Nazis, Cambridge 2005, S. 376f.; Wolfgang Krieger, Geschichte der Geheimdienste, München 2009, S. 266.

  9. Vgl. Christian Mentel, Die Debatte und "Das Amt und die Vergangenheit", in: APuZ, (2012) 32–34, S. 38–46; Martin Sabrow/ders., Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit, Frankfurt/M. 2013.

  10. Vgl. Gregor Schöllgen, Am Ende ohne Akten?, in: Süddeutsche Zeitung vom 8.9.2011.

  11. Vgl. G. Schäfer, Gutachten. Vom Parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestages beauftragter Sachverständiger, Berlin 2006.

  12. Vgl. Bundestags-Drucksache (Anm. 7).

  13. Vgl. Bundestags-Drucksache Nr. 16/7063 vom 3.12.2007 (Ergänzungen des Verfassers).

  14. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.3.2010.

  15. Bundestags-Drucksache Nr. 17/1389 vom 16.4.2010, S. 5.

  16. Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19.4.2010, BVerwG 20 F 13.09.

  17. Vgl. ders., Beschluss vom 23.11.2011, BVerwG 20 F 22.10.

  18. Vgl. Externer Link: http://uhk-bnd.de/ (10.1.2014).

  19. Vgl. Wolfgang Krieger, Nutzen und Probleme der zeitgeschichtlichen Forschung über Nachrichtendienste, in: ders./Jürgen Weber (Hrsg.), Spionage für den Frieden?, München–Landsberg/L. 1997, S. 10.

  20. Vgl. Werner Wertgen, Vergangenheitsbewältigung: Interpretation und Verantwortung, Paderborn u.a. 2001, S. 363.

  21. G. Schindler (Anm. 2).

Lizenz

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Dr. phil., geb. 1968; Leiter der Forschungs- und Arbeitsgruppe "Geschichte des BND" des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gardeschützenweg 71–101, 12203 Berlin. E-Mail Link: geschichte@bnd.bund.de